Krabbenfischerei: Bremen (2016)

27.10.2016 - Beim vierten Slow Food Kuttelgespräch am 18. Oktober in Bremen diskutierten Experten über die Situation der Krabbenfischerei und ihre Bedeutung für die regionale Esskultur und Wertschöpfung der Küstenregionen. Kritisch beleuchtet wurden in diesem Zusammenhang auch unser Konsumverhalten und seine Auswirkungen. Eingeladen zur Gesprächsrunde am Herd mit anschließender Verkostung hatten Slow Food Deutschland, Brot für die Welt und fair oceans, gemeinsam mit dem Geschmackstage Deutschland e. V. Ein Bericht von Rose Schweizer.

Slow-Food-Kuttelgespräch: Deutsche Krabbenfischer auf Nachhaltigkeitskurs

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Slow Food International und Terra Madre rufen den Monat Oktober zum Fischmonat aus. Nichts lag also näher, Krabbe und Auster direkt aus der Nordsee für das vierte Slow Food Kuttelgespräch mit Ursula Hudson, nachhaltigen Fischereiexperten und Slow Food Mitgliedern zu diskutieren – und zwar, je anschaulicher desto besser, mit Krabben pulen und Austern sammeln!

„Fisch als eines der essenziellen Grundnahrungsmittel der Menschen gerät weltweit zunehmend unter Druck, unter anderem durch Überfischung, großflächige Aquakulturen oder degenerierte Zuchtfischerei!“, so Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Auch Francisco Marí von Brot für die Welt äußerte sich beim vierten Kuttelgespräch in Bremen: „Der große Hunger nach Shrimps führt in Lateinamerika und Asien zu großen Shrimps-Farmen mit unakzeptablen Zuchtbedingungen. Die Lebensbedingungen vieler Menschen in Entwicklungsländern ist eng mit den wirtschaftlichen Interessen in den Industrieländern verknüpft: Indigene Völker leiden unter der Plünderung ihrer Ressourcen, ungerechte Handelsregeln zerstören Existenzen, unmenschliche Produktionsbedingungen gefährden die Gesundheit. Wir sollten unseren eigenen Konsum überdenken!“

Bild oben: Krabbenfischer beim Entladen.

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Ein Watt für Feinschmecker

Auf flunderplatter Strecke fuhr man bereits am frühen Dienstagmorgen von Bremen bis ins 140 Kilometer entfernte Hafenstädtchen Neuharlingersiel. Zum Austernsammeln braucht man lediglich einen Plastikeimer, gutes Schuhwerk, eine wetterfeste Jacke – und einen kundigen Führer wie Kai Wätjen, Meeresbiologe und Vorstand von sustain seafood, Verein zur Förderung einer nachhaltigen Fischerei aus Emmelsbüll. Sofort stolperte die Slow Food Gruppe im seichten Wasser entlang der Mole über Austern, die man mit beherztem Griff ernten, ins Eimerchen legen oder direkt vor Ort verzehren durfte – Austernsammeln ist hier Jedermannsrecht!

Bild oben: Austernsammeln im Watt.

Miese Zeiten für Miesmuschel und Krabbe?

Die Population der Nordsee-Auster im friesischen Wattenmeer ist eigentlich eine Laune der Natur. „Die Auster ist aus den Aquakulturen Sylts und Hollands ‚ausgebüchst’!“, so Kai Wätjen. Seit Anfang 2000 vermehrt sich die sogenannte „Pazifische Auster“ hier schnell, da sie keine Fressfeinde hat. Ist die Fremde nun Fluch oder Segen? Zunächst befürchtete man, dass sie der heimischen Miesmuschel Lebensraum und Nahrung rauben könnte. „Miesmuscheln haben schnell gelernt, bei Austern anzudocken“, erzählte Kai Wätjen. So wie an Felsen oder Steinen finden sie ein festes Fundament, eine perfekte Symbiose, die das Ökosystem des Wattenmeers obendrein verbessert. „Eine Auster filtert und reinigt bis zu 240 Liter Wasser pro Tag“, sagte der Meeresbiologe.

Um den Bestand der „Wilden Auster“ macht man sich keine Sorgen. Dagegen fehlen in dieser Saison die Mengen für Nordsee-Krabben. „Schuld daran ist der Wittling!“, so Günter Klever, Vorstand der Erzeugergemeinschaft der Küstenfischer Tönnig, Eider, Elbe und Weser w.V. beim Kuttelgespräch. Der Wittling ist ein kabeljauartiger Fisch, der den Krabben-Bestand hier dezimiere. Das sei weder voraussehbar noch planbar. Dieses Jahr sei es besonders schlimm. Es gebe Krabben nur noch im flachen Küstenwasser, dort wo der Krabbenräuber nicht hinkomme.

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Deutsche Krabbenfischer auf Nachhaltigkeitskurs

Insgesamt befinden sich derzeit 180 deutsche Krabbenkutter im MSC-Zertifizierungsverfahren. Durch die Zertifizierung der Fischer und der gesamten Lieferkette soll gewährleistet werden, dass Fisch mit dem MSC-Siegel weltweit lückenlos bis zu jeder Fischerei zurückverfolgt werden kann. In der Pressemitteilung vom Januar 2016 des Verbandes der deutschen Kutter- und Küstenfischer e. V. wird der Trend bestätigt: „Der Anteil der nachhaltig bewirtschafteten Nordseefischerei-Bestände steigt weiter an!“ Exemplarisch stehe dafür der Nordsee-Kabeljau, der im Laufe des Jahres die Schwelle zur vollständig nachhaltigen Befischung überschreiten würde. „Dadurch verbessern sich die Rahmenbedingungen der natürlichen Fischbestände weiter“, heißt es dort.

Die deutschen Krabbenfischer, so Klever, setzen ein Zeichen und wollen ihren Beifang minimieren, indem sie die Netzmaschenweite erhöhen – und zwar über das gesetzlich geforderte Maß hinaus: 2016 auf 22 Millimeter, 2017 auf 24 Millimeter und 2018 auf 26 Millimeter Maschenweite. Kleine Fische, aber auch kleine Krabben würden geschont. Der Einsatz von Sortiernetzen und eine begrenzte Fangzeit, 200 Tage im Jahr, sind weitere beispielhafte Maßnahmen, an die sich die Krabbenfischer halten. Damit nähme man den Druck vom Bestand, obwohl die Reproduktion der Nordsee-Krabbe sehr schnell ginge. „Eine Überfischung von Nordsee-Krabben gibt es an sich nicht!“, stellte Günter Klever fest.

Bild oben: Krabbenkutter fährt in den Hafen von Neuharlingersiel ein.

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Krabbenpulen – zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen!

Der deutsche Krabbenfang beläuft sich jährlich auf etwa 11.000 bis 12.000 Tonnen. „80 Prozent des deutschen Fangs gehen nach Marokko, Polen und Weißrussland und werden dort von Hand gepult!“, so der Experte. Im Inland wäre das händische Pulen viel zu teuer, (Beispiel: 1 Kilogramm Krabbenpulen: 10,50 Euro in Deutschland / 6,50 Euro in Marokko). Ulrich Frohnmeyer vom Koordinationsbüro der Geschmackstage äußerte sich dazu: „Es wäre sehr zu wünschen, dass Nordsee-Krabben als hochwertiges regionales Produkt in viel höherem Umfang frisch und ohne Umwege direkt in der Gastronomie und beim Endverbraucher landen!“

Ein Drittel Krabbenfleisch, zwei Drittel Schale – wie aufwändig Krabbenpulen ist, konnten die Slow Food Gäste beim Kuttelgespräch selbst erfahren. Knapp eine Stunde dauerte das Pulen. Die Schalen verwertete Jens Witt, von Wackelpeter – ökologisches Essen für Kinder in Hamburg, zu einem Fond für seine ukrainische Soljanka-Suppe mit Sauerkraut vom Demeterhof Schoof aus Ditmarschen, Gemüsestreifen und Krabben. „Das säuerliche Kraut der Suppe und die süßen Krabben finde ich eine schöne Kombination!“, sagte der Slow Food Chef-Alliance-Koch. Als Vorspeise servierte Jens Witt die am Morgen „geerntete“ Wilde Auster vom Neuharlingersiel, gegart mit Olivenöl direkt aus dem Ofen, dazu frisch gebackenes Sauerteigbrot vom „Der Holzofenbäcker“ aus Kiel.

Bild oben: Verkostung von Nordseekrabben bei der Veranstaltung. Sie wurden mit Soljanka-Suppe serviert.

Text und Bilder: Rose Schweizer

Viertes Slow Food Kuttelgespräch: Lust an Shrimps und Co?

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5.10.2016 - Slow Food International und Terra Madre haben den Monat Oktober dem Fisch und der handwerklichen Küstenfischerei gewidmet. Aus diesem Anlass laden Slow Food Deutschland e.V., Brot für die Welt und fair oceans, gemeinsam mit den Geschmackstagen Deutschland e.V., am 18. Oktober sehr herzlich ein zum vierten Slow Food Kuttelgespräch, einer Experten-Gesprächsrunde am Herd mit anschließender Verkostung.

Thema: Lust an Shrimps & Co?
Termin:
Dienstag, 18. Oktober, 18:00 bis 21:00 Uhr
Ort:
Die Kulturküche in der Weserburg, Teerhof 20, 28199 Bremen

Am Herd:

Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende Slow Food Deutschland e.V.
Francisco Mari, Referent Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik, Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst
Kai Wätjen, Meeresbiologe, Vorstand sustain seafood - Verein zur Förderung einer nachhaltigen Fischerei e.V.
Günther Klever, ehemaliger Fischer und derzeitiger Geschäftsführer der Erzeugerorganisation der Küstenfischer Tönning, Eider, Elbe und Weser w.V.
Jens Witt, Wackelpeter, Ökologisches Essen für Kinder in Hamburg, Slow Food Chef- Alliance-Koch

Das Programm:

Beim Krabbenpulen der am Morgen frisch vom Kutter angelandeten Krabben und beim Säubern und Vorbereiten der pazifischen Auster Sylter Royal, die morgens an der Küste gesammelt wird, diskutieren Expertinnen und Experten über die Situation der Krabbenfischerei und ihre Bedeutung für die regionale Esskultur und Wertschöpfung der Küstenregionen im Zusammenhang mit unserem Konsumverhalten und seinen lokalen wie globalen Auswirkungen. Die zubereiteten Meerestiere werden gemeinsam verkostet.

Die Themen:

  • Was bedeutet das für die traditionsreiche Krabbenfischerei an der Nordsee? Welche positiven Entwicklungen und Lösungen gibt es?
  • Welche Folgen hat die wachsende Garnelenzucht in Entwicklungsländern für die dortige Situation der Umwelt, Ernährungssicherheit und Menschenrechte?
  • Und was bedeuten diese Entwicklungen für die Verbraucher und Verbraucherinnen bei uns?
  • Diese Fragen wollen die Experten und Expertinnen in ihren Antworten in Bezug setzen zu Themen, wie Meeresschutz, Bewahrung von Biodiversität und einer Mensch, Tier und Umwelt verpflichteten Fischerei.

Wir würden uns sehr freuen, Sie als Gast beim vierten Slow Food Kuttelgespräch begrüßen zu dürfen und danken für eine kurze Rückmeldung.

Rückmeldung bitte an:
Andrea Lenkert-Hörrmann
Projektbeauftragte Slow Food Deutschland e.V.
projektbeauftragte@slowfood.de

Bild oben: Nordsee-Krabbenkutter. | © Heinz Waganaar

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Hintergrundinformationen:

Waren Garnelen früher kostbare Meeresfrüchte, die fast schon Luxusstatus hatten, findet man sie heute auf Allerweltspizzen, in industriell gefertigten Salaten, und sie peppen Fertiggerichte auf. Oder sie liegen beim Discounter in der Tiefkühltruhe – zum Schnäppchenpreis.

Die Vielfalt der Krustentiere ist groß, aber kaum bekannt. Der eine spricht von Garnele oder Scampi, der andere möchte lieber Shrimps oder Krabben, aber auch Prawns oder Gambas reihen sich in den Reigen der oft genannten Bezeichnungen. Doch wer kennt die Unterschiede, weiß wo die beliebten Meeresfrüchte eigentlich herkommen und was die große Lust auf das Meeresgetier für fatale Folgen hat?

Garnelen sind zur Massenware geworden, werden wie Hühner und Schweine in Massentierhaltung gezüchtet. Möglich machen das Aquakulturen in Lateinamerika und Asien. Kein anderer Bereich der Lebensmittelindustrie wächst so rasant wie die Fisch- und Garnelenmast in künstlich angelegten Teichen. Der Preis dafür ist hoch: Mangrovenwälder werden in großem Stil abgeholzt und der Umgang mit Chemikalien und Medikamenten ist vielerorts allzu großzügig. Die Arbeitsbedingungen in der weiterverarbeitenden Industrie sind oftmals menschenverachtend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der globalisierte Garnelenmarkt ein Beispiel für die Sorglosigkeit vieler Verbraucher ist, die sich oft nicht für Herkunft, Aufzucht oder die Folgen für die Fischerei interessieren, sondern gern preisbewusst – oder besser billig - kaufen und essen (Gunhild Lätge, Zeit online 46/2010).

In den fünfziger Jahren waren in Deutschland fast nur die als Nordseekrabben bezeichneten Sandgarnelen oder Nordseegarnelen (Crangon crangon L.1758) bekannt. Heute werden von 228 Krabbenkuttern jährlich rund 15.000 Tonnen vor den deutschen Küsten gefangen. (Machbarkeitsstudie für eine nachhaltige und regionale Krabbenvermarktung in der Wattenmeer-Region in Niedersachsen Juni 2015). Doch die Preise schwanken stark und die deutschen Krabbenfischer fürchten um ihre Existenz.

Bild oben: Nordsee-Krabbenfleisch in einem Fischgeschäft. | © Katharina Heuberger

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Die Veranstaltungsreihe Slow Food Kuttelgespräche

Das „Slow Food Kuttelgespräch“, eine Gesprächsrunde am Herd zu guten, fairen und sauberen Lebensmitteln, soll als Slow-Food-spezifisches Format bei verschiedenen Veranstaltungen fortgesetzt werden. Die „Kutteln“ als Teil der Wortneuschöpfung „Kuttelgespräche“ sind bewusst gewählt. Kutteln lösen im kulinarischen Kontext starke, oft widersprüchliche Reaktionen aus: Sie werden als Lebensmittel von manchen abgelehnt, von anderen als Spezialität geliebt oder sogar mit heimatlichen Ernährungstraditionen identifiziert. Symbolhaft stehen sie in dieser Veranstaltungsreihe für unangepasste, provokative und neue Sichtweisen von Slow Food auf das aktuelle Lebensmittelsystem, über die man sich in Gesprächen austauscht. Die charakteristische Slow-Food-Prägung erhält das Format zudem durch das gemeinsame Kochen und den Genuss der zubereiteten Gerichte.

Über die Geschmackstage

Die Geschmackstage widmen sich mit einem bundesweiten Aktionsprogramm der Geschmacksbildung und der Vielfalt der regionalen Esskultur in ganz Deutschland. Gemeinsam engagieren sich Gastronomie, landwirtschaftliche und gärtnerische Betriebe, Erzeuger und Vermarkter handwerklich erzeugter regionaler Lebensmittel, Kitas, Schulen, Kantinen und viele andere mehr für eine neue Ess- und Genusskultur in Deutschland. Veranstalter der Geschmackstage ist der 2012 gegründete Verein Geschmackstage Deutschland e.V. Slow Food Deutschland ist einer der Partnerorgansationen des Vereins.

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