Weinlese 2016: Raupen, Fliegen, Pilze und Co

28.10.2016 - Am Ende hatte der liebe Gott ein Einsehen. Der schwierigste Weinjahrgang dieses Jahrhunderts endete mit einer Riesenüberraschung: Acht sonnige Wochen am Stück retteten den 2016er und brachten doch noch richtig anständige Qualitäten auf die Kelter. Von Manfred Kriener.
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Es waren zwar nicht die sieben biblischen Plagen, aber es kam doch einiges zusammen: späte Fröste, Hagel, überfallartige Pilzinfektionen, in manchen Regionen auch Erdraupen und die Kirschessigfliege, zu guter Letzt teilweise heftiger Sonnenbrand. 2016 war der schwierigste Jahrgang dieses Jahrhunderts, nicht nur für die deutschen Anbaugebiete. Dass am Ende doch noch reife, gesunde und aromatische Trauben auf der Kelter lagen, erschien manchen Winzern wie ein Wunder. „Im Juli hatten wir den Jahrgang schon fast abgeschrieben“, sagt der schwäbische Weinmacher Rainer Schnaitmann, „es war ein großer Kampf!“ Und der Pfälzer Winzer Philipp Kuhn, in diesem Jahr Gewinner des deutschen Rieslingpreises, meint lakonisch: „Der da oben hat gemerkt, dass er viel Mist gebaut hat, deshalb gab‘s am Ende acht Wochen Sonne und perfekte Lesebedingungen.“

In Österreich und im Burgund waren die Schäden durch Hagel und Spätfröste teilweise so verheerend, dass in den am schlimmsten betroffenen Weinbergen Totalausfälle zu verzeichnen waren. Da hatten die deutschen Winzer noch überwiegend Glück. Sie kämpften im späten Frühjahr und im Frühsommer gegen extrem aggressive Pilzinfektionen durch den falschen Mehltau. Im Rheintal mussten vor allem die Biowinzer schon während der Blüte erste Einbußen hinnehmen, im Juni wurde es eher schlimmer als besser. Ende August litten die Trauben dann bei großer Hitze mit Temperaturen von bis zu 38 Grad unter Sonnenbrand. Dann verfärben sich die Traubenhäute bis sie fast schwarz werden. „Doch irgendwann“, sagt auch Lotte Pfeffer vom rheinhessischen Weingut Gebrüder Becker, „da hatte der liebe Gott ein Einsehen“. Die stabile, lang anhaltende Schönwetterperiode des Spätsommers und Frühherbstes sorgte für ein unerwartetes Happyend.

Die Weinlese selbst war in vielen Anbaugebieten sogar richtig entspannt, weil Fäulnis in diesem Jahr kein Thema war. Die Trauben waren gesund, es gab keinen Grund für eine hektische Tempolese, die Winzer konnten den optimalen Reifezeitpunkt abwarten. Die Erntemenge liegt in vielen Betrieben unter dem langjährigen Durchschnitt, die Qualität der Trauben ist gut, in vielen Gebieten sogar sehr gut. Die Säurewerte sind meist etwas niedriger als im Vorjahr, ein Ergebnis der Hitzetage im August und September.

Rheinhessen und die Pfalz hat’s besonders erwischt

Rheinhessen, das größte deutsche Anbaugebiet, litt neben der Pfalz am heftigsten unter den starken Pilzinfektionen. Bei den Biowinzern, die keine synthetischen Pestizide ausbringen dürfen, reichten die Kupferspritzungen in manchen Gebieten nicht mehr aus, um den falschen Mehltau (Peronospora) zurück zu drängen. So verzeichneten etliche Betriebe erhebliche Ausfälle. Lotte Pfeffer verlor bei der empfindlichen Scheurebe rund 90 Prozent der Trauben. Am Ende erntete ihr Weingut „ein Drittel weniger“ und musste von befreundeten Winzern Riesling und Scheurebe zukaufen. Pfeffer fordert vehement, das alte Pflanzenstärkungsmittel Kaliumphosphonat wieder für den Bio-Weinbau zuzulassen, um für solche Krisen besser gewappnet zu sein.

Keine zehn Kilometer weiter, in Nackenheim bei Nierstein, hat das für seine Spitzenrieslinge bekannte Weingut Gunderloch „enormes Glück gehabt“. In den Steillagen am berühmten Roten Hang floss der Regen schneller ab, die Feuchtigkeit konnte sich nicht so lange halten, der Pilzbefall war gerade noch zu bändigen. Für Juniorchef Johannes Hasselbach ist der Jahrgang eine Riesenüberraschung, denn am Ende brachte er „reife und traumhaft gesunde Trauben“.

Drosophila war wieder da

Im Schwäbischen bimmelten beim Weingut Aldinger alle Alarmglocken, nicht nur wegen der Pilzattacken. Auch die Kirschessigfliege, seit fünf Jahren ungebetener Stammgast in den deutschen Weinbergen, hatte im Sommer eine hohe Populationsdichte erreicht und sich in den Obstkulturen bereits über Kirschen und Beeren hergemacht. Die Augusthitze stoppte dann aber den Vermehrungszyklus von Drosophila suzukii „Und unser Frühwarnsystem hat gut geklappt“, sagt Matthias Aldinger. Die Lemberger-Trauben des Fellbacher Weinguts hat es aber erwischt, sie mussten vorzeitig gelesen werden, die anderen Anlagen blieben verschont. Aldingers Fazit: „Wir haben nochmal die Kurve gekriegt, 2016 wird ein guter Jahrgang.“ Kollege Rainer Schnaitmann ergänzt: „Wir sind im Sommer knapp an der Katastrophe vorbeigerutscht und dann doch noch gut durchgekommen.“

Mengeneinbußen von rund 20 Prozent verzeichnet das Pfälzer Spitzenweingut Rings. Pflanzenschutz war, wie fast überall, die große Herausforderung. Der Charakter des neuen Jahrgangs sei gegenüber 2015 etwas leichter, aber mit Mostgewichten von um die 90 Oechsle „eigentlich wunschgemäß, wir wollen keine zu hohen Alkoholwerte“. Die Spitzenweine des Jahrgangs dürften mit 12,5 Volumenprozent Alkohol auf die Flasche kommen. Wegen der Hitze waren die Schalen der Rotweintrauben dieses Jahr etwas dicker, „das gibt eine gute Tanninstruktur“, sagt Andreas Rings. Bei eher niedrigen Erträgen stimmt auch die Konzentration der Weine.

Mosel-Winzer Reinhard Löwenstein hatte schon Mitte Oktober seine Trauben komplett im Keller: „Wir haben viele schöne Sachen gelesen, lieber wenig und gut, als viel und schlecht“. Einige Wochen vor Lesebeginn konnte man seine Helfer noch mit Grubenlampen im Weinberg beobachten. Sie gingen nächtens auf die Pirsch, um Erdraupen einzusammeln, die sich heftig vermehrt hatten und im Dunkeln an den Rebstöcken hochkrabbelten. „Wir haben einige Tausend zu Hühnerfutter verarbeitet“, sagt Löwenstein. Eine Erdraupenplage? – auch für Löwenstein war das neu. An der Ahr, wo zwischenzeitlich auch noch Hochwasser herrschte, hatte man ebenfalls Raupenprobleme. „Und der letzte Gong“, so Löwenstein“, „war dann der Sonnenbrand!“ Vor allem auf den Traubenschultern verfärbten sich die Früchte im ungewöhnlich heißen Spätsommer. Der Riesling ist dabei empfindlicher als andere Trauben, er mag es bekanntlich eher kühler.

Fazit des Jahrgangs 2016: höchst turbulent und herausfordernd, man wird noch lange an ihn denken.

Bild oben: Trollinger-Lese in den Steillagen am Neckar im schwäbischen Kreis Ludwigsburg. | © Ernst Büscher

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