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Reinhold Bömer gestorben

Reinhold Bömer Portrait.JPGDas Convivium Diepholz muss von einem Freund Abschied nehmen, der noch nicht sehr lange zu uns gehörte, aber bereits tiefe Spuren hinterlassen hat. Reinhold Bömer ist überraschend gestorben. Reinhold war maßgeblich am Zustandekommen des Slow Mobils beteiligt, das nach seinem fulminanten Start vor drei Jahren im Pandemiejahr 2020 leider im Schuppen bleiben musste und auch in diesem Jahr wahrscheinlich noch einmal pausieren wird.

Das Slow Mobil für unsere Region war Reinholds Idee. Er verfügte nach seinem jahrzehntelangen Einsatz für das Welthaus in Barnstorf auch über die nötigen Kontakte und die Mittel, die rollende Kochschule für Kinder schnell in die Tat umzusetzen. Zwei bereits umgebaute Bau- und Zirkuswagen standen beim Welthaus zur Verfügung. Reinhold wusste zudem, die nicht unerheblichen finanziellen Mittel für den Ausbau und den laufenden Betrieb zu beschaffen und sorgte dafür, dass die Wagen bald einsatzbereit waren.

Über das Welthaus in Barnstorf hatte Reinhold sich schon lange für eine ressourcenschonende Produktion von Lebensmitteln eingesetzt und mit der „Klimaküche“ schon länger Kinder für gesundes und selbstgemachtes Essen begeistert, bevor er zu Slow Food stieß. Das Welthaus in Barnstorf atmet seinen unermüdlichen, phantasievollen Geist aus allen Fugen. Unter dem Stichwort „Bildung & Aktion = Veränderung“ gab und gibt es Projekte zur politischen Bildung, zur Arbeit gegen rechte Tendenzen und gegen Antisemitismus. Unter dem Stichwort „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ verbindet das Welthaus die Suche nach einer globalen weltweiten Gerechtigkeit mit der Arbeit zu Umweltthemen wie dem Klimaschutz und einer tier- und menschenfreundlichen Landwirtschaft. Sosehr Reinhold auch Ideengeber und Antreiber unzähliger Projekte war, er suchte nicht das Scheinwerferlicht, sondern zog es vor, im Hintergrund zu arbeiten.

Vor zwei Jahren hatte sich Reinhold in den Ruhestand verabschiedet. Leider wurde bald darauf die Krebserkrankung erkannt, der er nun erlag. Wir verneigen uns vor diesem schaffensfrohen Menschen, dessen Spuren noch lange sichtbar bleiben werden.


Agendapreis für das Slow Mobil

Rollende Kinder-Kochküche erhält einen regional bedeutsamen Preis

Agendapreis gewonnenDas Convivium Diepholz darf sich über eine neue Auszeichnung freuen: Ihr vor zwei Jahren gegründetes „Slow Mobil“ wurde als eines von drei Projekten mit dem mit 1000 Euro dotierten „Agendapreis 2020 für Nachhaltigkeit“ ausgezeichnet. Passend dazu bekam auch die SOLAWI Hollerhof, von der das Slow Mobil einen großen Teil des Gemüses bezieht, die gleiche Auszeichnung.

Bürgerstiftungen wirken lokal und regional

Den Preis ausgelobt hatte die im Jahr 2016 gegründete Diepholzer Bürgerstiftung Agenda 21. Typisch für Bürgerstiftungen ist ihr breiter Stiftungszweck, mit dem sie sich für vielfältige gemeinnützige Zwecke einsetzen können – z.B. für Bildung und Erziehung, Kultur und Soziales, für die Integration von Geflüchteten, für Umwelt- und Naturschutz, in der Denkmalpflege. Das Wirken der Bürgerstiftungen konzentriert sich dabei auf ein lokal oder regional bestimmtes Gebiet – auf eine Gemeinde, Stadt oder Region. Dort fördern sie andere gemeinnützige Organisationen und/oder sind selbst operativ tätig, indem sie eigene Projekte umsetzen. Aufgrund des breiten Stiftungszwecks können Bürgerstiftungen fast überall dort tätig werden, wo sich lokal gesellschaftliche Herausforderungen stellen. Das Preisgeld für den Agendapreis stellte die Stadt Diepholz zur Verfügung. In Diepholz konnten sich Projekte bewerben, „die einen konkreten Beitrag zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Diepholz leisten“.

Diepholzer Slow Mobil 2018 gegründet

Mit dem Slow Mobil nach dem Vorbild mehrerer Slow-Food-Projekte aus Süddeutschland haben wir im Jahr 2019 gut dreißig Events absolviert, die meisten in Schulen; die sind auch vorrangiges Ziel der als Küche ausgebauten ehemaligen Zirkuswagen. In Absprache mit den Lehrern kochen wir mit Gruppen von zehn bis vierzehn Schülern zwischen acht und zwölf Jahren. In einem Wagen geben wir spielerisch einen Einblick in die Problematik der heutigen Lebensmittel und deren Verarbeitung in der häuslichen Küche und bereiten die Speisen vor. Der zweite Wagen ist mit Herden, Kühlschrank und Spüle ausgestattet, in ihm wird dann gekocht. Danach essen wir zusammen - mit Schwerpunkt auf gemeinsames, genussvolles Essen.

Dämpfer durch Covid-19

Für 2020 waren alle Termine bereits ausgebucht, leider ist auch uns Corona dazwischen gekommen. In den ehemaligen Zirkuswagen ist es schlicht zu eng. Wir hoffen, dass wir 2021 wieder loslegen können.
Das Slow-Mobil hat seinen Standort in Barnstorf. Wir bemühen uns auch aus Klimagründen, einen Radius von 25km nicht zu überschreiten und hatten unsere Einsätze bisher zwischen Dümmer, Twistringen und Sulingen. Etwas weiter nach Norden könnten wir noch vordringen. Bisher sind wir drei Köchinnen und zwei Köche. Zwei weitere Köchinnen werden dabei sen, wenn Covid uns das Weitermachen erlaubt. Gerne nehmen wir noch InteressentInnen in unseren Kreis auf, die sich das Kochen mit lauten, quirligen Kindern vorstellen können.
In den ersten beiden Jahren haben wir uns einer aufmerksamen regionalen Presse erfreut. Mit der Preisverleihung wird die Öffentlichkeitsarbeit sicher noch einen Schub bekommen.


Titelzeile SlowMobil gross.JPG

Ausgebremst: Das Slow MobilManche gehen in Rente und legen die Füße auf den Tisch. Unmöglich, sagte sich Reinhold Bömer, der schon in seinem Berufsleben mit dem Welthaus in Barnstorf viele Projekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene angestoßen und erfolgreich begleitet hatte. Unter anderem betrieb das Welthaus die „mobile Klimaküche“, wo für Kinder und Jugendliche praktisches Kochen im Zusammenhang von Klimawandel und Ernährungswissen angeboten wurde. Dazu gehörte auch eine mobile Ausstellung. Kurz vor seinem Ruhestand stieß Reinhold zum Slow-Food Convivium Diepholz, hörte von den Slow Mobilen, und sein stets unruhiger Geist gebar gleich die Idee, so etwas könnte auch hier im ländlichen Bereich entstehen.

Bauwagen waren vorhanden, eine Zugmaschine ebenfalls und Kontakte zu Schulen und Jugendeinrichtungen im weiteren Umkreis hatten er und seine Frau Regina, als Lehrerin auch gerade in den Ruhestand gewechselt, reichlich. Aus dem Convivium stießen genügend kocherfahrene Mitglieder dazu. Dann tat er, was er in langen Jahren für das Welthaus zu einer gewissen Perfektion gebracht hatte: Anträge schreiben, Geld und Unterstützer einwerben. Bald waren genügend Mittel vorhanden, zwei Bauwagen entsprechend umzubauen. Einer wurde zur Küche mit Arbeitsflächen, Gas- und E-Herd, Spülbecken mit Warmwasserbereitung und Kühlschränken. Der zweite, etwas kleinere dient jetzt als Vorbereitungs-, Schulungs- und Esszimmer.

 

Dreißig Einsätze pro Jahr

Bei der Mitteleinwerbung haben wir zugesagt, das Slow-Mobil mindestens drei Jahre lang mit etwa 30 Einsätzen pro Jahr zu betreiben. Drei Köche, allesamt in Rente, stellten sich verbindlich zur Verfügung. Hille Heuer besaß dafür als Hauswirtschaftslehrerin die perfekte Vorbildung. Heimo Schulte war auch Lehrer, langjähriger Koch aber vor allem am heimischen Herd, neuerdings auch in Hibberlers Gasthaus in Rechtern, nahe Barnstorf, das er mit seiner Frau betreibt. Er ist alter Slow Fooder. Dritter und mit 72 Jahren der Älteste im Bunde ist Wolbert Schnieders-Kokenge, Arzt und Journalist im Ruhestand und auch schon langjähriges Slow-Food Mitglied. Er bewirtschaftet jetzt einen kleinen Resthof mit Tieren und kochte bis dahin nur zuhause. Regina Bömer kümmert sich um den Theorieteil mit den Kindern, organisiert viel und bespaßt die Kleinen, wenn mal Pausen nötig sind.

 

Bevor wir uns mit pädagogischem Anspruch an die Schulen gewagt haben, testeten wir die Küchenwagen und unsere Fähigkeiten, als Team mit Kindern zu kochen, zweimal mit Kindergartenkindern vom Welthaus. Wer mit Fünf- und Sechsjährigen etwas Schmackhaftes auf den Tisch zaubert und dabei mit ihnen über gesunde Ernährung ins Gespräch kommt, so unsere Erwartung, schafft das auch mit Acht- bis Zwölfjährigen. Wir wollten auch wissen, wie viel Köche nötig sind. Es zeigte sich, dass zwei es gut schaffen, drei aber ein entspannteres Arbeiten möglich machen. Seither sind wir immer mindestens zwei Köche plus Regina als Pädagogin.

 

Reinholds Kontakte sorgten dafür, dass wir bald ausgebucht waren. Meistens für zwei Tage pro Woche fährt Reinhold die Küchenwagen zu Schulen im Umkreis von rund 25 Kilometern um Barnstorf. In der Regel teilen die Lehrer eine Klasse in zwei Gruppen von zehn bis zwölf Schülern, die jeweils an einem Vormittag kochen. Mit diesen Gruppengrößen ließ sich stets gut arbeiten. Die Stimmung war immer ausgesprochen gut. Die Kinder arbeiten engagiert mit, Disziplinprobleme sind absolute Ausnahmen. Unser einziger Nicht-Lehrer Wolbert hat öfter mal Probleme mit dem Lärm, der aber immer Ausdruck der guten Stimmung ist. Das Gewusel kann schon enorm sein. Man merkt: Es ist eben kein gewöhnlicher Unterricht. 

Kinder essen am Boden 3 Fotos.JPG 

  

Fröhliche Esser, ungeschickte Küchenhilfen

Bis auf eine Ausnahme haben wir nur vegetarisch gekocht. Auch nach einem Jahr hat bisher kein Kind nach Fleisch verlangt. Wir staunen allerdings über den bodenständigen Geschmack der Kids. Ein Renner ist Kartoffelbrei, aber auch so einfache Gemüsekombinationen wie Erbsen und Möhren. Auch als Rohkost sind Möhren, sowie Gurken, Paprika oder Kohlrabi am Ende so gut wie immer vollständig verputzt. Etwas seltsam: Begeistert gekocht werden auch Gemüsesuppen – aber nicht so gut gegessen, obwohl wir Köche überzeugt vom Geschmack sind… Wunderbar war einmal, wie Erst- und Zweitklässler,beim Spülen 3.JPG die das Slow Mobil neugierig umlagerten, aber noch nicht mitkochen dürfen, am Ende die Reste verputzt haben. Sie saßen am Boden um die Schüsseln herum und haben keinen Krümmel übrig gelassen.

Immer wieder überrascht sind wir von den motorischen Fähigkeiten der Kinder. Zehnjährige, die geschickt mit dem Sparschäler arbeiten, sind die Ausnahme. Einzelne Kids sind zwar immer darunter, denen man eine gewisse Übung ansieht. Aber wir müssen immer ein Auge auf so übermotivierte wie ungeschickte Gemüseputzer halten, damit sie sich  nicht verletzen. Und doch passiert es regelmäßig. Wenn sie aber hören, dass Wolbert, der ihnen das Pflaster klebt, Arzt ist, fließen nicht mal Tränen. Verletzungen, die mit einem Pflaster nicht versorgt werden konnten, haben wir nicht gehabt.


Regionale Einbindung

Ein guter Teil des Gemüses kommt von der befreundeten Solawi Hollerhof ganz in der Nähe. Dort hat das Slow Mobil auch schon mal auf dem Hoffest gestanden und die Feiernden mit frischen Rösti versorgt, begeistert von Mädchen gebraten. Schulklassen, die mit dem Slow Mobil gekocht haben, sind auch auf dem Hollerhof willkommen, um Säen, Ernten, Pflegen ganz praktisch zu erleben. Solche Events, aber auch Dorffeste nehmen wir gerne zum Anlass, das Slow Mobil weiter bekannt zu machen. In der örtlichen Presse haben wir eine überaus freundliche Resonanz gefunden.

Wolli mit Kids 1.jpgNach der ersten Saison mussten wir aus den Erfahrungen ein paar Veränderungen im Kochwagen vornehmen. So haben wir den Gasherd abgesenkt, damit die Kinder besser in die Töpfe gucken können, haben einen von zwei Kühlschränken ausgebaut und Schubladenschränke geschaffen, weil zu viel Geschirr frei herum stand, das sowohl beim Kochen und Abwaschen als auch beim Reinigen hinderlich war.

Für das Jahr 2020 schienen wir also bestens gerüstet und unser Kalender war schon fast wieder voll. Dann aber hat uns Corona ausgebremst und wir mussten alle Termine absagen.  Auch 2021 scheinen wir noch pausieren zu müssen, denn die Schulen können vor den Sommerferien noch gar nicht planen und was danach kommt, ist auch noch sehr unsicher. 

Reinhold Bömers plötzlicher Tod Anfang März 2021 ist für uns ein tiefer Einschnitt. Er war nicht nur der planerische Kopf bei der Entwicklung des Projektes, sondern sorgte auch für notwendige Reparaturen und Umbauten, die sich aus den ersten Erfahrungen ergaben, für die Komplettierung der Ausrüstung und schleppte die beiden Slow-Mobil-Anhänger mit seinem Pick-up von Einsatzort zu Einsatzort. Wir werden uns für 2022 neu organisieren müssen. Doch das sollte klappen, denn wir haben ja auch von Reinhold gelernt.