Ein Liter Milch ist kein Ziegelstein - Preissturz bringt den Milchbauern einen heißen Herbst

PRESSEINFORMATION - Berlin, 09. Oktober 2014

Ein Liter Milch ist kein Ziegelstein

Preissturz bringt den Milchbauern einen heißen Herbst: Die neuerliche Krise offenbart ein zutiefst verqueres und zunehmend widersinniges System der Milchproduktion. Verlierer sind die Kleinbauern – und die Kühe verschwinden aus der Landschaft.

(mk) Den deutschen Milchbauern steht ein heißer Herbst ins Haus. Der Milchpreis kannte zuletzt nur noch eine Richtung: nach Süden. Er ist jetzt bei 34 Cent je Liter angekommen, und auch die Käsepreise sind weiter gefallen. Bei durchschnittlichen Selbstkosten der Bauern von 45 Cent je Liter Milch führt die Talfahrt der Preise vor allem die kleinbäuerlichen, aber auch viele mittelgroße Betriebe geradewegs in den Ruin. Ursache der neuerlichen Milchkrise ist ein Überangebot an Milch, das mit halbherzigen Marktinterventionen nicht beseitigt werden kann. Der russische Importstopp verschlimmert die Situation noch zusätzlich. Die Molkereien erwarten einen weiteren Preisverfall. Und mit dem Fallen der Milchquote im nächsten Jahr könnten Überproduktion und Preissturz endgültig eskalieren.

Der Milchmarkt ist schon jetzt von einer teils hemmungslosen Milchoffensive der Großbetriebe gekennzeichnet, die sich auf die Zeit nach dem Auslaufen der Mengenbegrenzung (Milchquote) im nächsten Jahr vorbereiten und ihre Tierzahlen weiter erhöhen, um die außereuropäischen, vor allem die asiatischen Märkte zu stürmen. Der niedrige Milchpreis wird eher als Impuls gesehen mit noch mehr Kühen noch billiger zu produzieren. Gleichzeitig verschwinden die Kühe aus der Landschaft. Untersuchungen von Agrarwissenschaftlern belegen einen verhängnisvollen Trend: Die Milchvieh-Gigantomanie kennt keinen Weidegang mehr, die Produktion basiert auf Megaställen mit ganzjähriger Haltung in Auslaufanlagen und hohem Kraftfuttereinsatz. Soja statt Gras, Laufstall statt Weide, tausend statt 100 Tiere und eine 12.000 Liter-Kuh als Standardmodell, die schon nach zwei, drei Laktaktionsperioden ausgemergelt beim Metzger landet und durch frische Tierware ersetzt werden muss. „Die vielen Euter-Entzündungen, Klauenproblemen und Lahmheiten der Tiere sowie die Re-produktionsstörungen der Muttertiere sind die Kehrseite dieser Form der Milchwirtschaft“, sagt Slow-Food-Vorstandsmitglied und Tierarzt Rupert Ebner, „wir erleben das jeden Tag bei unserer Arbeit!“

Slow Food Deutschland kritisiert eine Entwicklung, die zu Lasten der kleineren Bauern, der Tiere, der Umwelt, aber auch der Milchqualität geht. Durch die aggressive Exportpolitik der EU werden zudem auch außereuropäische Milchmärkte bedroht. Der Aufbau der chinesischen Milchwirtschaft wird die Exportträume über kurz oder lang ohnehin platzen lassen. Die Agrarpolitik, aber auch die Gesellschaft, muss sich die Frage stellen, welche Milchviehhaltung sie in Zukunft haben will. „Wir müssen uns entscheiden“, sagt die Slow-Food-Vorsitzende Ursula Hudson, „wollen wir durchrationalisierte Mega-Milchvieh-Projekte mit Kühen in Wohn-Haft und tierfreien Landschaften oder eine kleinbäuerliche Milchviehwirtschaft mit Weidehaltung, Flächenbindung, guter Milchqualität und gesünderen Tieren – Kühe gehören nun mal auf die Weide!“

Die bisherigen Prämien für Weidehaltung sind ganz offenbar nicht in der Lage, das Verschwinden der Kühe aus der Landschaft aufzuhalten. Auch die Kennzeichnung auf den Milchpackungen muss endlich ehrlich werden. Weidehaltung muss für den Käufer klar erkennbar sein. Hudson: „Phantasiebildchen, die eine Idylle vorgaukeln mit grasenden Tieren, die in Wahrheit nie eine Wiese gesehen haben, sind nichts anderes als vorsätzliche Verbrauchertäuschung und Betrug.“ Ein großer Teil der Verbraucher würde sofort die Weidemilch bevorzugen, wenn sie klar erkennbar wäre. Und: Betriebe mit Weidehaltung, das zeigen einschlägige Studien, produzieren im Schnitt weniger Milch. Sie können dies aber durch geringere Management-, Futter- und Tierarztkosten gut ausgleichen. Und können so auch wirtschaftlich erfolgreich sein.

Milchviehhaltung war immer eine Domäne der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Im Augenblick erleben wir beinahe in Zeitlupe wie diese Form der Landwirtschaft gezielt verdrängt wird. Die Gesellschaft darf dabei nicht länger die teilnahmslose Zuschauerrolle einnehmen. Und die deutsche Agrarpolitik muss endlich aufhören, die Bremsversuche der EU gegenüber der Milchüberproduktion zu behindern. Die Milchproduktion muss wieder auf ein marktverträgliches Maß zurückgeführt werden. Darüber hinaus muss die Weidehaltung stärker gefördert, klar gekennzeichnet und langfristig zum Normalfall für alle Betriebe werden. Eine Futtermittelabgabe auf Eiweißimporte würde dafür sorgen, dass heimisches Grünland wieder konkurrenzfähig wird gegenüber südamerikanischem Turbofutter. Wir wissen nur zu genau, mit welchen Kosten für Klima und Umwelt diese Futtermittel erzeugt werden. Es ist auch unsere Klimabilanz, die mit den Waldrodungen für den Futtermittelanbau gegen die Wand fährt. Auch Futtermittelpreise müssen die ökologische Wahrheit sagen.

So wirft die gegenwärtige Entwicklung des Milchpreises mit all ihren Folgewirkungen ein Schlaglicht auf ein zutiefst verqueres und zunehmend widersinniges System der Milchwirtschaft, das seine sozialen, ethischen, ökologischen und auch qualitativen Maßstäbe verliert. Gute Milch von gesunden Weidetieren und zufriedenen Bauern, die fair entlohnt werden und die im Einklang mit Umwelt und Tierschutz ein wertvolles Nahrungsmittel herstellen. Slow Food wird an dieser Vision festhalten, auch wenn gegenwärtig alles in die falsche Richtung läuft. Aber Milchprodukte sind keine Ziegelsteine und Kühe keine Eiweißmaschinen. Gesellschaft und Politik müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Milchviehhaltung gehört auf Bauernhöfe und Kühe gehören auf die Weide!

Mehr Informationen zum Thema „Milch“ auf der Slow-Food-Webseite:
http://www.slowfood.de/slow_themen/rohmilch/

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