BioFach 2015: Podiumsdiskussion zur Zukunft der Ernährung

23.2.2015 - Die Nachfrage nach Lebensmitteln wächst schneller als die Produktivität der Landwirtschaft. Zugleich steigt das Interesse der Verbraucher an nachhaltigen, regional erzeugten und verarbeiteten Lebensmitteln. Ein Slow-Food-Podium im Rahmen der Messe Biofach 2015 in Nürnberg (11. bis 14. Februar) fragte nach den Lösungsbeiträgen des Handels.

BioFach 2015: Der Handel und die Zukunft unserer Ernährung

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Wie entwickeln Vertreter großer Handelsketten das Angebot an ökologischen Lebensmitteln aus der Region? Was kann getan werden, damit immer mehr Ware auch dort verkauft wird, wo sie produziert wird? Dies waren die Ausgangsfragen der Diskussion in Nürnberg im BioFach Forum "Zukunftsfähige Ernährung: Rolle und Aufgabe des Handels" am 12. Februar.

Auf dem Podium saßen (von links nach rechts):

Tim Sperry, The Tim Sperry Group
Dr. Ursula Hudson, Slow Food Deutschland e.V.
Dr. Wilfried Bommert, Institut für Welternährung
Dirk Heim, Rewe Zentral AG
Dr. Frank Thiedig, Edeka Minden-Hannover Stiftung & Co. KG
Hans-Juergen Matern, Corporate Sustainability & Regulatory A. / Metro AG
Stephan Becker-Sonnenschein, Geschäftsführung / Die Lebensmittelwirtschaft e.V.

Die Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Ursula Hudson, stimmte der Einschätzung des Moderators, Wilfried Bommert zu, dass es eine wachsende Gruppe von Menschen gebe, die sich mehr Regionalität wünsche. Das Attribut „regional“ habe aber ihrer Meinung nur wenig Inhalt: Es bedeute nicht mehr als eine bestimmte räumliche Distanz und sei ansonsten eine rein emotionale Kategorie. Beides sage nichts aus über die Qualität der Produkte. Für sie drückt die Attraktivität der Regionalität im Grunde den Wunsch der Menschen nach Transparenz, Verantwortung und Glaubwürdigkeit aus. Da die Zivilgesellschaft aktuell Forderungen stelle, seien jetzt die Voraussetzungen günstig für einen Umbau des Ernährungssystems in Richtung Relokalisierung. Die Kategorien dabei seien Gesundheit, Ökologie und Genuss.

Ernährung für bald zehn Milliarden Menschen sicherstellen

Hans-Juergen Matern (Metro) erklärte, dass Regionalität für Metro kein neues Thema sei: Es gebe im deutschen Metro-Sortiment rund 18.000 Produkte, die regional seien, das heißt, nur in vier bis fünf benachbarten Märkten verfügbar seien. Wichtig für ihn bei der Frage nach einer zukunftsfähigen Ernährung sei allerdings der Blick auf die Welternährung: 800 Millionen Menschen hätten keinen ausreichenden Zugriff auf Lebensmittel. Wichtig seien Maßnahmen, um in einigen Jahren 10 Milliarden Menschen vollwertig ernähren zu können, ohne den Globus zu ruinieren. Metro berate daher - gemeinsam mit den Vereinten Nationen - Farmer, Kleinfirmen und Familienbetriebe in den Herkunftsländern, um die Lebensmittelverluste unmittelbar nach der Ernte und bei der Lagerung zu verringern. Außerdem gab er zu bedenken, dass der Proteinbedarf der Zukunft nicht über Landtiere zu decken sei. Die Ozeane seien hier wesentliche Lebensmittelquelle. Metro sei führend bei der nachhaltigen Fischerei in Kooperation mit mehreren Organisationen, und aktiv dabei, den Fangländern zu helfen, den Fischfang effizient zu managen, damit weniger gefangener Fisch verderbe oder weggeworfen werde.

Frank Thiedig (Edeka) betonte, dass Edeka aufgehört habe über Regionalität zu reden: „Wir reden lieber über Lokalität“. Als genossenschaftliches Unternehmen habe Edeka den Vorteil, dass die Einkaufsentscheidungen bei den Einzelhändlern liege. Diese kaufen häufig lokal und regional ein. Die Herausforderung sei aber Qualitätssicherung. Im Großen und Ganzen sei der deutscher Handel in Sachen Nachhaltigkeit gut aufgestellt. Zum Thema Welternährung könne er als Vertreter der Edeka Minden-Hannover wenig sagen.

Produzenten häufig globaler orientiert als der Handel

Auch für Rewe ist die Welternährung kein tägliches Thema, sagte Dirk Heim (Rewe). Der Konzern mache sich aber viele Gedanken über eine verantwortliche Wertschöpfungs- und Lieferkette. Das funktioniere allerdings nur für Teilbereiche des Sortiments, denn die Produzenten seien häufig weitaus globaler aufgestellt als der Handel und hätten daher auch mehr Verantwortung. Auch Rewe sei übrigens eine Genossenschaft mit 40 Prozent selbständigen Einzelhändlern. Diese kaufen zu großen Teilen vor Ort ein und treffen sehr stark auch eigene Listungsentscheidungen.

Zumindest für die USA widersprach Tim Sperry (The Tim Sperry Group): In den USA bestimmten vor allem die großen Unternehmen wie sich der Markt entwickelt: „Der Handel bestimmt, was angeboten wird“.

Stephan Becker-Sonnenschein (Die Lebensmittelwirtschaft) betonte, dass es bei den Verarbeitung kaum noch regionale Strukturen wie Schlachthöfe oder Molkereien gebe. Vom Gesetzgeber her wurden sehr viele strukturelle Veränderungen in Richtung Effizienz und Sicherheit gefordert, was einen Konzentrationsprozess erzeugt habe. Was die Welternährung angehe, sei Deutschland bei Themen wie Konservierung und Qualitätssicherung weit vorne und könne weltweit einen Beitrag dazu leisten, die Ernte zu den Menschen zu bringen und vor dem Verrotten zu bewahren.

Erzeugung vor Ort für den Verbraucher wichtig

Ursula Hudson (Slow Food Deutschland) wandte ein, dass sie Teile der Diskussion beunruhigten: Den Proteinbedarf durch Fleisch zu decken, wäre nicht möglich; vielmehr sollten wir den Verbrauch zurückfahren. Die Effizienz beim Anbau in Übersee und der Verschiffung der Waren sei kein Indikator für eine Veränderung, also Relokalisierung des Systems. Für den Verbraucher sei das keine Nähe, keine Transparenz. Globale Warenströme würden sicher weiterhin nötig sein, das stehe außer Zweifel, aber wesentlich sei mehr Produktion in der Nähe und entsprechend eine Wiedereinrichtung der notwendigen Organisationen in der vorgelagerten Kette wie Mühlen oder Schlachthöfe: „Der lokale Bäcker hat ein Problem, wenn die vorgelagerte Kette fehlt. Dafür macht sich Slow Food stark“.

Hans-Juergen Matern (Metro) sagte, dass die Sortimente durch die Verbraucher definiert würden. Das erfordere eine Vielfalt im Angebot. Er betonte, dass die Produkte dort produziert werden sollten, wo dies am besten möglich ist, um die Ressourcen möglichst optimal auszunutzen. Bei der Fleischproduktion gab er zu bedenken, dass sich für große Teile der tierischen Bestandteile hier keine Abnehmer fänden: Nur 30 Prozent der Schweine-Teile würden heute beispielsweise nachgefragt. Nur ein Teil könne also hier verwertet werden, der Rest werde exportiert. Dafür importierten wir wiederum Produkte aus dem Ausland. Die Vielfalt für die Nachfrage der Konsumenten stehe für die Unternehmen im Mittelpunkt.

Verbraucher kaufen vor allem nach Geschmack und Preis

Stephan Becker-Sonnenschein (Die Lebensmittelwirtschaft) warf ein, dass es „den Verbraucher“ nicht gebe: Laut einer Umfrage gaben über die Hälfte der Verbraucher zu, keine Interesse an Informationen zu den Produkten zu haben. Die Verbraucher kauften vor allem nach Geschmack. Zweites Kriterium sei die Herkunft, drittes die Frische.

Dirk Heim (Rewe) glaubte nicht, dass die meisten Kunden nach Geschmack kaufen, sondern vielmehr nach dem Preis. Der Handel könne die Menschen sensibilisieren für Nachhaltigkeit – etwa über Qualität und Geschmack. Die einzelnen Händler lebten aber von der Masse der Kunden, auch wenn sie immer im Hinterkopf behielten, auch die Nische zu bedienen. Bei Rewe entwickele sich die Regionalität ebenso wie Bio oder Produkte ohne tierische Zutaten positiv. Der Handel sei der erste Ansprechpartner für die Kunden und könne daher auch bestimmte Anforderungen an die Lieferanten weiter geben. Der Handel sei nicht nur nachfrageorientiert: Bei manchen Bereichen bevormunde der Handel seine Kunden im Rahmen der Eigenverantwortung, etwa beim Fisch, der zu größten Teilen aus zertifiziertem Fang käme.

Billigpreise weder für Erzeuger noch Handel gut

Hans-Juergen Matern (Metro) betonte die zahlreichen Maßnahmen, die Metro seit vielen Jahren umsetzt: immer mehr Regionalprodukte, viele Fairtradeprodukte, sehr großes Engagement bei Textilien und Bioprodukte bei real. Wichtig für den Handel sei es vor allem in Deutschland, von den sehr niedrigen Lebensmittelpreisen wegzukommen, die weder für Produzenten noch für den Handel gut seien. Man müsse die Verbraucher motivieren, nicht nur Discountartikel zu kaufen. Was man aber auch bedenken müsse, sei, dass 70 Prozent der Waren, die die „Tafeln“ in den Märkten abholten, Bioartikel seien. Die Bioartikel hätten wie auch die Regionalprodukte also längere Regalzeiten und mehr Rückrufe. Frank Thiedig (Edeka) ergänzte, dass Edeka, Metro und Rewe verschiedene Projekte betrieben, unter anderem eines gemeinsam mit dem Verbraucherzentrale Bundesverbands („Bündnis für Verbraucherbildung“), mit dem Ziel, Verbraucherbildung in den Schulunterricht zu bringen.

Ursula Hudson (Slow Food Deutschland) rief die Runde auf, sich gemeinsam mit Slow Food für Schulküchen und Schulgärten einzusetzen, denn Lebensmittelwissen sei lebensnotwendige Alltagskompetenz. Und die Läden brauchten kompetente Konsumenten.

Text und Bild: Torsten Mertz

Mehr Informationen:

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