Fleisch ganz oder gar nicht: Blunk (2017)

18.9.2017 – Wenn  schon Fleisch auf den Teller kommt, dann soll doch bitte das Tier ganz verarbeitet werden und aus artgerechter Tierhaltung stammen – so die Slow-Food-Devise. Um diese Ganztierverwertung und damit den Genuss vermeintlich „unedler“ Stücke von Kopf über Nase und Innereien bis zum Schwanz ging es beim Slow Food Kuttelgespräch im Landhaus Schulze-Hamann in Blunk am vergangenen Freitag.

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Bei der Veranstaltung im Rahmen des 25- jährigen Vereinsjubiläums von Slow Food Deutschland e. V. im Landhaus Schulze-Hamann in Blunk stattfand, stand ein für viele Verbraucher etwas ungewöhnlicher Fleischkonsum im Fokus: Die Verwertung verschmähter Stücke wie Herz, Niere, Gehirn und Zunge. Während der einführenden Gesprächsrunde erläuterten Frederik Schulze-Hamann, Vorstandsmitglied von Slow Food Deutschland, Inken Mohr, Züchterin der Angler Sattelschweine, Jörn Vollstedt, Schlachtermeister bei Schulze-Hamann sowie die Gastwirtin Angela Schulze-Hamann warum ein Umdenken in Richtung Ganztierverwertung unabdingbar ist. Nicht nur weil diese die Küche um eine Vielzahl an – manchmal schon fast vergessenen – Speisen bereichert. Sondern vor allem, weil dies ein entscheidendes Kriterium für einen gegenüber Mensch, Tier und Umwelt verantwortlichen zukünftigen Fleischkonsum ist. Jörn Vollstedt erklärte, zu was sich die einzelnen Stücke Fleisch weiterverarbeiten lassen und welches handwerkliche Können dafür nötig ist. Der Debatte angeschlossen war ein kreativ-buntes Buffet u.a. mit Gegrillter Zunge auf Blunker Bio-Wildkräutersalat, Flambierte Nierchen in Cognacsahne und Gebackenes Hirn mit Tempura auf Graupen, zubereitet von Angela Schluze-Hamann 

Bild oben: Gastwirtin Angela Schulze-Hamann präsentiert das Von-Kopf-bis-Schwanz-Buffet.

"Verbraucher tragen Mitverantwortung!"

Die Frage nach der Erzeugung, Weiterverarbeitung und des Konsums tierischer Produkte ist für Slow Food im Hinblick auf das Erreichen eines zukunftsfähigen Lebensmittelsystems schon lange zentral. „Wir wollen Wege aufzeigen, wie wir uns weg vom Tierleid hin zum Tierwohl bewegen können sowie Möglichkeiten, wie Verbraucher zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung von tierischen Produkten beitragen können,“ so die Vorsitzende von Slow Food Deutschland Ursula Hudson zum Thema. „Durch den so genannten ‚von Kopf bis Schwanz‘-Verzehr von qualitativ hochwertigem Fleisch aus artgerechter Tierhaltung und der Reduzierung des Fleischkonsums auf wenige Male pro Woche, können Verbraucher den dringend nötigen Wandel mittragen. Sie tragen Mitverantwortung, damit Tierfabriken und Massenschlachthöfe bald der Vergangenheit angehören“.

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"Für vier Portionen sollen nicht zwei Schweine sterben!"

Während des Kuttelgespräches erläuterte die Köchin Schulze-Hamann: „Auch die Gastronomie muss dringend enkeltauglicher werden. Seit Jahren führe ich keine Schweinemedaillons mehr auf der Karte, denn ich kann es nicht verantworten, dass für vier Portionen, zwei Schweine sterben müssen. Stattdessen führe ich Leber, Schweinebäckchen und Schnitzel vom Weideschwein.“

Dass Genuss mit Verantwortung einhergehen kann und muss machte Inken Mohr, Züchterin von Angler Sattelschweinen und anderen alten Tierrassen während der Diskussion deutlich: „Anders als die Schweine aus der gängigen ‚100-Tage-Mast‘, darf das Angler Sattelschwein ein Jahr lang leben, gängigerweise als Weideschwein. Das heißt es bekommt drei Mal so viel Futter und Zeit zum Wachsen, was sich dann in der Qualität des Fleisches sowie im Geschmack positiv bemerkbar macht.“ Mohr beklagte außerdem, dass  das handwerkliche Können und Wissen rund um die Ganztierverwertung von Tieren nahezu vom Aussterben bedroht sei. Eine Tatsache, die auch Schlachtermeister Jörn Vollstedtwährend in der Diskussionsrunde unterstrich: „Leider ist das Bewusstsein für die Vielzahl an genießbaren Teile von Tieren in einem schleichenden Prozess abhanden gekommen und der Verbraucher hat sich immer mehr vom Knochen entfernt,“ so Vollstedt. Diese Entwicklung spiegelt den von der Lebensmittelindustrie angetriebenen, fortwährenden Prozess der Entfremdung des Verbrauchers von den Nahrungsmitteln wider. 

Bild oben: Bäuerin Inken Mohr aus Blunk mit einem ihrer Angler Sattelschweine. | © Heyka Glißmann

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Erschreckend wenig Wertschätzung für Fleisch

Durch Veranstaltungen wie die Kuttelgespräche möchte Slow Food vom Vergessen bedrohte Fleischteile wieder salonfähig machen, Verbrauchern Tipps zur Verwertung an die Hand geben und der Lebensmittelverschwendung tierischer Produkte entgegenwirken. Denn häufig wird nur ein relativ geringer Anteil eines geschlachteten Tieres verzehrt. Vor allem in Deutschland und anderen Industriestaaten können nur die edlen Fleischteile gewinnbringend verkauft werden. Beim Schaf liegt der verzehrte Anteil des mit lediglich 33 Prozent noch niedriger als bei Rind, Schwein und Geflügel – ein erschreckendes Beispiel für die mangelnde Wertschätzung von Lebensmitteln, der für die Produktion investierten Ressourcen sowie allgemein für die Schieflage des industrialisierten Lebensmittelsystems.

Bild links: Unter den Spezialitäten des Abends ist unter anderem Hausmachersülze. Weitere Gerichte sind Gegrillte Zunge auf Blunker Bio-Wildkräutersalat, Flambierte Nierchen in Cognacsahne und Gebackenes Hirn mit Tempura auf Graupen.

Slow Food Kuttelgespräche

Das „Slow Food Kuttelgespräch“, eine Gesprächsrunde am Herd zu guten, fairen und sauberen Lebensmitteln, ist ein Slow-Food-spezifisches Format. „Kutteln“ als Teil der Wortneuschöpfung „Kuttelgespräche“ sind bewusst gewählt. Symbolhaft stehen sie in dieser Veranstaltungsreihe für unangepasste, provokative und neue Sichtweisen von Slow Food auf das aktuelle Lebensmittelsystem, über die man sich in Experten-Gesprächen austauscht. Die charakteristische Slow-Food-Prägung erhält das Format zudem durch das gemeinsame Kochen und den Genuss der zubereiteten Gerichte. Das erste Slow Food Kuttelgespräch fand im Dezember 2014 anlässlich des internationalen Slow Food Terra Madre Tags statt. Die Reihe wird bundesweit bei verschiedenen Veranstaltungen fortgesetzt.

25 Jahre Slow Food Deutschland. Das Slow Food Kuttelgespräch in Blunk gehört zu den den diesjährigen Jubiläumsveranstaltungen. Unter dem Motto „25 Jahre Slow Food Deutschland – Weil uns die Zukunft des Essens und unserer Lebensmittelerzeuger wichtig ist“ feiert Slow Food Deutschland gemeinsam mit den rund 14.000 Mitgliedern das 25-jährige Vereinsjubiläum. Veranstaltungen in ganz Deutschland rücken Erzeuger und Produkte in den Fokus, die schon heute im Zeichen eines zukunftsfähigen Lebensmittelsystems und ökologischer Nachhaltigkeit stehen.
Weitere Veranstaltungen im Jubiläumsjahr

Quelle: Pressemitteilung von Slow Food Deutschland vom 18. August 2017

Mehr Informationen:

Die Slow-Food-Broschüre „Fleisch: Ganz oder gar nicht"

Slow Thema: Tiere in der Landwirtschaft - Informationen, Aktionen, Positionen

Arche-Passagier Angler Sattelschwein

Alle Bilder:© Sharon Sheets

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