Obst, Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte, Fisch, Fleisch, Milch, Süßes, Getränke und ab sofort auch Eier, Öl & Fett, Kräuter & Gewürze: Slowpedia lässt nichts unserer Einkaufskörbe und Speisepläne „unberührt“. Die Online-Warenlehre klärt über Kulturgeschichte, Qualität sowie nachhaltige Wertschöpfung, Verarbeitung und Nutzung unserer Lebens- und Nahrungsmittel auf.
Interaktive Formate, Illustrationen und Grafiken unterstützen eine abwechslungsreiche und verständliche Informationsvermittlung, fördern das Bewusstsein für ein nachhaltiges Ernährungssystem und wecken den Forschergeist. Verbraucher*innen können mithilfe von Slowpedia einen ersten Überblick über Lebensmittelgruppen finden oder tiefer in einzelne Aspekte einsteigen. Beim Quiz können die Nutzer*innen vorhandenes oder neu erlerntes Wissen spielerisch testen. Obwohl junge Erwachsene die Kernzielgruppe sind, profitieren alle Altersgruppen von der farbenfroh gestalteten Wissensvermittlung.
Mathilda Fuhrmeister und Paul Kleebinder haben das Projekt bei Slow Food verantwortet und heben zu seinem Abschluss den Gemeinschaftscharakter hervor: „In Slowpedia steckt der reiche Fundus an Know-how von Produzentinnen, Lebensmittelhandwerkern und Köchinnen aus unserem Netzwerk sowie die Expertise langjährig Engagierter innerhalb von Slow Food Deutschland. Indem wir mit Slowpedia den Ursprüngen und Wurzeln unserer Lebensmittel auf den Grund gehen, vermitteln wir ein Ur-Anliegen unserer Bewegung: Zu wissen, wo unser Essen herkommt.“
Die Initiative zu einem Projekt wie der Slowpedia ging von der Deutschen Stiftung für Warenlehre aus. Sie hat bereits diverse Materialien zur Warenkunde entwickelt und wollte das Wissen noch passgenauer für ein junges Publikum gestaltet sehen. Mit Slow Food Deutschland fanden sie den geeigneten Partner. „Slow Food versteht es, Wissen über Lebensmittel aktuell aufzubereiten, herstellerunabhängig und mit Blick auf ganzheitlich gesunde Ernährung, also gut für Mensch und Planet. Das Ganze dann noch kreativ und visuell ansprechend zu gestalten und Elemente zu nutzen, die zum Interagieren einladen, ist Warenkunde im besten Sinne,“ erklärt Dr. Helmut Lungershausen von der Stiftung begeistert.
Zu Slowpedia: www.slowpedia.slowfood.de
]]>Die Welternährung vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung zu sichern ist eine viel diskutierte, aber noch nicht gelöste Herausforderung. Aus Sicht von Slow Food wird das nur dann gelingen, wenn Nahrungsmittel in nachhaltigen und resilienten Landwirtschaften entstehen. Dafür braucht es agrarökologische Systeme, einheimische Ressourcen, überliefertes Wissen sowie vielfältige und widerstandsfähige Kulturen. Die Ernährungssouveränität der Menschen muss gestärkt werden; dazu gehört auch die Wahlfreiheit und Transparenz beim Kauf von Lebensmitteln.
Und das weltweit, betont Edward Mukiibi, Präsident von Slow Food International, der in Uganda seit Jahrzehnten die Folgen einer fehlgeleiteten Handelspolitik erlebt. Befeuert u. a. durch EU-Importe und industrielle Monokulturen, die die heimischen Märkte sowie die Vielfalt von einheimischen Nahrungspflanzen zerstören. Damit gehe die Möglichkeit der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent zunehmend verloren, über ihre Ernährung selbst zu entscheiden. „Slow Food fordert Anreize für eine nachhaltige und kleinteilige Landwirtschaft – in Afrika, in Europa und in Deutschland. Die Selbstversorgungsraten dürfen nicht länger geschwächt, sondern müssen gestärkt werden. Ich bin sicher, dass das weltweit zum Schutz von Erzeuger*innen und Verbraucher*innen beiträgt“, so Mukiibi.
Auch in Deutschland hat Slow Food es sich zur Aufgabe gemacht, ein Ernährungssystem voranzutreiben, das die Selbstversorgung mit guten, sauberen und fairen Lebensmitteln zur Prämisse hat. Einkaufs- und Speisepläne müssen dafür deutlich pflanzenbetonter ausfallen. Damit das Freude und weniger Hindernis bedeutet, braucht es für Mensch und Planet gesunde Lebensmittel und Speisen in der greifbaren Alltagsumgebung aller. Nina Wolff, SFD-Vorsitzende betont: „Es ist eine wichtige Aufgabe der Ernährungswende, globale Lieferketten möglichst oft durch regionale Kreisläufe zu ersetzen. Für eine nachhaltige Welternährung müssen aber auch unsere eigenen Ernährungsumgebungen in Supermärkten, der Gastronomie oder der Gemeinschaftsverpflegung so gestaltet werden, dass die nachhaltige und gesunde Wahl die einfache und günstige wird. Hierfür muss die Bundesregierung mit ihrer für dieses Jahr geplanten Ernährungsstrategie den finanziellen und rechtlichen Rahmen spannen.“
]]>Gut Temmen wurde 1995 neu gegründet und auf ökologischen Anbau umgestellt. Heute bewirtschaftet der Verbund aus fünf juristisch eigenständigen, organisatorisch jedoch eng verbundenen Betrieben rund 3.300 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, davon rund 600 Hektar Grünland. Dort weiden 600 Uckermärker Rinder. Und genau diese interessierten die Expert*innen des Slow-Food-Workshops. Diese widmeten sich der Rinderzucht, einem bislang stark vernachlässigten Aspekt der Fleischqualität. Dr. Rupert Ebner, Tierarzt und Leiter des Conviviums München, erläuterte in seinem Impulsvortrag die historischen Veränderungen in der Rinderzucht und erklärte, dass die zunehmende Spezialisierung zu einer Trennung von Milch- und Fleischproduktion führte, wodurch die jungen männlichen Kälber schließlich zu einem „Nebenprodukt“ wurden. Ein nachhaltiges Ernährungssystem hingegen sollte den Zweinutzungsrindern wieder eine große Bedeutung beimessen, da sie zwar weniger Milch, dafür aber auch gutes Fleisch liefern und somit einen Weg ebnen für eine naturnahe Milch- und Fleischerzeugung sowie für eine klimafreundliche Reduktion der Tierhaltung.
Nachhaltige Qualität
Der Rindfleischmarkt ist heute bestimmt durch die Jungbullenaufzucht und die darauf ausgerichteten Handelsklassen-Einstufungen. Fleischqualität im Sinne von Genussqualität und Nachhaltigkeit, so ein erstes Fazit aus dem Workshop, muss neu definiert werden und mit den Zuchtzielen abgestimmt werden. Gerade beim Rind setzt sich die Qualität aus vielen Faktoren zusammen: Rasse, Geschlecht, Haltung und Fütterung aber auch Schlachtung, Reife und Kühlung. Die Qualität setzt sich bei der Fleischzubereitung durch Köch*innen natürlich fort. Für die Landwirt*innen sind die Standorte bestimmend für die zu wählende Gebrauchskreuzung. Ob Moor-, Sandböden der Geest oder vorherrschend ackerbaulich genutzte Böden – jeder Standort braucht das passende Rind. Diversität spielt bei nachhaltiger Rindfleischerzeugung also eine essentielle Rolle. Wie also kann diese gelebt und wirtschaftlich genutzt werden?
Diversität ist gefragt
Die Workshop-Teilnehmenden waren sich einig, dass Diversität sowohl in politischen (Förder-)Maßnahmen als auch in Konsument*innen-Entscheidungen Ausdruck finden muss. Bei der Erarbeitung von Kriterien für nachhaltige Fleischwirtschaft würden pauschale Urteile und Kriterien zudem wenig helfen. Entscheidend sei es, einzelbetrieblich zu prüfen, welche Systeme an welchen Standorten tragfähig sind. Die Stärkung der Zweinutzungsrassen genießt für die Expert*innen hohe Priorität. Gemeinsam möchten sie außerdem ein positives Image für nachhaltiges Fleisch herausarbeiten.
]]>Stella Diettrich von Slow Food Deutschland führte durch den Abend und begleitete die Zuschauer*innen an den verschiedenen Genuss-Stationen:
Bio-Leindotteröl aus der Bliesgau-Ölmühle von Patric Bies und Jörg Hector:
Kurze Wege vom Feld in die Flasche
Leindotteröl hat nicht nur einen hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren, sondern begeistert mit einer Haltbarkeit von mindestens neun Monaten. Die Bliesgau-Ölmühle kooperiert zur Gewinnung des Öls mit dem Biolandhof Comtesse. Dort wird Leindotter in Mischfruchtanbau erzeugt, d.h. verschiedene Öl- und Hülsenfrüchte werden mit Getreide zusammen auf einem Feld angepflanzt. Leindotter dient dabei z.B. Linsen als Stütze. Das Ergebnis selber schmeckt gemüsig gut, nach grünen Erbsen und Spargel. Leindotteröl eignet sich für Salate, Rohkost, als Zutat über Nudeln, zu Kartoffeln oder zusammen mit Alb Harissa als schnelle Nudelsoße. Grundsätzlich sollte es nicht erhitzt werden.
CitroVitella oder LemonMint aus der Kräuterei Mutter Erde von Marc Zabel in Steinen-Hofen:
Mutter Erde im Südschwarzwald
Alle Tees von Marc Zabel zeichnen sich durch einen hohen Blütenanteil aus; insgesamt hegt und pflegt er 50 verschiedene Kräuter in BIO-Anbau. Während der Verkostung berichtet Zabel, dass Bio alleine nicht mehr ausreiche; er plädiert für eine aufbauende Landwirtschaft für mehr Klimaschutz und Humusaufbau. Um die wertvollen Inhaltsstoffe seiner Tees zu bewahren, gibt es bei ihm aus Überzeugung nur Ganzblatt-Tees. Als solche sind sie bis zu vier Jahre haltbar. Sie lassen sich außerdem sehr sparsam dosieren. Tipp: Den Tee mit kochendem, nicht mehr sprudelndem Wasser übergießen; die Blätter vorher zerbrechen, dann ist es ergiebiger. Und daran denken: Das Auge trinkt mit – auch beim Tee. Für alle Teeliebhaber*innen im Sommer gibt es Eistee und zwar so: Tee kräftig zubereiten, d.h. sehr lang ziehen lassen (bis zu einer halben Stunde); sobald er abgekühlt ist je nach Geschmack Zitronensaft und Honig hinzufügen und natürlich Eiswürfel.
Alb-Harissa Feurio aus der Albfiness Genuss Manufaktur von Hannelore Schillinger Sauer in Münsingen:
Zwischen Schwäbischer Alb und Kambodscha
Albfiness hat es sich zum Ziel gesetzt, dass die Rohstoffe aus gutem Anbau kommen, möglichst nah, möglichst mit persönlichem Bezug zu den Menschen, die sie erzeugt haben. D. h. Priorität hat der Anbau auf der Schwäbischen Alb, dann folgt der Anbau bzw. der Erwerb aus Nachbarlandkreisen. Erst wenn es die Gewürze in der Region nicht gibt, kauft Albfiness sie aus dem Bio-Handel dazu. Denn bei Gewürzen geht „regional“ natürlich nur begrenzt. So kam es zu der Zusammenarbeit mit respekka mit Sitz in Kambodscha. Hannelore Schillinger Sauer ist es wichtig zu wissen, wer ihren Pfeffer anbaut, dafür ist sie selbst mehrmals im Jahr vor Ort. Ihr „Alb Harissa“ ist an diesem Abend Teil der Verkostung. Entstanden ist es, weil viele Kunden ein scharfes Gewürz nachfragten. Die Hauptherausforderung lag dann darin, hochwertige Paprika zu bekommen. Fündig wurden Albfiness bei einer Erzeugergemeinschaft in Spanien. Bei den Teilnehmenden des Abends kam es besonders gut mit Frischkäse an.
Bierforfuture von der Brauerei Clemens Härle von Gottfried Härle in Leutkirch im Allgäu:
Bier for Future
Seit fast 125 Jahren existiert die Brauerei Clemens Härle. 35 Mitarbeiter*innen kümmern sich um das Sortiment aus insgesamt 15 Biersorten. Obwohl diese mit „nur“ vier Zutaten hergestellt werden (Malz aus Getreide, Hopfen, Wasser und Hefe) schmecken sie alle unterschiedlich. Die Rohstoffe beziehen sie aus ihrer Region und arbeiten dafür direkt mit Landwirt*innen zusammen.
Mehr als 50 Prozent ihrer Biere bestehen inzwischen aus Biozutaten, was nicht nur schmeckt, sondern die Artenvielfalt und die Bienen schützt. Für die Herstellung der Biere nimmt sich die Brauerei Clemens Härle mindestens sechs Wochen Zeit. Sie verzichtet auf Verfahren zur langen Lagerung und pasteurisiert nicht. Die Biere sind unfiltriert und haben mit 4,7 Prozent nur wenig Alkohol. Daher sind die Biere „nur“ maximal sechs Monate haltbar. An diesem Abend aber geht es um mehr als um den Geschmack: Clemens Härle berichtet davon, dass der Energieverbrauch bei der Bierbrauerei ein wichtiges Zukunftsthema ist. Er arbeitet seit zwölf Jahren klimaneutral, nutzt u. a. Hackschnitzelheizung und Ökostrom, die Etiketten des „Bier for future“ sind aus Altpapier, die Bierkisten aus Altkunststoff. Ganzheitlich gesehen erfüllt die Brauerei so alle Anforderungen an das Bier der Zukunft.
Alpenrosenhonig (Südtirol) oder Gebirgshonig (Italien) von der Imkerei Gerhard Kasper aus Reutlingen:
Der Bienenflüsterer
Gerhard Kasper geht es nicht nur um den Honig, sondern um die Biene. Denn mit ihr kennt er sich bestens aus. Um enger mit ihr bzw. dem Bienenvolk in Kontakt zu stehen, arbeitet er manchmal sogar ohne Schutz. Und gerade weil er Bienen so mag und um ihren Wert weiß, macht es ihm zu schaffen, dass die Bienen zu wenig Nahrung haben. Denn seine Imkerei liegt am Fuße der Schwäbischen Alb mit vielen blühenden Flächen – und trotzdem oft zu wenig Futter für die Biene.
Bienen brauchen z.B. nach dem Besuch von Monokulturen wie Raps Erholung auf unbelasteten, unbearbeiteten Flächen. Sonst sind sie gestresst und ‚arbeitslos‘ und können aggressiv werden.
Während der Verkostung berichtet Gerhard Kasper auf faszinierende Weise von der Erzeugung des Alpenrosenhonigs: Die Bienen kommen auf die Alp, nachdem die Kühe bereits ein paar Tage Zeit hatten, die Blüten auf den Weiden abzufressen – so bleiben den Bienen nur die Alpenrosen als Futterquelle, und es entsteht sortenreiner Alpenrosenhonig. Ein seltener Genuss! Und noch ein wichtiger Tipp von Gerhard Kasper für alle, die Honig lieben: Metalllöffel nie im Honig stehen lassen, da es mit der Säure im Honig chemische Reaktionen geben kann, die den Geschmack verändern.
Champagnerbratbirne frei von Alkohol von der Manufaktur Jörg Geiger von Jörg Geiger
Was dem Humus hilft
Die Champagnerbratbirne ist das erste deutsche Presidio-Produkt. Ein Klassiker ist der daraus gekelterte Schaumwein, für den die Birnen drei Jahre auf der Hefe liegen – slow im besten Sinne. Für die neue alkoholfreie Variante wird der Birnenwein nach der Gärung und dem Abziehen der Hefe entalkoholisiert und dann mit einem Teil unfiltriertem Birnensaft versetzt. Dabei nutzt Jörg Geiger die Erfahrungen aus vielen Jahren Prisecco-Produktion. Während die Priseccos auf Saftbasis jedoch immer relativ süß bleiben, ist mit der „CH.-Bratbirne frei von Alkohol“ ein ausgewogenes, rundes, alkoholfreies Erzeugnis gelungen.
Hochwertige Erzeugnisse wie diese macht Jörg Geiger nicht nur wegen des guten Geschmacks. Er sucht damit zugleich Antworten auf die Fragen nach einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Lebensmittel versteht er als „Mittel zum Leben“. Besonders begeistern ihn Obstbäume: So eine Hochstammsorte wurzelt zehn Meter tief, holt von ganz unten Wasser und Mineralstoffe nach oben, lagert Energie ein und bringt mit ihren Wurzelausscheidungen Nährstoffe in den Boden zurück. Mykorrhizapilze entstehen, Mikroorganismen und das Bodenleben profitieren – und am Ende auch der Baum und seine Früchte. Geiger erklärt die Zusammenhänge zwischen der Nährstoffversorgung eines Baumes und seinem Bodennetzwerk sowie Bodenleben sehr anschaulich. Und sind die Bäume gut versorgt, so ist es auch die Frucht. Den Unterschied kann man schmecken.
Amorella Kirsch Dessertwein aus der Amorella Kirsch Manufaktur von Familie Fritz Mossel in Mainz-Marienborn:
Die Liebe zu handgepflückten Kirschen
Fritz Mossel aus Mainz gibt an diesem Abend Einblick in Anbau und Verarbeitung traditioneller Sauerkirschsorten. Er veredelt sie durch handwerkliche Verarbeitung; insgesamt hat er ein Sortiment aus 25 Sauerkirsch-Produkten. So lässt sich die Kirsche mit allen Sinnen erleben.
Da sich alte Sorten nicht für die maschinelle Ernte eignen, gibt es heutzutage fast nur noch zwei Kirschsorten, die angebaut werden. Alte Kirschbäume werden gerodet, die meisten Kirschen kommen aus dem Ausland. Amorella hingegen baut acht alte Sauerkirschsorten selbst an – und erhält weitere alte Sorten in einem historischen Kirschgarten.
Der Dessertwein, der an diesem Abend verkostet wird, war die Entwicklung des Großvaters von Fritz Mossel. „Das hat er gut gemacht, der Opa“ freut sich Mossel. Und empfiehlt den Kirschwein als Aperitiv oder auch solo für wunderbare Abende wie diesen.
]]>Die Ziege also. Sie hat Slow Food Deutschland (SFD) in diesem Jahr ausgewählt, um am internationalen Tag der nachhaltigen Gastronomie (18.6.) die Kraft für die Umsetzung der Ernährungswende zu zeigen, die in vielen Profiküchen schlummert. Entsprechend gibt es in Restaurants und Lokalen bundesweit Menüs rund um den Wiederkäuer. Auch wenn so Fleisch als Lebensmittel in den Mittelpunkt zu rücken scheint, eignet sich das Tier dennoch besonders gut, um Wege einer nachhaltigeren Ernährungsweise exemplarisch aufzuzeigen. „Die Ziege ist immer ein gutes Thema und ein sehr nachhaltiges Tier“, sagt Jens Witt, Leiter der Chef Alliance dazu. Und tatsächlich: zwar gehört zu einer besseren Ernährungswelt auch weniger Fleischkonsum. Wenn aber Fleisch, dann gibt es kaum einen nachhaltigeren Fleischlieferanten als die Ziege, die in offener Weidehaltung Landschaftspflegerin, Artenschützerin und Nutztier in einem ist.
Genau diese Ganzheitlichkeit ist es, die SFD zu dem internationalen Aktionstag herausstellen möchte. Das wird während eines Mediengesprächs anlässlich des Tages, an dem sich Vertreter*innen aus der Chef Alliance sowie vom Genussführer beteiligen, schnell deutlich. „Die Gastronomie hat eine Schlüsselfunktion, indem sie zeigt, wie ganzheitliche Werte auf dem Teller umgesetzt werden können“, sagt die SFD-Vorsitzende Nina Wolff.
Tatsächlich sind die Chef*innen Multiplikator*innen zwischen Erzeugung, Verarbeitung und Gast. Indem sie vielfältige, frische und regionaltypische Lebensmittel mit kurzen Transportwegen einsetzen , tragen sie zum Schutz von Mensch, Tier, Umwelt und Klima bei. Dieses Engagement habe Vorbildcharakter und verdiene Wertschätzung, sagt Witt. „Wenn diese ‚Netzwerkgastronomie‘ weiter wächst, sich ihr immer mehr Köch*innen der Außerhausverpflegung anschließen, gewinnen wir an Strahlkraft und ermutigen eine wachsende Anzahl an Menschen, ganzheitlich gesunde Ernährung mit guten Grundnahrungsmitteln auch in den eigenen vier Wänden umzusetzen. Wir brauchen diesen Dominoeffekt für die so wichtige Ernährungswende.“
Ernährungswende positiv aufladen
Ähnlich sieht es Nina Wolff an diesem Tag. „Die Gastronomie hat eine ganz wichtige Bedeutung für den notwendigen Wandel hin zu einer Ernährungsweise, die in Einklang steht mit der Belastbarkeit des Planeten.“ Denn der Gastronomie könne es gelingen, diese Ernährungsweise nicht nur praktisch umzusetzen – sondern auch positiv aufzuladen. „Diese Angemessenheit steht eben nicht im Gegensatz zu Genuss“, sagt Nina Wolff. Und Witt ergänzt: „Die Bedeutung des Lebensmittelsystems für die globale Zukunft wird unterschätzt, und dafür sind wir Botschafter*innen, die das mit Leben füllen.“
Sebastian Junge ist einer der Köche, die das ganz praktisch umsetzen. Er ist nicht nur Mitglied in der Chef Alliance, sondern mit seinem Hamburger Lokal Wolfs Junge auch einer der Shooting-Stars unter den jungen, nachhaltigen Köch*innen im Norden. Sein regionales Fine Dining, komplett in Bio-Qualität, vereint Nachhaltigkeit und Genuss. Er sagt: „Mit Freude am Handwerk kann man Menschen begeistern. Zeigen, was es heißt, sich mit Produzent*innen auszutauschen, wie Lebensmittel aus der Region schmecken, was Handwerk leisten kann. Das sorgt für Begeisterung und Genuss.“
Die Genussführer-App weist den Weg
Genau das ist ja auch das Hauptziel der Chef Alliance, in der sich nachhaltig arbeitende Chefs und Chefinnen unter dem Dach von Slow Food versammeln. Sie haben bereits vor Jahren damit begonnen, den Genuss um die Verantwortung zu ergänzen. Dass sich immer mehr auf diesen Weg machen, spiegelt sich im stetig wachsenden Netzwerk der Chef Alliance sowie im Genussführer wieder. Beides sind wichtige Orientierungshilfen bei der Suche nach Gastronom*innen, die nachhaltig wirksam sind; die neue Genussführer-App ebnet den Weg mit nur wenigen Klicks. „Wir hoffen, dass Verbraucher*innen die App nutzen, um die Gastronomie nach den langen herausfordernden Monaten des Lockdown zu unterstützen“, erklärt Wieland Schnürch, Leiter des Genussführer-Herausgeberteams.
Für Sebastian Junge geht Ganzheitlichkeit aber noch über die eigentliche Küche hinaus. „Wir wollen umfassend nachhaltig arbeiten, das geht bis dahin, wie sich ganze Abläufe nachhaltig gestalten lassen“, sagt er. Gerade solche Betriebe, da sind sich die Teilnehmenden des Slow-Food- Pressegesprächs einig, braucht es in der Gastronomie vermehrt. Aber gerade diese hatten es in den Corona-Monaten besonders schwer. Denn viele nachhaltige Gastronomie arbeitet oft immer noch finanziell unter angespannten Verhältnissen – weil sie mit allen Partner*innen fair umgehen, dennoch aber in Teilen im Preiswettbewerb stehen, sind oft keine großen Rücklagen möglich.
Verbraucher*innen und Politik gefordert
Das muss sich ändern. Sebastian Junge sagt mit Blick auf die Gäste: „Wir brauchen auch ein Umdenken in Sachen Bezahlung: handwerkliche Arbeit kostet eben und das muss auch wertgeschätzt werden.“ Auch Nina Wolff will sich dafür einsetzen, dass Verbraucher*innen den besonderen Einsatz von nachhaltigen Gastronom*innen wertschätzen.
Ohne politische Unterstützung jedoch führt das nicht zum Ziel. „Die Hilfen aus der Politik reichen nicht, wir brauchen auch ein Zeichen“, sagt Jens Witt. „Das wird interessant, wie die Politik sich in Sachen Gemeinschaftsverpflegung positionieren wird. Aber es geht schon auch nicht nur um Geld. Da geht es auch um den Umgang miteinander und die gegenseitige Wertschätzung.“ Um nachhaltigen Gastronom*innen ihre wichtige Arbeit zu erleichtern, fordert Slow Food politische Unterstützung und Förderung. Nina Wolff ergänzt: „Seit der Corona-Pandemie genießt Regionalität wieder einen höheren Stellenwert. Daraus solle die Politik Schlussfolgerungen ziehen und Anreize für Gastronomie und Erzeugung setzen, vermehrt Regionales anzubieten“.
Weitere Informationen zum Tag der nachhaltigen Gastronomie 2021 finden Sie >> hier
]]>Bopparder Krächer, Geldklose, Perle von Filsen, Westfälische Braune Leber oder Minister von Podbielski – alte Kirschsorten mit diesen klangvollen Namen suchen die meisten Verbraucher*innen heute vergeblich. Dabei prägten Kirschbäume bis in die 1960er Jahre hinein maßgeblich das Landschaftsbild des Oberen Mittelrheintals. Insgesamt zählt die Region fast 90 Kirschsorten, die ältesten stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Diese Vielfalt und die passenden klimatischen Bedingungen machten das Mittelrheintal zu einem der größten Kirschanbaugebiete Deutschlands. Der wirtschaftliche Erfolg des ‚Kirschbooms' prägte das Alltagsleben vieler Familien; Kirschmärkte und -feste dominierten das Dorfleben. Aushängeschild der Mittelrhein-Kirschen war die 'Geisepitter'; sie ist für einheimische Gourmets bis heute die beste Einkochkirsche.
Mit den veränderten Ansprüchen des Handels, seiner Nachfrage nach einheitlicher, transportfester Ware sowie sinkender Abnahmepreise v. a. durch südeuropäische Konkurrenz fand die Ära der Mittelrhein-Kirschen in den 1960er Jahren sukzessive ein Ende. Inzwischen sind nach Erhebungen durch Dr. Annette Braun-Lüllemann allein über 80 Prozent der Süßkirschsorten gefährdet. Auch das Wissen um die alten Sorten geht verloren, weil die meisten der alten Obstanbäuer*innen im Rentenalter oder schon verstorben sind.
Diesen kulturellen und kulinarischen Verlust möchte der Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal aufhalten und entwickelte dafür u. a. eine Spezialitätenmarke für Kirscherzeugnisse aus der „Mittelrhein-Kirsche". Passionierte Kirschfreund*innen und Erzeuger*innen stärken mit Picknicks und Genuss-Wanderungen entlang des „Kirschenpfads Filsen" das Bewusstsein für die Region als traditionelle Obstbauregion. Hinzu kommen Schnitt- und Pflegeseminare sowie Bildungsangebote für Schulen.
Dieses Engagement unterstützt auch Slow Food Deutschland ab sofort. Produkte, die zu 100 Prozent aus den in die Arche aufgenommenen Sorten bestehen, können mit der Arche des Geschmacks beworben werden. Gerhard Schneider-Rose, Leiter der Arche-Kommission, begründet das Slow-Food-Engagement für die Kirsche: „Es ist heute richtig schwierig, frische Kirschen zu kaufen, die weder durch halb Europa gereist sind noch dem Standard von groß, makellos und lange haltbar entsprechen. Diese Umstände unterstreichen aus Slow-Food-Sicht die Leistung des Zweckverbands Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal sowie die Notwendigkeit zu handeln. Er hat ein beispielhaftes Netzwerk mit Vertreter*innen aus Gartenbau, Obstverarbeitung, Tourismus und Bildung geknüpft. Das lässt auf eine zeitgemäße Wiederbelebung der Tradition hoffen."
» Details zur den Traditionellen Kirschsorten inkl. Bezugsquellen.
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Es kommt in den besten Haushalten vor. Die weiche Möhre, die trockene Brotkante, der abgelaufene Joghurt, die matschige Tomate – sie wandern in den Abfalleimer, obwohl sie mit ein bisschen Fantasie und Kocherfahrung durchaus noch hätten verwertet werden können. Etwa zehn Prozent des Haushaltsmülls, so Schätzungen, sind essbare Lebensmittel.
Doch Lebensmittelverschwendung ist immer auch eine Verschwendung der wertvollen Ressourcen Boden, Wasser und Energie. Außerdem haben Ernährung und Landwirtschaft einen großen Einfluss auf die Erderwärmung – je mehr produziert wird, umso stärker sind die Auswirkungen auf den Klimawandel. „Wir essen auf fürs Klima“ hieß folgerichtig der vierte und letzte politische Online-Kochkurs, zu dem die Slow Food Youth eingeladen hatte. Der Abend war Teil der Kampagne „Zukunft würzen: Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt!“, mit der Slow Food und die Slow Food Youth für eine Transformation unseres Ernährungssystems eintreten.
Verantwortung liegt nicht nur bei den privaten Haushalten
Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO gehen jährlich etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel zwischen Acker und Teller verloren. Die Verantwortung liegt also nicht nur bei den privaten Haushalten, das machte Valentin Thurn, Dokumentarfilmer sowie Regisseur und Produzent des 2011 erschienenen Films „Taste the Waste“, direkt anfangs in seinem inhaltlichen Beitrag zum Abend klar. Die Bäuer*innen ernten die Felder nicht komplett ab, sondern pflügen krummes oder unansehnliches Gemüse einfach unter. In vielen der Bäckereien sind bis kurz vor Ladenschluss die Regale voll bestückt, obwohl so viel gar nicht mehr verkauft werden kann. Supermärkte werfen immer noch Lebensmittel weg, die unansehnlich geworden sind oder das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben. „Da hat sich in den vergangenen zehn Jahren seit Erscheinen des Films leider nicht viel getan“, bedauerte Thurn. „Obwohl das Problembewusstsein deutlich gewachsen ist, verharren wir in Deutschland bei der Lebensmittelverschwendung weiter auf einem hohen Niveau.“
Dabei ist es Ziel der Bundesregierung, der EU und der Vereinten Nationen, die Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren. Es wird also höchste Zeit, dafür etwas zu tun. In Frankreich, Belgien oder Tschechien gibt es beispielsweise schon Gesetze, die es Supermärkten untersagen, essbare Lebensmittel in den Abfall zu geben. Aber auch ohne gesetzliche Vorschriften sei viel machbar, meinte Thurn: „Mit ökonomischen Anreizen wie Steuerersparnissen lässt sich die Wirtschaft gut beeinflussen. Unternehmen, die weniger wegwerfen, könnten finanziell belohnt werden. Und umgekehrt: Wer viel wegwirft, der muss eben dafür bezahlen.“
Früher galt es vielen als Sünde, Essen wegzuwerfen
Weniger volle Regale wären vielleicht die Folge, für deutsche Verbraucher*innen ein ungewohnter Anblick. Aber gerade das übergroße Angebot in den Supermärkten, Discountern und anderen Lebensmittelgeschäften verführe ja auch zum Kaufen. Warum nachdenken, was wirklich gebraucht wird, wenn alles jederzeit in großen Mengen verfügbar ist? Und da kommen dann doch wieder die privaten Haushalte ins Spiel. Nach einer vom Bundesernährungsministerium in Auftrag gegebenen Studie wirft jede*r Deutsche etwa 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg – was zusammengerechnet die stolze Summe von über 6 Millionen Tonnen ergibt.
„Für meine Mutter war das Wegwerfen von Essen noch Sünde, sie hatte den Hunger am eigenen Leib erlebt“, erzählte Valentin Thurn. Heute spielten optische Kriterien dagegen eine große Rolle: Der Apfel sieht zu schrumpelig aus, die Banane zu braun, die Kartoffel keimt – schon sind sie ein Fall für die Mülltonne. Auch Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, landeten viel zu oft im Abfall, obwohl sie noch essbar sind. „Der Slow-Food-Gründer Carlo Petrini hat schon recht, wenn er meint, dass viele Städter*innen die Fähigkeit verloren haben, gute von schlechten Lebensmitteln zu unterscheiden.“ Thurn plädierte für möglichst praktisch angelegte Kochkurse in den Schulen: „Es geht um eine kulturelle Fähigkeit, die wir zu verlieren drohen – nämlich die Fähigkeit, uns aus möglichst naturbelassenen Zutaten ein leckeres Essen zuzubereiten.“
Mit Fantasie statt mit Rezept kochen
Darum ging es dann auch im praktischen Teil des Abends: Im Kochkurs sollte aus Resten etwas geschmacklich Überzeugendes entstehen. Dem Problem, dass natürlich nicht jeder der über 60 Teilnehmer*innen die gleichen Reste zu Hause hatte, begegnete Koch Bernd Gröning vom Fabulose-Team direkt zu Beginn mit dem Ratschlag: „Vergesst das Rezept. Rezepte sind nur in Apotheken und der Patisserie wichtig. Wir kochen mit Herz und Fantasie.“ Und so ließ sich tatsächlich fast jede Zutat des eigentlichen Rezepts ersetzen – je nachdem, was gerade übrig war und verarbeitet werden musste.
Mit dem Verwerten von Resten kennt sich Gröning bestens aus, denn das Fabulose ist ein Dortmunder Pop-Up Restaurant, in dem mit Lebensmitteln gekocht wird, die sonst in der Tonne gelandet wären – weil sie nicht verkauft wurden oder nicht „schön genug“ für den Einzelhandel sind. So entstehen Mittagsangebote, 5-Gänge-Menüs oder Caterings – ein bisschen Aufklärungs- und Bildungsarbeit gibt es kostenlos dazu.
Mit Witz und angenehmer Ruhrpott-Herzlichkeit erzählten Gröning und seine Kollegin Sophia Neuendorf von ihren Erfahrungen aus der Gastronomie und dem Kochen mit Resten. Fast nebenbei köchelte die Soße auf dem Herd, wurde Gemüse in Streifen gehobelt und Dressings angerührt. Und es gab jede Menge Tipps: Aus den Gemüseschalen lässt sich noch eine schöne Brühe kochen, das Grün der Tomatenrispen bringt eine Extraportion Geschmack an die Nudelsoße, Marmeladen- oder Grillsaucen-Reste passen gut ins Salatdressing. Auch mit überreifen Bananen lässt sich viel mehr machen als nur Bananenbrot. Wer die Früchte aus biologischem Anbau kauft, kann sogar die Schale zum Essen geben: Hier lohnt sich dann doch der Blick ins Rezept…
Autorin: Birgit Schumacher
]]>Köch*innen stehen ebenso wie ihre Gäste unter dem Eindruck des Lockdowns. Dieser hat verdeutlicht: Restaurants und Lokale sind mehr als „nur" Orte des Essens und Genießens. Sie sind Orte für soziales Miteinander und die kulinarischen Visitenkarten einer Region. Es sind Orte, an denen Gastronom*innen die Brücke zwischen Bauch und Kopf schlagen können: Indem sie ihre Gäste über den Genuss für eine planetenfreundliche Ernährungsweise inspirieren. Köch*innen aus dem Slow-Food-Netzwerk haben bereits vor Jahren damit begonnen, den Genuss um die Verantwortung zu ergänzen. Dass sich immer mehr auf diesen Weg machen, spiegelt sich im stetig wachsenden Netzwerk der Chef Alliance sowie im Genussführer wieder. Beides sind wichtige Orientierungshilfen für Verbraucher*innen bei der Suche nach Gastronom*innen, die nachhaltig wirksam sind; die neue Genussführer-App ebnet den Weg mit nur wenigen Klicks. „Wir hoffen, dass Verbraucher*innen die App nutzen, um die Gastronomie nach den langen herausfordernden Monaten des Lockdown zu unterstützen", erklärt Wieland Schnürch, Leiter des Genussführer-Herausgeberteams.
Chefs und Chefinnen aus dem SFD-Netzwerk sind Multiplikator*innen zwischen Erzeugung, Verarbeitung und Gast. Der Weg zum Ursprung ihrer Lebensmittel ist für ihre Gäste transparent. Indem die Köch*innen vielfältige, frische und regionaltypische Lebensmittel mit kurzen Transportwegen bevorzugen, tragen sie zum Schutz von Mensch, Tier sowie Umwelt und Klima bei. Dieses Engagement habe Vorbildcharakter und verdiene Wertschätzung, meint Jens Witt. Er leitet die Chef Alliance: „Wenn diese ‚Netzwerkgastronomie' weiter wächst, sich ihr immer mehr Köch*innen der Außerhausverpflegung anschließen, gewinnen wir an Strahlkraft und ermutigen eine wachsende Anzahl an Menschen, ganzheitlich gesunde Ernährung mit guten Grundnahrungsmitteln auch in den eigenen vier Wänden umzusetzen. Wir brauchen diesen Dominoeffekt für die so wichtige Ernährungswende, die wir nicht aufschieben können."
Um nachhaltigen Gastronom*innen ihre wichtige Arbeit zu erleichtern, fordert Slow Food politische Unterstützung und Förderung. Stätten regionaler Wertschöpfung, vor allem die des Lebensmittelhandwerks, sind vielerorts der Industrialisierung zum Opfer gefallen. Hier braucht es eine Kehrtwende. „Seit der Corona-Pandemie genießt Regionalität bei vielen Verbraucher*innen wieder einen höheren Stellenwert. Diesem Interesse sollte die Politik Folge leisten und Anreize für verlässliche Versorgungsangebote in den Regionen schaffen", fordert Nina Wolff, amtierende SFD-Vorsitzende. Und die Verbraucher*innen? Auch sie können ihren Beitrag leisten, in dem sie bereit sind, für gute Erzeugnisse faire Preise zu zahlen.
Am Tag der nachhaltigen Gastronomie laden Köch*innen der Chef Alliance zu verschiedenen Events ein, u. a. in Hamburg, Ebersbach/Stuttgart und Holzkirchen/München (» Details).
» Informationen und Details zur Genussführer App.
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Tag der nachhaltigen Gastronomie: Am 18. Juni ist der Tag der nachhaltigen Gastronomie. Dieser wurde durch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ins Leben gerufen.
Mit Our Food Our Future setzt sich Slow Food Deutschland (SFD) gemeinsam mit 16 Partnerorganisationen für Lieferketten ein, in denen Menschenrechte und Umweltschutz respektiert werden. Insbesondere Migrant*innen arbeiten in der Lebensmittelerzeugung teils unter unwürdigen Bedingungen. Ihre Ausbeutung erhält ein Ernährungssystem, das den Klimawandel befeuert und biologische Vielfalt drastisch reduziert. Individuelle Entscheidungen bei der Wahl der Lebensmittel können Gutes bewirken, reichen jedoch nicht aus. (Globale) Agrar-Lieferketten werden von der deutschen, europäischen und internationalen Handels- und Agrarpolitik bestimmt. Daher steht Our Food Our Future für rechtlich bindende Vorschriften.
Ziel der Kampagne ist es auch, Wünsche, Wissen und Kompetenz der Verbraucher*innen Europas einzubinden, damit zukunftsfähige Lebensmittelsysteme von ihnen mitgestaltet und mitgetragen werden. Deshalb können junge Erwachsene zwischen 15 und 35 Jahren ab sofort und bis einschließlich 31. August 2021 an einem Ideenwettbewerb teilnehmen. Wie lässt sich Aufmerksamkeit für ungerechte Lieferketten schaffen? Wie lassen sich konstruktiv-progressiveVisionen entwickeln und Mitmenschen begeistern? Was können Verbraucher*innen tun, um Politik und Wirtschaft von dem ganzheitlichen ‚Gewinn‘ fairer und nachhaltiger Wirtschaftsweisen zu überzeugen? Auf Fragen wie diese suchen die Teilnehmenden Antworten und entwickeln kreative Maßnahmen. Die tragfähigsten Ideen werden prämiert und in der Kampagne umgesetzt.
Zum Ideenwettbewerb geht es >> hier.
Informationen zur Our Food Our Future finden Sie >> hier.
Our Food Our Future fordert:
Das Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.
Disclaimer:
Dieses Dokument wurde mit Unterstützung der Europäischen Union produziert. Die Inhalte dieses Dokument liegen in der alleinigen Verantwortung von Slow Food Deutschland und spiegeln unter keinen Umständen die Positionen der Europäischen Union wider.
]]>Die Vorspeise mit grünem Spargel, ein Erdbeer-Crumble zum Dessert: Die Zutaten zum Menü entsprechen der Saison und sind auch aus regionalem Anbau zu bekommen. Und trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack. Denn die körperlich anstrengende Arbeit des Spargelstechens und der Erdbeerernte wird meist von osteuropäischen Saisonarbeiter*innen gemacht. Und deren mitunter unwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen sind spätestens im vergangenen Jahr mit Beginn der Corona-Pandemie bekannt geworden.
Geändert hat sich bislang kaum etwas. Was können wir tun? Welche Lösungsansätze existieren? Wie kann ich fair produzierte Lebensmittel aus der Region erkennen? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich die Slow Food Youth in der Online-Veranstaltung „Hätte hätte faire Kette“ mit anschließendem Kochkurs. Der Abend war Teil der Kampagne „Zukunft würzen: Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt!“, mit der Slow Food und die Slow Food Youth für eine Transformation unseres Ernährungssystems eintreten.
Mindestlohn – und trotzdem stimmt die Bezahlung nicht
Eine Bestandsaufnahme über die aktuelle Situation lieferte Benjamin Luig, Koordinator der Initiative „Faire Landarbeit“, die Saisonarbeiter*innen über ihre Rechte berät. „Es ist nicht so, dass die Leute nicht wissen, worauf sie sich einlassen. In ihren Heimatländern – meist Polen, Bulgarien, Rumänien und die Ukraine – gibt es große Debatten über die Zustände. Aber das Geld lockt.“ Der deutsche Mindestlohn sei attraktiv und deutlich mehr, als zu Hause verdient werden kann.
Also stimmt wenigstens die Bezahlung der harten Feldarbeit? Eher nicht: Denn bezahlt wird in der Ernte üblicherweise nicht nach Arbeitszeit, sondern nach festgelegten Mengen, die pro Stunde erreicht werden sollen. Überstunden, die häufig anfallen, würden oft nicht richtig abgerechnet: „Manchmal wird der Lohn erst ganz am Ende der Saison ausgezahlt, wenn der Bus für die Heimfahrt schon draußen auf dem Hof steht. Da bleibt dann keine Zeit mehr, sich zu beschweren.“ Getrickst werde häufig auch bei der Summe, die für die Unterbringung einbehalten werde. Eigentlich gebe es im Rahmen des Arbeitsvertrags einen Maximalwert, der für die Übernachtungsmöglichkeit abgezogen werden darf. „Aber wenn nicht der Landwirt oder die Landwirtin selbst das Bett oder Zimmer vermietet, sondern ein*e Dritte*r, sieht das wieder ganz anders aus.“
Benjamin Luig kritisierte auch, dass Saisonarbeit bis zu vier Monaten in Deutschland als „kurzfristige Beschäftigung“ gelte. Damit seien die Arbeitgeber*innen nicht verpflichtet, für eine Krankenversicherung zu sorgen. „Nur Arbeitsunfälle sind einigermaßen abgesichert, Krankheiten oder Verletzungen dagegen nicht.“ Außerdem habe sich mit der Corona-Pandemie die soziale Isolation der Erntehelfer*innen weiter verschärft: „Es gibt nur wenig Austausch mit Einheimischen oder gar Teilhabe am sozialen Leben.“
Wer kann etwas an den Zuständen ändern?
Die Betroffenen selbst hätten kaum Möglichkeiten, ihre Situation zu ändern. Einen Betriebsrat zu wählen ist beispielsweise keine Option, weil die Saisonkräfte ja nur vorübergehend auf dem Hof arbeiten und auch nicht in der Gewerkschaft sind. Von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt werde nun wenigstens ein Rechtsschutz für die Arbeiter*innen in der Landwirtschaft angestrebt, so Luig.
Es sei auf jeden Fall die Aufgabe des Staates, die Mindeststandards beim Arbeits- und Gesundheitsschutz zu gewährleisten, betonte Prof. Dr. Regina Birner, Leiterin des Lehrstuhls „Sozialer und institutioneller Wandel in der landwirtschaftlichen Entwicklung“an der Universität Hohenheim: „Das darf nicht auf die Verbraucher*innen abgewälzt werden.“ Dazu müsste es in der Landwirtschaft aber deutlich mehr Kontrollen geben als bisher: „Im Jahr 2017 wurden nur 1,2 Prozent der Betriebe kontrolliert. Im Vergleich zum Baugewerbe, wo etwa ein Viertel der Baustellen überprüft werden, ist das eine verschwindend geringe Zahl.“
Auch die korrekte Erfassung von Überstunden auf Stundenzetteln könnte und müsste viel stärker kontrolliert werden. Allerdings, so Birner, sei die Einkommenssituation im landwirtschaftlichen Bereich ohnehin schlecht. Über die Hälfte der abhängig Beschäftigten – und dazu zählen nicht nur die Saisonarbeiter*innen – arbeiteten zu Niedriglöhnen. Das heißt: Sie bekommen weniger als zwei Drittel des für Deutschland bzw. die einzelnen Bundesländer errechneten mittleren Bruttoverdienstes.
Ein Siegel für faire Produkte aus Deutschland fehlt
Leider beschäftigten sich die großen Player im Lebensmitteleinzelhandel überhaupt nicht mit diesen und anderen Problemen der Landwirtschaft – für sie zähle nur ein möglichst niedriger Preis. „Dabei könnten sie viel bewirken, wenn sie sich zu einem gemeinsamen Vorgehen entschließen.“ Handlungsbedarf sieht die Agrarwissenschaftlerin Birner auch noch in einem anderen Bereich: „Leider gibt es noch kein Siegel für deutsche Produkte, das ein faires Miteinander und eine angemessene Bezahlung dokumentiert – ähnlich wie es das FairTrade-Label für Produkte mit Rohstoffen aus Entwicklungs- und Schwellenländern tut.“
Das machte die Beantwortung der Frage, worauf jede*r selbst beim Einkauf achten kann, nicht einfacher. Benjamin Luig hatte trotzdem einen Ratschlag: hartnäckiges Nachfragen. „Gerade bei diesen regionalen Produkten mit den kurzen Lieferketten lohnt es sich, auf den Höfen oder an den Marktständen zu fragen, wer die Ernte einbringt, wie die Arbeiter*innen wohnen, ob sie krankenversichert sind. Je mehr Leute nachforschen, desto eher wird sich etwas ändern.“
Sebastian Junge jedenfalls, der souverän durch den anschließenden Kochabend führte, wusste, woher sein Spargel für die Vorspeise und die Erdbeeren für den Nachtisch stammten. Als Gründer und Küchenchef des Hamburger Restaurants WolfsJunge verarbeitet er nur Bio-Produkte – und die kommen meistens von Höfen aus der Umgebung. Seit einiger Zeit achtet Junge, der auch Mitglied der Slow Food Chef Alliance ist, beim Einkauf für die Restaurantküche nicht nur auf die Aspekte Umwelt- und Klimaschutz, sondern fragt bei seinen Lieferant*innen auch nach den Arbeitsbedingungen der Erntehelfer*innen. „Da hat sich durch Corona der Blickwinkel nochmal geweitet.“
Der nächste thematische Online-Kochkurs zu den Forderungen für eine veränderte Ernährungspolitik:
Autorin: Birgit Schumacher
]]>Angesichts der in den Medien vorherrschenden Meinung zur Lage der Gastronomie in diesen Tagen mag die Haltung der Familie Bitzen überraschen. Wer die Inhaber des Jagdhauses Rech an der Ahr nach ihrer derzeitigen Lage fragt, bekommt zur Antwort: „Uns geht es aktuell ganz gut. Wir genießen die Zeit mit der Familie, nutzen die Energie für Fortbildung, machen Praktika und gestalten neue Ideen.“ Natürlich, auch das auf Wild-Genuss spezialisierte Restaurant und Hotel in dem kleinen Ahr-Örtchen hadert mit der Verlässlichkeit der Corona-Politik. Und natürlich bereitet der andauernde Lockdown auch hier Herausforderungen. Aber: „Wir haben eigentlich trotz Lockdowns ausreichend Projekte und Aktivitäten.“ Und dann zählen die Bitzens auf: Gerichte für Zuhause entwickelt, ein Kochbuch angegangen, den Online-Versand verfeinert, die Kooperation mit einer lokalen Metzgerei ausgebaut.
Alles gut also? Mitnichten.
Aber eben auch nicht alles aussichtslos.
So jedenfalls ist die Stimmung unter jenen Gastronom*innen in Deutschland, die sich auch vor der Corona-Pandemie schon mehr Gedanken über nachhaltige Geschäftsmodelle, ganzheitliche Küchenkonzepte oder einen besonders fairen Umgang mit ihren Partner*innen machten. Wenn sie wie die Bitzens um Küchenchef Markus Mitglied der Slow Food-Köch*innen-Vereinigung Chef Alliance sind, dann kristallisiert sich neben vielen Sorgen auch ein gewisser Optimismus heraus. „Wenn ich mich in den letzten Tagen umhöre, dann erlebe ich wenig hängende Ohren und viel Kreativität“, sagt der Leiter der Alliance, der Hamburger Koch Jens Witt. Und so spiegelt es sich auch in der Umfrage wider: Slow Food Deutschland befragte die mehr als 50 Chef-Alliance-Mitglieder zu ihrer derzeitigen Lage. Ergebnis: Der Wunsch nach mehr Verlässlichkeit in der Politik, aber auch Zuversicht, aus der jetzigen Lage etwas entwickeln zu können.
Tragfähige Netzwerke bewähren sich
Natürlich war und ist die Corona-Krise auch für die nachhaltige Gastronomie ein Stresstest. Auf der einen Seite mussten Restaurants und Catering-Services einen wesentlichen Teil der vergangenen zwölf Monate schließen, Köch*innen standen vor einer ungewissen Zukunft. Auf der anderen Seite die Erzeuger*innen und Landwirt*innen: Wohin nun mit all der Ware, die sonst in den Profiküchen verarbeitet wird? Doch das Netzwerk erwies sich als tragfähig. Beide Seiten zeigten sich kreativ- und kooperationsbereit und fanden die unterschiedlichsten Lösungen.
Etwa Küchenchef Jürgen Andruschkewitsch, der mit seiner Frau Adelheid die Rose in Eschenau im Hohenloher Land betreibt. „An den Wochenenden haben wir viele Abholspeisen“, schildert Andruschkewitsch. Gleichzeitig hat er, der etwa auch als Bio-Mentor andere Küchen berät, die Zeit für Neues genutzt. „Wir haben ein Fortbildungsangebot für Küchenfachpersonal in Produktwissen und -können entwickelt, das wir ab Herbst umsetzen möchten“, sagt er. Nur in Sachen Verlässlichkeit der Politik, da gibt es noch Nachholbedarf. Wenn Jürgen Andruschkewitsch einen Wunsch frei hätte, würde er sich eine Öffnung ab 1. April unter den schon bekannten Hygienemaßnahmen wünschen.
„Wenn Öffnung, dann nachhaltig“
Der Wunsch, nach einer langfristig berechenbaren Öffnungsstrategie zieht sich durch fast alle Einschätzungen der Slow Food-Köch*innen. Kein Wunder: Von Einkauf bis zur Personalplanung – gerade ein ganzheitlich arbeitendes Restaurant lässt sich eben nicht binnen Stunden hoch- oder herunterfahren. Schon, um den Partner*innen in der Landwirtschaft oder den Mitarbeitenden ebenfalls eine gewisse Planbarkeit zu ermöglichen.
Auch Sebastian Junge vom Hamburger Wolfs Junge spricht den Punkt Verlässlichkeit an: „Fair wäre es, wenn die Öffnung nachhaltig wäre, und wir nicht wieder nach ein paar Monaten schließen müssen.“ Gleichzeitig nutzt der Küchenchef von Wolfs Junge die Lage für neue Ideen. So beteiligt er sich an einer gemeinsamen Aktion Hamburger Gastronom*innen, die hanseatische Gourmet-Aktie, und konzentriert sich noch stärker auf die Zusammenarbeit mit regionalen Lieferant*innen. Ähnlich wie Nachbar Thomas Sampl, der in der Hamburger Hobbenköök kocht, einer Mischung aus Gastronomie und Markthalle. Er spricht von einer „sehr kreativen Zeit“.
Diese Chancen zu sehen, ist auch aus einem anderen Grund wichtig: Personal. Denn wie Menschen vermittelt werden soll, dass Gastronomie ein attraktiver Besuch ist, wenn die Betriebe von der Politik dauergeschlossen werden? Vor allem junge Menschen trifft das, weil die Bundesregierung etwa Azubis überhaupt nicht unterstützt. Immerhin sind hier die Chef Alliance-Betriebe ebenfalls im Vorteil: Die meisten haben sich für ihre Jüngsten in der Küche Lösungen einfallen lassen – von der Mitarbeit an Abholkonzepten bis zur Mitarbeit bei befreundeten Bauernhöfen. Und das, obwohl die versprochenen Hilfsgelder seit Beginn des zweiten Lockdowns deutlich zäher und unzuverlässiger flossen als im ersten Lockdown vor einem Jahr.
Trendwende zur Qualitätsgastronomie?
Gerade die Zeit zwischen den beiden Lockdowns im vergangenen Sommer hat vielen nachhaltig arbeitenden Gastronom*innen, wie sie in der Chef Alliance zusammengeschlossen sind, auch Hoffnung gemacht. Womöglich, ist hier und da zu hören, diene die Krise ja wirklich dazu, vor allem jene Betriebe zu stärken, die von jeher nachhaltiger arbeiten. Wer gewachsene Lieferant*innen-Netzwerke hat, eine gepflegte Stammkundschaft und eine realistisch errechnete Kalkulation, dürfte jedenfalls besser durch diese Monate kommen.
Alliance-Leiter Jens Witt hat etwa bei Markus Keller von Wern’s Mühle im Saarland erfahren, wie stark die Gästezahl im vergangenen Sommer zunahm. Vor allem auch der Anteil neuer Gäste. „Es gibt also vorsichtige Anzeichen, dass sich das Gästeverhalten doch ändert“, sagt Jens Witt. „Die nachhaltig wirtschaftende Gastronomie könnte unter Umständen also gestärkt aus der Krise herausgehen.“
Autor: Sven Prange
]]>Der überwiegende Teil der Fische, Garnelen und Muscheln auf den Tellern der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher wird aus aller Welt importiert. Seit Jahren wächst die Importabhängigkeit Deutschlands bei Fischprodukten und verweist damit auf den nach wie vor schlechten Zustand vieler Fischbestände in Nord- und Ostsee und auf eine weiterhin mangelhafte Umsetzung wissenschaftlicher und gesetzlicher Vorgaben für eine nachhaltige Fischerei. Eine erhebliche Menge importierten Fischs stammt aus Gewässern von Entwicklungsländern und gefährdet die dortige Ernährungssicherung, auch wenn Fischexporte armen Ländern zum Teil notwendige Einnahmen sichern. Doch neben der bestehenden Überfischung werden auch Versauerung und Erwärmung der tropischen Ozeane die küstennahen Fischbestände in den nächsten Jahren weiter reduzieren. Eine große Gefahr für Millionen von Menschen, die diese Fischgründe zur direkten Versorgung und für ihren Lebensunterhalt brauchen.
Zwar liegt der Verzehr von Fischprodukten in Deutschland 2019 mit 13,2 Kilogramm pro Kopf deutlich unter dem Weltdurchschnitt von über 20 Kilogramm, doch das Missverhältnis zum deutschen Fangertrag wird sich durch die Klimaveränderungen in Ost- und Nordsee noch weiter vergrößern. Fischerei und Klimapolitik müssen enger verknüpft werden. Schon heute zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, wie ohnehin belastete Meeresökosysteme und ihre Lebewesen durch die Klimaveränderungen weiter unter Druck geraten. So gibt es zum Beispiel immer weniger Hering in der Ostsee, weil die warmen Winter ihre Fortpflanzung beeinträchtigen. Überfischung und Klimawandel verstärken sich weltweit gegenseitig und verlangen mehr denn je eine neue Fischereipolitik, die die marinen Ökosysteme als Ganzes betrachtet.
Schon jetzt sind die Einbrüche bei den Fangerträgen dramatisch und Fischereien stehen vor dem Aus. Fischarten haben begonnen ihre Verbreitungsgebiete zu verlagern, ihre Biorhythmen zu verändern und ihre Körpergröße an die steigende Meerestemperatur anzupassen. Diese Folgen des Klimawandels sind mittlerweile überall in den Ozeanen zu beobachten. An die handwerklichen Fischer mit ihren kleineren Booten stellt dies die größten Herausforderungen: Sie müssen weiter hinaus aufs Meer, benötigen mehr Treibstoff und mehr Vorräte, neues Fanggerät, das dazu erforderliche Kapital. Ihre Fangfahrten werden aufgrund der vermehrten Unwetter noch risikoreicher.
Francisco Mari, Referent für Agrarhandel und Fischerei bei Brot für die Welt, sagt: „Nahrung aus den Weltmeeren muss auch in Zeiten der Klimaveränderungen als proteinreiches Angebot und zum Lebensunterhalt von Menschen im Globalen Süden erhalten bleiben. Während Fischkonsum bei uns zum Luxus werden könnte, darf es dazu in Entwicklungsländern niemals kommen, denn Fisch ist einer der wichtigsten Proteinlieferanten für Millionen Menschen entlang der Küsten. Die Industriestaaten müssen ihre Maßnahmen zur CO2-Reduzierung dringend verschärfen, aber auch Überfischung und illegale Fischerei stoppen. Die Schäden und Verluste durch den Klimawandel in der handwerklichen Fischerei sowie Anpassungsmaßnahmen müssen durch internationale Ausgleichsfonds kompensiert werden.“
Nina Wolff, die amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland, sagt: „Klima- und Meeresschutz sind untrennbar miteinander verbunden. In Zeiten des sich immer offensichtlicher manifestierenden Klimawandels ist Überfischung endgültig tabu. Ein verantwortungsvolles Fischereimanagement muss heute in erster Linie der Widerstandsfähigkeit des jeweiligen Meeresökosystems gegenüber klimatischen Veränderungen dienen. Bei der Aufteilung kleiner werdender Fangmengen sollten handwerkliche Fischer mit möglichst umweltschonenden Fangmethoden grundsätzlich bevorzugt werden.“
Kai Kaschinski, der Vorsitzende von Fair Oceans, sagt: „Die ökologischen Auswirkungen des marinen Klimawandels verändern die Ozeane sehr grundlegend. Eine Entwicklung, der nicht national Einhalt geboten werden kann. Die internationale Fischereipolitik muss die Probleme, die mit dem Klimawandel einhergehen, deshalb grenzüberschreitend und in enger Kooperation lösen. Klimagerechtigkeit ist hierbei unerlässlich. Dazu gehört, dass die Küstengemeinden im globalen Süden, die laut der Prognosen des Weltklimarats am stärksten von den Folgen betroffen sein werden, umfassend durch entwicklungs- und klimapolitische Programme unterstützt werden bei ihrem Kampf gegen schwindende Fangerträge und den Untergang ihrer Siedlungen in den steigenden Fluten.“
Anlässlich des End of Fish Days 2021 veranstaltet Slow Food eine Lesung mit Diskussion am 19.03. Details zur Vearnstaltung finden Sie >> hier
Seit 1983 wird alljährlich der Weltverbrauchertag begangen, um den Schutz der Rechte von Verbraucher*innen zu stärken. In Anbetracht der globalen Herausforderungen durch Klimawandel, Artensterben, Zerstörung fruchtbarer Böden und Pandemie, ist es aus Sicht von Slow Food jedoch an der Zeit, den Verbraucher*innen-Begriff einmal grundlegend zu überdenken. Dazu gehört es, die Konsummuster der letzten Jahrzehnte zu reflektieren und neu zu schreiben. Denn diese heizen einen übermäßigen Verbrauch an. Wir Verbraucher*innen berauben uns so zunehmend unserer eigenen Lebensgrundlagen – auch durch die Art und Weise uns zu ernähren.
„Die Logik des Verbrauchs unserer Lebensmittel steht im Widerspruch zur notwendigen Achtung der planetaren Grenzen.", sagt Nina Wolff, amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland (SFD). „Deshalb muss eine zukunftsintelligente Gestaltung der Ernährungwelt an die Stelle des Verbrauchs treten. Und wir Verbraucher*innen können und sollten dabei aktive Mitgestalter*innen sein.” Gestalten statt Verbrauchen bedeutet aus Sicht von Slow Food, dass sich Menschen vorwiegend aus regionalen Netzwerken und im Einklang mit den planetaren Grenzen ernähren. Bürger*innen können eine nachhaltige Zukunft mitgestalten, indem sie regionale, saisonale und ökologisch produzierte Erzeugnisse einkaufen und akzeptieren, dass ständige Verfügbarkeit und Überfluss weder für eine gesunde noch für eine genussvolle Ernährung nötig und förderlich sind. Aus Sicht von Slow Food liegt in der Post-Corona-Zeit die Chance, dieses ‚Umdenken‘ zu beschleunigen.
Für mehr Fairness und Durchblick
Der enorme Preisdruck im Lebensmittelsystem führt zu neuen Formen der Ausbeutung. In der Obst- und Gemüseernte sprechen Expert*innen von neuen Formen der Sklaverei in Europa, Corona-Ausbrüche in Schlachtbetrieben haben ein Schlaglicht auf die teils unwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten vor unserer Haustür geworfen. Hier sind wir gefordert, durch unser Handeln als Gestalter*innen einer gerechten Lebensmittelwelt aktiv zu werden und ausbeuterische Praktiken nicht länger mitzutragen – weder in Supermärkten, noch in Wahlprogrammen. Auch Transparenz und Aufklärung sind die Basis für die nachhaltige Gestaltung unserer Lebensmittelwelt. „Menschen haben das Recht zu erfahren, was in ihren Lebensmitteln steckt“, so Lea Leimann, SFD-Vorstandsmitglied. „Das gilt nicht nur für Inhaltsstoffe, sondern auch für Anbau und Produktionsbedingungen.“ Aufklären würden hier „wahre Preise“. Denn die Preise z.B. für “Billig-Fleisch” spiegeln bei weitem nicht die (Folge-)Kosten der Erzeugung wider. „Solche systemischen Schieflagen müssen offengelegt werden, um den Menschen bewusste Entscheidungen zu erleichtern,“ fordert Leimann.
Das an vielen Stellen sich wandelnde Selbstverständnis der Menschen, gerade innerhalb der jungen Generation begrüßt Slow Food. Der Verein möchte mehr Menschen ermutigen, sich von ihrer Rolle als Verbraucher*innen zu emanzipieren und stattdessen zu Gestalter*innen einer zukunftsfähigen Lebensmittelwelt zu werden.
]]>Während in der Vergangenheit Weingüter fast ausschließlich von Männern geführt wurden, nehmen immer mehr gut ausgebildete, kreative Frauen Einfluss auf die Weinwelt. Noch vor 30 Jahren betrug der Frauenanteil beim Studium Kellerwirtschaft und Weinbau an der Hochschule in Geisenheim unter 10 Prozent, heutzutage sind es fast 30 Prozent Frauen, die diesen Weg gehen. In den Studienfächern Internationale Weinwirtschaft und Marketing sind die Frauen inzwischen sogar in der Mehrheit. Bei der praktischen Winzer*innen-Ausbildung sind aktuell 26 Prozent der Lehrlinge Frauen. Nicht zuletzt die Qualität ihrer Weine sowie zahlreiche Preise und Auszeichnungen bestätigen sie in ihrem Tun. Frauen stehen nicht selten exemplarisch für eine neue Wein-Generation: Ökologischer Anbau, Nachhaltigkeit im Weinberg und im Keller, Mut zu neuen und alternativen Rebsorten wie den Pilzwiderstandsfähigen Sorten (PIWIS) sind ihnen ebenso wichtig, die Pflege der biokulturellen Vielfalt liegt ihnen am Herzen. Sie bauen alte Sorten an und unterstützen den handwerklichen Ausbau von Wein.
Trotzdem sind Frauen in der Weinwelt noch immer in der Minderheit. Der Abend mit den Winzerinnen zeigte ihre große Solidarität untereinander, trotz unterschiedlicher Generation und verschiedener Werdegänge
Folgende Frauen und ihre Weine wurden von der Moderatorin und Sommelière Susanne Salzgeber vorgestellt
Eva-Maria Köpfer, Sommelière und Geschäftsführerin des Weingutes April (Baden), präsentierte ihren Auxerrois trocken 2020. Das Bio-Weingut mit langer Tradition ist Ecovin zertifiziert und liegt direkt am Kaiserstuhl in Baden. Der Auxerrois zählt zu den weißen Burgunder-Rebsorten. Er ging aus einer natürlichen Kreuzung von Pinot und Weißem Heunisch hervor. Namensgebend ist die französische Stadt Auxerre in der Region Bourgogne-Franche-Comté, was auch auf einen französischen Ursprung hinweist.
Hanneke Schönhals, Inhaberin des Weingutes Schönhals (Rheinhessen), präsentierte ihren Saphira trocken 2020. Das Bio-Weingut Schönhals, das Hanneke Schönhals 2018 von ihrem Vater und Bio-Pionier Eugen übernahm, arbeitet seit über 30 Jahren ökologisch. Es ist Ecovin und Demeter zertifiziert. Weine aus Piwis (Pilzwiderstandsfähige Rebsorten) sind ihre Spezialität.
Saphira ist eine pilzwiderstandsfähige Rebsorte und – wie der Name schon sagt – besonders widerstandsfähig gegen Krankheiten und klimatische Veränderungen, ihr Anbau verringert zudem den CO2-Ausstoß.
Dr. Eva Vollmer, Inhaberin des Weinguts Eva Vollmer (Rheinhessen), präsentierte ihren Weißburgunder Gutswein trocken 2019. Eva Vollmer macht seit 2007 ihre eigenen Weine, promovierte zum Thema Pflanzenschutz in Steillagen und arbeitet von Beginn an ökologisch und Ecovin zertifiziert. Mit Hanneke Schönhals gemeinsam hat sie sich im Kampf gegen den Klimawandel zusammengetan, um bald nur noch Zukunftsweine zu pflanzen. (www.zukunftsweine.de)
Martina Bernhard, Mit-Inhaberin des Weinguts Bernhard (Rheinhessen), präsentierte ihren Wilde Hilde Rosé trocken.
Das Weingut Bernhard, das von Martina und ihrem Vater gemeinsam geführt wird, konnte den Jahrgang 2020 zum ersten Mal als bio-zertifiziert kennzeichnen. Sie sind Mitglied bei Ecovin und arbeiten vorrangig biodynamisch. Die Wilde Hilde ist eine Cuvée aus Spätburgunder und Sankt Laurent. Martina hat eine eigene Frauen-Weinlinie herausgebracht, die Frauen in Ländern des globalen Südens durch Spenden unterstützt (www.sisters-in-wine.de).
Lotte Becker, Inhaberin der Weinguts Brüder Dr. Becker (Rheinhessen), präsentierte ihren Spätburgunder VDP.Gutswein trocken 2019.
Das Weingut Dr. Becker gehört zu den ersten VDP-Weingütern, die biozertifiziert waren, arbeitet schon seit mehr als 30 Jahren ökologisch und ist von Ecovin sowie Demeter zertifiziert. Der Spätburgunder, geprägt vom Kalkboden, wurde im traditionellen großen Holzfass für 12 Monate ausgebaut. Lotte ist eine Bio-Pionierin in Deutschland.
Julia Weckbecker, Mit-Inhaberin des Weinguts Weckbecker (Mosel) und Geschäftsführerin des Bernkasteler Rings e.V. präsentierte ihren Riesling Hatzenporter Burg Bischofsheim feinherb 2019. Sie hat inzwischen 30 Prozent der Steillagen des elterlichen Weingutes an der Terrassenmosel auf ökologischen Weinbau umgestellt. Der Riesling feinherb ist vom kalkhaltigen Schiefer-Boden geprägt.
Zu den Weinen wurden gemeinsam mit Lea Leimann, die als Vorstandsmitglied von Slow Food Deutschland an der Veranstaltung teilnahm, Käse- und Speiseempfehlungen diskutiert und zum Schluss auf die Gleichberechtigung der Geschlechter angestoßen: Auf dass alle Frauen weltweit die gleichen Rechte und Chancen bekommen! Prost!
Autorin: Susanne Salzgeber
]]>Zum Wochenanfang hatte Bäckermeister Heiner Beck mit seinem Team die Laibe gebacken und anschließend von der Schwäbischen Alb quer durch die Republik verschickt. Am Donnerstag kamen die Pakete bei den Teilnehmenden an. Am Freitagabend fand die Online-Verkostung von Slow Food Deutschland zum Thema „Getreide fest und flüssig“ dann statt – und so mancher der über 1.000 Teilnehmenden wunderte sich, wie angenehm frisch die vier verschiedenen Brote noch schmeckten.
Das liege an der Teigführung, erklärte Beck: „Wenn ein Brot Zeit gehabt hat, lange zu gehen, kann es Wasser aufnehmen und binden.“ Die Teigruhe ist dem „Bäckermeister aus Leidenschaft“ wichtig. Ebenso viel Wert legt er darauf, hauptsächlich regionale Zutaten zu verarbeiten: „Ich schau immer, dass ich das von der Schwäbischen Alb irgendwie zusammen bringe.“ Sein Netzwerk von Landwirt*innen und Müller*innen, die ihn beliefern, hat sich Beck im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgebaut. „Dinkel wurde hier in unserer Gegend eigentlich traditionell angebaut, irgendwann aber vom ertragsstärkeren Weizen verdrängt.“ Anfang der 1990er Jahre hat Beck dann wieder Bäuer*innen vom Dinkel-Anbau überzeugt. Heute bezieht die Bäckerei mit ihren 20 Filialen nicht nur ihren gesamten Dinkel aus der Region, sondern auch alle anderen Getreidesorten und sogar den Leinsamen.
Die regionalen Gegebenheiten berücksichtigen
Dabei galt die Schwäbische Alb lange als karge und landwirtschaftlich nicht gerade attraktive Gegend. „Wir haben hier eine nur etwa 15 bis 20 Zentimeter dicke Bodenschicht, dann beginnt der kalkige Untergrund“, erklärt der Biolandwirt Franz Häußler. Auch die Höhenlage von 500 bis 800 Metern mache den Anbau schwieriger. Mit Sorten, die sowohl zu den regionalen Gegebenheiten als auch zum ökologischen Landbau passen, sei es trotzdem möglich, gute Erträge zu erzielen. Wichtig sei für die Bäuer*innen aber natürlich, dass sie zuverlässige und faire Abnehmer*innen haben. „Eine gute Kommunikation ist hier ganz wichtig und gehört für mich auch zur Lebensqualität.“
Heiner Beck jedenfalls kennt alle seine Zuliefer*innen und schätzt ihre Arbeit. Auch deshalb hat er sich an der Aktion Boden-Brot beteiligt, die vom Verein Die Freien Bäcker initiiert wurde und von Mitte Januar bis Ende Februar lief. Mit dem Boden-Brot wollen der Verein und die teilnehmenden Bäcker*innen darauf aufmerksam machen, dass eine der grundlegenden Voraussetzungen für ein gutes, gesundes Brot ein fruchtbarer Boden ist. „Doch die Bodenfruchtbarkeit ist in Gefahr – durch den Klimawandel, aber auch durch die zunehmende Versiegelung von Flächen sowie die dramatischen Humusverluste“, warnt Anke Kähler, Vorsitzende der Freien Bäcker. „Es ist wichtig, dass wir die Bäuer*innen auch dafür bezahlen, dass sie durch eine nachhaltige Bewirtschaftung die Bodenfruchtbarkeit erhalten und verbessern.“ Mit jedem verkauften Boden-Brot geht eine Spende an die neu gegründete Bildungsorganisation Atelier Ernährungswende, die interessierte junge Menschen zu Bodenexpert*innen ausbilden soll. Diese werden ihr Wissen dann in Berufsschulen und Betrieben weitergeben.
Neuzüchtungen und alte Sorten
Für sein Boden-Brot hat Heiner Beck eine Mehlmischung aus Dinkel, Weizen und Lichtkornroggen gewählt – letztere ist eine Roggensorte, die zwar neu gezüchtet wurde, sich aber an alten Vorbildern orientiert. Denn früher gab es häufig Roggensorten mit hellen Körnern und milderem Geschmack. Dr. Bertold Heyden, Leiter des Keyserlingk-Instituts für Saatgutforschung und Getreidezüchtung im biologisch-dynamischen Landbau, beschäftigt sich beruflich mit solchen Neuzüchtungen und betont: „Der ökologische Landbau, der eben nicht mit mineralischem Dünger arbeitet, muss sich stärker auf die regionalen Bodengegebenheiten einstellen und braucht deshalb andere Sorten als die konventionelle Landwirtschaft.“
Doch auch alte Sorten erfüllen oft die Erwartungen – und führen zu ganz neuen Geschmackserlebnissen. Braumeister Maximilian Krieger vom Riedenburger Brauhaus stellte ein Bier vor, das aus dem historischen Urgetreide Emmer hergestellt wird. Die alte Weizenart gibt dem unfiltrierten, kastanienbraunen Bier eine malzige Karamellnote. Krieger bezieht nicht nur den Emmer aus der Region, sondern hat auch Hopfenbäuer*innen, die für ihn anbauen. Das Historische Emmerbier ist nur eines aus der Angebotspalette des Riedenburger Brauhauses: „Geschmäcker sind bekanntlich unterschiedlich, und das ist auch gut so.“ Eines ist für Maximilian Krieger aber nicht verhandelbar: Seine Rohstoffe kommen allesamt aus biologischem Anbau. Und mittlerweile alle aus der Region rund um das niederbayrische Altmühltal: „Wir arbeiten mit rund 35 Bäuer*innen zusammen, sind an kontinuierlichen Beziehungen interessiert und zahlen gute Preise.“
Viel Zeit ist auch beim Bier gut für den Geschmack
Auch der Inhaber der Berg-Brauerei in Ehingen, Uli Zimmermann, setzt zu 100 Prozent auf Braugetreide aus der näheren Umgebung. Der Braumeister präsentierte ein 3-Korn-Hefeweizen aus Weizen-, Gersten- und Dinkelmalz, das mit einem weichen, fruchtigen Geschmack überraschte. „Vor etwa 40 Jahren ging es unserer Brauerei schlecht und wir mussten überlegen, wie wir weitermachen. Die Idee war dann, Biere jenseits des Mainstreams zu brauen. Heute klingt das logisch, damals nicht unbedingt.“ Vieles hat sich seitdem verändert, an einigen alten Brautraditionen hat Zimmermann aber festgehalten. So werden alle Biere der Berg-Brauerei in offenen Bottichen vergoren: „Das dauert zwar länger als ein herkömmlicher Brauvorgang, tut dem Bier aber gut“, erklärt Zimmermann. Denn viel Zeit sei gut für den Geschmack: „Das gilt beim Bier genauso wie beim Brot.“
Anders als Zimmermann und Krieger, deren Brauereien seit vielen Generationen im Familienbesitz und -betrieb sind, hat Felix vom Endt erst vor vier Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht und die kleine Craft Beer Brauerei Orca Brau in Nürnberg gegründet. Vom Endt produziert derzeit „nur“ 500 bis 800 Hektoliter jährlich, dafür aber 150 bis 160 Sorten. Er experimentiere eben gerne beim Brauen: „Orca Brau versteht sich als handwerklich und traditionell, aber auch als innovativ. Das eine schließt das andere nicht aus.“ Der Geschmack gehe dabei „von einfach bis fordernd“. Das untergärige Fränkische Landbier von Orca Brau war weder das eine noch das andere Extrem – aber mit seinem Malz der fränkischen Landgerste und dem vor Ort angebauten Hopfen ein Beispiel dafür, dass auch junge Brauer*innen wie vom Endt sich der Regionalität verpflichtet fühlen.
Autorin: Birgit Schumacher
]]>Wenn man Heinz und Renate Bursch nach Fairness auf ihrem Betrieb fragt, verweisen sie auf ihre Mitarbeiter*innen. Die Geschwister, die in Bornheim bei Bonn einen biodynamischen Gemüse- und Obsthof bewirtschaften, können dann von Löhnen über dem Mindestlohn, verlässlichen Anstellungsverhältnissen oder kostenlosem WLan für Saisonarbeiter*innen berichten. Wenn man Theo und Frieda Degener nach Fairness auf ihrem Betrieb fragt, verweisen sie auf ihre Kühe. Die Betreiber des Klosterguts Heiningen im nördlichen Harzvorland berichten dann von deren Bedürfnissen, deren Interessen und warum nur fair behandelte Mitarbeiter*innen auch fair mit Tieren umgehen. Und wenn man Jürgen Maier nach Fairness in der weltweiten Landwirtschaft fragt, lacht der Entwicklungsexperte und Geschäftsführer des Berliner Forums Umwelt und Entwicklung erstmal. „Fairness, das ist ein ziemlich schillernder Begriff“, sagt er. Und führt dann aus, warum es dieser in unserer Land- und Lebensmittelwirtschaft so schwer hat.
Fairness ist nicht Ansichtssache, wohl aber Auslegungssache. Und ein Begriff, der sich wie kaum ein zweiter mit einem Fragezeichen versehen durch die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfungskette zieht. Den heimische Bäuer*innen, die sich durch Politik, Handel oder Verbraucher*innen nicht fair behandelt fühlen, bei ihren derzeitigen Protesten immer wieder anführen. Den Nichtregierungsorganisationen anmahnen, wenn sie sich etwa über die unfaire Verteilung von Agrarsubventionen echauffieren. Aber auch Bäuer*innen aus dem globalen Süden fordern Fairness ein, wenn sie nach Zugängen zu den lukrativen Märkten Europas und Nordamerikas verlangen.
Spannungsverhältnis: Sozial oder ökologisch
Das vorherrschende System jedenfalls ist in der Landwirtschaft für keinen der Beteiligten fair: Umwelt, Tiere, Mitarbeiter*innen arbeiten in einem Umfeld, das beständig Skandale produziert und an seine Grenzen stößt. Wie auch Klima- und Artenkrise, die eng mit der industriellen Landwirtschaft verknüpft sind, zeigen. Doch die Landwirt*innen profitieren nicht mal von dem System. Auch ihnen gegenüber ist es unfair: Die Zahl, gerade kleinerer und familiengeführter, Betriebe sinkt beständig. Vielen Höfen fehlen Nachfolger*innen, und wenn es die gibt, fehlen Rücklagen, um in die Zukunft zu investieren. Der Durchschnittsverdienst selbstständiger Landwirt*innen lag laut Bundeslandwirtschaftsministerium zuletzt um die 34.000 Euro brutto. Das liegt, selbst wenn man Unternehmer*innen herausrechnet, noch unter dem Durchschnittseinkommen in Deutschland – bei 60 Stunden Wochen und eher keinem Jahresurlaub.
Das schafft Spannungsverhältnisse, die nicht so einfach zu lösen sind. Das ganze Dilemma bringt etwa Boris Voelkel, dritte und derzeit geschäftsführende Generation der Wendländer Bio-Saft-Familie, auf den Punkt: „Je konsequenter man als Landwirt im jetzigen System nachhaltig arbeitet, desto selbstausbeuterischer bist Du zu Dir und womöglich Deinen Mitarbeitenden.“
Slow-Food-Jahresthema: Fairness
Wenn der Fairnessbegriff nicht ganzheitlich gedacht wird, schafft er neue Probleme. Oder anders gesagt: Es nützt nichts, mit den Tieren fair umzugehen, wenn dann die Mitarbeiter*innen leiden; es nützt aber auch nichts, die Mitarbeiter*innen fair zu bezahlen oder die Umwelt gut zu behandeln, wenn dann für die Bauernfamilie selbst nichts mehr übrigbleibt. Deswegen steht für Slow Food Deutschland fest: Fairness lässt sich nur ganzheitlich denken. Eine faire Landwirtschaft kann nur auf Betrieben stattfinden, die sowohl gegenüber den Menschen, wie auch Umwelt und Tieren fair sind. Entsprechend ist Fairness eines der zwei Schwerpunktthemen von Slow Food Deutschland in diesem Jahr. „In dem Wissen, dass eine faire Wertschöpfung von Lebensmitteln unser Miteinander und Leben auf dem Planeten maßgeblich bestimmt, ist es erschreckend, dass ausgerechnet in diesem Wirtschaftsbereich derart prekäre Bedingungen vorherrschen“, sagt die amtierende Slow Food Deutschland-Vorsitzende Nina Wolff. Das gilt für die gesamte Lebensmittelwirtschaft aber auch für jeden einzelnen Teil der Wertschöpfungskette.
Wie also rauskommen aus dem Dilemma? Nun, natürlich gilt, was Jürgen Maier sagt: „Es wird in einem unfairen Wirtschaftssystem keine Fairness geben.“ Nur: Es gibt eben schon Beispiele, die die Möglichkeiten der Einzelnen zeigen. Wer sich in der deutschen Landwirtschaft umschaut, entdeckt Beispiele für fairen Umgang mit Tier, Umwelt und Mensch.
Die Menschenfreunde vom Biohof Bursch
Der Biohof Bursch ist ein besonderer Betrieb. Nicht nur, weil die Geschwister Heinz und Renate Bursch bei Bornheim im Rheinland biodynamisch Obst und Gemüse in einer Gegend erzeugen, in der die Bioquote der Landwirtschaft bei deutschlandweit rekordschlechten Werten im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt. Sondern weil sie eine einzigartige Form von Betriebskonzept betreiben: Auf den 55 Hektar des Betriebs wachsen mehr als 60 verschiedene Kulturen – außerordentlich viel im Vergleich zu anderen Betrieben. Das ist nicht nur gut für die Böden, die von der hohen Biodiversität profitieren, sondern auch für den hohen Direktvermarktungsanteil über den eigenen Laden und Marktstände sowie die Bestückung der hofeigenen Konditorei, Bistro und Einmach-Küche ist das essentiell. „Mit einem so breiten Angebot können Sie natürlich länger und mehr direkt an die Kunden verkaufen“, sagt Lothar Tolksdorf, der auf dem Hof die Öffentlichkeitsarbeit macht. Und tatsächlich ist dieser hohe Direktvermarktungsanteil wiederum der Schlüssel zu einer weiteren Besonderheit: Die Burschs haben sich den fairen Umgang mit allen Mitarbeitenden auf die Fahnen geschrieben. Bis zu 150 Menschen arbeiten, je nach Saison, auf dem Hof. Davon arbeiten sieben fest in der Landwirtschaft, deren Zahl in der Erntesaison aber auf 35 bis 40 wächst. Neben klassischen Gemüsen baut der Biohof Bursch auch die arbeitsintensiven Spargel und Erdbeerkulturen an.
Damit das fair vonstatten geht, haben die Burschs im Umgang mit den Mitarbeitenden einige Prinzipien, die sonst in der Landwirtschaft nicht so die Regel sind. „Es gibt grundsätzlich keine Akkordarbeit“, sagt Tolksdorf. Dazu steigen alle Mitarbeitenden mindestens beim Mindestlohn ein. Sobald Zusatzqualifikation hinzukommen, steigt das Gehalt. Da jede der vielen Kulturen auf dem Hof besondere Fähigkeiten verlangt, kommen recht verlässlich auch Zusatzqualifikationen hinzu. „Es gibt mehr Leute, die den gesteigerten Lohn bekommen als den Mindestlohn“, sagt Tolksdorf. Zudem zahlen die Saisonkräfte 80 Euro für die Unterkunft, anderswo übliche zusätzliche Pflicht-„Gebühren“ entfallen. Stattdessen gibt es ordentliche Unterkünfte, einen PKW zu benutzen und eine umfangreiche Betreuung bei Behördengängen. „Der Hof sieht die Saisonarbeitskräfte eben wie klassische Angestellte, nur eben mit der saisonalen Begrenzung.“ Am Ende zahlt sich das auch für den Hof wieder aus: Viele der Saisonarbeitskräfte kommen wieder, das senkt die Kosten für die Neuanlernung. Und bei den sieben festangestellten Kräften ist es ähnlich: Weil die Bezahlung fair, die Ansprache korrekt und die Arbeit abwechslungsreich ist, ist die Fluktuation auf dem Biohof Bursch gering. Tolksdorf sagt: „Wir wollen, dass die Menschen hier wertgeschätzt sind.“
Die Tierfreunde vom Klostergut Heiningen
„Fairness gegenüber dem Tier ist uns ganz wichtig“, sagt Theo Degener. „Und das beginnt mit der Frage nach den Bedürfnissen der Kühe.“ Die haben Theo und Frieda Degener, die auf dem Klostergut Heiningen im nördlichen Harzvorland 20 davon halten, genau im Kopf: „Sie wollen natürlich körperlich unversehrt bleiben, dafür brauchen sie Hörner. Kühe möchten nicht alleine sein, aber auch die räumlichen Möglichkeiten haben, die Rangordnung der Herde zu leben. Und sie möchten ihre Kälber selbst aufziehen.“ All das versuchen sie auf dem Klostergut, ihren Kühen zu ermöglichen. Die Tiere haben im Sommer Weidegang, im Winter 20 Quadratmeter Platz pro Tier, was mehr als drei Mal so viel ist wie etwa beim ohnehin schon sehr guten Standard des Bioland-Verbandes. Und das Klostergut greift auf Rinder zurück, die sowohl Milch als auch Fleisch erzeugen können. „Je mehr man die Tiere auf ein Merkmal hin züchtet, desto stärker leidet die Gesundheit“, sagt Frieda Degener.
2,80 Euro pro Liter Milch ihrer Kühe müssen sie deswegen erwirtschaften, um sich den fairen Umgang mit den Tieren leisten zu können. Das macht das Klostergut, in dem es viel Milch direkt vermarktet, aber auch zu Joghurt oder Käse veredelt. Über den klassischen Handel wäre dieser faire Preis für Mensch und Tier kaum möglich. Neben einem eigenen Hofladen ist das Klostergut so Teil einer Solidarischen Landwirtschaft. Bei diesem Modell verpflichten sich Verbraucher*innen im Vorfeld, einem Hof bestimmte Mengen zu bestimmten Preisen abzunehmen. Davon profitieren auf dem Hofgut auch die Mitarbeitenden. „Denn“, sagen die Degeners, „nur Menschen, die fair behandelt werden, sind auch motiviert, die ihnen anvertrauten Tiere fair zu behandeln.
Der Unternehmerlohn der Landwirt*innen
Und die Landwirt*innen selbst? Viele mögen nicht über ihre Erlössituation reden. Hier und da aber gibt es dennoch Einblicke. Der Lammertzhof aus Kaarst bei Düsseldorf etwa, ein Bioland-Betrieb, veröffentlicht Gemeinwohlbilanzen. Daraus lässt sich ablesen, wie fair der Betrieb gegenüber Umwelt, Umgebung, Gesellschaft und auch sich selbst ist. Beim ersten Bericht war das Ergebnis ernüchternd: Gegenüber Umwelt, Mitarbeitenden und Gesellschaft erreichte der Betrieb recht gute Werte für eine Erstbilanzierung nach dem Prinzip. Nur für die Landwirtschaftsfamilie blieb ein Stundenlohn unter dem Mindestlohn. Die Gemeinwohlökonomie stellt dabei nicht nur fest, sie macht auch stete Verbesserungsvorschläge, weswegen der Hof sich Stück für Stück nach vorne arbeitet.
Eine andere Form sind die Wirtschaftsgemeinschaft, oder die Hofgemeinschaft, die etwa rund um den Bodensee stark wirtschaften. Auf diesen teilen sich mehrere Familien einen Betrieb. Die einen können besser Gemüse, die anderen besser Viehhaltung, die Dritten die Käserei betreiben. So bleibt mehr Wertschöpfung auf dem Betrieb, erhöht die Erlöse und damit das Auskommen für alle.
Noch sind das Einzelbeispiele. Deswegen hoffen alle Beteiligten nun nicht nur auf Verbraucher*innen, die für landwirtschaftliche Erzeugnisse mehr zahlen,sondern auch auf bessere Rahmenbedingungen. Denn egal ob Fairness gegenüber Tier, Umwelt oder Mitarbeiter*in – wirklich fair wird’s nur, wenn die Höfe nicht trotz, sondern wegen der Rahmenbedingungen fair arbeiten. Dieses Jahr werden die Mittel für die nächsten sieben Jahre EU-Agrarförderung neu verteilt. Die Chance, Fairness herbeizugestalten, ist da.
Autor: Sven Prange
]]>„Die kuhgebundene Kälberhaltung gewinnt insbesondere in jüngster Zeit an Bedeutung in der Milchviehbranche. Die Zahl der Pionier-Landwirt:innen, die diese artgerechte Form der Aufzucht praktizieren, nimmt zu. Zugleich erlangt diese Thematik auch zunehmend Aufmerksamkeit seitens der Verbraucher:innen“, erklärt Saro Ratter von der Münchener Schweisfurth Stiftung, der den gemeinsamen Entwicklungsprozess moderiert hat. „Mit dieser gemeinsamen Entwicklung der Kriterien schaffen wir nun sowohl für Betriebe als auch für Verbraucher:innen Orientierung und Klarheit. Zugleich zeigen wir einen Weg dafür auf, die in der Praxis zumeist getrennten Produktionsbereiche Milch und Rindfleisch perspektivisch wieder zusammenzuführen“, unterstreicht der Projektmanager Tierwohl der Stiftung.
So sehen die Kriterien beispielsweise vor, dass Kälber mindestens 90 Tage von den eigenen Müttern oder Ammenkühen gesäugt werden müssen und enthalten Regelungen zum schonenden Absetzverfahren. Während der gesamten Säugezeit müssen die Kälber ökologisch aufgezogen werden, auch die männlichen Kälber und die nicht als künftige Milchkühe benötigten weiblichen. Dies kann auf dem eigenen Betrieb geschehen oder aber auf Partnerbetrieben, die auf ökologische Rindermast spezialisiert sind. Höchstens 15 Prozent dürfen an andere ausgewählte Aufzuchtbetriebe abgegeben werden.
An der Ausarbeitung der Kriterien waren auch Fachleute der drei Verbände Bioland, Demeter und Naturland beteiligt. Ziel der Initiatoren ist es, dass die Verbände die Kriterien zur kuhgebundenen Kälberaufzucht möglichst als Zusatzstandard für interessierte Betriebe in ihre bereits bestehenden Richtlinien aufnehmen.
„Die kuhgebundene Kälberaufzucht steht für mich im Mittelpunkt einer wesensgemäßen, zukunftsorientierten und Ressourcen schonenden Demeter Bio-Milchviehhaltung.“ Anja Frey, Initiatorin, Gründerin der Bruderkalb Initiative Hohenlohe und Betriebsleiterin Völkleswaldhof.
„Es ist an der Zeit, Kuh und Kalb - Milch und Fleisch gemeinsam zu denken.“ Rolf Holzapfel, Initiator und Geschäftsführer Demeter Milchbauern Süd w.V.
„Die Elternzeit auf unseren Höfen bereichert Mensch, Tier und zu guter Letzt unsere Milch.“ Hans Möller, Initiator und Geschäftsführer De Öko Melkburen GmbH.
Gründung der Interessensgemeinschaft kuhgebundene Kälberaufzucht
Zudem haben die Initiator:innen die Gründung der Interessensgemeinschaft kuhgebundene Kälberaufzucht beschlossen, der künftig zum einen diejenigen Öko-Betriebe, die die Aufzucht gemäß den Kriterien praktizieren, beitreten können sowie weitere Fördermitglieder. Ziel der Interessensgemeinschaft ist unter anderem die Förderung praxisnaher Forschung zum Thema kuhgebundene Aufzucht, die Aufklärung von Verbraucher:innen sowie die Weiterentwicklung der Kriterien.
Ausführliche Informationen >> hier.
Zu den Kriterien >> hier.
]]>Slow Food Deutschland und die Chef Alliance sind mit drei Events bei der Intergastra zu Gast. Das Programm unserer Veranstaltungen:
Podiumsdiskussion „Lebendige Lieferketten - Biologische Vielfalt auf dem Teller“ mit
· Jens Witt, Sprecher Slow Food Chef Alliance und Inhaber von Wackelpeter, Ökologisches Essen für Kinder, Hamburg
· Sebastian Junge, Restaurant Wolfs Junge, Mitglied der Slow Food Chef Alliance, Hamburg
· Moderation: Marie Pugatschow, Käserin i.A., Slow Food Youth Deutschland
Der Verlust der biologischen Vielfalt schreitet ungebremst fort und ist im Bewusstsein vieler Gastronomiebesucher*innen zu einem wichtigen Thema geworden. Was kann die Gastronomie zum Schutz der biologischen Vielfalt und ihrer nachhaltigen Nutzung tun? Die Integration des Themas Biodiversität in das Lieferkettenmanagement ist herausfordernd. Die Köch*innen-Vereinigung „Slow Food Chef Alliance“ hat das Arbeiten in regionalen Netzwerken zu einem ihrer Standards erhoben und ist damit - auch wirtschaftlich - erfolgreich. Ein Blick auf Netzwerke, regionale Lieferketten und die Vielfalt auf dem Teller.
Online- Verkostung „Schokolade – gut, sauber und fair“ mit
· Patrick von Vacano, Sommelier, Original Beans
· Thomas Sampl, Hobenköök Hamburg, Mitglied Chef Alliance
· Patricia Viana Lima, Modaka Cacau Gourmet, Bahia, Brasilien (Live aus Brasilien)
· Moderation: Lea Leimann, Konditorin, Vorstand Slow Food Deutschland e.V.
Schokolade macht glücklich – und verbindet als Genussmittel Menschen, Kontinente und Kulturen. Der ungeahnte Geschmacksreichtum vielfältiger Kakaobohnen bietet Höchstgenuss in der Küche. Bei Fermentation, Röstung oder Veredelung geschieht einiges von der Bohne bis zur Tafel. Hier zeigt sich wahre Produktqualität. Bestellen Sie ein Verkostungspaket von Original Beans und verfolgen die Reise der Schokolade „bean to bar“ mit allen Sinnen. Mit Erzeuger*innen sprechen wir darüber, wie nachhaltiger Anbau Biodiversität im Regenwald schützt.
Das Verkostungspaket kann >> hier bestellt werden.
Das Paket enthält:
· Piura 75% (70g)
· Virunga 70% (70g)
· Arhuaco 82% (70g)
· Femmes de Virunga 55% (70g)
· Edelweiß (2 x 12g)
Preis: 20,90€ + 4,90€ Versand
Letzter Bestelltermin: 2. März 2021
„Slow Food Chef Alliance– Genuss trifft Planetengesundheit“ mit
· Johannes King, Zweisternekoch Sölring’hof Sylt, Mitglied Chef Alliance
· Barbara Stadler, Küchenmeisterin, Aromenakrobatin, Fernsehköchin, Die Kastanie Bremen, Mitglied Chef Alliance
· Moderation: Detlev Ueter, Ueter & Herbs, Koblenz, Mitglied Chef Alliance
Gesundheit ist ein Riesenthema. Essensstile, Allergien, Unverträglichkeiten haben längst die Speisekarten erreicht. Und nun auch noch die Planetary Health Diet – also eine nachhaltige Ernährung, die im Einklang mit den verfügbaren Ressourcen steht. Drei Spitzenköch*innen der Slow Food Chef Alliance zeigen live, wie weniger Tierisches, dafür mehr Pflanzliches die Menüfolge bereichert und selbst „eingefleischte“ Fleischesser*innen mit Vielfalt, Kreativität und Geschmacksexplosionen zu Fans von Nachhaltigkeit werden lässt.
Zur kostenlose Teilnahme an der Intergastra >> hier
Das Programm von und mit Slow Food Deutschland finden Sie auch >> hier
Die Bio-Branche kann Glück und Zuneigung kaum fassen. Um 22 Prozent ist der Verkauf von Bio-Lebensmitteln in Deutschland im vergangenen Jahr gestiegen. Und das passt gut zu vielen politischen Zielen: Ob Europäische Union, Bundesregierung oder verschiedene Landesregierungen: Auf allen Agenden steht der Ausbau der Bio-Landwirtschaft, bei der Landwirt*innen auf chemische Pestizide und synthetische Dünger verzichten, ganz weit oben. Zwischen 20 und 40 Prozent statt heute um die zehn Prozent soll der Anteil der Bio-Landwirtschaft in Deutschland im nächsten Jahrzehnt betragen.
Alles gut also in der Landwirtschaft? Nun, je nachdem, fanden die Teilnehmer*innen eines Podiums von Slow Food Deutschland auf der weltgrößten, virtuellen, Bio-Messe Biofach. „Wir begrüßen natürlich das Plus an ökologischen Produkten, möchten aber auch ein Risiko in den Blick zu nehmen“, sagte die amtierende Slow Food-Deutschland-Vorsitzende Nina Wolff. „Das Wachstum könnte zu den gleichen Irrtümern führen, die aus dem konventionellen Bereich schon bekannt sind.“ Die Sorge dahinter: Wächst der Bio-Anbau in Deutschland ungesteuert weiter, könnte die höhere Produktion in gleichbleibender Qualität zu mehr Uniformität führen. „Wenn der Anteil ökologischer Produkte nun wächst, würden wir uns eine detailliertere Strategie auch zu der Frage wünschen, wie die Vielfalt erhalten und die vielfältigen Beziehungen von Menschen, Tieren, Umwelt in der Region gewahrt werden können“, sagte Wolff deswegen.
Öl aus der eigenen Mühle und „bayerischer Reis“
Die gute Nachricht ist: Beispiele für eine regionale gute Praxis liegen schon vor. Etwa Chiemgaukorn, ein biologisch arbeitender Hof einer jungen Familie im gleichnamigen, bayerischen Landstrich. Hier haben Julia Reimann und Stefan Schmutz bereits vor eineinhalb Jahrzehnten auf heute noch immer wegweisende Konzepte gesetzt. Deren Kern: der Rückgriff auf alte, besondere Sorten im Anbau und Direktvermarktung im Verkauf. „Als es losging, dass sich auch Biopreise am Weltmarkt orientieren, haben wir keine Chance gesehen, damit arbeiten zu können“, sagte Julia Reimann. „Da haben wir dann aus der Not heraus begonnen, uns um die Direktvermarktung zu kümmern.“
Weil zudem niemand ihre Leinsamen und Dinkel verarbeiten wollte, kaufte das Paar eine Ölmühle und baute nach und nach seine Möglichkeiten aus, die Produkte der eigenen Felder weiter zu verarbeiten. Heute gibt es im Hofladen und im Online-Shop Öle aus eigenem Anbau und eigener Pressung genauso wie bayerischen Reis, eine Urgetreide-Mischung mit leicht angeschliffenen Schalen, sodass sich die Körner wie Reis zubereiten lassen.
Regionale Handwerker*innen und Landwirt*innen vernetzen
Ein Musterbeispiel an regionaler Wertschöpfung. Daran wollen Verbände, Handwerker*innen und Aktive bundesweit anknüpfen. Etwa die Regionalwert AG, die derzeit mit Gesellschaften in Freiburg, Hamburg, Rheinland und Berlin-Brandenburg solche regionalen Wertschöpfungskreisläufe fördert und mit Hilfe von Bürger*innen finanziert. Deren Berlin-Brandenburger Vorstandsmitglied Jochen Fritz verwies vor allem auf die Rolle der Handwerksbetriebe für die Vielfalt: „Ich kann die tollsten Sachen anbauen, wenn es dafür keine Verarbeitung gibt, fallen die Landwirt*innen wieder auf die herkömmlichen Produkte zurück. Wir brauchen eine Vielfalt auf dem Acker, an Höfen und in der Verarbeitung.“ Oder, wie Jens Witt, Leiter der Slow Food-Köch*innen-Vereinigung Chef Alliance, sagte: „Ich fühle mich wie ein Landwirt auch als Teil einer Kette. Wenn es keine Metzgerei in der Nähe gibt, kann mich der Bauer auch nicht beliefern."
Entsprechend sehen auch die Bio-Verbände ihre Aufgabe darin, Landwirt*innen, Handwerker*innen und Verbraucher*innen in den Regionen besser zu vernetzen. „Das Wachstum von Bio ist nicht nur gewollt, wir unterstützen es auch aktiv“, sagte der geschäftsführende Vorstand des Anbauverbandes Demeter Baden-Württemberg, Tim Kiesler. „Aber dieses Wachstum wollen wir nicht durch Betriebe erreichen, die einfach nur hemmungslos skalieren.“
Kiesler verwies auf eine Studie, die das Land Baden-Württemberg zur Bekräftigung seines Ziels, den Öko-Landbau bis 2030 auf mehr als 30 Prozent zu verdoppeln, vorgelegt hat. Demnach hat Baden-Württemberg vor allem deswegen so gutes Potenzial, weil dort im Bundesvergleich die Struktur an Betrieben des Lebensmittelhandwerks noch vergleichsweise intakt sei. „Wir bewahren und schaffen Biodiversität nur in regionalen Netzwerken“, sagte Kiesler. „Weil Wertschöpfung dort unter persönlichen Beziehungen stattfindet und so fairer Umgang und der Genuss in der Region stattfinden. Nur so kann Bio seine Wachstumsziele erreichen, ohne dabei verwässert zu werden.“
Die Realität: Höfe- und Handwerkssterben
Das Problem ist: Die Entwicklung läuft bundesweit gegensätzlich. „Es gibt neben dem Höfesterben auch ein Handwerkersterben“, sagte Fritz. Deswegen müsste nicht nur die Zusammenarbeit der Betriebe in den Regionen untereinander gestärkt werden. „Wir müssen die Berufe auch attraktiver machen“, sagte Fritz. „Die Winzer haben das geschafft, die sind mittlerweile die coolsten Typen. In Berlin gibt es auch coole Metzger, aber wir finden niemanden, der in Brandenburg ein Schlachthaus betreiben will. Die Finanzierung ist ja nicht das Problem, sondern die guten Leute zu finden.“
Das knüpft auch an die Arbeit von Slow Food an. Der Verein will in Deutschland Bioanbau und Biokulturelle Vielfalt weiter zusammenbringen. „Die Wertschätzung muss über allem stehen, und zwar die Wertschätzung für jeden einzelnen Schritt in der Lebensmittelerzeugung“, sagte Nina Wolff. „Ich würde mir wünschen, dass wir einen systemischeren Blick entwickeln. Wir müssen gemeinsam eine vielfältige, aber auch solidarische und lebensfreundliche Ernährungswelt kreieren.“
Autor: Sven Prange
]]>Asthma und andere allergische Erkrankungen nehmen seit Jahren in Deutschland an Häufigkeit zu. Auch viele Kinder und Jugendliche sind davon betroffen. Im Rahmen der sogenannten Bauernhofstudien entdeckte die renommierte Münchner Professorin Erika von Mutius, gemeinsam mit ihrem Team, dass Kinder von Bauernhöfen erheblich seltener an Asthma erkranken. Dieser positive Einfluss zeigte sich, wenn sie frische, unbehandelte Rohmilch zu sich nahmen.
An die Ergebnisse der sogenannten Bauernhofstudien knüpft die MARTHA Studie an. Sie vergleicht Kleinkinder, die per Zufall zwei verschiedenen Gruppen zugeteilt werden. Getestet wird bei ihnen die Wirkung einerseits von schonend verarbeiteter Milch (Testmilch), andererseits von handelsüblicher UHT-Milch (Vergleichsmilch). Beide Milcharten kommen von bayerischen Kühen. Da in der Rohmilch Krankheitserreger enthalten sein können, kann diese nicht unbehandelt zum Verzehr als Vorbeugung gegen Asthma und Allergien empfohlen werden. Die Testmilch ist daher durch eine neue und schonende Art der Verarbeitung so naturbelassen wie möglich. Dadurch bleiben die günstigen Eigenschaften der Rohmilch weitgehend erhalten, zugleich ist die Milch frei von bedenklichen Keimen.
Slow Food Deutschland unterstützt das Forschungsteam bei der Auswahl passender Bauernhöfe, die in eigenen Molkereien eine entsprechende nur pasteurisierte Milch herstellen und diese Milch direkt über Wochenmärkte, Bio-Supermarktketten oder Hofläden vertreiben.
Weitere Informationen:
]]>Über den Autor
Jens Brehl wurde 1980 in Fulda geboren. Als freier Journalist, Buchautor und Herausgeber des Onlinemagazins „über bio“ widmet er sich am liebsten der ökologischen Landwirtschaft und der Bio-Branche.
Für lokale und überregionale Magazine berichtet er darüber hinaus regelmäßig über weitere Öko-Themen, Medien und mehr. Im Oktober 2020 erschien im oekom verlag „Für unsere Zukunft – Wie Bio-Pioniere die Welt verändern“. Für sein Buch „Regionale Biolebensmittel – Gesundes und Köstliches aus Fulda, Rhön, Vogelsberg und Nordhessen“ erhielt er 2016 den Salus-Medienpreis in der Kategorie Sonderpreis.
]]>Herr Prof. Spiller, der wissenschaftliche Beirat hat ein fulminantes Gutachten vorgelegt. Er verlangt eine neue, andere, nachhaltigere Ernährungspolitik, im Grunde eine echte Ernährungswende. Welche Reaktionen gab es?
Prof. Achim Spiller: Von den Kollegen aus der Wissenschaft kam viel Zustimmung, das Interesse ist groß. Bei der Politik muss man auf langfristige Wirkung setzen. Nach der nächsten Bundestagswahl, so hoffen wir, wird unser Gutachten im neuen Koalitionsvertrag hoffentlich seine Spuren hinterlassen. Man sollte realistischer Weise nicht erwarten, dass in dieser Legislaturperiode noch viel passiert.
Die Steuerung von Ernährungsverhalten ist bei den politischen Parteien ohnehin unbeliebt. Die Bauchlandung der Grünen mit dem harmlosen Veggieday haben alle noch im Hinterkopf.
Das stimmt und das haben wir in unserem Gutachten auch herausgearbeitet. Deutschland steht ernährungspolitischen Maßnahmen eher skeptisch gegenüber. In unserer kulturellen Tradition wird die Verantwortung für Ernährung an Familie und Individuum delegiert. Auch um das wichtige Thema Schulverpflegung kümmert man sich nicht sehr intensiv. Staatliche Einmischung ist also schwierig, der Veggieday hat auch bei den Grünen Blessuren hinterlassen. Immerhin scheint die Angst vor politischem Schiffbruch langsam zu schwinden, zumal die Bevölkerung ein riesiges Interesse am Thema Ernährung hat und die Herausforderungen groß und unübersehbar sind.
Wie soll nun aktive staatliche Ernährungspolitik konkret aussehen? Was hat erste Priorität?
Wir müssen das stark von Werbung und Marketing beeinflusste Ernährungsumfeld neu gestalten und wir müssen zweitens Ernährungspolitik als eigenständiges Politikfeld besser verankern. Das sind die wichtigsten Punkte. Das komplexe Thema einer wirklich nachhaltigen Ernährung beruht auf den „Big Four“: Umwelt, Tierwohl, Gesundheit, Soziales. Das sind die zentralen Ziele, die wir angehen müssen. Wie wichtig dabei das Soziale ist, haben wir diesen Sommer bei Tönnies gesehen. Um die vier Ziele anzugehen, müssen die Ministerien zusammenarbeiten: das Landwirtschafts-, aber auch das Umwelt-, das Gesundheits- und das Wirtschaftsministerium. Beim Thema Schulverpflegung gehören auch die Kultusministerien dazu.
Ist die Ernährung bei der Landwirtschaft überhaupt richtig aufgehoben? Oder sollte sie zur Gesundheit übersiedeln? Gerade baut auch das Umweltministerium eine eigene Abteilung Ernährung auf.
Das haben wir intensiv diskutiert. Klar ist, dass die Ernährung innerhalb des Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums eine größere Bedeutung bekommen muss. Wenn man sich die Mitarbeiterzahlen ansieht und das Budget, dann ist klar, dass dieses Haus viel stärker von der Landwirtschaft geprägt ist. Leider hat auch das Gesundheitsministerium das Thema Ernährung in den letzten Jahren eher vernachlässigt. Und die Zusammenarbeit von Frau Klöckners Haus mit dem Umweltministerium ist bekanntermaßen schlecht. Ernährungspolitik ist eine große Aufgabe, die Bundesregierung muss sie ressortübergreifend anpacken.
Sie haben im Gutachten viele konkrete Forderungen gestellt: ein Neuanfang bei der Kita- und Schulverpflegung, Werbeeinschränkungen und -verbote, den Fleischkonsum reduzieren und vieles mehr. Als Instrument wollen Sie unter anderem Steuern für Gemüse und Obst senken und für tierische Produkte erhöhen.
Wenn man das vernünftig begründet und wenn die Steuereinnahmen gezielt eingesetzt werden für mehr Tierwohl und Klimaschutz, dann steigt auch die Akzeptanz und dann gibt es wohl politische Mehrheiten dafür. Wichtig ist, dass wir die Ernährungsarmut im Blick behalten, die wir in Deutschland haben. Wir leben in einer gespaltenen Gesellschaft mit massiver Ernährungsarmut, gegen die wir etwas tun müssen. Wenn wir mit den Steuern die sozial Schwachen treffen, wäre das fatal. Diesen Menschen müssen wir helfen, weil sich in unteren Einkommensgruppen gesundheitliche Ernährungsprobleme ballen.
Sie verlangen ein Hilfsbudget, um den Betroffenen unter die Arme zu greifen?
Die Einnahmen aus den Steuererhöhungen für tierische Produkte und zuckerhaltige Getränke sollten zum Teil dafür verwendet werden, sozial schwache Haushalte zu unterstützen, das heißt, Preiserhöhungen durch eine jährliche Rückerstattung auszugleichen. Die Regierung sollte auch über eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze für Ernährung nachdenken, die nicht ausreichend sind.
Ihr Gutachten moniert, dass die Verantwortung für gute Ernährung auf die Verbraucher*innen abgeschoben wird. Warum sind die damit überfordert?
Weil sie keine faire Ernährungsumgebung haben, wie wir sie fordern. Mit welchen Werbebotschaften werden sie konfrontiert? Wie unübersichtlich sind die mehr als 200 Nachhaltigkeitslabel? Das wirkt sich stark auf eine ungesunde Ernährung und Lebensweise aus. Auch Kinder sind dem ausgesetzt. Beworben werden nämlich viel stärker problematische Lebensmittel.
Die Verbraucher*innen als Opfer des Marketings?
Es werden Milliarden für die Bewerbung ungesunder Lebensmittel ausgegeben, zum Beispiel von der Süßwarenindustrie, weil dort die Margen am höchsten sind. Mit Obst und Gemüse verdient die Lebensmittelindustrie sehr viel weniger Geld. Zur schlechten Ernährung gehört aber auch das Angebot. Schauen Sie doch mal, was Sie auf einer Autobahnraststätte essen können. Überall werden Snacks angeboten, meistens »Snacks to go«, damit werden wir überhäuft. Und: Wie werden welche Lebensmittel wo platziert? Wie sind sie gekennzeichnet?
Sie wollen den Kompass der Verbraucher*innen neu eichen, damit sie Snacks und Co. und den vielen falschen Werbebotschaften widerstehen?
Das fängt bei Kindern und Jugendlichen an. Für uns ist eine hochwertige und beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung ein zentraler Punkt. Wenn die Kinder mit einer qualitativ guten Ernährung aufwachsen, mit kleinerem Fleischanteil, mit gesunden Lebensmitteln, dann sind sie daran gewöhnt, das prägt das spätere Ernährungsverhalten. An vielen Schulen wird überhaupt keine oder keine vernünftige Schulverpflegung angeboten, es gibt große Qualitätsprobleme. Häufig wird das Essen stundenlang warmgehalten, furchtbar! Schulverpflegung darf auch nicht sozial diskriminierend wirken, wenn sie nur den ärmeren Kindern angeboten wird. Wir brauchen sie für alle und für alle beitragsfrei nach skandinavischem Vorbild in einem schönen Ambiente, damit das Essen auch wertgeschätzt wird. Das müssen uns unsere Kinder wert sein. Also raus aus dunklen stickigen Kellerräumen.
Kinder und Jugendliche trinken besonders viel Limo, Cola, Fruchtsäfte und andere Zuckerdrinks. Das sind Treiber für Fettleibigkeit und Diabetes.
Wir empfehlen eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke. Gerade Jugendliche sind sehr preissensitiv, da kann man viel bewegen. Wir brauchen außerdem eine klare Kennzeichnung durch den Nutri-Score. Und wir brauchen im öffentlichen Raum den Aufbau einer Trinkwasserversorgung mit Leitungswasser, dem nachhaltigsten und gesündesten Getränk.
Sie fordern einen verbindlichen Nutri-Score, der nach Plänen von Ministerin Klöckner nur auf freiwilliger Basis kommt. Sie wollen aber auch ein Klimalabel und ein Tierwohllabel einführen. Sind die vielen Label nicht eine erneute Überforderung der Verbraucher*innen?
Wir haben schon jetzt mehr als 200 Label in Deutschland, die das Thema Nachhaltigkeit adressieren. Wir wollen keine komplizierte Labelflut. Wir brauchen für die Ernährung vier Label: Nutri Score, ein staatliches Tierwohllabel, ein neues Klimalabel zusammen mit Bio und das Label für Fair Trade.
Wer baut für all Ihre Vorhaben den politischen Druck auf und welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?
Die Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Player. Freiwillige Selbstbeschränkungen der Wirtschaft, das zeigen viele Studien, bringen uns nicht entscheidend voran. Es bedarf einer breiten gesellschaftlichen Diskussion und des politischen Drucks, um zu erreichen, dass die Verantwortung für Ernährung nicht allein den Individuen aufgehalst wird. Was zum Beispiel dazu führt, dass die stark Übergewichtigen stigmatisiert werden. Ernährung ist eine gesellschaftliche und politische Herausforderung, das müssen wir begreifen. Und wir müssen anfangen, neue politische Instrumente einfach mal auszuprobieren. Eine Steuer kann man, wenn man sie einführt, auch nachjustieren, das ist lernende Politik.
Die Zeit drängt, Klimaveränderung und Biodiversitätsverluste erfordern Tempo auch in der Ernährungspolitik. Haben Sie keine Angst, dass wir zu langsam sind oder, dass Ihr Gutachten in den Schubladen verschwindet und wieder nichts passiert?
Wir wissen von früheren Gutachten, dass sie keine unmittelbare Wirkung auf die Tagespolitik haben. Unser Gutachten von 2015 zum Tierwohl hat dennoch viel bewegt. Wir brauchen einen langen Atem, aber wir haben gute Hoffnung. In der Bevölkerung hat sich viel getan. Das Thema Ernährung, Fleischkonsum, Nachhaltigkeit interessiert Millionen, es gibt kaum ein anderes Thema, das die Menschen so stark beschäftigt.
Das Gutachten:
Mit seinem im Sommer 2020 vorgelegten Gutachten* hat der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und Verbraucherschutz deutliche Kritik an der gegenwärtigen Ernährungspolitik formuliert. Er verlangt eine komplette Neuausrichtung und Stärkung des vernachlässigten Politikfelds Ernährung. Um unsere Gesundheit, Umwelt und Klima zu schützen, Ernährungsarmut zurückzudrängen, Sozialstandards einzuhalten und das Tierwohl zu erhöhen, müsste ein ambitionierter Neustart hingelegt werden. Kernsatz des Gutachtens: »Eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ist sinnvoll, sie ist möglich und sie sollte umgehend begonnen werden.«
*Das Gutachten »Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten« ist als Kurzfassung oder in voller Länge per Download >> hier abrufbar.
Prof. Achim Spiller ist Ökonom an der Universität Göttingen, spezialisiert auf Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Verbraucherverhalten und die Ernährungsindustrie. Er ist zudem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), von dem das Gutachten »Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten« erarbeitet und im August 2020 an Ministerin Klöckner übergeben wurde.
Erschienen im Slow Food Magazin Ausgabe 6, 2020
]]>Geröstete Kichererbsen mit Schokolade überziehen – wie ist denn diese Idee entstanden? Emilie Wegner kann das ganz einfach erklären: „Als ich Ernährungswissenschaft studiert habe, hörte ich jedes Semester aufs Neue, wie gesund Hülsenfrüchte durch ihre hohen Eiweiß- und Ballaststoffgehalte sind. Gleichzeitig hieß es aber auch immer, dass die Deutschen sie nicht so gerne essen und der Verbrauch seit langem stagniert.“ Also überlegte die junge Frau, wie sie den Hülsenfrüchten zu einer neuen Beliebtheit verhelfen könnte. „Snacks werden immer gerne gegessen, deshalb habe ich mich mit meinen beiden Mitstreitern dafür entschieden.“ Die fettfrei gerösteten Kichererbsen des Leipziger Unternehmens Hülsenreich gibt es nicht nur mit Schokoumhüllung, sondern auch in den Varianten würzig-scharf oder mit fruchtig-mildem Curry-Geschmack.
Miso und Kaffeepulver aus Süßlupinen
Die süße Version bildete den Abschluss des Hülsenfrüchte-Verkostungs-Workshops von Slow Food Deutschland, das auf großes Interesse stieß. „Crunchy und mit Suchtfaktor“, so lautete das überwiegende Urteil der Teilnehmer*innen zu den Schoko-Kichererbsen. Doch es wurde nicht nur neugierig probiert, sondern auch interessiert zugehört, was die Hersteller*innen zu ihren Produkten erzählten. Wie wird im Schwarzwald aus Lupinen Miso gemacht und wie lässt sich das beim Kochen verwenden? Die Herstellung dauert lange, erzählt Peter Koch von der Firma Schwarzwald-Miso, die Paste muss fast ein Jahr im Fass reifen, bis die cremige Textur und der würzige Geschmack entsteht. Und es muss gar nicht unbedingt asiatisch gekocht werden, um die Würzpaste einzusetzen: „Lupinen-Miso eignet sich als Kraftbrühe, Suppe oder Drink, aber auch gut für Salatdressings, weil es Öl und Essig miteinander verbindet.“ Als „feiner und eleganter als Soja-Miso“, „blumig“ und „mit leichter Karamell-Note“ wurde die in heißem Wasser aufgelöste Paste von den Verkoster*innen beschrieben.
Ebenfalls mit Süßlupinen arbeitet Linda Kelly vom gleichnamigen Biolandhof in Herdwangen am Bodensee. Als Bäuerin schätzt sie nicht nur die gesundheitlichen Pluspunkte der Lupinensamen, die zum Beispiel alle essenziellen Aminosäuren enthalten, die der menschliche Körper braucht. Wie alle Hülsenfrüchte gelten Lupinen auch als Bodenverbesserer, denn sie können über Knöllchenbakterien an den Wurzeln Stickstoff aus der Luft im Boden binden. Diese quasi „natürliche Düngung“ kommt sogar noch den Nachfolgekulturen zugute. Vom Kelly-Hof gibt es nicht nur Lupinenmehl, -schrot, -kerne oder -porridge, sondern auch Lupinenkaffee – wahlweise pur oder mit einem Gewürzmix aus Kardamom, Zimt, Ingwer und anderem versetzt. Das Pulver löst sich nicht auf, sondern wird wie normaler Filterkaffee aufgebrüht und ist nicht nur für Menschen mit Glutenunverträglichkeit eine gute Alternative zum Getreidekaffee.
Bohnen mal ganz anders
Für die meisten Verkoster*innen ein neues Geschmackserlebnis war das Tempeh aus schwarzen Bohnen des Brandenburger Unternehmens Peaceful Delicious. Geschäftsführer Frank Schlefendorf gab wichtige Zubereitungstipps: Den Block in etwa 0,5 bis 1 Zentimeter breite Streifen schneiden und in reichlich neutralem Öl auf beiden Seiten anbraten, anschließend abtropfen lassen und nach Belieben würzen. „Eine fettarme Zubereitung ist nicht wirklich lecker.“ Obwohl die schwarzen Bohnen einen nussigen kräftigen Eigengeschmack hätten, hänge viel von den nach dem Braten verwendeten Gewürzen ab, denn das eigentliche Produkt bestehe nur aus den Zutaten Bohnen, Ferment und Apfelessig. Bohnen-Tempeh-Streifen oder Würfel passen, so Schlefendorf, gut als Topping zu Salaten. Durch die Fermentation werden die Bohnen deutlich leichter bekömmlich.
Nicht die schwarzen, sondern ganz normale Ackerbohnen nimmt Cecilia Antoni für ihren Snack. „Ich wollte eine Hülsenfrucht verwenden, die bei uns wächst.“ Ackerbohnen werden in Deutschland immerhin auf 60.000 Hektar angebaut, landen aber hauptsächlich im Tierfutter – deshalb werden sie auch manchmal als „Saubohnen“ bezeichnet. „Im Mittelalter waren Ackerbohnen noch ein Grundnahrungsmittel, sind dann aber aus der Mode gekommen. In Italien gelten sie immer noch als Delikatesse.“ Cecilia Antoni versucht schon lange, das Image von Hülsenfrüchten aufzupolieren und veröffentlicht auf ihrem Blog beanbeat.de regelmäßig außergewöhnliche Rezepte. Da war der Weg bis zum eigenen Start-Up namens Bohnikat nicht weit. Der herzhafte Ackerbohnensnack – fettfrei geröstet und anschließend mit Rapsöl und Salz vermischt – ist dort das erste Produkt, weitere sollen folgen. „Hülsenfrüchte sind köstlich, vielseitig und nährstoffreich“, schwärmt Antoni.
Aufstrich und Pasta als gelungene Resteverwertung
Zwei weitere Produkte der Verkostung entstanden als Idee zur Resteverwertung: Benedikt Sprenker baut auf seinem landwirtschaftlichen Betrieb im westfälischen Beckum Edamame an. Diese Sojabohnen werden noch unreif geerntet, haben dann eine leuchtend grüne Farbe und eine weiche Konsistenz. Sprenker verkauft die Schoten hauptsächlich als Frischware, die dann im Ganzen gegart werden müssen und nach japanischem Vorbild inzwischen als Snack zum Bier gereicht werden. „Es bleiben aber immer mal Schoten übrig oder werden aussortiert“, erzählt Sprenker. Und die werden inzwischen zu Cremes in drei Geschmacksrichtungen verarbeitet, ideal als Aufstrich auf Brot oder als Dipp für Gemüsesticks.
Auch bei der Erzeugergemeinschaft „Alb-Leisa“, zu der inzwischen 120 Linsen anbauende Biobäuer*innen auf der Schwäbischen Alb gehören, dachte man über eine gute Verwertung von Bruch- oder schrumpeligen Linsen nach, die nicht in den Verkauf kommen. „Viel zu schade, um als Tierfutter zu enden“, fand nicht nur Lutz Mammel von der Erzeugergemeinschaft. Stattdessen werden die Linsen zu Mehl vermahlen, das dann wiederum kombiniert mit Dinkelmehl zu Nudeln verarbeitet wird. „In einem Auflauf mit Gemüse schmecken sie wunderbar“, empfiehlt Mammel.
Auf den Geschmack kommen
Ohnehin gleicht die Geschichte des Linsenanbaus auf der Schwäbischen Alb einem modernen Märchen. Bis in die 1950er Jahre war die Region ein Schwerpunkt im deutschen Linsenanbau, dann geriet die traditionelle Frucht in Vergessenheit. Als Woldemar Mammel, der Vater von Lutz, sich in den 1980er Jahren wieder daran versuchte, waren die historischen Sorten verschwunden. Mammel musste auf Linsen aus Frankreich und Italien ausweichen. Erst 2006 wurden zwei der alten Sorten, Späth´s Alblinse I und II, in einer Saatgutdatenbank im russischen Sankt Petersburg wiederentdeckt. Einige hundert Samen kamen so auf die Schwäbische Alb zurück und wurden in mühevoller Arbeit vermehrt. Heute sind die Alb-Leisa Linsen eine geschätzte Delikatesse.
Solche Erfolgsgeschichten wären den Hülsenfrüchten noch viel häufiger zu wünschen: In Deutschland wachsen sie bislang nur auf 1,2 Prozent der gesamten Ackerfläche. Die Anbauzahlen sind zwar in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, bleiben aber insgesamt gesehen auf einem sehr niedrigen Niveau. Umso wichtiger ist es, die kleinen Erzeuger*innen und Produzent*innen vor Ort zu unterstützen, die im Sinne von Slow Food gut, sauber und fair arbeiten. Und den Hülsenfrüchten wieder einen wichtigen Platz im Speiseplan einzuräumen. Bei dem vielfältigen Produktangebot und den unterschiedlichen Geschmackserlebnissen dürfte das kaum ein Problem sein.
Autorin: Birgit Schumacher
]]>In Deutschland lässt sich trefflich speisen: regional, köstlich und „gesund“. Mit Lebensmitteln, die aus einer vielfältigen, ökologischen Landwirtschaft stammen, mit artgerecht gehaltenen Tieren.
Schön, wenn alle Menschen auf ein solches im Slow-Food-Sinne gesundes Essen Wert legen würden. Schlecht, dass in diesem Fall gar nicht genug für alle da wäre. Denn schon jetzt importiert Deutschland jede Menge Obst und Gemüse, weil die eigene Produktion bei Weitem nicht ausreicht.
Von Hülsenfrüchten und Nüssen gar nicht zu reden. Im Übermaß dagegen erzeugen Deutschlands Landwirt*innen Fleisch, Milch und Zucker. In Mengen, die weder für den Einzelnen noch für den Planeten gesund sind.
Wie eine für unsere Erde gesunde Ernährung aussehen könnte, hat 2019 die Eat-Lancet-Kommission mit ihrer »Planetary Health Diet« gezeigt. Sie empfiehlt eine weitgehend Pflanzliche Ernährungsweise, der man sich nach Slow-Food-Meinung nicht radikal verschreiben muss. „Für uns sind diese Empfehlungen ein spannender Kompass, der unterstreicht: Wir kommen um mehr Pflanzliches und weniger Tierisches nicht umhin, wenn wir die Welt ohne Labor-Essen gut ernähren wollen“, sagt Nina Wolff, amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Nach Ansicht der Eat-Lancet-Kommission müsste die/der deutsche Durchschnittsesser*in drei Viertel weniger Fleisch, vier Fünftel weniger Eier und ein Viertel weniger Milchprodukte zu sich nehmen. Stattdessen stünden jede Menge Vollkorngetreide, Obst, Gemüse und Nüsse auf dem Speiseplan, dazu reichlich Hülsenfrüchte als Eiweißlieferant. Doch woher soll dieses Essen kommen? Im Moment produziert die deutsche Landwirtschaft nicht das, was nötig wäre.
Fleisch für den Weltmarkt
Deutschland ist nicht nur bei Maschinen und Geräten Exportweltmeister, sondern auch bei einigen tierischen Lebensmitteln. So wuchsen 2019 in Deutschland 53 Millionen Mastschweine heran und wurden geschlachtet. Die Hälfte von ihnen wurde als tiefgefrorene Hälften oder weiterverarbeitet zu Fleisch- und Wurstwaren exportiert. In andere EU-Staaten aber auch weit darüber hinaus. Bei Rind- und Geflügelfleisch ging je rund ein Drittel der heimischen Erzeugung ins Ausland. Die vier Millionen Milchkühe in Deutschlands Ställen lieferten 2019 insgesamt 32,4 Millionen Tonnen Milch, die von den Molkereien verarbeitet wurde. Die Hälfte dieser Milch wurde exportiert, vor allem als Milchpulver. All diese Tiere brauchen Nahrung und so ist es wenig verwunderlich, dass auf 60 Prozent der deutschen Ackerfläche Tierfutter wächst, vor allem Mais und Getreide. Doch das reicht nicht. Hinzu kommen noch mehr als drei Millionen Tonnen eiweißreicher Sojaschrot aus süd- und nordamerikanischen Monokulturen, die Deutschlands Landwirt*innen jedes Jahr an ihre Tiere verfüttern.
Viel zu wenig Obst und Gemüse
Ein erster Schritt zu einer planetengesunden Landwirtschaft wäre ein deutlicher Abbau der Tierbestände. Dies würde viel Futter-Ackerfläche freimachen für andere Erzeugnisse. Das wäre auch dringend nötig, denn bei den pflanzlichen Lebensmitteln klafft eine große Lücke. Das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) hat für das Wirtschaftsjahr 2018/19 bei Gemüse einen Selbstversorgungsgrad von 36 Prozent und für Obst von 22 Prozent ermittelt. Dieser Selbstversorgungsgrad ist im Prinzip ein einfacher Dreisatz: Man nehme die in Deutschland im Wirtschaftsjahr 2018/19 erzeugte Menge, etwa an Äpfeln. Das waren laut BLE 1 119 000 Tonnen. Diese Zahl wird durch die Menge an verbrauchten Äpfeln – frisch und verarbeitet – von 2 319 000 Tonnen geteilt. Das ergibt 0,48, also einen Selbstversorgungsgrad von 48 Prozent. Die anderen 52 Prozent wurden importiert, aus dem nahen Südtirol ebenso wie aus Neuseeland.
Dieser Selbstversorgungsgrad schwankt jedes Jahr. Je nachdem wie die Apfelernte ausfällt waren es auch schon 32 oder 60 Prozent. Damit liegen die Äpfel beim Obst in Sachen Selbstversorgung an der Spitze, gefolgt von Pflaumen, Erdbeeren und Johannisbeeren. Schon bei Birnen und Kirschen sinkt der Eigenanteil auf 20 Prozent. Aprikosen, Pfirsiche und Zitrusfrüchte sowie alle Trockenfrüchte kommen komplett aus dem Ausland, Bananen und Ananas sowieso. Für bio gilt das im Prinzip ebenso, auch wenn der Selbstversorgungsgrad bei Äpfeln 2018/19 bei 80 Prozent lag.
Gemüse aus dem Süden
Beim Gemüse können wir Deutschen uns zumindest bei Weiß und Rotkohl selbst versorgen, bei Sellerie reicht es fast und bei Lauch, Rüben, Kopfsalat und Blumenkohl kommen jeweils 70 Prozent von deutschen Betrieben. Bei den Zwiebeln wächst mehr als die Hälfte bei uns und ansonsten helfen die Niederlande und Spanien aus. Doch im Frühjahr, wenn die Lager leer werden und die neuen Zwiebeln noch wachsen müssen, kommt der Ersatz aus Ägypten oder Neuseeland. Was den Gemüse-Versorgungsgrad nach unten reißt, sind Fruchtgemüse wie Tomaten, Zucchini und Paprika, die fast komplett importiert werden. Gerade mal vier Prozent aller gegessenen Tomaten werden auch hier angebaut, die anderen kommen aus Italien, Spanien und den Niederlanden zu uns. Bio steht beim Fruchtgemüse etwas besser da, weil in den letzten Jahren mehrere große Bio-Gewächshäuser gebaut wurden. Doch auch hier kommt der Großteil an Tomaten & Co. aus dem Ausland.
Gründe für die geringe Selbstversorgung gibt es mehrere: Der Freilandanbau ist durch das Wetter beschränkt und nicht jedes Erzeugnis lässt sich über Monate lagern. Das Gefühl für Saisonalität
ist vielen Verbraucher*innen verloren gegangen. Schließlich gibt es im Laden immer alles zu (fast) jeder Zeit. Doch kommen diese Produkte dann eben aus Ländern mit viel Sonne wie Spanien oder Ägypten oder gleich vom anderen Ende der Welt, wo Sommer ist, wenn es bei uns schneit. Auch der Preis spielt eine Rolle: Arbeiter*innen in Polen oder auf dem Balkan ernten Äpfel, Zwetschgen und Beeren viel billiger als deutsche Betriebe. Ein Großteil des Obstes für die Verarbeitung kommt tiefgefroren von dort, bio und konventionell.
Eiweiß aus heimischem Anbau
Wenn die Deutschen weniger tierisches Eiweiß essen sollen, brauchen sie eine andere Eiweißquelle. Hier bieten sich Bohnen, Erbsen, Linsen und andere Hülsenfrüchte an, die hierzulande kaum noch erzeugt werden. Zwar hat sich die Anbaufläche in den letzten sechs Jahren auf 220 000 Hektar verdoppelt. Doch dort wachsen vor allem Ackerbohnen, Futtererbsen sowie Lupinen und Sojabohnen, die verfüttert werden. Nur ein geringer Teil kommt auf den Teller, meist zu Fleischersatzprodukten verarbeitet. Buschbohnen und Erbsen aus den Gärtnereien decken einen Teil des saisonalen Bedarfs. Getrocknete Bohnen kommen fast komplett aus dem Ausland. Das gilt übrigens trotz vieler Walnussbäume und Haselsträucher auch für Nüsse. Die Zahlen zeigen, wieviel zu tun ist, damit wir uns von einer regionalen Vielfalt pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel ernähren können, die tatsächlich gut, sauber und fair erzeugt und verarbeitet wurden. Da ist politischer Wille und staatliche Förderung gefragt, denn es fehlt an passenden Verarbeitungsstrukturen und an Erfahrung im Anbau ebenso wie an fairen Wettbewerbsbedingungen. Doch es gibt viele Beispiele, die zeigen was mit Engagement möglich ist.
Nachmachen erwünscht
Netzwerke von Biogärtnern wie Dreschflegel kümmern sich um die Erhaltung alter Gemüsesorten. Deren Vielfalt braucht es, um geschmackvolle und regional angepasste Sorten zu züchten, die auch mit schwierigen klimatischen Bedingungen fertig werden. Es waren Biobäuer*innen auf der Schwäbischen Alb, die den Arche-Passagier Alblinse aus einer russischen Genbank zurückholten und den Linsenanbau wieder heimisch machten. Andere begannen damit, in Brandenburg wieder Hirse anzubauen oder brachten mit der Lupine eine neue Hülsenfrucht auf den Teller. Deutsche Biolandwirt*innen haben sich auch an Senf und Sonnenblumen herangetraut, die bisher weitgehend importiert werden.
Es braucht auch regionale Strukturen, um diese Erzeugnisse zu verarbeiten. Zahllose Molkereien, Mühlen, Schlachthöfe oder Ölpressen sind in den letzten fünfzig Jahren dem »Wachsen oder Weichen«, der industriellen Ernährungswirtschaft, zum Opfer gefallen. Auch hier gibt es Beispiele eines Wandels: Stadtmolkereien in Bürgerhand, Metzger*innen und Kommunen, die wieder örtliche Schlachthäuser eröffnen, regionale Ölpressen und alte Mühlen, die ihre Zukunft mit regionalem Getreide sichern. Solidarische Landwirtschaften schießen wie die Pilze aus dem Boden und verbinden Verbraucher*innen und Biolandwirt*innen.
Bei all diesen Initiativen vor Ort darf die größte Stellschraube nicht vergessen werden: die EU-Subventionen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Expert*innen aus Wissenschaft, Umweltschutz und Bio-Verbänden sind sich seit Jahren einig: Gefördert werden sollen die Leistungen der Landwirt*innen für das Gemeinwohl und nicht wie bisher pauschal die bewirtschaftete Fläche. Die Zutaten also wären angerichtet. Nun muss gekocht werden.
Autor: Leo Frühschütz; erschienen im Slow Food Magazin Ausgabe 6, 2020
]]>Die Basis für ‚echten‘ Brot- und Biergenuss bilden aus Sicht von Slow Food Saatgutvielfalt, gesunde Böden, handwerkliches Know-How sowie Wertschätzung. Doch ist es um all dies nicht gut bestellt. Allein die Vielfalt unserer Kulturpflanzen ist in den vergangenen 100 Jahren durch die Industrialisierung der Landwirtschaft weltweit um 75 Prozent zurückgegangen. Saatgut-Monopole, Gentechnik, Klimawandel und Kriege sowie Preise, die den wahren Wert unserer Lebensmittel nicht abbilden, gefährden unser kostbares Erbe. Bei der Online-Verkostung zu Brot und Bier zeigt Slow Food die Stellschrauben für eine Landwirtschaft, Lebensmittel-erzeugung und Ernährung, die die planetaren Grenzen respektiert und gleichzeitig Genuss und Freude verspricht.
Welche Rolle spielt ein fruchtbarer Boden für gesundes Brot? Wie hängt die Vielfalt von Ackerböden mit der von Brot- und Biersorten zusammen? Wie können wir die Diversität erhalten und was ist sie uns wert? Wie schmecke ich handwerkliche Verarbeitung bei Brot und Bier heraus? Und welche Rolle spielt die Zutat ‚Zeit‘? Durch den Abend führt Katrin Simonis, Alumna der Slow Food Youth Akademie. Als Expert*innen an ihrer Seite sind:
Das Verkostungspaket enthält folgende acht Spezialitäten & kostet inkl. Versand 36 Euro:
Wie läuft eine Slow Food Deutschland Online-Verkostung ab? Sie melden sich an und erhalten von Beckabeck heimische Brot- und Bierspezialitäten zugesandt. Beckabeck ist somit Ihr Vertragspartner für das Verkostungspaket und stellt die Rechnung. Slow Food Deutschland ist Ideengeber und organisatorischer Partner und lässt Ihnen die Zugangsdaten und technischen Hinweise per E-Mail vor der Veranstaltung zukommen. Am 26.02.2021 schalten Sie sich um 19:00 Uhr live mit ein und können unter der Anleitung von Katrin Simonis zusammen mit den Produzent*innen und Expert*innen den Abend genießen.
Bitte melden Sie sich >> hier verbindlich bis zum 17.02.21 an. Mit der Anmeldung ist automatisch die Bestellung des Verkostungspakets bei Beckabeck verbunden. Der 17.02.21 ist letztmöglicher Bestell- und Anmeldetermin. Der Versand der Pakete erfolgt ab dem 22./23.02.21.
Rückfragen unter projektbeauftragte@slowfood.de
Man kann sich die Lage der Welt wie eine Küstenstadt vorstellen, die ohne Schutz durch Deiche die nächste Sturmflut herantosen sieht. Da ist die erste Welle, die über die Küste zu schwappen droht und die Corona heißt. Gleich dahinter aber türmen sich schon zwei weitere Wellen: die Welle namens Klimakrise und die namens Artensterben. Der Umweltforscher Josef Settele ist eine der Stimmen, die vor dem Zusammenhang zwischen diesen drei großen Krisen warnen: Sie verstärken sich gegenseitig und drohen im Zusammenwirken unberechenbar zu werden. Oder wie Nina Wolff, die amtierende Slow Food-Deutschland-Vorsitzende, zur Eröffnung eines Podiums „Menschengesundheit nicht ohne Planetengesundheit“ sagte: „Eine Triple-Krise ist etwas, mit dem man sich ernsthaft auseinandersetzen sollte. Die Zeitfenster, das zu fixen, bemessen sich nicht in Jahrhunderten, sondern in Jahrzehnten. Mit anderen Worten: Unser Handeln ist jetzt gefragt.“
Das mag erstmal bedrohlich klingen. Erst recht in einer Zeit, die mit guten Nachrichten geizt. Und doch wohnt dieser Analyse etwas fundamental Konstruktives inne. Das jedenfalls verdeutlichten während der Podiumsdiskussion unter Moderation der Autorin Tanja Busse neben Nina Wolff auch die Ulmer Evolutionsökologin Simone Sommer, der Generalsekretär des internationalen Biodynamie-Verbandes Demeter, Christoph Simpfendörfer, und Hubert Hohler, gastronomischer Leiter der Buchinger Wilhelmi Klinik am Bodensee und Mitglied der Slow Food Chef Alliance. Denn eine Erkenntnis, die sich durch die Beiträge der Diskutanten zog: Jenseits der nötigen großen Schritte durch die Politik gibt es auch viele kleine Schritte, die jede*r Einzelne von uns gehen kann, diese Krisen einzudämmen. Und diese Schritte führen über unsere Ernährung.
„Eine Erkenntnis ist, dass wir keine einzige dieser Krisen bewältigen werden, wenn wir unserer Art, Lebensmittel herzustellen, zu handeln und zu verzehren, nicht radikal ändern“, sagt Nina Wolff. Das verdeutlichen zwei Zahlen: pro Kopf verbraucht jeder Mensch in den industrialisierten Ländern heute etwa 80 Kilogramm mehr Lebensmittel pro Jahr als noch in den 1950er Jahren. Und der Planet muss heute mehr als drei Mal so viele Menschen ernähren wie damals. Es wird enger auf dem Planeten, Mensch und Tier drängeln sich um immer weniger Flächen.
Wo es Tier und Mensch zu eng wird
Da ist es kaum ein Wunder, dass Simone Sommer sagt: „Gut 60 Prozent menschlicher Infektionen sind heute Zoonosen.“ Also Krankheiten durch Erreger, die von Tieren auf den Menschen überspringen, wie eben der Corona-Erreger. „Und eine der treibenden Kräfte dabei“, sagt Sommer, „ist der Verlust der Biodiversität.“ Für Sommer ist deswegen klar: „Zoonosen nehmen schon aufgrund der demographischen Entwicklung zu: Wir sind einfach sehr viele Menschen. Hinzu kommt, dass industrielle Landwirtschaft und Umweltveränderungen, etwa durch Entwaldung, die Voraussetzungen für Zoonosen vereinfachen.“ Sie sieht den nicht-nachhaltigen Teil der Landwirtschaft als Baustein, aus dieser Lage herauszukommen. „Eine gesunde Menschheit ist nicht zu trennen von der Gesundheit von Tieren und Umwelt.“ Menschengesundheit führt eben nur über Planetengesundheit.
Ein Ernährungsstil für den Planeten
Den Gedanken hat bereits vor zwei Jahren die Eat-Lancet-Kommission formuliert und in eine Planetary Health Diet, also eine Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen, übersetzt. Die Idee dahinter ist so einleuchtend wie Slow Food kompatibel: jeder Mensch muss seine Ernährung so ändern, dass er der Erde nur das an Ressourcen entnimmt, das ihm rechnerisch zusteht. Das heißt nicht, dass alle Menschen nur noch Getreide oder nur noch Gemüse essen. Aber dass sie sich ihres rechnerischen Ressourcenverbrauches bewusst werden. „Es kommt auf das rechte Maß an“, sagt Nina Wolff. „Und auf die Verortung: Diese Ernährung wird an der Küste anders aussehen als in den Bergen, auf dem Land anders als in der Stadt.“
„Wir brauchen dafür regionale Kreisläufe“, sagt Demeter-Mann Christoph Simpfendörfer. „Und wir müssen Regionalität neu denken: Wir brauchen regionale Produkte, die Tier und Planeten gerecht werden.“ Entscheidend ist dabei die Verknüpfung von Regionalität und ganzheitlicher Nachhaltigkeit: im Lebensmittelanbau wie in der Verarbeitung. Wenn die Pute aus der Region gequält oder mit Soja aus Brasilien gefüttert wird, später dann von Billiglöhnern in Industrieschlachthäusern getötet wird, löst das keine sondern schafft neue Probleme.
„Wir müssen eben wieder essen, als ob es ein Morgen gäbe“, sagt Hubert Hohler. „Unser täglich Brot geb uns heut, ist ok. Unser täglich Fleisch gib uns heute, geht nicht.“ Er wirbt deswegen dafür, durch die eigene Ernährung vier Komponenten unter einen Hut zu bringen: Gesundheitsverträglichkeit, Wirtschaftsverträglichkeit, Sozialverträglichkeit, Umweltverträglichkeit.
Wo Politik eingreifen muss
Das ist gleichermaßen Auftrag an Politik und jede*n Einzelne: Denn viele kleine Schritte helfen genauso, die Herausforderungen zu lösen, wie es auch die großen politischen Schritte braucht. Da stimmt es einerseits zuversichtlich, wenn hohe Vertreter*innen der Europäischen Kommission wie Präsidentin Ursula von der Leyen oder ihr Vize Frans Timmermanns von „Ökozid“ oder einem „Paris-Abkommen für die Artenvielfalt“ sprechen. Gleichzeitig steuert die Agrarpolitik der Gemeinschaft weiter in die falsche Richtung.
Dabei gäbe es hier wirkungsmächtige Hebel. Simone Sommer sagt: „Die Politik müsste 20 Prozent der Flächen zu Rückzugsflächen für die Natur machen, ganz konsequent.“ Natürlich bräuchten Landwirt*innen dann einen finanziellen Ausgleich dafür. Aber dass das wirkungsvoll sei, sei kaum zu bestreiten. „Wir reden schon sehr lange, aber es ist mühsam, das in den politischen Prozess zu bekommen“, sagt Sommer.
Weniger Verbrauch, mehr Wirkung
„Politik ist das eine“, findet Christoph Simpfendörfer. „Aber es ist schon so, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Wenn man sich seine monatlichen Ausgaben anschaut, sieht man schon, was man alles bewegen kann.“ Das zeigt allein der Zusammenhang zwischen den drei großen Qs Quantität, Qualität und Quantum, den Hubert Hohler aufzeigt: Noch in den 50er Jahren sei es vor allem um Versorgungssicherheit, also die Menge an Lebensmitteln gegangen. Es folgte eine Phase der Qualitätssicherung. Und heute sie die Zeit es Quantums: „Wir fragen heute nicht mehr nach dem Qualitätsproblem, sondern nach dem Quantum: Wann ist es genug?“, formuliert Hohler und spielt damit auf die Frage an, die jede*r von uns beim Erstellen des Speiseplans im Kopf haben sollte.
„Wir müssen ganz klein und ganz groß denken: Gleichzeitig mit den Achtjährigen gut, sauber und fair kochen lernen und die großen Schritte, von unseren Politikern einfordern“, sagt Nina Wolff. Und gleichzeitig natürlich den Genuss nicht vergessen. Denn, auch den ermöglicht eine Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen. Die Formel weniger tierische, mehr pflanzliche Ernährung, etwa im Verhältnis 20:80, bedeutet nicht weniger Genuss. Nina Wolff sagt mit Blick auf Slow Foods Wirken: „Ich würde sagen, wir haben dafür einen lebens- und genussbejahenden Ansatz entwickelt.“ Denn am Ende führt nicht nur ein gesunder Planet zu einem gesunden Menschen, sondern auch eine Ernährung, die Freude bereitet.
Autor: Sven Prange
]]>Über das Buch
„Leckerland ist abgebrannt“, das drei Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste stand, ist kein klassischer Ratgeber. Manfred Kriener stellt keine Gebote auf, schreibt weder auf noch vor, was wir essen sollen und was nicht. Er hat ein Informationspaket geschnürt, mit dem Verbraucher*innen ihren eigenen Kompass neu justieren und sich selbst ermächtigen, kluge Ernährungsentscheidungen zu treffen. Krieners Buch vermisst in elf Kapiteln die kulinarische Landschaft, mitunter scharf gewürzt, aber immer nahrhaft für Kopf und Bauch. Er beschreibt Orte und Un-Orte unserer Nahrungsmittelerzeugung; er beantwortet, warum Lachse zu Veganern erzogen werden, wann das erste Laborfleisch in den Regalen liegen wird und was Veganer*innen auf dem Oktoberfest machen.
]]>Versorgung in der Pandemie, Klimakrise, Artensterben: In kaum einem Bereich laufen die großen Herausforderungen unserer Zeit so zusammen, wie in der industriellen Landwirtschaft. Sie verursacht und ist zugleich anfällig für systemische Krisen : Indem sie zu viel CO2 ausstößt, zu viel Pestizide einsetzt, zu viel Fleisch produziert. Und indem sie die Menschen im Agrarsystem ausbeutet, wie die aktuellen Landwirt*innen-Demos vor Supermärkten zeigen. Oder anders gesagt: Die Art, wie der Großteil der Land- und Lebensmittelwirtschaft arbeiten, führt immer weiter in eine Sackgasse – und bisher ist es niemandem gelungen, auf diesem Weg zu bremsen. Das ist in etwa das Fazit des diesjährigen Kritischen Agrarberichts, den das ArgarBündnis, ein Zusammenschluss von 26 Organisationen aus dem Spektrum nachhaltiger Land- und Lebensmittelwirtschaft, erstellt hat. Titel: „Welt im Fieber – Klima & Wandel.“
„Die Corona-Krise verdeutlicht einmal mehr, dass die menschliche Gesundheit, das Wohlbefinden von Tieren und die planetare Gesundheit nicht isoliert betrachtet werden dürfen und ganz wesentlich von der Art und Weise abhängen, wie wir Nahrungsmittel produzieren, verarbeiten, handeln und konsumieren“, heißt es in dem Bericht, den mehr als ein Dutzend Fachautoren aus Wissenschaft, Politik, Landwirtschaft und Verbraucherorganisationen verfasst haben. Dabei stellt der Bericht, neben einem generell bedenklichen Gesamtzustand der Landwirtschaft, drei Hauptbaustellen heraus: Die soziale Situation auf den Höfen, die Mit-Verantwortung der Landwirtschaft für die Lösung von Klimakrise und Artensterben, sowie die Frage nach mehr Tierwohl.
Klimakrise und Artensterben: Myriam Rapior, Bundesvorstand der BUNDjugend, warnte während der Vorstellung des Berichts davor, dass in Zeiten der Corona-Pandemie die Zwillingskrise aus Klimawandel und Artensterben vergessen wird: „Unsere Bauernhöfe müssen umwelt- und klimaschonend werden, dafür müssen wir die Agrarwende schnellstmöglich angehen. Die Landwirtschaft kann Teil der Lösung der Klimakrise sein, doch sie braucht die Unterstützung der Bevölkerung und der Regierenden.“
Tiere: Zu viel Nitrat im Boden, desaströse Zustände in vielen Ställen, Skandale in Schlachtbetrieben. Die deutsche Landwirtschaft hat ein Tierproblem. „Zentraler Bestandteil einer umfassenden Agrar- und Ernährungswende ist die drastische Reduktion der Tiernutzung und die gezielte Förderung vegetarischer und veganer Ernährungsstile“, sagt BUND-Aktivistin Myriam Rapior. Für Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, gelingt mehr Klimaschutz nur im Schulterschluss mit mehr Tier-, Arten- und Umweltschutz: „Konsum und Produktion von tierischen Produkten müssen erheblich gesenkt werden.“
Wirtschaftliche Lage: Ob das Auf und Ab bei Schweinepreisen, die Dauerturbulenzen am Milchmarkt oder das immer weitere Steigen der Bodenpreise: Der Bericht macht auf die prekäre wirtschaftliche Situation auf vielen Höfen aufmerksam. Philipp Brändle von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sagt: „Fakt ist auch, dass die wirtschaftliche Situation vieler Betriebe aufgrund einer über Jahrzehnte auf Intensivierung getrimmten Agrarpolitik sowie unanständig niedriger Erzeugerpreise oft desaströs ist.“
Das Berichts-Bündnis plädiert deswegen dafür, bei der anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU das Instrument der sogenannten Öko-Regelungen gezielt und umfangreich zu nutzen. Diese Eco-Schemes böten die Chance, Höfe für gesellschaftlich gewünschte Ziele zu honorieren – und so gleichzeitig Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Situation der Betriebe zu verbessern.
Das schlägt auch die Brücke zum Beitrag von Slow Food Deutschland zum Kritischen Agrarbericht. Im Zusammenspiel von Praktikern und Wissenschaftlern entstand in den vergangenen Jahren eine Studie zu Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Milchwirtschaft. Eine der Kernbotschaften: Höfe sollten nur so viel Milch produzieren und so viele Kühe halten, wie sie von ihren Flächen ernähren können. Genau darin sieht Slow Food-Projektbeauftragte und Studien-Autorin Andrea Lenkert-Hörrmann einen Auftrag an die Agrarpolitik: „Die Eco-Schemes bieten die Chance, Landwirtinnen und Landwirte an den richtigen Stellen zu fördern.“ Ein Hof müsse so unterstützt werden, dass er auch mit weniger Tieren wirtschaften könne. „Gutes Weidemanagement ist die beste Voraussetzung für den Schutz von Klima und Artenvielfalt und sollte honoriert werden“, sagt Lenkert-Hörrmann. „Dann führen Eco-Schemes auch zu einer nachhaltigen Milchwirtschaft.“
Höfe besser für gesellschaftliche Leistung zu entlohnen, würde auch ein anderes Problem lösen – die zunehmenden Feindbilder zwischen unterschiedlichen Lagern in der Agrardebatte. Fortschritt, betonen die Beteiligten der Studie, geht nur, wenn die Menschen in der Landwirtschaft nicht gegeneinander streiten. Frieder Thomas, Geschäftsführer des Agrarbündnisses, sieht immerhin dafür gute Ansätze: „Mittlerweile gehen auch diejenigen auf die Straße, die dem System gefolgt sind.“
Autor: Sven Prange
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