Glyphosat: Schmidts kaltblütiger Alleingang

28.11.2017 – Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat völlig überraschend und gegen den ausdrücklichen Willen des SPD-geführten Umweltministeriums die Wiederzulassung des hoch umstrittenen Pestizids Glyphosat in Brüssel durchgeboxt. Ohne die deutsche Stimme wäre die EU-Bewilligung für den Unkrautvernichter gescheitert.
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Zu der Entscheidung Schmidts für das unter Krebsverdacht stehende Ackergift erklärt Slow Food Deutschland: Der Alleingang von Minister Schmidt ist dreist und schäbig. Er demonstriert die Haltung eines Politikers, der sich gern einen grünen Anstrich gibt, der in der Sache aber ohne Rücksicht auf den Koalitionspartner oder die Zivilgesellschaft die Interessen der alten Agrarindustrie selbstherrlich und kaltblütig durchsetzt. Die Dramaturgie seines giftigen Coups ist bis auf die Minute bestens dokumentiert. Noch unmittelbar vor der Brüsseler Entscheidung hatte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nochmals ihr „Nein“ zur Zulassung übermittelt und Schmidt hatte dies auch bestätigt. Noch während er von seiner Kabinettskollegin freundlich deren ablehnendes Votum entgegennahm, hatte er schon eigenmächtig Kurs auf ein deutsches „Ja“ eingeschlagen, das die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung in der Europäischen Gemeinschaft erst möglich machte.

Minister Schmidt wusste, was er tat, als er die gebotene Stimmenthaltung in eine Zustimmung verwandelte. Seine Entscheidung für das weltweit am häufigsten verkaufte und eingesetzte Ackergift war wohlkalkuliert. Provokation, Vertrauensbruch, vergiftete Stimmung und ein Tritt in den Bauch der Zivilgesellschaft – Schmidt nahm alles in Kauf, Hauptsache die Agrarkonzerne bekommen im letzten Augenblick doch noch ihr Gift in die Scheuer. Allein in Deutschland sind inzwischen 94 glyphosathaltige Mittel zugelassen. Ohne dieses Pestizid geht offenbar nichts mehr, es ist die Allzweckwaffe unter den chemischen Keulen.

Aber Glyphosat ist mehr als nur ein Pestizid. Es ist die Leitsubstanz des alten Agrarmolochs. Es ist das Synonym für Tabula Rasa auf dem Acker: Alle Beikräuter, alle Pflanzen im Unterbewuchs, alles was sonst noch sprießt, wird mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Nur die Wüste lebt. Glyphosat ist damit auch der Schierlingsbecher der Biodiversität. Insekten- und Vögelsterben hören auf diesen Namen, weil Breitbandherbizide jeglichen Wildpflanzenwuchs beseitigen und den Feldbewohnern damit die Nahrungsgrundlage nehmen.

Glyphosat gilt laut des – immer wieder attackierten – Gutachtens der Krebsforschungsagentur der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“. Das Vorsorgeprinzip gebietet es, in solchen wissenschaftlichen Streitfällen vorsichtig zu sein und im Zweifelsfall für die Gesundheit und gegen das Risiko zu votieren. Auch dieses Prinzip hat Minister Schmidt über Bord geworfen. Und den Bürgerwillen gleich dazu. Zivilgesellschaft und Bürgerwille werden damit ein weiteres Mal ausmanövriert. Und dies zu einem Zeitpunkt, da sich unsere Republik politisch neu aufstellt, da Vertrauen und Zusammenarbeit mehr denn je gefragt sind. Mit solchen Alleingängen und Provokationen ist kein Staat zu machen.

Herr Minister Schmidt, Sie sind eine Zumutung für unser Land. Treten Sie zurück! Auf Ihre Mitgift kann die neue Bundesregierung allemal verzichten.

Bild oben: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) setzte sich über die Geschäftsordnung der Bundesregierung hinweg und stimmte in Brüssel für Glyposat, obwohl seine Kollegin, die SPD-Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, dagegen war. Regelgemäß hätte sich Deutschland bei der Abstimmung enthalten müssen.  | ©  BMEL/photothek.net/Thomas Imo

Quelle: Pressemeldung von Slow Food Deutschland vom 28.November 2017

TV-Tipp: arte: Roundup, der Prozess. Ein neuer Film der Investigativ-Journalistin Marie-Monique Robin. Zur Sendung in der Mediathek

Weitere Informationen und Slow-Food-Positionen:

Erneut keine Einigung der EU-Mitgliedstaaten (9.11.2017)

Glyphosat: Keine Einigung über Zulassungserneuerung des Totalherbizids (25.10.2017)

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