Fleisch: Würzburg (2015)

15.12.2015 - Slow Food Deutschland und Slow Food Hohenlohe-Tauber-Mainfranken feierten den Terra Madre Tag, den internationalen Aktionstag von Slow Food am 10. Dezember, in diesem Jahr mit Anregendem für Kopf und Leib. Arche-Markt und Argumente, Genuss und Gespräch fanden unter dem Dach des Exerzitienhauses „Himmelspforten“ der Diözese Würzburg einen himmlischen Rahmen. Ein Bericht von Kirsten Kohlhaw.

Terra Madre Tag 2015: "Der Fleischkonsum muss drastisch zurückgehen!"

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Es dunkelt bereits, als die Repräsentanten der Arche-Passagiere am Nachmittag des 10.12.2015 ihre Marktstände im Exerzitienhaus Himmelspforten aufbauen und den Kreuzgang in einen Arche-Markt verwandeln. Den ganzen Tag liegt Würzburg unter einer dicken Nebelschicht. Doch nun, gen Abend, scheinen die Arche-Passagiere und Anwärter unter dem barocken Gewölbe neues Licht zu verbreiten. Sie laden die Besucher, die ab 17 Uhr durch das Foyer in Richtung Markt strömen, ein, sich auf neue Weise mit alten Nutztierrassen und Gemüsesorten wie den Slow-Food-Presidi Bamberger Hörnla und dem Fränkischen Grünkern zu verbinden.

Herr Glasbrenner von der Züchtervereinigung Limpurger Rind e. V. berichtet den interessierten Besuchern von der Besonderheit des Weideochsens vom Limpurger Rind. In der ländlichen Region um Hohenlohe wurde das Limpurger Rind, das karge Böden liebt und ein guter Futterwerter ist, lange als Arbeitstier eingesetzt und hat sich sein Wesen als gutmütiger Charakterkopf bewahrt. Auch die Geschichte des Schwäbisch-Hällischen Landschweins Alter Zuchtrichtung, das in den 1980ern fast ausgestorben war, erzählt die Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall wie ein spannendes Drama – eines mit Happy End. Das schafft kein standardisiertes, überzüchtetes oder für die Anforderungen des modernen Handels und Logistik designtes Produkt.

Eine Überraschung bot der "Alte fränkische Satz", denn seinen Charakter bestimmt eine Vielfalt an Rebsorten: Winzer und Slow-Food-Mitglied Ulrich Bürks vom Ickelheimer Schloßberg präsentierte eine Palette aus 18 verschiedenen Rebsorten und Winzer Peter Götz sogar 20. Anita Idel, Mitglied der Arche-Kommission bei Slow Food Deutschland, überbrachte die freudige Nachricht, dass der „Alte fränkische Satz“ kurz vor der endgültigen Aufnahme als Passagier in die Slow Food Arche des Geschmacks steht. Später beim Essen erfahren wir mehr darüber, wie die Reben damals im bunten Bündel verkauft und dann gesetzt wurden. Doch vor dem Essen steht nun das Kuttelgespräch auf dem Programm. Nach der warmherzigen Begrüßung durch Gudrun Dittman-Nath, die Verwaltungsleiterin in Himmelspforten, begeben sich die Marktteilnehmer und Gäste zu den Diskutanten.

Bild oben: Die Ernte der Bamberger Hörnla, die am Terra Madre Tag auf dem Arche-Markt in Würzburg präsentiert wurden. Die alte Kartoffelsorte ist Passagier auf der Arche des Geschmacks. Das internationale Projekt der Slow Food Stiftung für Biodiversität schützt und fördert traditionelle Nutztierrassen, Kulturpflanzen und Lebensmittel, die vom Verschwinden bedroht sind, und trägt so zur Rettung unseres kulinarisch-kulturellen Erbes bei.

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Das Slow Food Kuttelgespräch

Mit Anita Idel, Lead-Autorin des Weltagrarberichtes und Autorin des Buches „Die Kuh ist kein Klima-Killer!“ (Salus-Medienpreis 2013), Rupert Ebner, Vorstand Slow Food Deutschland und Umweltbeauftragter der Stadt Ingolstadt, und Andreas Grabolle, Veganer und Autor des als Sachbuch des Jahres 2013 prämierten Buches des Titels „Kein Fleisch macht glücklich“, ist das Podium prominent besetzt. Charmant moderiert die freie Journalistin Gabi Toepsch das Gespräch vor gut sechzig Gästen. Alle drei Gesprächsteilnehmer sind sich einig, dass der Fleischkonsum drastisch zurückgehen muss. Während Andreas Grabolle auch in der Biolandwirtschaft grundsätzliche Probleme im Umgang mit Nutztieren sieht und die These aufstellt, Bio sei [für die Tiere] nicht automatisch besser, erläutert Rupert Ebner, warum regionale ökologisch-biologische Landwirtschaft den richtigen Weg mit den größten Potenzialen für die Slow-Food-Devise gut, sauber und fair darstellt. Seine Tierarzt-Kollegin Anita Idel verweist darüber hinaus auf die eigentlich notwendige Unterstützung der Bauern durch die örtlichen Veterinäre. Aber das Studium der Tiermedizin qualifiziere weniger für die nachhaltige als für die Intensivtierhaltung. So gehöre eine große Portion Glück dazu, dass die Kompetenz des Tierarztes zu Betrieben passe, die Tierwohl und Nachhaltigkeit anstreben.

Andreas Grabolle, der durch die Recherche zu seinem Buch „Kein Fleisch macht glücklich“ zum Veganer wurde, beklagt die fehlende Empathie gegenüber Nutztieren. Der Tierschutz sei auch bei Förderung von Zweinutzungsrassen und Lebensleistung nach wie vor nicht hinreichend im Fokus. Im konkreten Zusammenhang mit artgerechter Haltung und Schlachtung spricht er von einer „Käfig-Ethik“.

Bild oben: Die Teilnehmer am Slow Food Kuttelgespräch (v. l. n. r.): Gabi Toepsch, Moderation; Anita Idel, Tierärztin und Autorin; Andreas Grabolle, Veganer und Autor; Rupert Ebner, Tierarzt, Vorstand von Slow Food Deutschland und Umweltbeauftragter der Stadt Ingolstadt.

Ist Bio die Antwort?

Rupert Ebner lenkt die Aufmerksamkeit zurück auf die Vorteile von Bio-Landwirtschaft. In einem Kreislaufsystem gehört die Beweidung von Grünland durch Rinder und Schafe ganz natürlich dazu. Rinder rülpsen Methan, doch holistisch betrachtet würden die Vorteile des Wiederkäuers deutlich überwiegen, weil er für Klima, Böden und biologische Vielfalt so viel mehr leiste als ein Rasenmäher. Darin bestätigt ihn auch Anita Idel, die landwirtschaftliche Betriebe auf internationaler Ebene berät. In ihrem Buch: „Die Kuh ist kein Klima-Killer!“ beschreibt sie ausführlich, wie genau Rinder die Fruchtbarkeit des Bodens fördern: In nachhaltiger Beweidung lösen sie einen Wachstumsimpuls aus – nicht nur für das oberirdische Grün, sondern auch für die Wurzeln. Und diese bilden die wesentliche Biomasse für den Humus von morgen.

Der normale Verbraucher, stellt Grabolle in den Raum, sei völlig überfordert, könne trotz Qualitätssiegeln kaum souveräne Entscheidungen treffen. Die Einführung der Kennzeichnungspflicht von Eiern zum Beispiel sei auch heute noch ein gutes Beispiel dafür, welche Dynamik Verbrauchermacht und Tierschutz zusammen entfalten können.

An dieser Stelle würdigt Rupert Ebner, ohne Vegetarier und Veganer wäre die Diskussion heute nicht da, wo sie ist. Eine Landwirtschaft ohne Tiere ist für den Slow-Food-Vorstand jedoch keine Option. Auf den Hinweis Grabolles, man müsse die Tiere ja nicht töten, nachdem sie der Erde Gutes getan und die Weide „gemäht“ hätten, argumentiert Ebner dagegen: „Die täglichen Fragen im Umgang mit sehr alten Tieren auf Gnadenhöfen, ob die Zähne noch halten und wie lange sie noch fressen, stellt in der täglichen Arbeit der Tierärzte eine große Belastung dar. Wenn die Tiere zu alt werden, muss man sie irgendwann aus Tierschutzgründen töten.“ Das Ziel im Umgang mit Nutztieren müsse neben extensiver, artgerechter Haltung und Fütterung vielmehr sein, auch bei der Schlachtung auf kurze Wege zu setzen sowie stress- und schmerzfreie Wege für die Tiere zu finden. Ein Exkurs und Einblick in Intensivzuchtmethoden durch Anita Idel offenbart weitere Horrorgeschichten, die im Plenum sichtbar Spuren der Betroffenheit und Wut hinterlassen. Sie selbst isst nur noch Fleisch, dessen Herkunft sie kennt. Denn statt Tiere aus anonymer Haltung zu verzehren, sei es doch denen am besten ergangen, die einen Namen hatten. Eine Vorstellung, die für Andreas Grabolle sichtlich unverständlich bleibt.

Doch zurück zur Erde, dem übergeordneten Thema des heutigen Terra Madre Tages. Idel beklagt einen Fakt, der deutlich macht, wie tief die Misswirtschaft der globalen Landwirtschaft reicht: 70 Prozent der Futterproteine in der EU kommen seit Jahrzehnten aus Südamerika. Deren Fäkalien gehen nicht in die dortigen Böden zurück. „Unsere Überproduktion hängen am Import-Tropf und die Böden in Argentinien und Chile werden ausgelaugt“, resümiert sie sehr anschaulich.

Ob die erodierte, ausgelaugte und durch den intensiven Einsatz von synthetischem Stickstoffdünger und Pestiziden verseuchte Erde wirklich, wie die FAO warnt, nur noch 60 Ernten schaffe, bevor sie unumkehrbar kollabiere? Dem mulmigen Raunen im Saal zufolge will es von den heute Anwesenden niemand darauf ankommen lassen.

Forderungen an die Politik

Welche politischen Forderungen müssen formuliert werden, möchte Gabi Toepsch abschließend wissen. Hier zeichnen sich wieder die drei Bereiche Zucht, Fütterung, Haltung ab: Tierfutter – aus der Region und für Tiere geeignet; radikales Umdenken bei den Haltungsformen – Ebner nennt zum Beispiel die tierunwürdigen Spaltenböden in der Schweinehaltung – und generell die Qualzucht: Immer mehr Milch, Fleisch und Eier, die Tiere dem Burn-out ausliefern und mehr Ferkel, als eine Sau ernähren kann. Die Zuchtverbände müssten unter Druck gesetzt werden, um Gesundheit und Wohlbefinden als Zuchtziele anzustreben – bis hin zu staatlichen Regulierungen. Der Tierschutz brauche eine noch breitere Lobby, einen noch längeren Arm in die Politik hinein, bekräftigt Andreas Grabolle. Anita Idel setzt noch einen drauf: Irreführende und offensichtlich auf Täuschung ausgerichtet Werbung gehöre schlichtweg verboten, auch weil sie den Wettbewerb zulasten ökologischer Produzenten verzerre.

Gemacht werden müssen die Gesetze zum Schutz der Tiere und der Verbraucher, der Biologischen Vielfalt, der Böden und des Klimas, jedoch von der Politik. So das Fazit der Runde, bei der sich Gabi Toepsch unter dem Applaus der Anwesenden nach einer guten Stunde bedankt.

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Kulinarischer Ausklang

Angeregt und nachdenklich gehen die Gäste nach der Diskussion in den Speisesaal. Heute Abend kommen Vegetarier und Fleischesser durch das Engagement des örtlichen Conviviums und den tollen Einsatz der Küchen- und Service-Crew hier in Himmelspforten gleichermaßen in den Genuss hundertprozentig fairer, sauberer und guter Lebensmittel. Die Wirsingrouladen kommen mit Grünkern und mit Rhönschaf-Füllung, beides Arche-Passagiere.

Beim geselligen Mahl gehen die Gespräche weiter bis in den späten Abend. Unterbrochen nur von wohligen Genuss-Bekundungen und Anmoderationen der begleitenden Weine durch die Winzer.

Bild oben: Das Dessert des Menüs - Quitten-Mousse mit Rotwein-Birnenspalten.

Der Terra Madre Tag

Jedes Jahr am 10. Dezember findet rund um den Globus ein Festtag des internationalen Slow-Food-Netzwerkes und seinen Terra-Madre-Lebensmittelbündnissen statt: Viele lokale Initiativen weltweit vereint in einem Fest – dies ist der Grundgedanke des Terra Madre Tages. Gemeinsam wird an diesem Tag die Bedeutung des lokalen Essens und das Recht aller Menschen auf den Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln gefeiert. Picknicks und Festtafeln, Filme und Konzerte, Besuche auf Bauernhöfen, Kampagnen, Angebote zur Ernährungs- und Geschmackserziehung, Gespräche und Diskussionen – hunderte solcher Veranstaltungen finden am 10. Dezember auf allen fünf Kontinenten statt.

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Der Veranstaltungsort - das Exerzitienhaus Himmelspforten in Würzburg.

Alle Bilder auf dieser Seite: © Kirsten Kohlhaw

Mehr Informationen:

Slow-Food-Positionen zum Thema "Tiere in der Landwirtschaft"

Die Arche des Geschmacks

Slow Food Essay: Genuss, Verantwortung und das Lebensmittelsystem der Zukunft

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