Heimischer Anbau, unfaire Bedingungen

Spargel und Erdbeeren gehören für viele Menschen im Juni unbedingt auf den Tisch. Doch die Ernte wird traditionell von Saisonarbeiter*innen erledigt, die oft schlecht bezahlt und untergebracht sind. Die Slow Food Youth befasste sich in einem Online-Kochkurs mit den bestehenden Zuständen – und mit Verbesserungsvorschlägen.

Titelbild und Gäste.pngDie Vorspeise mit grünem Spargel, ein Erdbeer-Crumble zum Dessert: Die Zutaten zum Menü entsprechen der Saison und sind auch aus regionalem Anbau zu bekommen. Und trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack. Denn die körperlich anstrengende Arbeit des Spargelstechens und der Erdbeerernte wird meist von osteuropäischen Saisonarbeiter*innen gemacht. Und deren mitunter unwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen sind spätestens im vergangenen Jahr mit Beginn der Corona-Pandemie bekannt geworden.

Geändert hat sich bislang kaum etwas. Was können wir tun? Welche Lösungsansätze existieren? Wie kann ich fair produzierte Lebensmittel aus der Region erkennen? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich die Slow Food Youth in der Online-Veranstaltung „Hätte hätte faire Kette“ mit anschließendem Kochkurs. Der Abend war Teil der Kampagne „Zukunft würzen: Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt!“, mit der Slow Food und die Slow Food Youth für eine Transformation unseres Ernährungssystems eintreten.

Mindestlohn – und trotzdem stimmt die Bezahlung nicht

Eine Bestandsaufnahme über die aktuelle Situation lieferte Benjamin Luig, Koordinator der Initiative „Faire Landarbeit“, die Saisonarbeiter*innen über ihre Rechte berät. „Es ist nicht so, dass die Leute nicht wissen, worauf sie sich einlassen. In ihren Heimatländern – meist Polen, Bulgarien, Rumänien und die Ukraine – gibt es große Debatten über die Zustände. Aber das Geld lockt.“ Der deutsche Mindestlohn sei attraktiv und deutlich mehr, als zu Hause verdient werden kann.

Also stimmt wenigstens die Bezahlung der harten Feldarbeit? Eher nicht: Denn bezahlt wird in der Ernte üblicherweise nicht nach Arbeitszeit, sondern nach festgelegten Mengen, die pro Stunde erreicht werden sollen. Überstunden, die häufig anfallen, würden oft nicht richtig abgerechnet: „Manchmal wird der Lohn erst ganz am Ende der Saison ausgezahlt, wenn der Bus für die Heimfahrt schon draußen auf dem Hof steht. Da bleibt dann keine Zeit mehr, sich zu beschweren.“ Getrickst werde häufig auch bei der Summe, die für die Unterbringung einbehalten werde. Eigentlich gebe es im Rahmen des Arbeitsvertrags einen Maximalwert, der für die Übernachtungsmöglichkeit abgezogen werden darf. „Aber wenn nicht der Landwirt oder die Landwirtin selbst das Bett oder Zimmer vermietet, sondern ein*e Dritte*r, sieht das wieder ganz anders aus.“

Benjamin Luig kritisierte auch, dass Saisonarbeit bis zu vier Monaten in Deutschland als „kurzfristige Beschäftigung“ gelte. Damit seien die Arbeitgeber*innen nicht verpflichtet, für eine Krankenversicherung zu sorgen. „Nur Arbeitsunfälle sind einigermaßen abgesichert, Krankheiten oder Verletzungen dagegen nicht.“ Außerdem habe sich mit der Corona-Pandemie die soziale Isolation der Erntehelfer*innen weiter verschärft: „Es gibt nur wenig Austausch mit Einheimischen oder gar Teilhabe am sozialen Leben.“

Wer kann etwas an den Zuständen ändern?

Die Betroffenen selbst hätten kaum Möglichkeiten, ihre Situation zu ändern. Einen Betriebsrat zu wählen ist beispielsweise keine Option, weil die Saisonkräfte ja nur vorübergehend auf dem Hof arbeiten und auch nicht in der Gewerkschaft sind. Von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt werde nun wenigstens ein Rechtsschutz für die Arbeiter*innen in der Landwirtschaft angestrebt, so Luig.

Es sei auf jeden Fall die Aufgabe des Staates, die Mindeststandards beim Arbeits- und Gesundheitsschutz zu gewährleisten, betonte Prof. Dr. Regina Birner, Leiterin des Lehrstuhls „Sozialer und institutioneller Wandel in der landwirtschaftlichen Entwicklung“an der Universität Hohenheim: „Das darf nicht auf die Verbraucher*innen abgewälzt werden.“ Dazu müsste es in der Landwirtschaft aber deutlich mehr Kontrollen geben als bisher: „Im Jahr 2017 wurden nur 1,2 Prozent der Betriebe kontrolliert. Im Vergleich zum Baugewerbe, wo etwa ein Viertel der Baustellen überprüft werden, ist das eine verschwindend geringe Zahl.“

Auch die korrekte Erfassung von Überstunden auf Stundenzetteln könnte und müsste viel stärker kontrolliert werden. Allerdings, so Birner, sei die Einkommenssituation im landwirtschaftlichen Bereich ohnehin schlecht. Über die Hälfte der abhängig Beschäftigten – und dazu zählen nicht nur die Saisonarbeiter*innen – arbeiteten zu Niedriglöhnen. Das heißt: Sie bekommen weniger als zwei Drittel des für Deutschland bzw. die einzelnen Bundesländer errechneten mittleren Bruttoverdienstes.

Ein Siegel für faire Produkte aus Deutschland fehlt

Leider beschäftigten sich die großen Player im Lebensmitteleinzelhandel überhaupt nicht mit diesen und anderen Problemen der Landwirtschaft – für sie zähle nur ein möglichst niedriger Preis. „Dabei könnten sie viel bewirken, wenn sie sich zu einem gemeinsamen Vorgehen entschließen.“ Handlungsbedarf sieht die Agrarwissenschaftlerin Birner auch noch in einem anderen Bereich: „Leider gibt es noch kein Siegel für deutsche Produkte, das ein faires Miteinander und eine angemessene Bezahlung dokumentiert – ähnlich wie es das FairTrade-Label für Produkte mit Rohstoffen aus Entwicklungs- und Schwellenländern tut.“

Das machte die Beantwortung der Frage, worauf jede*r selbst beim Einkauf achten kann, nicht einfacher. Benjamin Luig hatte trotzdem einen Ratschlag: hartnäckiges Nachfragen. „Gerade bei diesen regionalen Produkten mit den kurzen Lieferketten lohnt es sich, auf den Höfen oder an den Marktständen zu fragen, wer die Ernte einbringt, wie die Arbeiter*innen wohnen, ob sie krankenversichert sind. Je mehr Leute nachforschen, desto eher wird sich etwas ändern.“

Sebastian Junge jedenfalls, der souverän durch den anschließenden Kochabend führte, wusste, woher sein Spargel für die Vorspeise und die Erdbeeren für den Nachtisch stammten. Als Gründer und Küchenchef des Hamburger Restaurants WolfsJunge verarbeitet er nur Bio-Produkte – und die kommen meistens von Höfen aus der Umgebung. Seit einiger Zeit achtet Junge, der auch Mitglied der Slow Food Chef Alliance ist, beim Einkauf für die Restaurantküche nicht nur auf die Aspekte Umwelt- und Klimaschutz, sondern fragt bei seinen Lieferant*innen auch nach den Arbeitsbedingungen der Erntehelfer*innen. „Da hat sich durch Corona der Blickwinkel nochmal geweitet.“

Der nächste thematische Online-Kochkurs zu den Forderungen für eine veränderte Ernährungspolitik:

Autorin: Birgit Schumacher

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