Hunger und Mangelernährung - Fachtagung Brot für die Welt

8.10.2015 - Wie sehen die neuen Strategien im Kampf gegen die weltweite Mangelernährung aus? Wie kann die Eiweiß- und Nährstoffversorgung in den armen Ländern verbessert werden. „Weder Fisch noch Fleisch“ hieß die hintergründige Überschrift einer Fachtagung von „Brot für die Welt“ in Berlin vergangene Woche. Manfred Kriener berichtet.

Hunger und Mangelernährung: "Weder Fisch noch Fleisch"

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Weltweit gehen nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation FAO Jahr für Jahr etwa 1,3 Milliarden Lebensmittel verloren. Während in den Industrieländern die Lebensmittelverschwendung in Handel, Gastronomie und Haushalten zu riesigen Verlusten führt, sieht es in vielen Entwicklungsländern ganz anders aus. Dort verschwinden in den Bilanzen 40 Prozent der Erntemenge durch Parasiten, Schädlings- und Pilzbefall. Die Ursachen: Schlechte, unhygienische und ungeschützte Lagerung und fehlende „schnelle“ Vermarktungsmöglichkeiten. Die Nahrungsmittel bleiben zu lange in alten Schuppen und Speichern liegen und verderben. Diese Nachernteverluste stehen im Focus von Informationskampagnen und teilweise recht simplen, aber wirksamen Schutzmaßnahmen. Auf Pfosten gestellte Getreidespeicher mit Metallboden können zum Beispiel Ratten und Mäuse fernhalten.

Bild oben: Fischtrocknung ohne EU-Hygienevorschriften - ein kapverdischer Fischer legt die ausgenommenen Fische einfach auf die Steine am Strand.  | © Beate Dorner

"Wer nicht mehr hungert, ist noch lange nicht gut ernährt."

Die Hungerbekämpfung hat in den vergangenen Jahren „gewisse Erfolge“ erzielt, wie Francisco Mari von Bot für die Welt bilanzierte. Kalorienzahl und Eiweißmengen, die den Menschen in den Krisengebieten zur Verfügung stehen, seien deutlich gestiegen. Doch wer nicht mehr hungert, ist noch lange nicht gut ernährt. Es fehlt an wichtigen Mineralien, Vitaminen und anderen essentiellen Nährstoffen. Die Folge: Zwei Milliarden Menschen weltweit leiden an Mangelernährung. Sie können sich zwar sattessen, bleiben aber trotzdem anfällig für Krankheiten. Und ihr Speiseplan unterscheidet sich immer noch deutlich von dem in den reichen Industrieländern. Vor allem bei tierischem Eiweiß hinkt etwa der afrikanische Kontinent weit hinter den europäischen Ziffern her. Im überernährten Europa wird fünfmal mehr tierisches Eiweiß gegessen.

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Kostenloser Fisch für alle

Auch beim Fischkonsum werden die Afrikaner abgehängt. „Wir haben früher an jedem Tag und eigentlich immer Fisch gegessen“, beschreibt die Senegalesin Mariame Racine-Sow die traditionelle Ernährung in ihrer Heimat. Allerdings seien die Fischmengen, die auf dem Teller lagen, klein gewesen und mit Reis kombiniert worden. Riesige Eiweißportionen habe sie erst hier in Europa kennengelernt, sie würden ihr bis heute seltsam fremd erscheinen. Die kleinen Schwarmfische, wie etwa die Sardinen, seien im Senegal über Jahrzehnte in so großer Menge gefischt worden, dass es sie oft kostenlos gab. Auch die Ärmsten hätten Zugang zu dieser Ressource gehabt. Vorbei! Seit die ausländischen Trawler die afrikanischen Küsten abfischen, sei der Reichtum verschwunden. Ein einziges großes Fangschiff der EU fange so viel Fisch wie ein traditioneller senegalesischer Fischer in 50 Jahren einbringe, empörte sich ein Zuhörer im engagiert diskutierenden Publikum. Doch Europa werde dafür die Quittung erhalten. Racine-Sow: „Wenn die Leute arm sind und nichts mehr fischen können, was tun sie dann? Sie werden versuchen, hierher nach Europa zu flüchten.“

Francisco Mari unterstrich die Bedeutung der Fischerei für die Ernährung in vielen Entwicklungsländern. Fischeiweiß sei schon deshalb so attraktiv, weil zu seiner „Erzeugung“ in den Meeren kein Input an Futtermitteln, Wasser oder Dünger nötig sei. Auch die Kleintierhaltung in den Hinterhöfen der Armen sei hocheffizient, weil sie „nebenher läuft“ und mit wenig zusätzlichen Futtermitteln auskomme.

Bild oben: Traditionelle Fischer in Tarrafal de Monte Trigo auf Santo Antão, einer kapverdischen Insel. Die Kapverden liegen im Zentralatlantik auf der Höhe von Senegal rund 500 Kilometer vor der Westküste Afrikas.  | © Beate Dorner

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Frauen essen was übrigbleibt

Ein ganz anderer Schwerpunkt der Berliner Tagung waren Mangelernährung und Hunger speziell bei Frauen und Mädchen. Sie werden in vielen Ländern des Südens schlechter ernährt als die Männer. Noch immer, so wurde mehrfach betont, kursiere die Legende, dass Frauen weniger Kalorien und weniger Eiweiß bräuchten als Männer. Doch viele Frauen würden körperlich hart arbeiten und hätten – erst recht, wenn sie schwanger sind oder stillen – einen hohen Bedarf an Nährstoffen. Doch in vielen Regionen der Welt essen sich zuerst die männlichen Mitglieder der Familie satt, Frauen und Mädchen bekommen was übrig bleibt. Und wenn zusammen gegessen wird, sind die Portionen für die Frauen kleiner. So sind Eisen-, Jod- und Vitaminmangel unter Frauen weit verbreitet, Anämien bei Frauen sind die häufigste Mangelerkrankung. Und: 2,5 Millionen Kinder sterben im Jahr weltweit an Mangelernährung.

Eine neue Strategie im Kampf gegen die Mangelernährung ist die biologische Anreicherung von Grundnahrungsmitteln. Pflanzen sollen so gezüchtet werden, dass sie höhere Mengen an wertvollen Mikronährstoffen auf den Teller bringen. Fazit der Berliner Tagung: Die Hungerbekämpfung hat Fortschritte erzielt, doch die Herausforderung, Ernährungssouveränität und das Menschenrecht auf gute Nahrung für alle zu erfüllen, bleiben gewaltig.

Bild oben: Frau in Namibia beim Kochen auf offenem Feuer. | © Helmut Wiedemann

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