Milchkrise: Offener Brief an Bundesminister Schmidt

3.6.2016 - Nur noch 20 Cent für den Liter Milch – für die Bauern viel zu wenig. In einem offenen Schreiben macht Ursula Hudson, Vorsitzendende von Slow Food Deutschland, konkrete Lösungsvorschläge zur aktuellen Milchkrise, die hunderte von kleinbäuerlichen Betrieben in Deutschland in ihrer Existenz gefährdet.
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Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrter Herr Schmidt,

die große Milchkrise und der dadurch beschleunigte tiefe Strukturwandel in der Milcherzeugung erfüllt auch uns Verbraucher mit Sorge. Sicher: Eine flächendeckende Milchversorgung ist gegeben – und dies momentan zu Tiefstpreisen. Doch um welchen sozialen, ökologischen und das Tierwohl betreffenden Preis?

Was fehlt ist eine stärkere Produktdifferenzierung, was fehlt sind regionale und frische Milchprodukte und damit die Möglichkeit für die Erzeuger, den wirklichen Wert des Lebensmittels Milch für den Verbraucher erfahrbar zu machen und so wiederum auch ihre Arbeitsleistung angemessen zu bepreisen. Auf dem Milchgipfel am Montag, den 30. Mai, in Berlin haben Sie genau dies herausgestellt und den verstärkten Einstieg der Branche in Qualität, Regionalität und Produktdifferenzierung als einen möglichen Weg aus der Überproduktion und der Preiskrise beschrieben (FAZ vom 31.5.2016: "Milchgipfel vereinbart Nothilfe und Branchendialog").

Verbraucher wollen gute, frische Milch – Erzeuger eine gute Entlohnung ihrer Arbeit. Eine Möglichkeit diese Interessen zusammenzuführen ist die direkte Abgabe von Milch ab Hof. Dies ist bei uns in Deutschland nur unter bestimmten Auflagen und Kontrollanforderungen erlaubt (§ 17 TierLMHV). Das ist auch gut so, denn Milch ist ein äußerst empfindliches und leicht verderbliches Produkt.

Die Abgabe von Milch über Milchautomaten ist dafür eine zweckmäßige und den modernen Lebens- und Arbeitsformen angepasste Lösung. Die Milch wird dort gekühlt vorgehalten. Immer mehr Milcherzeuger möchten Verbrauchern diese Möglichkeit bieten, stoßen jedoch hier auf große Widerstände seitens der Veterinärbehörden.

Hinzu kommt, dass auf Grund des Strukturwandels in der Milcherzeugung nur noch wenige Milchbetriebe in erreichbarer Verbrauchernähe liegen. Die Wege sind mithin sehr lang und sehr umständlich (Feldwege). Milchautomaten sollten daher verbrauchernah eingerichtet werden dürfen. In anderen europäischen Ländern ist dies längst Praxis, zumal die Europäische Union (EU Hygieneverordnung 853/2004) hier den Mitgliedstaaten freie Hand gibt.

In Italien und Slowenien beispielsweise, aber auch in anderen EU-Ländern dürfen Milchautomaten an zentralen Orten in Kommunen aufgestellt werden; sie erfreuen sich dort bei Milchtrinkern großer Beliebtheit und entlohnen den Bauern mit einem fairen Milchpreis. Zudem fördern sie ein wesentlich besseres Verständnis des Lebensmittels Milch und seiner Herkunft und sie bringen Erzeuger und Verbraucher auf eine wesentlich weniger anonyme Weise zusammen als es bei anderem Einkauf der Fall ist.

In Deutschland wird dies strikt unterbunden, da nach TierLMHV "die Abgabe im Milcherzeugerbetrieb zu erfolgen hat." Das sollte einen Zukauf von fremder Milch ausschließen. Allerdings stammt dieser Passus aus der Milch-ab-Hof-Abgabeverordnung von 1961, und damals waren die Wege zwischen Verbrauchern und Milcherzeugern nicht so weit und umständlich wie heute. Hinzu kommt, dass wir heute über wesentlich bessere Kühltechniken sowie Reinigungs- und Desinfektionsmöglichkeiten verfügen.

Die Veterinärverwaltung geht jedoch noch einen Schritt weiter und bezieht sich auf ein Karlsruher Verwaltungsgerichtsurteil (AZ K312/10) von 2010. Dieses hatte einem Milcherzeuger untersagt, den Automaten auf der dorfnahen Hofstelle aufzustellen, da der Betriebsteil, in dem die Milch tatsächlich erzeugt werde, nicht der im Ortskern liegende Betriebsstandort sei, sondern der zwei Kilometer davon weg ausgelagerte, neu gebaute Milchviehstall. Angesichts des strukturellen Wandels in der Milcherzeugung einerseits und der Forderung nach guten, großen und Bewegung zulassenden Ställen ist diese Rechtsauslegung geradezu als anachronistisch zu bezeichnen.

Kurzum: Damit Verbraucher an die von ihnen gewünschte Milch kommen und Betriebe diese Milch an entsprechenden Orten auch abgeben können, muss die Milch-ab-Hof-Abgabe-Regelung dringend modernisiert werden. Sie muss eine Regelung für Milchautomaten enthalten sowie eine verbesserte Regelung der Abgabeorte und der dazu notwendigen Milch-Eigenkontrollen der Betriebe.

Eine auf diese Weise verbesserte direkte Abgabe von Milch ab Hof ist aus unserer Sicht ein Schritt zur Verbesserung der Produktdifferenzierung und zur Geschmacksbildung der Verbraucher und ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung der lokalen Versorgung, die den Schulterschluss von Verbraucher und Erzeuger als Basis braucht.

Wir würden gerne mit Ihnen gemeinsam und im persönlichen Gespräch die Möglichkeiten ausloten, diesen Vermarktungsweg zu verbessern – auch im Sinne der Lebensmittelsicherheit.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ursula Hudson
Vorsitzende Slow Food Deutschland e. V.


Mehr Informationen:

Grundsatzerkärung von Slow Food Deutschland zur Rohmilch

"Raus aus dem standardisierten Elend Initiative(n) zur Rettung der vielfältigen Milch" in: Der Kritische Agrarbericht 2014 (S. 290-294)

Milchkrise: "Wertschöpfung statt Wachstum!" (30.5.2016)

 

 

Bild oben: © Slow Food Archiv

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