Warum Saatgut für Slow Food ein Top-Thema ist - 5 Gründe

Die Kontrolle über Saatgut wandert immer stärker zu wenigen, globalen Konzernen. Das benachteiligt nicht nur Kleinbauern – sondern ist auch ökologisch nicht gut. Ein Slow Food-Workshop zeigt auf, was wir gegen dieses Machtspiel mit unserer Lebensgrundlage tun können.

Der Billesberger Hof ist ein Musterbeispiel an Vielfalt. Landwirt Amade Billesberger hat dort so ziemlich alles geschaffen, wie Landwirtschaft und Natur in Einklang leben können. Der Mann, der auch als Bauer Mogli bloggt, baut auf 1,5 Hektar mehr als 100 Sorten Gemüse an, auf weiteren drei Hektar ein halbes Dutzend verschiedener Kartoffelsorten, die Hühner entstammen natürlich alten Zweinutzungsrassen, ebenso die Puten. „Ich mache gar nicht so viel Neues“, sagt Amade Billesberger, wenn man ihn auf diese für einen durchschnittlichen Bauernhof außerordentliche Vielfalt anspricht. „Ich mache das, was meine Urgroßeltern schon gemacht haben.“

Damit ist Amade Billesberger nicht nur ein besonders nachhaltig arbeitender Landwirt. Sondern auch ein besonders politisch arbeitender.

Denn wenig ist so politisch, wie die Frage, welche Sorten Bäuerinnen und Bauern heute anbauen. Das wurde bei Slow Food Deutschlands Abschlussveranstaltung des – in diesem Jahr notgedrungen ins Digitale verlagerte – Terra Madre Festivals deutlich. Der Grund: Die allermeisten Landwirt*innen arbeiten – anders als Amade Billesberger – mit immer weniger Saatgutsorten, weil eine international agierende Industrie diese immer weiter verknappt. Mit verheerenden Folgen. „Wenn wir überleben wollen, müssen wir unseren Anbau drastisch verändern und dabei spielt das Saatgut eine Rolle“, sagte Benny Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft während der Veranstaltung. Dabei kristallisierten sich fünf Gründe heraus, warum das Thema Saatgutvielfalt ganz oben auf die Agenda gehört. 

1. Landwirt*innen weltweit setzen immer weniger Saatgutsorten ein.

Der Mensch und sein Saatgut, das ist eine über 12.000 Jahre alte Beziehungsgeschichte. „Saatgut hat eine ganz lange Tradition des freien Austausches“, sagt Benny Haerlin. „Dadurch, dass wir es weitergeben, vermehrt es sich.“ Und das hat über die Jahrhunderte sehr gut geklappt. 75.000 essbare Pflanzen hat der Mensch so kennengelernt, davon 12.000 kultiviert. Nur: Diese Entwicklung stoppte irgendwann.

Das Ergebnis lässt sich heute betrachten: Lediglich ein Prozent der grundsätzlich kultivierten Pflanzen wird noch in größerem Stil angebaut, 120 in etwa. Und nur 30 davon liefern 95 Prozent der Nahrung. Allein beim Getreide liefern Mais, Reis und Weizen 80 Prozent der weltweiten Ernte. Nie war der Mensch so abhängig von so wenigen Sorten.  „Und so, wie wir heute diese Sorten anbauen - in Monokulturen, in Hochleistungssorten - führt es weiter zu Verlusten“, sagt Benny Haerlin. 

2. Immer weniger Konzerne kontrollieren immer weniger Sorten.

Dass nur noch so wenige Sorten, davon viele künstlich erzeugte Hybridsorten, die sich – vereinfacht gesagt – nicht von selbst vermehren können, eingesetzt werden, hat einen simplen Grund: immer weniger, dafür aber größere Konzerne versuchen, die Kontrolle über das Saatgut zu erlangen. Fünf Unternehmen beherrschen mehr als die Hälfte des weltweiten Saatgutgeschäfts.

Und sie versuchen mit allen Mitteln, die Landwirtschaft mit nicht-samenfesten Sorten zu versorgen. Der Vorteil aus ihrer Sicht: Weil Landwirt*innen diese Hybrid-Sorten nicht selbst vermehren können, werden sie vom Saatguteinkauf bei den Konzernen abhängig. Verschärfend kommt hinzu, dass viele dieser Konzerne ihr Saatgut zu patentieren versuchen. Dann hätten sie quasi ein Copyright aufs Leben. „Alle Parteien sagen: Pflanzen sollen nicht patentierbar sein, aber die Bundesregierung hält sich nicht dran“, sagt Haerlin. „Wir brauchen einen Wechsel im Landwirtschaftsministerium, weil es vom Druck dort abhängt, wie stark die Nicht-Patentierbarkeit von Saatgut durchgesetzt wird.“

3. Saatgutkonzentration verursacht Armut und Hunger.

Noch findet diese Konzentration vor allem im globalen Norden und in Latein-Amerika statt. Vor allem die vielen Klein-Bauern Afrikas und Indiens arbeiten bisher oft noch mit samenfesten Sorten. Sie ständen vor dem Ruin und ihre Länder damit vor großen Hungersnöten, wenn sie in Abhängigkeit von diesen Konzernen gerieten. „Wir haben schon jetzt richtig viel Vielfalt auch bei uns in Uganda verloren“, sagt der aus Uganda stammende Vizepräsident von Slow Food International, Edie Mukiibi. „Dagegen setzen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der die wahre Vielfalt Afrikas an Saatgut sichert.“

So arbeitet Slow Food in afrikanischen Ländern in Vielfalt-Zentren daran, Saatgut zugänglich zu halten. „Das ist wichtig, weil die Regierungen afrikanischer Länder ihre Landwirte oft allein lassen“, sagt Mukiibi. „Sie unterstützen oft die Umstellung auf Hybrid-Saatgut, weil sie sich durch ausländische Kreditgeber unter Druck gesetzt fühlen.“ Was dagegen hilft? „Wir brauchen Food-Souveränität als Grundlage für Menschenrechte“, sagt Mukiibi. „Die Gesundheit und der Wohlstand in unserem Land hängen davon ab, dass es einen fairen Zugang zu Saatgut gibt.“ 

4. Der Klimawandel erfordert Saatgut-Vielfalt.

In vielen afrikanischen Ländern sind die Folgen der Klimakrise schon heute stärker als in Europa zu spüren. Und in klimatisch so problematischen Lagen kann die Abhängigkeit von wenigen Sorten kritisch werden – denn Hochleistungssorten sind oft besonders anfällig, zudem hilft ein reicher Genpool an Sorten, die passenden Pflanzen für neue klimatische Bedingungen zu finden.

Biodiversität ist deswegen ein Schlüssel für Resilienz gegen die Klimakrise. Und für Edie Mukiibi steht fest: „Die Biodiversität wird hier zerstört, wenn wenige Unternehmen die Kontrolle über das Saatgut bekommen.“ Und das macht Landwirtschaft anfällig für Folgen der Klimakrise. Weil Sorten möglicherweise weniger robust werden, aber auch, weil Biodiversität die Voraussetzung für fruchtbare Böden ist. Amade Billesberger sagt: „Wir müssen auf den Boden achten, den Humus vermehren. Es wird Raubbau am Humus betrieben. Und das wird verhindert, indem man Vielfalt fördert.“

5. Wir verlieren wichtiges Wissen über Saatgut.

Dabei haben sich viele Verbraucher*innen schon an das Sorten-Einerlei gewöhnt. Carolin Engwert, die in Berlin auf kleinstem Raum einen Garten betreibt und darüber bloggt, merkt das immer an den Zuschriften ihrer Leser*innen.  „Meine Leser denken, ihre Möhren müssten aussehen wie im Supermarkt“, sagt sie. „Wenn sie sehen, dass die aus ihrem Garten anders aussehen, müssen die an die Hand genommen werden. Ich sage dann immer: Das gehört so.“ Wenn aber immer mehr Sorten verschwinden, muss immer mehr Menschen der Wert der Vielfalt von neuem erklärt werden.

Und was kann man nun tun?

„Die Lösung beginnt beim Einkauf“, sagt Amade Billesberger. „Jeder kann biologisch, regional und saisonal kaufen. Das fördert in jedem Fall die Vielfalt.“ Dazu lohnt es sich, beim Einkauf von Gemüse gezielt nach solchem aus samenfesten Sorten zu fragen. „Und selbst kochen ist enorm wichtig“, sagt Carolin Engwert. „Gemüse kaufen und verarbeiten hilft schon weiter.“ 

Autor: Sven Prange

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