Die Kunst des Weglassens: großes Interesse und intensive Diskussionen beim Workshop Naturwein

Mehr als 440 Teilnehmende auf Zoom und per Live-Stream auf YouTube probierten gemeinsam mit vier Bio-Winzer*innen ihre Naturweine und beteiligten sich angeregt an der Diskussion über die Aromen und die Herstellung von Naturwein sowie das Weglassen von Schwefel und allerhand anderen Eingriffen im Keller. Slow Food Deutschland und der Bundesverband ökologischer Weinbau ECOVIN luden für den 16. April 2021 dazu ein, die Welt der lebendigen Weine zu entdecken. Susanne Salzgeber, Sommelière und freie Autorin in Berlin und Ulrich Amling, Kulturredakteur und Weinexperte des Tagesspiegels führten durch den Abend und erhielten dabei kulinarische Unterstützung von Martin Wurzer-Berger, dem Leiter der Weinkommission von Slow Food Deutschland.

Naturweine (c) Sebastian Strehlau 2.jpg

Natural Wines, Vins Vivants oder Orange Wines und Pet Nats haben die Weinbars in Barcelona, Paris, New York, Tokyo und Berlin erobert. Naturweine sind eine herausfordernde Bereicherung der Weinwelt: Sie sehen im Glas anders aus, riechen anders, schmecken anders. Aromen von Weihrauch, Apfelmost und Bergamotte, manchmal aber auch von Nagellackentferner oder Fahrradschlauch überraschen unsere an blankpolierte Fruchtaromen gewöhnten Gaumen. Naturweine können neue Horizonte eröffnen und begleiten Speisen, zu denen oft keine anderen Weine passen. Ihre Schöpfer*innen arbeiten konsequent handwerklich, bewirtschaften ihre Reben biologisch oder biodynamisch und lehnen manipulative Techniken im Weinberg sowie im Keller ab. Viele gute Gründe für Slow Food Enthusiast*innen, sich mit diesen besonderen Weinen zu beschäftigen, wie das überwältigende Interesse der Teilnehmenden unter Beweis stellte.

Auch Ursula Hudson war eine begeisterte Anhängerin von Naturweinen und immer auf der Suche nach neuen Geschmackswelten und handwerklich erzeugten Produkten. Außerdem initiierte sie 2020 die ersten Slow Food Online-Weinverkostungen. Deshalb wurde der Workshop der im vergangenen Jahr verstorbenen Vorsitzenden von Slow Food gewidmet. Sie wäre mit Begeisterung dabei gewesen und fehlte nicht nur an diesem Abend.

Welche Naturweine gab es zu verkosten und wer hat diese ausgewählt?

Im Rahmen von Terra Madre und Salone del Gusto sowie in Kooperation mit ECOVIN, dem Bundesverband ökologisch arbeitender Weingüter in Deutschland, wurde eine bundesweite Ausschreibung unter ECOVIN Winzer*innen durchgeführt. Jedes Weingut konnte seine Weine zur Probe anstellen. Die Voraussetzung war eine strenge Definition von Naturwein: nichts rein und nichts raus. Das heißt, Schwefelzugaben sind ebenso tabu wie Filtration und sonstige Schönungen.
Alle angestellten 37 Weine wurden von den beiden Moderatoren Susanne Salzgeber und Ulrich Amling verkostet und vier Weinstile von Naturwein für den gemeinsam Workshop ausgewählt: 

Weingut Melsheimer (Mosel), 2018 Rurale Riesling Brut Nature: ein Petillant Naturel (Pet Nat), der als gärender Wein auf die Flasche kommt und sich dort zu einem Schäumer entwickelt.

Weingut Brüder Dr. Becker (Rheinhessen), 2019 Scheurebe pure eine Aromarebsorte, nach kurzem Schalenkontakt vergoren, abgefüllt ohne Schwefel und mit feinem Hefetrub.

Weingut Zähringer (Baden), 2018/2019 Weißburgunder Orange: ein auf der Maische vergorener Weißwein, oxidativ ausgebaut, der an georgische Amphorenweine erinnert.

Ökologisches Weingut Schäfer-Heinrich (Württemberg). 2016 Was ist das? Rotwein: eine ungeschwefelte Cuvée aus der resilienten PIWI-Rebsorte Cabernet Cortis und Dornfelder.

Mit einem Naturwein-Quiz und regelmäßigen Fragen zu den Aromen in den Weinen wurden die Gäste aktiv in die Verkostung eingebunden.
Die Mehrheit der Teilnehmenden verfügte über erste Erfahrungen mit Naturwein und punktete mit einem erstaunlichen Wissensdurst, den die erfahrenen ECOVIN-Winzer*innen Lotte Pfeffer-Müller, Thorsten Melsheimer, Paulin Köpfer und Lars Hieber mit Offenheit und ausführlichen Erklärungen stillen konnten.
Am Ende der Veranstaltung, nach 150 Minuten Wein probieren und regen Diskussionen waren fast alle zugeschalteten Teilnehmenden noch dabei. 94 Prozent beantworteten die Frage, welchen Stellenwert Naturwein für sie als Weingenießer einnimmt mit:
„eine interessante Weinstilistik, die den konventionellen Weinmarkt bereichert“ und „möchte ich noch mehr davon probieren“. Nur sechs Prozent meinten dagegen „ist nicht meins, kann ich darauf verzichten“.

Nicht verzichten wollten hingegen über 120 Teilnehmende auf die After-Show-Diskussion bei Zoom, die noch weitere zwei Stunden regen Austausch über die lebendigen Weine und die Vielfalt der Weinstile mit sich brachte.
Lebendiger geht’s nicht. Es lebe die Vielfalt!


Was man über Naturweine wissen sollte - 5 FAKTEN

Naturweine im Glas.jpgÖkologischer oder biodynamischer Weinbau ist die Basis für Naturweine
Naturweine sind handwerklich hergestellte Weine ohne technische oder chemische Eingriffe im Keller
Naturweine sind immer spontan vergoren mit den eigenen Hefen
Naturwein wird wenig oder gar kein Schwefel zugesetzt
Naturweine werden weder geschönt noch gefiltert


Autorin: Susanne Salzgeber

Hinweis: Naturweine sind keine Massenweine, deshalb waren die Weinpakete für die Veranstaltung limitiert. 

Neugierig geworden? Drei Weinpakete mit den vier kuratierten Naturweinen sind noch zu haben. Interessierte melden sich per Mail beim Weingut Zähringer: info@weingut-zaehringer.de. Das Paket kostet 75 Euro inkl. Versand. Wer zuerst bestellt…

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