Studie: Deutsche Agrarkonzerne profitieren von Entwicklungshilfe für arme Länder

8.8.2016 - Die Bundesregierung begünstigt unter dem Deckmantel der Hungerbekämpfung einseitig die Agenda großer Agrarkonzerne, empfiehlt konkrete Markenprodukte und zum Teil hochgiftige Pestizide. Zu diesem Fazit kommt der Bericht der internationalen Entwicklungsorganisation Oxfam mit dem Titel „Böcke zu Gärtnern. Warum die aktuelle Kooperation mit Agrarkonzernen eine nachhaltige Landwirtschaft verhindert“.

Oxfam-Studie: Deutsche Agrarkonzerne profitieren von Entwicklungshilfe

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Demnach verstößt das Entwicklungsministerium (BMZ) bei Kooperationsprojekten mit Agrarkonzernen gegen eigene Vorgaben, schließt agrarökologische Ansätze de facto aus und übergeht Kleinbauern bei der Projektentwicklung.

Die Oxfam-Studie zeigt, wie aktuelle Kooperationsprojekte mit Agrarkonzernen wie Bayer, BASF und Yara auf eine industrielle Landwirtschaft setzen. Von Hunger hauptsächlich betroffene Gruppen wie Kleinbauern oder Frauen wurden bei der Entwicklung der untersuchten Projekte bis auf eine beschränkte Ausnahme dagegen nicht beteiligt. „Es ist unfassbar, dass die Bundesregierung Projekte zur Hungerbekämpfung über die Köpfe der Betroffenen hinweg entwickelt. Stattdessen kooperiert sie eng mit den großen Agrarkonzernen, treibt deren Agenda voran und macht damit den Bock zum Gärtner“, sagt Marita Wiggerthale, Referentin für Welternährung bei Oxfam Deutschland.

BMZ verstößt gegen eigene Pestizid-Vorgaben

Oxfam wertete für den Bericht zahlreiche über das Informationsfreiheitsgesetz erhaltene Dokumente und Schulungsmaterialien zu drei öffentlich-privaten Partnerschaften (PPPs) aus: die Better Rice Initiative Asia (BRIA); die Competitive African Rice Initiative (CARI); sowie die Potato Initiative Africa (PIA). CARI empfiehlt zum Beispiel den Einsatz von hochgiftigen, gesundheits- und umweltschädlichen Pestiziden wie Lambda-Cyhalothrin und Deltamethrin, die auf der Liste des internationalen Pesticide-Action-Networks (PAN) stehen. Damit verstößt das BMZ gegen eigene Vorgaben, wonach besonders umweltschädliche Produkte nicht mehr zur Anwendung kommen und die PAN-Liste zeitnah berücksichtigt werden soll. Die Projekte verharmlosen auch die vielfältigen ökologischen Probleme der industriellen Landwirtschaft und verkennen in ihrer Fixierung auf technologische Lösungen, dass Hunger kein Problem des Mangels, sondern von Armut und der Verletzung von Menschenrechten ist.

Ministerium räumt Konzernen noch mehr Vorteile ein

Zwei der drei untersuchten Projekte laufen noch bis Ende 2017. Sie waren unter dem Dach der German Food Partnership etabliert worden, die 2015 offiziell auslief. Die im selben Jahr von Entwicklungsminister Gerd Müller ins Leben gerufenen und mit 195 Millionen Euro geförderten „Grünen Innovationszentren“ (Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“) räumen den Agrarkonzernen nun teilweise noch mehr Macht und Vorteile ein, wie eine Analyse der bislang einsehbaren Vertragsmodalitäten belegt. Kein Wunder, dass die Unternehmen bereits Schlange stehen. Oxfam fordert eine wirkliche Kehrtwende des BMZ. „Wer den Hunger bekämpfen will, muss die Hungernden unterstützen und agrarökologische Anbauverfahren fördern“, erklärt Wiggerthale.

Hintergrund

  • Weltweit werden genügend Lebensmittel produziert, um die ganze Menschheit zu ernähren. Dennoch hungern nach FAO-Angaben mindestens 800 Millionen Menschen. Es sind vor allem Menschen, die systematisch marginalisiert und diskriminiert werden, wie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und insbesondere Frauen.
  • Die Kooperation mit den großen Agrarkonzernen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit begann Ende der 1990er Jahre und verstärkte sich nach dem Weltwirtschaftsforum 2011. Die dort verabschiedete „Neue Vision für die Landwirtschaft“ beförderte die Gründung der Investitionsplattform „GROW Africa“ und der „Neuen Allianz für Ernährungssicherheit“ der G8. Zudem inspirierte sie den damaligen deutschen Entwicklungsminister Dirk Niebel, die „German Food Partnership“ 2012 ins Leben zu rufen. Das BMZ ließ die GFP im Jahr 2015 offiziell auslaufen. Kritiker der GFP wie FIAN, INKOTA, Oxfam, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und andere begrüßten diesen Schritt und werteten dies als Erfolg ihrer Kampagne „Keine Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne“.
  • Entwicklungsminister Gerd Müller setzt die Agenda der GFP mit dem Globalvorhaben „Grüne Innovationszentren“ im Rahmen der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ und der Gründung der „Agentur für Wirtschaft und Entwicklung“ fort. Letztere ist eine Einrichtung des BMZs, die deutsche Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern durch Beratungsangebote unterstützt.
  • Die Oxfam-Analyse „Böcke zu Gärtnern“ enthält eine Analyse der Schulungsmaterialien der Better Rice Initiative Asia (BRIA) und der Competitive African Rice Initiative (CARI). Die Nichtregierungsorganisationen Agrar-Koordination und Oxfam hatten diese in Auftrag gegeben.


Die Oxfam-Studie lesen:

Böcke zu Gärtnern. Wie die aktuelle Kooperation mit Agrarkonzernen eine nachhaltige Landwirtschaft verhindert

Quelle: Pressemitteilung von Oxfam vom 5. August 2016
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© Slow Food Archiv / Dreamstime

Weitere Informationen:

Slow Themen: EU-Agrarpolitik

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