Winterschlussverkauf: Ernährungssouveränität und biologische Vielfalt ade!

16.3.2018 – Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen unserer Ernährungssouveränität sowie der Arten- und Sortenvielfalt, macht eines deutlich: Die Politik auf Bundesebene sowie international, und vor allem EU-Institutionen wie das Europäische Patentamt, scheinen die Verantwortung für unsere Ernährungssouveränität, -sicherheit und die biologische Vielfalt kostenlos und freiwillig in die Hände von Großkonzernen zu geben. Von Sharon Sheets, Slow Food Deutschland e. V.

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Beim Lesen der neuesten Nachrichten, dass das Europäische Patentamt erst jüngst wieder ein Patent auf Melonen erteilt hat, kommt man sich vor wie beim Winterschlussverkauf, bei dem Schnäppchen nach Schnäppchen über die Ladentheke gehen.

„Eine einzige zufällige Mutation reicht aus, um den ganzen Gemüsegarten zu patentieren“, hieß es kürzlich in einer Meldung von „no patents on seeds“ über die Neupatentierung von Melonen. Eine höchst beunruhigende Einschätzung zur Zukunft unserer Ernährung, denn durch Patentierung wird unsere Ernährungssouveränität immer mehr durch Konzerne beeinträchtigt und – entgegen der Argumente der Konzerne, die ihr Handeln mit dem Welthunger begründen – sinkt auch die Ernährungssicherheit.

Auch wenn die Großkonzerne ihr Handeln damit begründen, den Welthunger bekämpfen zu wollen, ist längst bewiesen, dass sie das in keinster Weise tun. Der zentrale Knackpunkt dabei ist, dass wir nicht mehr Essen produzieren müssen, denn schon jetzt werden genügend Kalorien für alle produziert, diese werden aber nicht gerecht verteilt. Ein Umdenken zu Gunsten einer Verteilungsgerechtigkeit und Unabhängigkeit der Kleinbauern, vor allem im globalen Süden, wäre also nötig. Nichtsdestotrotz hält sich das Argument der Welternährung weiterhin hartnäckig.

Konzerne zwingen Kleinerzeuger in die Knie

Wenn Konzerne Saatgut patentieren, beanspruchen sie die Vermehrungshoheit für sich und zwingen Lebensmittelerzeuger in ihre Abhängigkeit. Patente auf Saatgut führen nicht nur dazu, dass Erzeuger ihr Saatgut nicht mehr selbst und kostenlos vermehren dürfen und gezwungen sind dieses jedes Jahr neu zu kaufen, sondern es führt auch zum Verlust des Sorten- und Artenreichtums, da Konzerne in aller Welt die gleichen Sorten vertreiben. In Folge kommt immer weniger Vielfalt auf den Acker, in die Gärten und somit auch auf unsere Teller. Erschwerend kommt hinzu, dass Konzerne mit ihrem Saatgut auch für ein bestimmtes Modell stehen und bewerben: Das der Monokulturen und industriellen Bewirtschaftung von Äckern mit Ackergiften. Großkonzerne wie Monsanto binden Kleinbauern in Entwicklungsländern durch Verträge und zwingen sie nur Monsanto-Saatgut und Pestizide zu nutzen, indem sie ihnen Hybridsaatgut verkaufen, welches eine zweite Aussaat nicht ermöglicht. Fälle von Erzeugern, die nicht mehr finanziell weiter wissen und ihren Betrieb entweder aufgeben oder sich das Leben nehmen, kommen deshalb inzwischen immer öfter vor. Dabei handelt es sich vor allem um Kleinerzeuger im globalen Süden. Die Patente also funktionieren nur und ausschließlich auf Kosten von Landarbeitern und der Umwelt. Ein solches Vorgehen von politischer Seite offiziell zu unterstützen ist ein Skandal.

Das einzige was zählt ist Profit

Eins der Probleme des gegenwärtigen Lebensmittelsystems ist nicht nur die Machtkonzentration einiger weniger Konzerne, die gemeinsam den Saatgut- und Pestizidmarkt steuern. Dass solche Monopolstellungen überhaupt möglich sind macht deutlich, dass das Ausmaß an negativen Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft von der Politik nicht ernst genommen wird, sonst würden zuständige Kartellämter sich sofort zur Wehr setzen. Die externalisierten Kosten, die durch die industrielle Lebensmittelproduktion entstehen, vom Klimawandel über den Verlust der Artenvielfalt bis hin zur Ernährungssouveränität, spielen bei politischen Entscheidungen rund um unsere Lebensmittelproduktion kaum eine Rolle. Was zählt, vor allem in den Wirtschaften des globalen Nordens, ist der Profit. Eigentumsrechte von Saatgut, die schonende Ressourcennutzung von Boden und Wasser oder die regulierte und reduzierte Zulassung von Pestiziden in der Landwirtschaft sind als Ziele in den Köpfen der Entscheidungsträger nicht verankert, höchstens wenn es ums „Greenwashing“ eigener Unternehmen geht. Slow Food fordert deshalb nationale, europäische und internationale Entscheidungsträger – u. a. das Europäische Patentamt, das Bundeskartellamt und das Europäische Wettbewerbsnetz - dazu auf, die Zukunft unseres Planeten im Blick zu haben, bevor sie Ernährungssouveränität, biokulturelle Vielfalt sowie unsere Umwelt und begrenzten Ressourcen an Großkonzerne ausverkaufen und dadurch immer mehr Kleinerzeuger in den Ruin treiben. Vor allem die Patentierung von Saatgut, greift in bestehende Eigentumsrechte zur Vermehrung von Saatgut ein, marginalisiert die Nutzung traditioneller und alter Sorten und führt dazu, dass der Artenschwund immer schneller voranschreitet.

Vielfalt statt Macht

Gerade weil es bei der Lebensmittelproduktion um viel mehr gehen sollte, als die Machtstrukturen der ‚Großen‘ zu konsolidieren, unterstützt Slow Food Deutschland die Mitmach-Aktion „Vielfalt statt Macht“, welche die Heinrich-Böll-Stiftung, OpenSourceSeeds-Agrecol und Aktion Agrar gemeinsam initiiert haben, um auf die Notwendigkeit von Saatgutfreiheit und Anerkennung von Saatgut als Gemeingut aufmerksam zu machen. Interessierte Bürgerinnen und Bürger konnten Open Source lizensiertes Tomaten-Saatgut der Sorte „Sunviva“ kostenlos bestellen. Die Aktion lief so gut, dass das Saatgut innerhalb von zwei Tagen schon aus war. Dieses wird entsprechend nachbestellt und ist damit wieder verfügbar.

Zur Open Source Saatgut-Kampagne der Heinrich-Böll-Stiftung äußerte die Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Ursula Hudson: „Durch Open Source Saatgut-Lizenzen und Saatgut-Tauschbörsen, auf denen von Internationalem Privatrecht-geschützte Sorten angeboten werden, setzen wir ein Zeichen für Saatgutfreiheit, Ernährungssouveränität und Vielfalt im Garten sowie auf dem Acker. Statt die allerwelts-Hybridsorten der Konzerne legen wir Erzeugern und Hobbygärtnern deshalb ans Herz nach traditionellen Sorten zu suchen und so zum Erhalt der biokulturellen Vielfalt beizutragen. Denn Lebensmittel, Pflanzen und Tiere, die in kleinbäuerlicher Landwirtschaft erzeugt und verarbeitet werden, haben sich über Jahrhunderte durch die kluge Arbeit von Bauern an ihren Standort angepasst, was sich auch gerade im Kontext des Klimawandels positiv durch Klimaresilienz äußert. Durch den Griff zu autochthonen Obst-, Reb- und Gemüsesorten leisten Verbraucher und Erzeuger deshalb Gutes für die Region, für die Umwelt,. Nicht zuletzt setzen wir damit aber auch ein wichtiges Zeichen an die Politik und die Saatgutkonzerne: Die Entscheidungshoheit über unsere Ernährung muss weiterhin bei Erzeugern und den Verbrauchern selbst liegen. Patentierung und Fusionen zu Megakonzernen sollten daher irgendwann der Vergangenheit angehören.

Bild oben: Samen von Wassermelonen. | © Marco del Comune & Oliver Migliore

Mehr Informationen:

Patente auf Saatgut: EPA erteilt weiteres Patent auf Melonen

Aktion der Heinrich-Böll-Stiftung

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