Am Freitag, den 15. September, gehen wir gemeinsam mit Fridays for Future beim bundesweiten Klimastreik auf die Straßen. In hunderten Orten protestieren wir mit Menschen allen Alters und aus allen Teilen unserer Gesellschaft. Für eine Politik, die Klimaschutz und mehr soziale Gerechtigkeit zusammen denkt und ihre globale Verantwortung annimmt und konsequent umsetzt.
Wir fordern von der Bundesregierung …
Wir wollen eine Regierung, die sich an Klimazielen orientiert, denen sie sich verpflichtet hat. Das können wir erreichen, wenn wir alle - jung und alt - zusammen auf die Straßen gehen. Sei am Freitag, den 15. September bei Dir vor Ort mit dabei und werde Teil des weltweiten Klimastreiks von Fridays for Future.
Mehr Informationen unter: https://www.klima-streik.org
]]>Für den Schutz der Biodiversität spielt die Art der landwirtschaftlichen Produktion eine entscheidende Rolle. Mit dem neuen Bildungsprojekt „Green Spoons - Löffel für Löffel biologische Vielfalt stärken“ vermittelt SFD Kindern und Jugendlichen die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Biodiversität. Bundesumweltministerin Steffi Lemke zum Projektstart: „Viele Tier- und Pflanzenarten der offenen Landschaften sind durch die Intensivierung der Landnutzung stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht. Doch wir können durch unsere Ernährung und durch bewusste Kaufentscheidungen, von beispielsweise regionalen Lebensmitteln, einiges beitragen zu mehr Arten- und Ressourcenschutz. So können wir eine echte Trendwende unterstützen – die Natur hat sie dringend nötig.“ Slow Food Deutschland möchte jungen Erwachsenen Lust machen, zu dieser Trendwende beizutragen und positive ökologische Fußabdrücke zu hinterlassen, indem sie sich mit ihren Ernährungsgewohnheiten innerhalb der planetaren Grenzen bewegen und für Vielfalt auf Äckern und Weiden, in Gewässern und Gärten mitsorgen.
Gemeinsam mit wissenschaftlichen und pädagogischen Fachleuten werden für Lehrkräfte Module zu Ernährung in Bezug zu Boden (2023), Wasser (2024) sowie Klima (2025) entwickelt und bundesweit an fünf Pilotschulen erprobt. Als Blended-Learning-Konzept verbinden die Module digitales und analoges Lernen auf innovative Weise und sind leicht in den Stundenplan zu integrieren. Sie lassen sich sowohl im Klassenzimmer als auch im außerschulischen Kontext anwenden. Auf der interaktiven Homepage greenspoons.slowfood.de sind die Bildungsmodule sukzessive und frei zugänglich. Den Anfang macht ab sofort der Boden. Zum Bildungsangebot gehören u. a. Rätsel, Videos, Podcasts und Anleitungen, die die Jugendlichen und ihr familiäres Umfeld in den Lernprozess einbeziehen und zum selbstständigen Erforschen und Lernen animieren. Es wird außerdem Multiplikator*innen-Workshops und Broschüren geben.
Nina Wolff, SFD-Vorsitzende fasst das Ziel des Projektes zusammen: „Bei Green Spoons geht es uns nicht um eine reine Wissensvermittlung. Gerade wegen der Warnungen zum rasanten Biodiversitätsverlust seitens der Wissenschaft möchten wir es den Heranwachsenden schmackhaft machen, sich eigenverantwortlich einzubringen. Sei es durch das Probieren von mehr ökologisch erzeugten Grundnahrungsmitteln aus der Region sowie das Kennenlernen von Menschen aus Produktion und Handwerk, durch Vermeidung von Lebensmittelverschwendung oder einen reduzierten Konsum tierischer Erzeugnisse.“ Die Vermittlung von Handlungsoptionen und -spielräumen soll das Überdenken von Gewohnheiten bewirken und neue, der Biodiversität zuträgliche Verhaltens- und Ernährungsweisen unterstützen.
» Zur Website: greenspoons.slowfood.de
Ab diesem Sonntag (6.11.) beraten Vertreter*innen der Weltgemeinschaft weiter darüber, wie die Pariser Klimaziele noch erreicht und die verheerenden Folgen des Klimawandels eingedämmt werden können. Schon heute wirkt sich die Klimakrise in vielen Teilen der Welt massiv aus. Das industrialisierte Lebensmittelsystem sowie daran angepasste Ernährungsgewohnheiten tragen erheblich dazu bei. Die intensive Landnutzung verursacht weltweit 23 Prozent der klimarelevanten Treibhausgasemissionen und eine zunehmende Degradation unserer Böden. Die Landwirt*innen haben aufgrund von Veränderungen der natürlichen Landschaft und extremen Wetterereignissen (Waldbrände, Stürme, Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren usw.) zunehmend Schwierigkeiten, Nahrungsmittel zu erzeugen. Wir riskieren die sichere Existenzgrundlage der Landwirt*innen und die Versorgungssicherheit mit guten, sauberen und fairen Lebensmitteln. Das aber erfährt nach Meinung von Slow Food bei politischen Entscheidungsträger*innen weiterhin nicht ausreichend Aufmerksamkeit.
Dabei ist für Slow Food klar: Unser Agrar- und Ernährungssystem ist nicht nur Ursache und Opfer der Klimakrise, sondern ist von hoher strategischer Bedeutung und muss im Zentrum einer verantwortungsvollen ökologischen Transformation stehen. Deswegen sollte das Thema Ernährung in der Weltklimapolitik eine prioritäre Rolle einnehmen. Nina Wolff, SFD-Vorsitzende betont: „Ernährung ist das ultimative Grundsatzthema unserer Zeit. Weil das Lebensmittelsystem einen erheblichen Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen leisten könnte, sollten Landwirtschaft und Ernährung entsprechend in den Gesprächen und den Beschlüssen der COP27 eingeordnet werden. Die Weltgemeinschaft muss Verantwortung übernehmen, Fortschritte verbindlich einleiten und Zuversicht vermitteln. Die nächsten Jahre sind für Klima- und Biodiversitätsschutz sowie Ernährungssicherung entscheidend.“
Für Slow Food geht damit einher die Förderung ökologisch wirtschaftender Betriebe, kulturell diversen Wissens, regionaler und handwerklicher Versorgungsstrukturen sowie kurzer Lieferketten. „Wir müssen den Bezug zu unserem Essen wiederherstellen, ebenso die Beziehungen zwischen Landwirtschaft und Umwelt, zwischen Ernährungssystemen und Gesellschaft“, so Wolff weiter. Speisepläne sollten vorwiegend pflanzliches Essen, möglichst regional und saisonal, voranbringen; das weltweite Ziel der Halbierung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung muss bis spätestens 2030 erreicht sein.
Unter dem Motto » "Unser Essen: gut und gerecht!“ kommuniziert Slow Food Deutschland aktuell seinen Appell für eine nationale Ernährungsstrategie der Bundesregierung. Die fünf zentralen Forderungen laufen über die Social-Media-Kanäle des Vereins, unterstützt von Stimmen aus dem Netzwerk.
]]>Wir erleben aktuell die dramatischen Folgen von Extremwetterlagen, vor denen die Wissenschaft seit langem warnt. Die Flutkatastrophe an der Ahr hat eine ganze Region erfasst, und jedes einzelne Schicksal ist bedeutend. Was die Menschen in den betroffenen Gebieten durchmachen, ist für Außenstehende nur ansatzweise nachvollziehbar. Ihre Verluste und der harte Weg, der ihnen auch nach Bewältigung der unmittelbaren Katastrophe in den kommenden Monaten und Jahren bevorsteht, sollten von unser aller Mitgefühl und Solidarität begleitet werden. Unter den Betroffenen sind auch diejenigen, die unsere Lebensmittel erzeugen, darunter Winzer*innen, Landwirt*innen, Lebensmittelhandwerker*innen und Gastronom*innen.
Slow Food appelliert an alle Mitglieder des Vereins und an alle, die sich Slow Food verbunden fühlen, die Menschen in der Ahr-Region in den kommenden Monaten zu unterstützen. Ganz allgemein und insbesondere diejenigen des Netzwerks, die mit ihrer Arbeit dazu beigetragen haben und künftig wieder beitragen möchten, dass unsere Versorgung mit und unser Genuss von Lebensmitteln gesichert sind. Für all diejenigen, die spenden möchten, hat Slow Food Spendenmöglichkeiten am Ende dieser Seite zusammengestellt.
Ein weiterer Weckruf
Veränderungen von Temperatur und Niederschlag führen derzeit weltweit erneut zu einer enormen Häufung von Bränden, Hitzewellen, Überflutungen. Die Klimakrise ist menschengemacht und kann nur von Menschenhand abgeschwächt werden. Damit uns das gelingt, müssen wir unsere Systeme, nach denen wir leben und wirtschaften, umgestalten. Expert*innen, beispielsweise der Weltklimarat der Vereinten Nationen, warnen in aller Deutlichkeit, dass wir sonst nicht zuletzt unsere Lebensmittelversorgung aufs Spiel setzen. Umso mehr zählt es nun, durch unsere privaten, aber mehr noch durch kluge politische Entscheidungen darauf hinzuwirken, dass wir die Klimakrise so gut wie möglich eindämmen.
Dazu Nina Wolff, SFD-Vorsitzende: „Wir müssen die Land- und Ernährungswirtschaft konsequent auf Biodiversitäts- und Klimaschutz, auf eine faire und nachhaltige Bodenbewirtschaftung sowie verstärkt auf den regionalen Bedarf ausrichten. Wir alle – als Individuen ebenso wie als Gesellschaft – müssen bereit sein, den Wandel mitzutragen. In der Verantwortung der Politik liegt es, nun zügig mit geschickten Weichenstellungen und konkreten Maßnahmen, mit Transparenz und positiven Visionen für ein nachhaltiges Ernährungssystem zu sorgen.“
Spendenaufruf:
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, den Menschen in den betroffenen Regionen durch eine Spende zu helfen. Wir haben hier einige Spenden-Links gesammelt.
Sollten Ihnen weitere Spendenkanäle bekannt sein, möchten wir Sie bitten, uns diese per E-Mail zu nennen an presse@slowfood.de
Ein Interview mit Christoph Bäcker, einem betroffenen Winzer aus der Region, finden Sie >> hier.
Informationen zu unseren politischen Forderungen für eine andere Ernährungspolitik finden Sie >> hier.
]]>Herr Bäcker, Sie sind Bio-Winzer in Ahrweiler, mitten im Katastrophengebiet. Als vergangene Woche die Flut kam: Wann haben Sie gespürt, dass sich größeres Unheil zusammenbraut?
Christoph Bäcker: Das hat gedauert. Bei uns hat es nämlich gar nicht so fürchterlich geregnet. Die Regenmenge hätte allenfalls für ein leichtes Hochwasser gereicht. Es war die Flutwelle, die von der oberen Ahr kam, die Gefahr war schwer einzuschätzen.
Wann wurde Ihnen klar, dass die Lage tatsächlich katastrophal werden könnte?
Bäcker: Die Warnungen haben wir natürlich gehört, aber sie waren sehr dezent, nicht so, dass man wirklich alarmiert gewesen wäre. Ich habe im Fernsehen die Aussagen des Wetterdienstes verfolgt, aber diese Dramatik war nicht vorherzusehen. Richtig ernst wurde es erst am Abend, als die Höchststände des Hochwassers von 2016 überschritten wurden. Da wusste ich, es wird schlimm, das war kurz vor dem Dunkelwerden. Der Pegel stieg rasend schnell, man konnte zugucken, wie ganze Uferbereiche im Wasser verschwanden.
„Wir hatten noch nie Wasser im Keller“
Gerät man in solch einer Situation in Panik, was kann man tun?
Bäcker: Nein, wir waren nicht panisch. Wir hatten in unserem Betrieb, obwohl wir im Risikogebiet leben, noch nie einen einzigen Tropfen Wasser im Keller und sind erst mal ruhig geblieben. Wir haben zuerst unsere Fahrzeuge in Sicherheit gebracht. Als das Wasser weiter stieg und über die Straße in unser Haus floss, haben wir die wichtigsten Unterlagen zusammengepackt: Impfausweis, wichtige Dokumente, Unterlagen für die Buchführung. Das haben wir in die obere Etage gerettet. Allerdings wussten wir nicht, ob die Fenster halten und ob das ganze Haus volllaufen wird.
Nach bisherigen Informationen gibt es keine Toten in der Winzerschaft, aber Dörte und Meike Näkel vom Weingut Meyer-Näkel sind von der Flut mitgerissen worden; sie konnten sich auf einen Baum retten, auf dem sie sieben Stunden lang auf Hilfe warten mussten.
Bäcker: Ja, die Tankstellenbesitzerin bei uns hat mir das berichtet, es gab auch Bilder dazu im Fernsehen. Vermutlich sind die beiden zu ihrem Weinlager gegangen, um noch einige Dinge zu retten und sind von der Flut überrascht worden.
Viele Weinbaubetriebe sind komplett zerstört. Wie stark hat es Sie selbst erwischt, was ist von Ihrem Betrieb übrig geblieben?
Bäcker: Nicht viel. Die abgefüllten Flaschen sind okay. Aber vor allem die Maschinen sind hinüber: Gabelstapler, Kelter, Traubenmühle, Pumpen, aber auch die Barriquefässer, die großen Holzfässer. Das hat eine Dimension, die ich noch gar nicht abschätzen kann. Und wir haben kein Gas, kein Wasser, keinen Strom, kein Internet. Natürlich machen mir auch die Weinberge große Sorgen, die ich nicht vor den jetzt um sich greifenden Pilzkrankheiten schützen kann.
Wegen der Feuchtigkeit im Ahrtal breitet sich der falsche Mehltau aus. Jetzt werden aus Hubschraubern großflächig Fungizide gesprüht, um den Jahrgang 2021 zu retten.
Bäcker: Meine eigenen Bioflächen werden vermutlich auch besprüht, dagegen kann ich mich nicht wehren und es ist vermutlich sogar die einzige Möglichkeit, damit wir im Herbst überhaupt etwas ernten können. Am Montag kommen Kollegen von der Mosel, die mir hoffentlich helfen, meine Weinberge ökologisch korrekt übers Jahr zu bringen.
Es gibt vielleicht keinen waschechten Biowein, aber wenigstens eine Ernte?
Bäcker: Ich hoffe auf eine Sondergenehmigung für meine Bioweine. Diese Katastrophe ist nun wirklich ein Härtefall, den ich nicht verschuldet habe.
"Wohin mit den Trauben des neuen Jahrgangs 2021?“
Können Sie den 2021er Jahrgang bei befreundeten Winzern ausbauen?
Bäcker: Das wird schwierig. Da müsste ich die Trauben an die Mosel fahren. Ich weiß es einfach nicht. Wir brauchen Ersatzmaschinen und Lagertanks, dann müssen wir hoffen, dass es überhaupt noch etwas zu ernten gibt.
Wie sieht es bei den anderen Weingütern aus?
Bäcker: Die meisten liegen direkt an der Ahr und sind extrem betroffen. Es gibt ein einziges Weingut auf dem Berg, alle anderen hat es voll erwischt. Ich habe bisher nur mit einem Kollegen sprechen können. Im Moment kümmert sich jeder um seine eigene Katastrophe. Man kommt ja nirgendwo hin, auch nicht in die Weinberge.
Herr Bäcker, Sie sind seit 1990 Biowinzer, sie waren der erste an der Ahr. Sie sind engagiert im Umwelt- und Klimaschutz: keine unnötigen Kapseln an der Flasche, keine Banderolen, keine Pestizide, kein Kunstdünger. Sie haben sich mit der Natur verbündet. Jetzt hat die Natur ihre Existenz brutal attackiert. War alles Engagement vergeblich?
Bäcker: Ich kann der Natur doch nicht böse sein. Die Natur ist genau so, wie die Menschheit sie zugerichtet hat. Wir müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln und weitermachen, auch wenn es schwer fällt. Ich habe familiäre Unterstützung, bin einigermaßen abgesichert, selbst wenn dies der Todesstoß für meinen Betrieb war.
Kann ihr Weingut ohne Abrissbirne wieder instandgesetzt werden?
Bäcker: Ich hoffe, es geht ohne Abrissbirne, aber ich weiß nicht, ob der Betrieb am Leben bleibt. Das hängt von vielen Entwicklungen ab. Werden sich die Weinberge erholen? Gibt es überhaupt eine Ernte? Wann kann ich wieder Wein verkaufen? Wann kommen wieder Besucher ins Ahrtal? Es wird viele Monate dauern, bis die Schäden halbwegs beseitigt sind. Diese Zeit zu überbrücken, das kann ich mir gegenwärtig nicht vorstellen.
Wie sieht es aktuell mit den Grundbedürfnissen aus: essen, trinken, schlafen, duschen, Toilette benutzen?
Bäcker: Da haben wir Glück. Wir sind in der Nähe in einer Schule untergekommen. Später können wir vielleicht bei Freunden unterschlüpfen. Unser eigenes Haus ist hoffentlich nicht unbewohnbar, da müssen jetzt die Statiker ran. Ist das Haus noch sicher? Zum Glück liegen Küche und Schlafzimmer im oberen Geschoss und sind unversehrt. Wir brauchen wieder Strom, Gas, Wasser. Dann kommt eine lange schwierige Renovierung, bis wir wieder ein liebenswertes Zuhause haben. Aber wo kriegen wir Handwerker her? Und Baumaterial? Vielleicht ist nächstes Jahr um diese Zeit das Weingut wieder aufgebaut.
"Wenn ich in den Weinkeller gehe, dann …“
Mit welcher Zuversicht beginnen Sie jetzt den Neuaufbau?
Bäcker: Manchmal, wenn ich sehe, welche Hilfe hier ankommt, bin ich ganz optimistisch. Da ist die Bundeswehr, das THW, da sind die Feuerwehren und private Helfer aus allen Ecken der Republik. Freunde meiner Tochter sind mit einem großen Trupp gekommen, haben Schlamm aus dem Keller geholt, eingestürzte Mauern abgetragen, eine wahnsinnige Unterstützung. Aber wenn ich in den Weinkeller gehe, dann kommen mir die Tränen.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie Herrn Laschet zuhören, der hier durch den Schlamm marschiert und sich als Klimaschützer inszeniert?
Bäcker: Tut mir leid, aber das ist einfach lächerlich. Das sind dieselben Sprüche, die nach jedem Hochwasser und nach jeder Katastrophe kommen. Die Lehren, die wir jetzt ziehen sollten – da passiert nichts. Der Kohleausstieg wird irgendwann kommen, viel zu spät. Das macht einen nur noch wütend.
Die Solidarität ist gewaltig, auch aus dem Ausland kommen viele Hilfsangebote. Halten die Winzer in der Krise zusammen?
Bäcker: Ich glaube schon, dass diese Katastrophe die Winzer zusammenschweißt. Meine Sorge ist allerdings, dass die Solidaritätswelle schnell wieder verebbt. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Wir brauchen Hilfe über einen langen Zeitraum.
Was kann man den betroffenen Weingütern Gutes tun?
Bäcker: Wein von der Ahr trinken! Das wäre die größte Unterstützung. Das ist noch befriedigender als finanzielle Hilfe.
Haben Sie überhaupt noch Wein zum Verkaufen?
Bäcker: Die Weinflaschen, die in den Gitterboxen überlebt haben, sind in einem fürchterlichen Zustand und müssen alle neu etikettiert werden. Aber der Wein ist nicht verdorben.
Christoph Bäcker, Jahrgang 1961, erster Bio-Winzer an der Ahr (seit 1990), führt ein kleines Familien-Weingut mit nur 2,5 Hektar Rebfläche in Ahrweiler. Die Jahresproduktion liegt bei 20.000 Flaschen. Der Bio-Betrieb ist Mitglied im Bundesverband Ökologischer Weinbau und hat sich vor allem mit ausgezeichneten Früh- und Spätburgundern einen Namen gemacht. Bäcker ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im benachbarten Mayschoß hat das Weingut eine Außenstelle.
Stella Diettrich von Slow Food Deutschland führte durch den Abend und begleitete die Zuschauer*innen an den verschiedenen Genuss-Stationen:
Bio-Leindotteröl aus der Bliesgau-Ölmühle von Patric Bies und Jörg Hector:
Kurze Wege vom Feld in die Flasche
Leindotteröl hat nicht nur einen hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren, sondern begeistert mit einer Haltbarkeit von mindestens neun Monaten. Die Bliesgau-Ölmühle kooperiert zur Gewinnung des Öls mit dem Biolandhof Comtesse. Dort wird Leindotter in Mischfruchtanbau erzeugt, d.h. verschiedene Öl- und Hülsenfrüchte werden mit Getreide zusammen auf einem Feld angepflanzt. Leindotter dient dabei z.B. Linsen als Stütze. Das Ergebnis selber schmeckt gemüsig gut, nach grünen Erbsen und Spargel. Leindotteröl eignet sich für Salate, Rohkost, als Zutat über Nudeln, zu Kartoffeln oder zusammen mit Alb Harissa als schnelle Nudelsoße. Grundsätzlich sollte es nicht erhitzt werden.
CitroVitella oder LemonMint aus der Kräuterei Mutter Erde von Marc Zabel in Steinen-Hofen:
Mutter Erde im Südschwarzwald
Alle Tees von Marc Zabel zeichnen sich durch einen hohen Blütenanteil aus; insgesamt hegt und pflegt er 50 verschiedene Kräuter in BIO-Anbau. Während der Verkostung berichtet Zabel, dass Bio alleine nicht mehr ausreiche; er plädiert für eine aufbauende Landwirtschaft für mehr Klimaschutz und Humusaufbau. Um die wertvollen Inhaltsstoffe seiner Tees zu bewahren, gibt es bei ihm aus Überzeugung nur Ganzblatt-Tees. Als solche sind sie bis zu vier Jahre haltbar. Sie lassen sich außerdem sehr sparsam dosieren. Tipp: Den Tee mit kochendem, nicht mehr sprudelndem Wasser übergießen; die Blätter vorher zerbrechen, dann ist es ergiebiger. Und daran denken: Das Auge trinkt mit – auch beim Tee. Für alle Teeliebhaber*innen im Sommer gibt es Eistee und zwar so: Tee kräftig zubereiten, d.h. sehr lang ziehen lassen (bis zu einer halben Stunde); sobald er abgekühlt ist je nach Geschmack Zitronensaft und Honig hinzufügen und natürlich Eiswürfel.
Alb-Harissa Feurio aus der Albfiness Genuss Manufaktur von Hannelore Schillinger Sauer in Münsingen:
Zwischen Schwäbischer Alb und Kambodscha
Albfiness hat es sich zum Ziel gesetzt, dass die Rohstoffe aus gutem Anbau kommen, möglichst nah, möglichst mit persönlichem Bezug zu den Menschen, die sie erzeugt haben. D. h. Priorität hat der Anbau auf der Schwäbischen Alb, dann folgt der Anbau bzw. der Erwerb aus Nachbarlandkreisen. Erst wenn es die Gewürze in der Region nicht gibt, kauft Albfiness sie aus dem Bio-Handel dazu. Denn bei Gewürzen geht „regional“ natürlich nur begrenzt. So kam es zu der Zusammenarbeit mit respekka mit Sitz in Kambodscha. Hannelore Schillinger Sauer ist es wichtig zu wissen, wer ihren Pfeffer anbaut, dafür ist sie selbst mehrmals im Jahr vor Ort. Ihr „Alb Harissa“ ist an diesem Abend Teil der Verkostung. Entstanden ist es, weil viele Kunden ein scharfes Gewürz nachfragten. Die Hauptherausforderung lag dann darin, hochwertige Paprika zu bekommen. Fündig wurden Albfiness bei einer Erzeugergemeinschaft in Spanien. Bei den Teilnehmenden des Abends kam es besonders gut mit Frischkäse an.
Bierforfuture von der Brauerei Clemens Härle von Gottfried Härle in Leutkirch im Allgäu:
Bier for Future
Seit fast 125 Jahren existiert die Brauerei Clemens Härle. 35 Mitarbeiter*innen kümmern sich um das Sortiment aus insgesamt 15 Biersorten. Obwohl diese mit „nur“ vier Zutaten hergestellt werden (Malz aus Getreide, Hopfen, Wasser und Hefe) schmecken sie alle unterschiedlich. Die Rohstoffe beziehen sie aus ihrer Region und arbeiten dafür direkt mit Landwirt*innen zusammen.
Mehr als 50 Prozent ihrer Biere bestehen inzwischen aus Biozutaten, was nicht nur schmeckt, sondern die Artenvielfalt und die Bienen schützt. Für die Herstellung der Biere nimmt sich die Brauerei Clemens Härle mindestens sechs Wochen Zeit. Sie verzichtet auf Verfahren zur langen Lagerung und pasteurisiert nicht. Die Biere sind unfiltriert und haben mit 4,7 Prozent nur wenig Alkohol. Daher sind die Biere „nur“ maximal sechs Monate haltbar. An diesem Abend aber geht es um mehr als um den Geschmack: Clemens Härle berichtet davon, dass der Energieverbrauch bei der Bierbrauerei ein wichtiges Zukunftsthema ist. Er arbeitet seit zwölf Jahren klimaneutral, nutzt u. a. Hackschnitzelheizung und Ökostrom, die Etiketten des „Bier for future“ sind aus Altpapier, die Bierkisten aus Altkunststoff. Ganzheitlich gesehen erfüllt die Brauerei so alle Anforderungen an das Bier der Zukunft.
Alpenrosenhonig (Südtirol) oder Gebirgshonig (Italien) von der Imkerei Gerhard Kasper aus Reutlingen:
Der Bienenflüsterer
Gerhard Kasper geht es nicht nur um den Honig, sondern um die Biene. Denn mit ihr kennt er sich bestens aus. Um enger mit ihr bzw. dem Bienenvolk in Kontakt zu stehen, arbeitet er manchmal sogar ohne Schutz. Und gerade weil er Bienen so mag und um ihren Wert weiß, macht es ihm zu schaffen, dass die Bienen zu wenig Nahrung haben. Denn seine Imkerei liegt am Fuße der Schwäbischen Alb mit vielen blühenden Flächen – und trotzdem oft zu wenig Futter für die Biene.
Bienen brauchen z.B. nach dem Besuch von Monokulturen wie Raps Erholung auf unbelasteten, unbearbeiteten Flächen. Sonst sind sie gestresst und ‚arbeitslos‘ und können aggressiv werden.
Während der Verkostung berichtet Gerhard Kasper auf faszinierende Weise von der Erzeugung des Alpenrosenhonigs: Die Bienen kommen auf die Alp, nachdem die Kühe bereits ein paar Tage Zeit hatten, die Blüten auf den Weiden abzufressen – so bleiben den Bienen nur die Alpenrosen als Futterquelle, und es entsteht sortenreiner Alpenrosenhonig. Ein seltener Genuss! Und noch ein wichtiger Tipp von Gerhard Kasper für alle, die Honig lieben: Metalllöffel nie im Honig stehen lassen, da es mit der Säure im Honig chemische Reaktionen geben kann, die den Geschmack verändern.
Champagnerbratbirne frei von Alkohol von der Manufaktur Jörg Geiger von Jörg Geiger
Was dem Humus hilft
Die Champagnerbratbirne ist das erste deutsche Presidio-Produkt. Ein Klassiker ist der daraus gekelterte Schaumwein, für den die Birnen drei Jahre auf der Hefe liegen – slow im besten Sinne. Für die neue alkoholfreie Variante wird der Birnenwein nach der Gärung und dem Abziehen der Hefe entalkoholisiert und dann mit einem Teil unfiltriertem Birnensaft versetzt. Dabei nutzt Jörg Geiger die Erfahrungen aus vielen Jahren Prisecco-Produktion. Während die Priseccos auf Saftbasis jedoch immer relativ süß bleiben, ist mit der „CH.-Bratbirne frei von Alkohol“ ein ausgewogenes, rundes, alkoholfreies Erzeugnis gelungen.
Hochwertige Erzeugnisse wie diese macht Jörg Geiger nicht nur wegen des guten Geschmacks. Er sucht damit zugleich Antworten auf die Fragen nach einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Lebensmittel versteht er als „Mittel zum Leben“. Besonders begeistern ihn Obstbäume: So eine Hochstammsorte wurzelt zehn Meter tief, holt von ganz unten Wasser und Mineralstoffe nach oben, lagert Energie ein und bringt mit ihren Wurzelausscheidungen Nährstoffe in den Boden zurück. Mykorrhizapilze entstehen, Mikroorganismen und das Bodenleben profitieren – und am Ende auch der Baum und seine Früchte. Geiger erklärt die Zusammenhänge zwischen der Nährstoffversorgung eines Baumes und seinem Bodennetzwerk sowie Bodenleben sehr anschaulich. Und sind die Bäume gut versorgt, so ist es auch die Frucht. Den Unterschied kann man schmecken.
Amorella Kirsch Dessertwein aus der Amorella Kirsch Manufaktur von Familie Fritz Mossel in Mainz-Marienborn:
Die Liebe zu handgepflückten Kirschen
Fritz Mossel aus Mainz gibt an diesem Abend Einblick in Anbau und Verarbeitung traditioneller Sauerkirschsorten. Er veredelt sie durch handwerkliche Verarbeitung; insgesamt hat er ein Sortiment aus 25 Sauerkirsch-Produkten. So lässt sich die Kirsche mit allen Sinnen erleben.
Da sich alte Sorten nicht für die maschinelle Ernte eignen, gibt es heutzutage fast nur noch zwei Kirschsorten, die angebaut werden. Alte Kirschbäume werden gerodet, die meisten Kirschen kommen aus dem Ausland. Amorella hingegen baut acht alte Sauerkirschsorten selbst an – und erhält weitere alte Sorten in einem historischen Kirschgarten.
Der Dessertwein, der an diesem Abend verkostet wird, war die Entwicklung des Großvaters von Fritz Mossel. „Das hat er gut gemacht, der Opa“ freut sich Mossel. Und empfiehlt den Kirschwein als Aperitiv oder auch solo für wunderbare Abende wie diesen.
]]>Es kommt in den besten Haushalten vor. Die weiche Möhre, die trockene Brotkante, der abgelaufene Joghurt, die matschige Tomate – sie wandern in den Abfalleimer, obwohl sie mit ein bisschen Fantasie und Kocherfahrung durchaus noch hätten verwertet werden können. Etwa zehn Prozent des Haushaltsmülls, so Schätzungen, sind essbare Lebensmittel.
Doch Lebensmittelverschwendung ist immer auch eine Verschwendung der wertvollen Ressourcen Boden, Wasser und Energie. Außerdem haben Ernährung und Landwirtschaft einen großen Einfluss auf die Erderwärmung – je mehr produziert wird, umso stärker sind die Auswirkungen auf den Klimawandel. „Wir essen auf fürs Klima“ hieß folgerichtig der vierte und letzte politische Online-Kochkurs, zu dem die Slow Food Youth eingeladen hatte. Der Abend war Teil der Kampagne „Zukunft würzen: Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt!“, mit der Slow Food und die Slow Food Youth für eine Transformation unseres Ernährungssystems eintreten.
Verantwortung liegt nicht nur bei den privaten Haushalten
Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO gehen jährlich etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel zwischen Acker und Teller verloren. Die Verantwortung liegt also nicht nur bei den privaten Haushalten, das machte Valentin Thurn, Dokumentarfilmer sowie Regisseur und Produzent des 2011 erschienenen Films „Taste the Waste“, direkt anfangs in seinem inhaltlichen Beitrag zum Abend klar. Die Bäuer*innen ernten die Felder nicht komplett ab, sondern pflügen krummes oder unansehnliches Gemüse einfach unter. In vielen der Bäckereien sind bis kurz vor Ladenschluss die Regale voll bestückt, obwohl so viel gar nicht mehr verkauft werden kann. Supermärkte werfen immer noch Lebensmittel weg, die unansehnlich geworden sind oder das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben. „Da hat sich in den vergangenen zehn Jahren seit Erscheinen des Films leider nicht viel getan“, bedauerte Thurn. „Obwohl das Problembewusstsein deutlich gewachsen ist, verharren wir in Deutschland bei der Lebensmittelverschwendung weiter auf einem hohen Niveau.“
Dabei ist es Ziel der Bundesregierung, der EU und der Vereinten Nationen, die Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren. Es wird also höchste Zeit, dafür etwas zu tun. In Frankreich, Belgien oder Tschechien gibt es beispielsweise schon Gesetze, die es Supermärkten untersagen, essbare Lebensmittel in den Abfall zu geben. Aber auch ohne gesetzliche Vorschriften sei viel machbar, meinte Thurn: „Mit ökonomischen Anreizen wie Steuerersparnissen lässt sich die Wirtschaft gut beeinflussen. Unternehmen, die weniger wegwerfen, könnten finanziell belohnt werden. Und umgekehrt: Wer viel wegwirft, der muss eben dafür bezahlen.“
Früher galt es vielen als Sünde, Essen wegzuwerfen
Weniger volle Regale wären vielleicht die Folge, für deutsche Verbraucher*innen ein ungewohnter Anblick. Aber gerade das übergroße Angebot in den Supermärkten, Discountern und anderen Lebensmittelgeschäften verführe ja auch zum Kaufen. Warum nachdenken, was wirklich gebraucht wird, wenn alles jederzeit in großen Mengen verfügbar ist? Und da kommen dann doch wieder die privaten Haushalte ins Spiel. Nach einer vom Bundesernährungsministerium in Auftrag gegebenen Studie wirft jede*r Deutsche etwa 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg – was zusammengerechnet die stolze Summe von über 6 Millionen Tonnen ergibt.
„Für meine Mutter war das Wegwerfen von Essen noch Sünde, sie hatte den Hunger am eigenen Leib erlebt“, erzählte Valentin Thurn. Heute spielten optische Kriterien dagegen eine große Rolle: Der Apfel sieht zu schrumpelig aus, die Banane zu braun, die Kartoffel keimt – schon sind sie ein Fall für die Mülltonne. Auch Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, landeten viel zu oft im Abfall, obwohl sie noch essbar sind. „Der Slow-Food-Gründer Carlo Petrini hat schon recht, wenn er meint, dass viele Städter*innen die Fähigkeit verloren haben, gute von schlechten Lebensmitteln zu unterscheiden.“ Thurn plädierte für möglichst praktisch angelegte Kochkurse in den Schulen: „Es geht um eine kulturelle Fähigkeit, die wir zu verlieren drohen – nämlich die Fähigkeit, uns aus möglichst naturbelassenen Zutaten ein leckeres Essen zuzubereiten.“
Mit Fantasie statt mit Rezept kochen
Darum ging es dann auch im praktischen Teil des Abends: Im Kochkurs sollte aus Resten etwas geschmacklich Überzeugendes entstehen. Dem Problem, dass natürlich nicht jeder der über 60 Teilnehmer*innen die gleichen Reste zu Hause hatte, begegnete Koch Bernd Gröning vom Fabulose-Team direkt zu Beginn mit dem Ratschlag: „Vergesst das Rezept. Rezepte sind nur in Apotheken und der Patisserie wichtig. Wir kochen mit Herz und Fantasie.“ Und so ließ sich tatsächlich fast jede Zutat des eigentlichen Rezepts ersetzen – je nachdem, was gerade übrig war und verarbeitet werden musste.
Mit dem Verwerten von Resten kennt sich Gröning bestens aus, denn das Fabulose ist ein Dortmunder Pop-Up Restaurant, in dem mit Lebensmitteln gekocht wird, die sonst in der Tonne gelandet wären – weil sie nicht verkauft wurden oder nicht „schön genug“ für den Einzelhandel sind. So entstehen Mittagsangebote, 5-Gänge-Menüs oder Caterings – ein bisschen Aufklärungs- und Bildungsarbeit gibt es kostenlos dazu.
Mit Witz und angenehmer Ruhrpott-Herzlichkeit erzählten Gröning und seine Kollegin Sophia Neuendorf von ihren Erfahrungen aus der Gastronomie und dem Kochen mit Resten. Fast nebenbei köchelte die Soße auf dem Herd, wurde Gemüse in Streifen gehobelt und Dressings angerührt. Und es gab jede Menge Tipps: Aus den Gemüseschalen lässt sich noch eine schöne Brühe kochen, das Grün der Tomatenrispen bringt eine Extraportion Geschmack an die Nudelsoße, Marmeladen- oder Grillsaucen-Reste passen gut ins Salatdressing. Auch mit überreifen Bananen lässt sich viel mehr machen als nur Bananenbrot. Wer die Früchte aus biologischem Anbau kauft, kann sogar die Schale zum Essen geben: Hier lohnt sich dann doch der Blick ins Rezept…
Autorin: Birgit Schumacher
]]>Mit Our Food Our Future setzt sich Slow Food Deutschland (SFD) gemeinsam mit 16 Partnerorganisationen für Lieferketten ein, in denen Menschenrechte und Umweltschutz respektiert werden. Insbesondere Migrant*innen arbeiten in der Lebensmittelerzeugung teils unter unwürdigen Bedingungen. Ihre Ausbeutung erhält ein Ernährungssystem, das den Klimawandel befeuert und biologische Vielfalt drastisch reduziert. Individuelle Entscheidungen bei der Wahl der Lebensmittel können Gutes bewirken, reichen jedoch nicht aus. (Globale) Agrar-Lieferketten werden von der deutschen, europäischen und internationalen Handels- und Agrarpolitik bestimmt. Daher steht Our Food Our Future für rechtlich bindende Vorschriften.
Ziel der Kampagne ist es auch, Wünsche, Wissen und Kompetenz der Verbraucher*innen Europas einzubinden, damit zukunftsfähige Lebensmittelsysteme von ihnen mitgestaltet und mitgetragen werden. Deshalb können junge Erwachsene zwischen 15 und 35 Jahren ab sofort und bis einschließlich 31. August 2021 an einem Ideenwettbewerb teilnehmen. Wie lässt sich Aufmerksamkeit für ungerechte Lieferketten schaffen? Wie lassen sich konstruktiv-progressiveVisionen entwickeln und Mitmenschen begeistern? Was können Verbraucher*innen tun, um Politik und Wirtschaft von dem ganzheitlichen ‚Gewinn‘ fairer und nachhaltiger Wirtschaftsweisen zu überzeugen? Auf Fragen wie diese suchen die Teilnehmenden Antworten und entwickeln kreative Maßnahmen. Die tragfähigsten Ideen werden prämiert und in der Kampagne umgesetzt.
Zum Ideenwettbewerb geht es >> hier.
Informationen zur Our Food Our Future finden Sie >> hier.
Our Food Our Future fordert:
Das Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.
Disclaimer:
Dieses Dokument wurde mit Unterstützung der Europäischen Union produziert. Die Inhalte dieses Dokument liegen in der alleinigen Verantwortung von Slow Food Deutschland und spiegeln unter keinen Umständen die Positionen der Europäischen Union wider.
]]>„Die Europäische Kommission hat sich mit dem europäischen Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie dazu verpflichtet, den Übergang zu einem wirklich nachhaltigen Lebensmittelsystem zu beschleunigen. Durch den Vorschlag, die EU-Vorschriften zu GVOs zu überarbeiten, zeigt die Kommission, dass sie weiter einer technokratischen Denkweise folgt, statt in Agrarökologie, die sowohl den Bäuer*innen als auch den lokalen Gemeinschaften und der Umwelt im Allgemeinen zu Gute kommt, zu investieren und diese zu fördern“, so Marta Messa, Leiterin des Europabüros von Slow Food.
Was besagt die Studie der Kommission?
Die Europäische Kommission hat endlich ihre lang erwartete Studie zur neuen Gentechnik veröffentlicht, die der EU-Rat im November 2019 in Auftrag gegeben hatte. Die Studie kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:
Die Studie kommt weiterhin zu dem Schluss, dass ein neuer Rechtsrahmen zur Regulierung der neuen GVOs erforderlich sei. Das ist zutiefst beunruhigend, da es darauf hindeutet, dass die Kommission versucht, die derzeitigen Vorschriften zur Regulierung von GVOs und zum Genom-Editing aufzuweichen. Die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides sagte, dass „neuartige genomische Verfahren die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung im Einklang mit den Zielen unserer Farm-to-Fork-Strategie fördern können.”
Die Position von Slow Food
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 klargestellt, dass auch neue Gentechnikverfahren Gentechnik im Sinne des europäischen Gentechnikrechts sind. „Deshalb müssen gemäß dem im EU-Recht verankerten Vorsorgeprinzip Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit ergriffen werden.” Die Europäische Kommission stellt diesen Beschluss nun ernsthaft in Frage. Wenn die Verpflichtung für Sicherheitskontrollen, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung für neue GVOs nicht mehr gelten würde, wäre das eine negative Entwicklung für die europäischen Bürger*innen, da neue GV-Produkte unbemerkt und ohne Kennzeichnung ihren Weg auf die Esstische finden könnten. Auch für Bäuer*innen und Viehzüchter*innen entstünden Nachteile, da es zunehmend schwieriger und kostspieliger würde, sicherzustellen, dass ihre Lebensmittel keine neuen GVOs enthalten.
Neue GVOs bergen zahlreiche Risiken für die Gesundheit von Menschen, Tieren undUmwelt sowie für die Ernährungssouveränität von Kleinbäuer*innen. Ohne eine strikte Regulierung droht folgendes Szenario:
„Die Farm-to-Fork-Strategie zielt darauf ab, den Konsument*innen umfassendere Informationen bereitzustellen, damit Bürger*innen gut informierte Entscheidungen treffen und damit zum Übergang zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beitragen können. Eine Deregulierung neuer GVOs würde bedeuten, dass diese nicht länger kennzeichnungspflichtig wären, was im krassen Widerspruch zu den Zielen der Farm-to-Fork-Strategie stünde. Wir fordern die Mitgliedsstaaten eindringlich auf, das Vorsorgeprinzip, die Sicherheit der Bürger*innen die Wahlfreiheit der Landwirt*innen und die Biodiversität zu verteidigen”, schließt Messa.
Hintergrund:
Seit der Einführung der ersten gentechnisch veränderten (GV) Nutzpflanzen vor über 20 Jahren hat sich die Gentechnik weiterentwickelt. Eine Reihe neuer gentechnischer Verfahren entstand, die die Wissenschaft unter dem Begriff „Genom-Editing“ summiert. Genom-Editing ermöglicht es , bestehendes Erbgut zu verändern, statt Gene einer anderen Spezies hinzuzufügen. Diese neuen Verfahren werden auch als „Neue Züchtungsverfahren” (Agrar-Biotechnologie), „neuartige genomische Verfahren” (EU-Rat) oder „neue Gentechnik“ (Europäische Kommission) bezeichnet. Slow Food nennt diese neuen Gentechnikverfahren „Neue GVOs”, da sie laut dem Urteil des EuGH in rechtlicher und technischer Hinsicht Gentechnikverfahren sind und daher die gleichen Risiken wie herkömmliche Gentechnik bergen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 klargestellt, dass auch neue Gentechnikverfahren Gentechnik im Sinne des europäischen Gentechnikrechts sind. Deshalb muss das EU-rechtlich verankerte Vorsorgeprinzip umgesetzt werden. Das Urteil besagt, dass auch mit neuen Gentechniken veränderte Organismen und Saatgut vor Markteintritt weiterhin Zulassungsverfahren mit umfassender Risikoprüfung durchlaufen und entsprechend gekennzeichnet werden müssen, um das Recht von Bäuer*innen, Lebensmittelhersteller*innen und Konsument*innen zu wahren, darüber Bescheid zu wissen, ob ein Lebensmittel GVOs enthält oder nicht.
Slow Food setzt sich seit langem entschieden gegen GVOs ein, da sie eine Gefahr für die Biodiversität darstellen, die Existenz von Kleinbäuer*innen bedrohen und dem Prinzip der agrarökologischen Landwirtschaft entgegenstehen. Darüber hinaus sind durch Gentechnik hergestellte Produkte oft durch Patente geschützt, die einigen wenigen multinationalen Konzernen gehören. Patente auf Saatgut haben negative wirtschaftliche Folgen für den Agrarsektor, einschließlich der Monopolisierung und Konzentration des Saatgutmarktes. GV-Landwirtschaft fördert die Entwicklung intensiver Monokulturen und stellt in steigendem Maß eine Bedrohung für das Überleben des traditionellen Saatguts und der ländlichen Gemeinschaften dar, die zunehmend ihrer Produktionsmittel und ihrer Lebensgrundlage beraubt werden.
Die EU muss das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 voll und ganz umsetzen und sicherstellen, dass auch neue GVOs grundlegenden Sicherheitsprüfungen durchlaufen und Zulassungsanforderungen einhalten. Dazu wurde am 30. März 2021 ein Brief an den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Timmermans gesendet, in dem unter anderem vor den Risiken einer Deregulierung der neuen GVOs gewarnt wird.
]]>Der Billesberger Hof ist ein Musterbeispiel an Vielfalt. Landwirt Amade Billesberger hat dort so ziemlich alles geschaffen, wie Landwirtschaft und Natur in Einklang leben können. Der Mann, der auch als Bauer Mogli bloggt, baut auf 1,5 Hektar mehr als 100 Sorten Gemüse an, auf weiteren drei Hektar ein halbes Dutzend verschiedener Kartoffelsorten, die Hühner entstammen natürlich alten Zweinutzungsrassen, ebenso die Puten. „Ich mache gar nicht so viel Neues“, sagt Amade Billesberger, wenn man ihn auf diese für einen durchschnittlichen Bauernhof außerordentliche Vielfalt anspricht. „Ich mache das, was meine Urgroßeltern schon gemacht haben.“
Damit ist Amade Billesberger nicht nur ein besonders nachhaltig arbeitender Landwirt. Sondern auch ein besonders politisch arbeitender.
Denn wenig ist so politisch, wie die Frage, welche Sorten Bäuerinnen und Bauern heute anbauen. Das wurde bei Slow Food Deutschlands Abschlussveranstaltung des – in diesem Jahr notgedrungen ins Digitale verlagerte – Terra Madre Festivals deutlich. Der Grund: Die allermeisten Landwirt*innen arbeiten – anders als Amade Billesberger – mit immer weniger Saatgutsorten, weil eine international agierende Industrie diese immer weiter verknappt. Mit verheerenden Folgen. „Wenn wir überleben wollen, müssen wir unseren Anbau drastisch verändern und dabei spielt das Saatgut eine Rolle“, sagte Benny Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft während der Veranstaltung. Dabei kristallisierten sich fünf Gründe heraus, warum das Thema Saatgutvielfalt ganz oben auf die Agenda gehört.
1. Landwirt*innen weltweit setzen immer weniger Saatgutsorten ein.
Der Mensch und sein Saatgut, das ist eine über 12.000 Jahre alte Beziehungsgeschichte. „Saatgut hat eine ganz lange Tradition des freien Austausches“, sagt Benny Haerlin. „Dadurch, dass wir es weitergeben, vermehrt es sich.“ Und das hat über die Jahrhunderte sehr gut geklappt. 75.000 essbare Pflanzen hat der Mensch so kennengelernt, davon 12.000 kultiviert. Nur: Diese Entwicklung stoppte irgendwann.
Das Ergebnis lässt sich heute betrachten: Lediglich ein Prozent der grundsätzlich kultivierten Pflanzen wird noch in größerem Stil angebaut, 120 in etwa. Und nur 30 davon liefern 95 Prozent der Nahrung. Allein beim Getreide liefern Mais, Reis und Weizen 80 Prozent der weltweiten Ernte. Nie war der Mensch so abhängig von so wenigen Sorten. „Und so, wie wir heute diese Sorten anbauen - in Monokulturen, in Hochleistungssorten - führt es weiter zu Verlusten“, sagt Benny Haerlin.
2. Immer weniger Konzerne kontrollieren immer weniger Sorten.
Dass nur noch so wenige Sorten, davon viele künstlich erzeugte Hybridsorten, die sich – vereinfacht gesagt – nicht von selbst vermehren können, eingesetzt werden, hat einen simplen Grund: immer weniger, dafür aber größere Konzerne versuchen, die Kontrolle über das Saatgut zu erlangen. Fünf Unternehmen beherrschen mehr als die Hälfte des weltweiten Saatgutgeschäfts.
Und sie versuchen mit allen Mitteln, die Landwirtschaft mit nicht-samenfesten Sorten zu versorgen. Der Vorteil aus ihrer Sicht: Weil Landwirt*innen diese Hybrid-Sorten nicht selbst vermehren können, werden sie vom Saatguteinkauf bei den Konzernen abhängig. Verschärfend kommt hinzu, dass viele dieser Konzerne ihr Saatgut zu patentieren versuchen. Dann hätten sie quasi ein Copyright aufs Leben. „Alle Parteien sagen: Pflanzen sollen nicht patentierbar sein, aber die Bundesregierung hält sich nicht dran“, sagt Haerlin. „Wir brauchen einen Wechsel im Landwirtschaftsministerium, weil es vom Druck dort abhängt, wie stark die Nicht-Patentierbarkeit von Saatgut durchgesetzt wird.“
3. Saatgutkonzentration verursacht Armut und Hunger.
Noch findet diese Konzentration vor allem im globalen Norden und in Latein-Amerika statt. Vor allem die vielen Klein-Bauern Afrikas und Indiens arbeiten bisher oft noch mit samenfesten Sorten. Sie ständen vor dem Ruin und ihre Länder damit vor großen Hungersnöten, wenn sie in Abhängigkeit von diesen Konzernen gerieten. „Wir haben schon jetzt richtig viel Vielfalt auch bei uns in Uganda verloren“, sagt der aus Uganda stammende Vizepräsident von Slow Food International, Edie Mukiibi. „Dagegen setzen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der die wahre Vielfalt Afrikas an Saatgut sichert.“
So arbeitet Slow Food in afrikanischen Ländern in Vielfalt-Zentren daran, Saatgut zugänglich zu halten. „Das ist wichtig, weil die Regierungen afrikanischer Länder ihre Landwirte oft allein lassen“, sagt Mukiibi. „Sie unterstützen oft die Umstellung auf Hybrid-Saatgut, weil sie sich durch ausländische Kreditgeber unter Druck gesetzt fühlen.“ Was dagegen hilft? „Wir brauchen Food-Souveränität als Grundlage für Menschenrechte“, sagt Mukiibi. „Die Gesundheit und der Wohlstand in unserem Land hängen davon ab, dass es einen fairen Zugang zu Saatgut gibt.“
4. Der Klimawandel erfordert Saatgut-Vielfalt.
In vielen afrikanischen Ländern sind die Folgen der Klimakrise schon heute stärker als in Europa zu spüren. Und in klimatisch so problematischen Lagen kann die Abhängigkeit von wenigen Sorten kritisch werden – denn Hochleistungssorten sind oft besonders anfällig, zudem hilft ein reicher Genpool an Sorten, die passenden Pflanzen für neue klimatische Bedingungen zu finden.
Biodiversität ist deswegen ein Schlüssel für Resilienz gegen die Klimakrise. Und für Edie Mukiibi steht fest: „Die Biodiversität wird hier zerstört, wenn wenige Unternehmen die Kontrolle über das Saatgut bekommen.“ Und das macht Landwirtschaft anfällig für Folgen der Klimakrise. Weil Sorten möglicherweise weniger robust werden, aber auch, weil Biodiversität die Voraussetzung für fruchtbare Böden ist. Amade Billesberger sagt: „Wir müssen auf den Boden achten, den Humus vermehren. Es wird Raubbau am Humus betrieben. Und das wird verhindert, indem man Vielfalt fördert.“
5. Wir verlieren wichtiges Wissen über Saatgut.
Dabei haben sich viele Verbraucher*innen schon an das Sorten-Einerlei gewöhnt. Carolin Engwert, die in Berlin auf kleinstem Raum einen Garten betreibt und darüber bloggt, merkt das immer an den Zuschriften ihrer Leser*innen. „Meine Leser denken, ihre Möhren müssten aussehen wie im Supermarkt“, sagt sie. „Wenn sie sehen, dass die aus ihrem Garten anders aussehen, müssen die an die Hand genommen werden. Ich sage dann immer: Das gehört so.“ Wenn aber immer mehr Sorten verschwinden, muss immer mehr Menschen der Wert der Vielfalt von neuem erklärt werden.
Und was kann man nun tun?
„Die Lösung beginnt beim Einkauf“, sagt Amade Billesberger. „Jeder kann biologisch, regional und saisonal kaufen. Das fördert in jedem Fall die Vielfalt.“ Dazu lohnt es sich, beim Einkauf von Gemüse gezielt nach solchem aus samenfesten Sorten zu fragen. „Und selbst kochen ist enorm wichtig“, sagt Carolin Engwert. „Gemüse kaufen und verarbeiten hilft schon weiter.“
Autor: Sven Prange
]]>Betrachtet man die Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), so sieht die Lage besorgniserregend aus: 2017 wurden in Italien auf jedem Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche durchschnittlich 6,1 kg Pestizide verwendet, das entspricht insgesamt 56.641 Tonnen. Frankreich und Spanien verbrauchen im Durchschnitt die Hälfte (3,6 kg pro Hektar), in Deutschland liegt der Wert bei 4 kg pro Hektar – was jedoch alles bei Weitem zu viel ist. Zahlreiche wissenschaftliche Forschungen, die Europäische Kommission und der Europäische Rechnungshof haben die Verwendung von chemischen Pestiziden in der Landwirtschaft als eine der Hauptursachen für den dramatischen Rückgang von Bienen und anderen Bestäubern identifiziert. Jahrzehntelange Industrialisierung unseres Landwirtschafts- und Lebensmittelsystems haben wesentlich zum drastischen Rückgang der Artenvielfalt und der Anzahl von Bestäubern beigetragen, die Verschmutzung unserer Böden und Gewässer verschlimmert und die Chemikalienbelastung in europäischen Lebensmitteln erhöht. Auf globaler Ebene sind über 40 Prozent der wirbellosen Bestäuberarten vom Aussterben bedroht.
„Die Überarbeitung der Richtlinie zur Nachhaltigen Verwendung von Pestiziden ist die beste, und wahrscheinlich die einzige Gelegenheit, endlich verbindliche Ziele aufzustellen, um den Einsatz synthetischer Pestizide zu verringern. Der europäische Green Deal und die Strategie ‚Vom Hof auf den Tisch‘ sehen eine Reduzierung der Verwendung von Pestiziden und der damit verbundenen Risiken um 50 Prozent bis 2030 vor. Wir sollten aber lautstark die Forderungen bekräftigen, die eine halbe Million EU-Bürger*innen mit ihrer Unterstützung der Europäischen Bürgerinitiative ‚Bienen und Bauern retten‘ geäußert haben: eine Reduzierung des Pestizideinsatzes um 80 Prozent bis 2030 und einen vollständigen Ausstieg bis 2035. Um diesen vollständigen Ausstieg zu schaffen, müssen wir für jeden Mitgliedstaat Mindestanforderungen festsetzen; wir müssen die Datenerhebung zum Pestizideinsatz von Landwirt*innen verbessern sowie Agrarökologie und die Verwendung von Alternativen zu synthetischen Pestiziden fördern“, so Marta Messa, Leiterin von Slow Food Europa. „Slow Food betont, wie wichtig es ist, die Verwendung von Pestiziden so stark wie möglich zu begrenzen, angefangen bei der Abschaffung ihres präventiven Einsatzes in der Landwirtschaft, aber auch im Gartenbau und in der Forstwirtschaft. Integrierter Pflanzenschutz sollte für Landwirt*inneen verpflichtend werden. Gleichzeitig muss der Übergang zur Agrarökologie unterstützt und Landbausysteme gefördert werden, die darauf abzielen, die Symbiose zwischen Bienen und Landwirtschaft wiederherzustellen. Die Alternativen zu Pestiziden dürfen natürlich keine Gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) oder neue GVOs enthalten, die ein Landwirtschaftsmodell replizieren, das auf Monokulturen und industrieller Landwirtschaft basiert und gleichzeitig eine Gefahr für die Biodiversität und die Souveränität der Landwirt*innen darstellt“, so Messa weiter.
Im Rahmen der Überprüfung dieser Richtlinie hat die Europäische Kommission online eine öffentliche Konsultation gestartet, um herauszufinden, was europäische Bürger*innen und Organisationen als beste Wege zur Reduzierung des Pestizideinsatzes in der EU ansehen. Noch bis zum 12. April kann sich unter diesem >> Link jede*r zu Wort melden.
„Europa braucht diversifizierte agrarökologische Lebensmittelsysteme, basierend auf Agrarbiodiversität im Landbau. Die Abhängigkeit von externem Input muss verringert, dafür soziale Beziehungen der Akteur*innen untereinander angeregt und Lieferketten verkürzt werden, um auf lange Sicht gesunde Agrarökosysteme aufzubauen und eine sichere Lebensgrundlage zu schaffen. Das wird maßgeblich dafür sein, die Landwirt*innen bei der Umsetzung bienenfreundlicher Landwirtschaftspraktiken zu unterstützen und es wirtschaftlich interessant zu machen, Agrarökologie und integrierten Pflanzenschutz anzuwenden“, schließt Messa. Die nächsten Jahre sind ausschlaggebend dafür, unsere Landwirtschaft zu verändern, um die Ziele des Green Deals zu erreichen.
Wenn Sie mehr über die Slow-Food-Position zur neuen EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch” und zur EU-Biodiversitätsstrategie erfahren möchten, klicken Sie >> hier.
Der überwiegende Teil der Fische, Garnelen und Muscheln auf den Tellern der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher wird aus aller Welt importiert. Seit Jahren wächst die Importabhängigkeit Deutschlands bei Fischprodukten und verweist damit auf den nach wie vor schlechten Zustand vieler Fischbestände in Nord- und Ostsee und auf eine weiterhin mangelhafte Umsetzung wissenschaftlicher und gesetzlicher Vorgaben für eine nachhaltige Fischerei. Eine erhebliche Menge importierten Fischs stammt aus Gewässern von Entwicklungsländern und gefährdet die dortige Ernährungssicherung, auch wenn Fischexporte armen Ländern zum Teil notwendige Einnahmen sichern. Doch neben der bestehenden Überfischung werden auch Versauerung und Erwärmung der tropischen Ozeane die küstennahen Fischbestände in den nächsten Jahren weiter reduzieren. Eine große Gefahr für Millionen von Menschen, die diese Fischgründe zur direkten Versorgung und für ihren Lebensunterhalt brauchen.
Zwar liegt der Verzehr von Fischprodukten in Deutschland 2019 mit 13,2 Kilogramm pro Kopf deutlich unter dem Weltdurchschnitt von über 20 Kilogramm, doch das Missverhältnis zum deutschen Fangertrag wird sich durch die Klimaveränderungen in Ost- und Nordsee noch weiter vergrößern. Fischerei und Klimapolitik müssen enger verknüpft werden. Schon heute zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, wie ohnehin belastete Meeresökosysteme und ihre Lebewesen durch die Klimaveränderungen weiter unter Druck geraten. So gibt es zum Beispiel immer weniger Hering in der Ostsee, weil die warmen Winter ihre Fortpflanzung beeinträchtigen. Überfischung und Klimawandel verstärken sich weltweit gegenseitig und verlangen mehr denn je eine neue Fischereipolitik, die die marinen Ökosysteme als Ganzes betrachtet.
Schon jetzt sind die Einbrüche bei den Fangerträgen dramatisch und Fischereien stehen vor dem Aus. Fischarten haben begonnen ihre Verbreitungsgebiete zu verlagern, ihre Biorhythmen zu verändern und ihre Körpergröße an die steigende Meerestemperatur anzupassen. Diese Folgen des Klimawandels sind mittlerweile überall in den Ozeanen zu beobachten. An die handwerklichen Fischer mit ihren kleineren Booten stellt dies die größten Herausforderungen: Sie müssen weiter hinaus aufs Meer, benötigen mehr Treibstoff und mehr Vorräte, neues Fanggerät, das dazu erforderliche Kapital. Ihre Fangfahrten werden aufgrund der vermehrten Unwetter noch risikoreicher.
Francisco Mari, Referent für Agrarhandel und Fischerei bei Brot für die Welt, sagt: „Nahrung aus den Weltmeeren muss auch in Zeiten der Klimaveränderungen als proteinreiches Angebot und zum Lebensunterhalt von Menschen im Globalen Süden erhalten bleiben. Während Fischkonsum bei uns zum Luxus werden könnte, darf es dazu in Entwicklungsländern niemals kommen, denn Fisch ist einer der wichtigsten Proteinlieferanten für Millionen Menschen entlang der Küsten. Die Industriestaaten müssen ihre Maßnahmen zur CO2-Reduzierung dringend verschärfen, aber auch Überfischung und illegale Fischerei stoppen. Die Schäden und Verluste durch den Klimawandel in der handwerklichen Fischerei sowie Anpassungsmaßnahmen müssen durch internationale Ausgleichsfonds kompensiert werden.“
Nina Wolff, die amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland, sagt: „Klima- und Meeresschutz sind untrennbar miteinander verbunden. In Zeiten des sich immer offensichtlicher manifestierenden Klimawandels ist Überfischung endgültig tabu. Ein verantwortungsvolles Fischereimanagement muss heute in erster Linie der Widerstandsfähigkeit des jeweiligen Meeresökosystems gegenüber klimatischen Veränderungen dienen. Bei der Aufteilung kleiner werdender Fangmengen sollten handwerkliche Fischer mit möglichst umweltschonenden Fangmethoden grundsätzlich bevorzugt werden.“
Kai Kaschinski, der Vorsitzende von Fair Oceans, sagt: „Die ökologischen Auswirkungen des marinen Klimawandels verändern die Ozeane sehr grundlegend. Eine Entwicklung, der nicht national Einhalt geboten werden kann. Die internationale Fischereipolitik muss die Probleme, die mit dem Klimawandel einhergehen, deshalb grenzüberschreitend und in enger Kooperation lösen. Klimagerechtigkeit ist hierbei unerlässlich. Dazu gehört, dass die Küstengemeinden im globalen Süden, die laut der Prognosen des Weltklimarats am stärksten von den Folgen betroffen sein werden, umfassend durch entwicklungs- und klimapolitische Programme unterstützt werden bei ihrem Kampf gegen schwindende Fangerträge und den Untergang ihrer Siedlungen in den steigenden Fluten.“
Anlässlich des End of Fish Days 2021 veranstaltet Slow Food eine Lesung mit Diskussion am 19.03. Details zur Vearnstaltung finden Sie >> hier
Seit 1983 wird alljährlich der Weltverbrauchertag begangen, um den Schutz der Rechte von Verbraucher*innen zu stärken. In Anbetracht der globalen Herausforderungen durch Klimawandel, Artensterben, Zerstörung fruchtbarer Böden und Pandemie, ist es aus Sicht von Slow Food jedoch an der Zeit, den Verbraucher*innen-Begriff einmal grundlegend zu überdenken. Dazu gehört es, die Konsummuster der letzten Jahrzehnte zu reflektieren und neu zu schreiben. Denn diese heizen einen übermäßigen Verbrauch an. Wir Verbraucher*innen berauben uns so zunehmend unserer eigenen Lebensgrundlagen – auch durch die Art und Weise uns zu ernähren.
„Die Logik des Verbrauchs unserer Lebensmittel steht im Widerspruch zur notwendigen Achtung der planetaren Grenzen.", sagt Nina Wolff, amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland (SFD). „Deshalb muss eine zukunftsintelligente Gestaltung der Ernährungwelt an die Stelle des Verbrauchs treten. Und wir Verbraucher*innen können und sollten dabei aktive Mitgestalter*innen sein.” Gestalten statt Verbrauchen bedeutet aus Sicht von Slow Food, dass sich Menschen vorwiegend aus regionalen Netzwerken und im Einklang mit den planetaren Grenzen ernähren. Bürger*innen können eine nachhaltige Zukunft mitgestalten, indem sie regionale, saisonale und ökologisch produzierte Erzeugnisse einkaufen und akzeptieren, dass ständige Verfügbarkeit und Überfluss weder für eine gesunde noch für eine genussvolle Ernährung nötig und förderlich sind. Aus Sicht von Slow Food liegt in der Post-Corona-Zeit die Chance, dieses ‚Umdenken‘ zu beschleunigen.
Für mehr Fairness und Durchblick
Der enorme Preisdruck im Lebensmittelsystem führt zu neuen Formen der Ausbeutung. In der Obst- und Gemüseernte sprechen Expert*innen von neuen Formen der Sklaverei in Europa, Corona-Ausbrüche in Schlachtbetrieben haben ein Schlaglicht auf die teils unwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten vor unserer Haustür geworfen. Hier sind wir gefordert, durch unser Handeln als Gestalter*innen einer gerechten Lebensmittelwelt aktiv zu werden und ausbeuterische Praktiken nicht länger mitzutragen – weder in Supermärkten, noch in Wahlprogrammen. Auch Transparenz und Aufklärung sind die Basis für die nachhaltige Gestaltung unserer Lebensmittelwelt. „Menschen haben das Recht zu erfahren, was in ihren Lebensmitteln steckt“, so Lea Leimann, SFD-Vorstandsmitglied. „Das gilt nicht nur für Inhaltsstoffe, sondern auch für Anbau und Produktionsbedingungen.“ Aufklären würden hier „wahre Preise“. Denn die Preise z.B. für “Billig-Fleisch” spiegeln bei weitem nicht die (Folge-)Kosten der Erzeugung wider. „Solche systemischen Schieflagen müssen offengelegt werden, um den Menschen bewusste Entscheidungen zu erleichtern,“ fordert Leimann.
Das an vielen Stellen sich wandelnde Selbstverständnis der Menschen, gerade innerhalb der jungen Generation begrüßt Slow Food. Der Verein möchte mehr Menschen ermutigen, sich von ihrer Rolle als Verbraucher*innen zu emanzipieren und stattdessen zu Gestalter*innen einer zukunftsfähigen Lebensmittelwelt zu werden.
]]>Das IV. World Organic Forum vom 16. bis 18. März 2021 wird dabei von den insgesamt 17 Sustainable Development Goals vor allem die SDG-Ziele „Beseitigung der Armut“ (SDG1), „Ernährung sichern“ (SDG2), „Nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen“ (SDG12), „Maßnahmen zum Klimaschutz“ (SDG13), „Landökosysteme schützen" (SDG 15) und „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele" (SDG 17) in den Blick nehmen. Inspiriert von hochanerkannten Vordenker:innen der globalen Nachhaltigkeitsszene wie Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ernst-Ulrich von Weizsäcker (Ehrenpräsident des Club of Rome), Sophia Bachmann (UN-Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung), Dr. Hans Herren (Präsident vom Millenium Institute Washington sowie Gründer und Präsident Biovision Stiftung Zürich), Louise Luttikholt (Executive Director IFOAM-Organics International) sowie vielen weiteren Expert:innen werden die Teilnehmer:innen in Vorträgen und Workshops fünf der insgesamt 17 Sustainable Development Goals besonders unter die Lupe nehmen. Dabei soll diskutiert und erarbeitet werden, wie man die UN- Ziele für die ländliche Entwicklung und nachhaltige Wertschöpfung in der Region einsetzen kann. Aus Sansibar und Hohenlohe, Ägypten und Oberbayern, Indien, Brasilien, aus der Rhön und aus Waldsassengau sowie vielen weiteren Regionen und Ländern der Welt werden die Referent:innen und Teilnehmner:innen ihre Ideen und ihr Wissen zusammentragen.
Ob Bäuerin oder Bauer, Lebensmittelhandwerker:in, Regionalentwickler:in, Student:in und Wissenschaftler:in, Kulturschaffende, Politiker:in oder interessierte(r) Bürger:in - alle Menschen, denen eine zukunftsfähige Welt am Herzen liegt, sind eingeladen sich zum Forum anzumelden. Zur Veröffentlichung des vielseitigen Veranstaltungsprogramms betont Rudolf Bühler, Vorsitzender der Stiftung Haus der Bauern sowie Gründer & Vorstandsvorsitzender der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall: „Das diesjährige World Organic Forum ist der Startschuss für neue Kooperationen um die lokale und regionale Umsetzung der SDG’s sowie den Austausch darüber voranzutreiben. Wir wollen Ideen schmieden und bestehende Leuchtturmprojekte der nachhaltigen Entwicklung noch weiter zum Strahlen bringen. Unser Ziel ist die Gründung eines internationalen Netzwerks der SDG-Regionen!“ Dazu ergänzend Sophia Bachmann, UN Jugenddelegierte: „Als Jugenddelegierte sehe ich es als meine Aufgabe an, konkretes Wissen über die SDGs zu vermitteln. Die große Bedeutung von Multiplikator:innen darf bei der Umsetzung der SDGs nicht außer Acht gelassen werden; und genau darin sehe ich auch den Mehrwert eines Netzwerkes: der Austausch und die Weitergabe von Best-practices.“ (3500 Zeichen)
Programm und Anmeldungen >> hier
Slow Food Deutschland und die Chef Alliance sind mit drei Events bei der Intergastra zu Gast. Das Programm unserer Veranstaltungen:
Podiumsdiskussion „Lebendige Lieferketten - Biologische Vielfalt auf dem Teller“ mit
· Jens Witt, Sprecher Slow Food Chef Alliance und Inhaber von Wackelpeter, Ökologisches Essen für Kinder, Hamburg
· Sebastian Junge, Restaurant Wolfs Junge, Mitglied der Slow Food Chef Alliance, Hamburg
· Moderation: Marie Pugatschow, Käserin i.A., Slow Food Youth Deutschland
Der Verlust der biologischen Vielfalt schreitet ungebremst fort und ist im Bewusstsein vieler Gastronomiebesucher*innen zu einem wichtigen Thema geworden. Was kann die Gastronomie zum Schutz der biologischen Vielfalt und ihrer nachhaltigen Nutzung tun? Die Integration des Themas Biodiversität in das Lieferkettenmanagement ist herausfordernd. Die Köch*innen-Vereinigung „Slow Food Chef Alliance“ hat das Arbeiten in regionalen Netzwerken zu einem ihrer Standards erhoben und ist damit - auch wirtschaftlich - erfolgreich. Ein Blick auf Netzwerke, regionale Lieferketten und die Vielfalt auf dem Teller.
Online- Verkostung „Schokolade – gut, sauber und fair“ mit
· Patrick von Vacano, Sommelier, Original Beans
· Thomas Sampl, Hobenköök Hamburg, Mitglied Chef Alliance
· Patricia Viana Lima, Modaka Cacau Gourmet, Bahia, Brasilien (Live aus Brasilien)
· Moderation: Lea Leimann, Konditorin, Vorstand Slow Food Deutschland e.V.
Schokolade macht glücklich – und verbindet als Genussmittel Menschen, Kontinente und Kulturen. Der ungeahnte Geschmacksreichtum vielfältiger Kakaobohnen bietet Höchstgenuss in der Küche. Bei Fermentation, Röstung oder Veredelung geschieht einiges von der Bohne bis zur Tafel. Hier zeigt sich wahre Produktqualität. Bestellen Sie ein Verkostungspaket von Original Beans und verfolgen die Reise der Schokolade „bean to bar“ mit allen Sinnen. Mit Erzeuger*innen sprechen wir darüber, wie nachhaltiger Anbau Biodiversität im Regenwald schützt.
Das Verkostungspaket kann >> hier bestellt werden.
Das Paket enthält:
· Piura 75% (70g)
· Virunga 70% (70g)
· Arhuaco 82% (70g)
· Femmes de Virunga 55% (70g)
· Edelweiß (2 x 12g)
Preis: 20,90€ + 4,90€ Versand
Letzter Bestelltermin: 2. März 2021
„Slow Food Chef Alliance– Genuss trifft Planetengesundheit“ mit
· Johannes King, Zweisternekoch Sölring’hof Sylt, Mitglied Chef Alliance
· Barbara Stadler, Küchenmeisterin, Aromenakrobatin, Fernsehköchin, Die Kastanie Bremen, Mitglied Chef Alliance
· Moderation: Detlev Ueter, Ueter & Herbs, Koblenz, Mitglied Chef Alliance
Gesundheit ist ein Riesenthema. Essensstile, Allergien, Unverträglichkeiten haben längst die Speisekarten erreicht. Und nun auch noch die Planetary Health Diet – also eine nachhaltige Ernährung, die im Einklang mit den verfügbaren Ressourcen steht. Drei Spitzenköch*innen der Slow Food Chef Alliance zeigen live, wie weniger Tierisches, dafür mehr Pflanzliches die Menüfolge bereichert und selbst „eingefleischte“ Fleischesser*innen mit Vielfalt, Kreativität und Geschmacksexplosionen zu Fans von Nachhaltigkeit werden lässt.
Zur kostenlose Teilnahme an der Intergastra >> hier
Das Programm von und mit Slow Food Deutschland finden Sie auch >> hier
In der biodynamischen Imkerei von Jasper Heilmann finden Bienen ihr vollkommenes Glück. Ihre Stöcke stehen auf den Feldern Brandenburger Biobäuer*innen. Heilmann entnimmt ihnen nur die Menge Honig, die sie entbehren können, und die Bienenköniginnen vermehren sich ausschließlich natürlich. So entstehen nicht nur Felder voller Artenvielfalt in Brandenburg, sondern auch vorzügliche Honige, von denen Jasper Heilmann drei Sorten – aus Lindenblüten, Buchweizen und Kornblume im Rahmen einer Terra Madre-Veranstaltung von Slow Food Deutschland vorstellte. Nur eine Gefahr droht den Bienen: Wenn sie von den Feldern der Bio-Bäuer*innen abkommen und in industriell geprägte Monokulturen benachbarter Landwirt*innen geraten. Dort lauern Pestizide und Nahrungsarmut.
Auch Ysabel Calderón lebt mit und von den Bienen. Allerdings in Peru und deswegen allein sieht die Bienenhaltung der Slow-Food-Aktivistin schon anders aus. Aber auch im Grundsatz unterscheidet sie sich von jener im Brandenburger Osten: Im Norden Perus halten die Menschen die Bienen im Wald, binden ihre Produkte Honig und Wachs viel stärker in ihren Alltag ein. Und doch sind die Probleme ähnlich: „Durch die ständige Entwaldung sind die Lebensräume der Bienen bedroht“, berichtet Ysabel Calderón. Und diese Entwaldung hat, wie die Monokulturen in Brandenburg, ebenfalls mit unserer westlichen Ernährung zu tun: Die indigenen Völker in Peru roden ihre Urwälder, um dort Platz für den Anbau billiger Nahrungs- oder Futtermittel für die nördliche Welt zu schaffen.
Die Biene beschäftigt die Menschen weltweit. Sie ist das wohl politischste Tier unserer Zeit. Weil sie eine unglaubliche Sympathieträgerin ist. Vor allem aber, weil sie auch eine Art Indikator für den Zustand der jeweiligen Öko-Systeme ist: Wo Bienen an ihrer Umwelt leiden, tun es meist auch andere Insekten und Pflanzenarten. Ein industrialisiertes, auf Monokulturen und hohen Pestizideinsatz ausgerichtetes Lebensmittelsystem spielt hierbei die zentrale Rolle. Aber welche Auswirkungen hat dieses System auf Bienen und Klimawandel? Und wie müsste ein Ernährungssystem der Zukunft aussehen, das Bienenpopulationen und biologische Vielfalt vor dem Hintergrund des Klimawandels schützt und für kommende Generationen erhält? Das diskutierte Moderatorin Tanja Busse nicht nur mit Jasper Heilmann und Ysabel Calderón, sondern auch mit dem Bienen-Aktivist Tobias Miltenberger von der Stuttgarter NGO proBiene und Stig Tanzmann von der Organisation Brot für die Welt.
Biene unter Druck
Die Biene steht nach einigen Volksinitiativen in Deutschland, die etwa in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen bereits zu neuen Artenschutzgesetzen führten, nicht nur politisch in Deutschland auf der Agenda. Sie steht auch unter Druck. Insekten-Populationen sind in Deutschland seit den 80er Jahren je nach Studie und Region um zwischen 30 und 75 Prozent zurückgegangen, von den 560 in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten sind gut 50 Prozent akut bedroht. Neben der hochintensiven Landwirtschaft und der zunehmenden Strukturverarmung naturnaher Lebensräume spielt der Klimawandel hier eine herausragende Rolle. So gefährden veränderte Temperaturverläufe die sensible Abstimmung zwischen Pflanze und Bienen. Schwankende Temperaturen im Winter stören die Winterruhe der Bienen und machen sie anfälliger für Parasiten und Krankheiten. Trockeneres Klima führt bei Pflanzen zu einer geringeren Nektarproduktion, was Bienen unmittelbar die Nahrungsgrundlage entzieht. Da aber Klimawandel, Artenverlust und Ernährungssystem wechselseitig miteinander verbunden sind, lässt sich das eine kaum ohne das andere betrachten.
„Im Gegensatz zu Honigbienen haben Wildbienen kaum eine Lobby, die sie beschützt“, sagt Miltenberger. Er verweist auf die auch in Deutschland immer schlechter werdenden Lebensbedingungen, sowohl für Wild- wie für Honigbienen. Denn letztere werden zwar durch Berufs- und Hobbyimker*innen am Leben gehalten. Die Nahrungsarmut in einer leer geräumten Landschaft, der Kontakt zu Pestiziden und die immer dichter werdende Ausbeutung ihrer Arbeit schwächen sie.
Bienen-Risiko Ernährungssystem
Miltenberger erklärt, dass das Leid der Honigbienen ebenso wie die Krise der Wildbienen mit unserem Ernährungssystem zusammenhängen. Das Wachsen oder Weichen-Motto der Landwirtschaftspolitik setze alle Beteiligten unter Druck: on den Bäuer*innen bis zur Biene. Das fängt bei der Honigbiene an, aus der die Imker*innen immer mehr herauspressen: ein Volk gibt heute vier Mal so viel Honig wie in den 60er Jahren. Auch, weil die Deutschen so gerne billigen Honig essen: Ein Kilo pro Kopf und Jahr. Weniger und dafür besser bezahlter Honig wäre da mehr. Das setzt sich aber vor allem bei den indirekten Folgen für Honig- und Wildbienen fort. „Landwirte sind in einem Riesendilemma, in das sie auch durch die Politik gezwängt worden sind“, sagt Miltenberger. „Der Landwirt versucht, das Maximale herauszuholen und gibt den Druck auf den Acker weiter.“ Und dort verenden dann Bienen und andere Insekten.
Und dieser Befund gilt weltweit. Wegen der ökologischen Bedeutung der Biene, aber auch wegen der sozialen. „Honig ist für viele Menschen weltweit eine wichtige Einkommens- und Nahrungsquelle“, sagt Stig Tanzmann. „An zu vielen Orten werden landwirtschaftliche Systeme ohne die Bienen gedacht. Das ist eben der westliche Ansatz. In Ländern wie Brasilien aber müsste das anders sein: Da gehören Bienen zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Land und Wäldern.“
Bienen und Klima schützen
Dazu würde aber auch eine andere Art der Wertschöpfung für Menschen aus den ländlichen Räumen gehören. „Bei uns wird sehr viel Wald zerstört, um Kakao und Bananen zu pflanzen oder auch Palmöl“, sagt Ysabel Calderón. Die Produkte wiederum werden in den Norden verkauft. Und Stig Tanzmann sagt: „Oft entsteht die Bedrohung durch gentechnisch veränderte Futtermittel für die nördlichen Länder oder zunehmend auch für China. Das bedeutet, dass sehr große Flächen geschaffen werden, die dann aus dem Flugzeug behandelt werden. Das sind Wüsten, in denen nichts wächst, außer gentechnisch veränderte Pflanzen.“ Kurzfristig, und das ist das Problem, ist das durchaus lukrativ für die Menschen vor Ort. „Viele indigene Völker mögen das, weil es sehr viel Geld bringt“, sagt Ysabel Calderón.
Auch da aber könnten Bienen helfen, findet sie: Wenn über den Verkauf von Produkten von im Wald lebenden Bienen Erlöse für die Menschen hereinkämen, würden diese die Wälder eher als die ihren begreifen – was nicht nur dem Arten-, sondern auch dem Klimaschutz helfen würde. Was wiederum dem Artenschutz dienen würde. Eine stetige Interaktion. Denn wenn die Durchschnittstemperaturen sich weiter erhöhen, werden wir viele Arten verlieren.
Entwaldung, Temperaturerhöhung und Monokulturen sind eine toxische Mischung für Bienen. Es gibt auch viele Pflanzen, etwa Sträucher, die sich den neuen Temperaturen nicht anpassen können und deswegen einfach verschwinden. Damit verschwindet aber auch die Nahrungsgrundlage für viele Bienen. Auch hier wirbt Stig Tanzmann für einen Perspektivwechsel. „Es ist ein sehr europäisches Verständnis, dass Wald Holz ist. In anderen Gegenden der Welt ist Wald Nahrung, weil es eben Vielfalt und Leben ist."
Autor: Sven Prange
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Herr Prof. Spiller, der wissenschaftliche Beirat hat ein fulminantes Gutachten vorgelegt. Er verlangt eine neue, andere, nachhaltigere Ernährungspolitik, im Grunde eine echte Ernährungswende. Welche Reaktionen gab es?
Prof. Achim Spiller: Von den Kollegen aus der Wissenschaft kam viel Zustimmung, das Interesse ist groß. Bei der Politik muss man auf langfristige Wirkung setzen. Nach der nächsten Bundestagswahl, so hoffen wir, wird unser Gutachten im neuen Koalitionsvertrag hoffentlich seine Spuren hinterlassen. Man sollte realistischer Weise nicht erwarten, dass in dieser Legislaturperiode noch viel passiert.
Die Steuerung von Ernährungsverhalten ist bei den politischen Parteien ohnehin unbeliebt. Die Bauchlandung der Grünen mit dem harmlosen Veggieday haben alle noch im Hinterkopf.
Das stimmt und das haben wir in unserem Gutachten auch herausgearbeitet. Deutschland steht ernährungspolitischen Maßnahmen eher skeptisch gegenüber. In unserer kulturellen Tradition wird die Verantwortung für Ernährung an Familie und Individuum delegiert. Auch um das wichtige Thema Schulverpflegung kümmert man sich nicht sehr intensiv. Staatliche Einmischung ist also schwierig, der Veggieday hat auch bei den Grünen Blessuren hinterlassen. Immerhin scheint die Angst vor politischem Schiffbruch langsam zu schwinden, zumal die Bevölkerung ein riesiges Interesse am Thema Ernährung hat und die Herausforderungen groß und unübersehbar sind.
Wie soll nun aktive staatliche Ernährungspolitik konkret aussehen? Was hat erste Priorität?
Wir müssen das stark von Werbung und Marketing beeinflusste Ernährungsumfeld neu gestalten und wir müssen zweitens Ernährungspolitik als eigenständiges Politikfeld besser verankern. Das sind die wichtigsten Punkte. Das komplexe Thema einer wirklich nachhaltigen Ernährung beruht auf den „Big Four“: Umwelt, Tierwohl, Gesundheit, Soziales. Das sind die zentralen Ziele, die wir angehen müssen. Wie wichtig dabei das Soziale ist, haben wir diesen Sommer bei Tönnies gesehen. Um die vier Ziele anzugehen, müssen die Ministerien zusammenarbeiten: das Landwirtschafts-, aber auch das Umwelt-, das Gesundheits- und das Wirtschaftsministerium. Beim Thema Schulverpflegung gehören auch die Kultusministerien dazu.
Ist die Ernährung bei der Landwirtschaft überhaupt richtig aufgehoben? Oder sollte sie zur Gesundheit übersiedeln? Gerade baut auch das Umweltministerium eine eigene Abteilung Ernährung auf.
Das haben wir intensiv diskutiert. Klar ist, dass die Ernährung innerhalb des Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums eine größere Bedeutung bekommen muss. Wenn man sich die Mitarbeiterzahlen ansieht und das Budget, dann ist klar, dass dieses Haus viel stärker von der Landwirtschaft geprägt ist. Leider hat auch das Gesundheitsministerium das Thema Ernährung in den letzten Jahren eher vernachlässigt. Und die Zusammenarbeit von Frau Klöckners Haus mit dem Umweltministerium ist bekanntermaßen schlecht. Ernährungspolitik ist eine große Aufgabe, die Bundesregierung muss sie ressortübergreifend anpacken.
Sie haben im Gutachten viele konkrete Forderungen gestellt: ein Neuanfang bei der Kita- und Schulverpflegung, Werbeeinschränkungen und -verbote, den Fleischkonsum reduzieren und vieles mehr. Als Instrument wollen Sie unter anderem Steuern für Gemüse und Obst senken und für tierische Produkte erhöhen.
Wenn man das vernünftig begründet und wenn die Steuereinnahmen gezielt eingesetzt werden für mehr Tierwohl und Klimaschutz, dann steigt auch die Akzeptanz und dann gibt es wohl politische Mehrheiten dafür. Wichtig ist, dass wir die Ernährungsarmut im Blick behalten, die wir in Deutschland haben. Wir leben in einer gespaltenen Gesellschaft mit massiver Ernährungsarmut, gegen die wir etwas tun müssen. Wenn wir mit den Steuern die sozial Schwachen treffen, wäre das fatal. Diesen Menschen müssen wir helfen, weil sich in unteren Einkommensgruppen gesundheitliche Ernährungsprobleme ballen.
Sie verlangen ein Hilfsbudget, um den Betroffenen unter die Arme zu greifen?
Die Einnahmen aus den Steuererhöhungen für tierische Produkte und zuckerhaltige Getränke sollten zum Teil dafür verwendet werden, sozial schwache Haushalte zu unterstützen, das heißt, Preiserhöhungen durch eine jährliche Rückerstattung auszugleichen. Die Regierung sollte auch über eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze für Ernährung nachdenken, die nicht ausreichend sind.
Ihr Gutachten moniert, dass die Verantwortung für gute Ernährung auf die Verbraucher*innen abgeschoben wird. Warum sind die damit überfordert?
Weil sie keine faire Ernährungsumgebung haben, wie wir sie fordern. Mit welchen Werbebotschaften werden sie konfrontiert? Wie unübersichtlich sind die mehr als 200 Nachhaltigkeitslabel? Das wirkt sich stark auf eine ungesunde Ernährung und Lebensweise aus. Auch Kinder sind dem ausgesetzt. Beworben werden nämlich viel stärker problematische Lebensmittel.
Die Verbraucher*innen als Opfer des Marketings?
Es werden Milliarden für die Bewerbung ungesunder Lebensmittel ausgegeben, zum Beispiel von der Süßwarenindustrie, weil dort die Margen am höchsten sind. Mit Obst und Gemüse verdient die Lebensmittelindustrie sehr viel weniger Geld. Zur schlechten Ernährung gehört aber auch das Angebot. Schauen Sie doch mal, was Sie auf einer Autobahnraststätte essen können. Überall werden Snacks angeboten, meistens »Snacks to go«, damit werden wir überhäuft. Und: Wie werden welche Lebensmittel wo platziert? Wie sind sie gekennzeichnet?
Sie wollen den Kompass der Verbraucher*innen neu eichen, damit sie Snacks und Co. und den vielen falschen Werbebotschaften widerstehen?
Das fängt bei Kindern und Jugendlichen an. Für uns ist eine hochwertige und beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung ein zentraler Punkt. Wenn die Kinder mit einer qualitativ guten Ernährung aufwachsen, mit kleinerem Fleischanteil, mit gesunden Lebensmitteln, dann sind sie daran gewöhnt, das prägt das spätere Ernährungsverhalten. An vielen Schulen wird überhaupt keine oder keine vernünftige Schulverpflegung angeboten, es gibt große Qualitätsprobleme. Häufig wird das Essen stundenlang warmgehalten, furchtbar! Schulverpflegung darf auch nicht sozial diskriminierend wirken, wenn sie nur den ärmeren Kindern angeboten wird. Wir brauchen sie für alle und für alle beitragsfrei nach skandinavischem Vorbild in einem schönen Ambiente, damit das Essen auch wertgeschätzt wird. Das müssen uns unsere Kinder wert sein. Also raus aus dunklen stickigen Kellerräumen.
Kinder und Jugendliche trinken besonders viel Limo, Cola, Fruchtsäfte und andere Zuckerdrinks. Das sind Treiber für Fettleibigkeit und Diabetes.
Wir empfehlen eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke. Gerade Jugendliche sind sehr preissensitiv, da kann man viel bewegen. Wir brauchen außerdem eine klare Kennzeichnung durch den Nutri-Score. Und wir brauchen im öffentlichen Raum den Aufbau einer Trinkwasserversorgung mit Leitungswasser, dem nachhaltigsten und gesündesten Getränk.
Sie fordern einen verbindlichen Nutri-Score, der nach Plänen von Ministerin Klöckner nur auf freiwilliger Basis kommt. Sie wollen aber auch ein Klimalabel und ein Tierwohllabel einführen. Sind die vielen Label nicht eine erneute Überforderung der Verbraucher*innen?
Wir haben schon jetzt mehr als 200 Label in Deutschland, die das Thema Nachhaltigkeit adressieren. Wir wollen keine komplizierte Labelflut. Wir brauchen für die Ernährung vier Label: Nutri Score, ein staatliches Tierwohllabel, ein neues Klimalabel zusammen mit Bio und das Label für Fair Trade.
Wer baut für all Ihre Vorhaben den politischen Druck auf und welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?
Die Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Player. Freiwillige Selbstbeschränkungen der Wirtschaft, das zeigen viele Studien, bringen uns nicht entscheidend voran. Es bedarf einer breiten gesellschaftlichen Diskussion und des politischen Drucks, um zu erreichen, dass die Verantwortung für Ernährung nicht allein den Individuen aufgehalst wird. Was zum Beispiel dazu führt, dass die stark Übergewichtigen stigmatisiert werden. Ernährung ist eine gesellschaftliche und politische Herausforderung, das müssen wir begreifen. Und wir müssen anfangen, neue politische Instrumente einfach mal auszuprobieren. Eine Steuer kann man, wenn man sie einführt, auch nachjustieren, das ist lernende Politik.
Die Zeit drängt, Klimaveränderung und Biodiversitätsverluste erfordern Tempo auch in der Ernährungspolitik. Haben Sie keine Angst, dass wir zu langsam sind oder, dass Ihr Gutachten in den Schubladen verschwindet und wieder nichts passiert?
Wir wissen von früheren Gutachten, dass sie keine unmittelbare Wirkung auf die Tagespolitik haben. Unser Gutachten von 2015 zum Tierwohl hat dennoch viel bewegt. Wir brauchen einen langen Atem, aber wir haben gute Hoffnung. In der Bevölkerung hat sich viel getan. Das Thema Ernährung, Fleischkonsum, Nachhaltigkeit interessiert Millionen, es gibt kaum ein anderes Thema, das die Menschen so stark beschäftigt.
Das Gutachten:
Mit seinem im Sommer 2020 vorgelegten Gutachten* hat der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und Verbraucherschutz deutliche Kritik an der gegenwärtigen Ernährungspolitik formuliert. Er verlangt eine komplette Neuausrichtung und Stärkung des vernachlässigten Politikfelds Ernährung. Um unsere Gesundheit, Umwelt und Klima zu schützen, Ernährungsarmut zurückzudrängen, Sozialstandards einzuhalten und das Tierwohl zu erhöhen, müsste ein ambitionierter Neustart hingelegt werden. Kernsatz des Gutachtens: »Eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ist sinnvoll, sie ist möglich und sie sollte umgehend begonnen werden.«
*Das Gutachten »Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten« ist als Kurzfassung oder in voller Länge per Download >> hier abrufbar.
Prof. Achim Spiller ist Ökonom an der Universität Göttingen, spezialisiert auf Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Verbraucherverhalten und die Ernährungsindustrie. Er ist zudem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), von dem das Gutachten »Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten« erarbeitet und im August 2020 an Ministerin Klöckner übergeben wurde.
Erschienen im Slow Food Magazin Ausgabe 6, 2020
]]>Unsere Böden haben „burn out“ und unsere Nahrungsmittel leiden an Nährstoffmangel. Gesunder Boden ist Grundlage für gute Lebensmittel und sauberes Wasser und er schützt unser Klima.
Die „Freien Bäcker e.V.“ machen derzeit mit einer Aktion „Bodenbrot“ auf die Misere aufmerksam. Vom Verkauf der Brote soll jeweils ein Euro der Ausbildung von Bodenbotschafter*innen zu Gute kommen. Weitere Infos dazu gibt es >>hier.
Zum Convivium München geht es >>hier.
]]>In Deutschland lässt sich trefflich speisen: regional, köstlich und „gesund“. Mit Lebensmitteln, die aus einer vielfältigen, ökologischen Landwirtschaft stammen, mit artgerecht gehaltenen Tieren.
Schön, wenn alle Menschen auf ein solches im Slow-Food-Sinne gesundes Essen Wert legen würden. Schlecht, dass in diesem Fall gar nicht genug für alle da wäre. Denn schon jetzt importiert Deutschland jede Menge Obst und Gemüse, weil die eigene Produktion bei Weitem nicht ausreicht.
Von Hülsenfrüchten und Nüssen gar nicht zu reden. Im Übermaß dagegen erzeugen Deutschlands Landwirt*innen Fleisch, Milch und Zucker. In Mengen, die weder für den Einzelnen noch für den Planeten gesund sind.
Wie eine für unsere Erde gesunde Ernährung aussehen könnte, hat 2019 die Eat-Lancet-Kommission mit ihrer »Planetary Health Diet« gezeigt. Sie empfiehlt eine weitgehend Pflanzliche Ernährungsweise, der man sich nach Slow-Food-Meinung nicht radikal verschreiben muss. „Für uns sind diese Empfehlungen ein spannender Kompass, der unterstreicht: Wir kommen um mehr Pflanzliches und weniger Tierisches nicht umhin, wenn wir die Welt ohne Labor-Essen gut ernähren wollen“, sagt Nina Wolff, amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Nach Ansicht der Eat-Lancet-Kommission müsste die/der deutsche Durchschnittsesser*in drei Viertel weniger Fleisch, vier Fünftel weniger Eier und ein Viertel weniger Milchprodukte zu sich nehmen. Stattdessen stünden jede Menge Vollkorngetreide, Obst, Gemüse und Nüsse auf dem Speiseplan, dazu reichlich Hülsenfrüchte als Eiweißlieferant. Doch woher soll dieses Essen kommen? Im Moment produziert die deutsche Landwirtschaft nicht das, was nötig wäre.
Fleisch für den Weltmarkt
Deutschland ist nicht nur bei Maschinen und Geräten Exportweltmeister, sondern auch bei einigen tierischen Lebensmitteln. So wuchsen 2019 in Deutschland 53 Millionen Mastschweine heran und wurden geschlachtet. Die Hälfte von ihnen wurde als tiefgefrorene Hälften oder weiterverarbeitet zu Fleisch- und Wurstwaren exportiert. In andere EU-Staaten aber auch weit darüber hinaus. Bei Rind- und Geflügelfleisch ging je rund ein Drittel der heimischen Erzeugung ins Ausland. Die vier Millionen Milchkühe in Deutschlands Ställen lieferten 2019 insgesamt 32,4 Millionen Tonnen Milch, die von den Molkereien verarbeitet wurde. Die Hälfte dieser Milch wurde exportiert, vor allem als Milchpulver. All diese Tiere brauchen Nahrung und so ist es wenig verwunderlich, dass auf 60 Prozent der deutschen Ackerfläche Tierfutter wächst, vor allem Mais und Getreide. Doch das reicht nicht. Hinzu kommen noch mehr als drei Millionen Tonnen eiweißreicher Sojaschrot aus süd- und nordamerikanischen Monokulturen, die Deutschlands Landwirt*innen jedes Jahr an ihre Tiere verfüttern.
Viel zu wenig Obst und Gemüse
Ein erster Schritt zu einer planetengesunden Landwirtschaft wäre ein deutlicher Abbau der Tierbestände. Dies würde viel Futter-Ackerfläche freimachen für andere Erzeugnisse. Das wäre auch dringend nötig, denn bei den pflanzlichen Lebensmitteln klafft eine große Lücke. Das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) hat für das Wirtschaftsjahr 2018/19 bei Gemüse einen Selbstversorgungsgrad von 36 Prozent und für Obst von 22 Prozent ermittelt. Dieser Selbstversorgungsgrad ist im Prinzip ein einfacher Dreisatz: Man nehme die in Deutschland im Wirtschaftsjahr 2018/19 erzeugte Menge, etwa an Äpfeln. Das waren laut BLE 1 119 000 Tonnen. Diese Zahl wird durch die Menge an verbrauchten Äpfeln – frisch und verarbeitet – von 2 319 000 Tonnen geteilt. Das ergibt 0,48, also einen Selbstversorgungsgrad von 48 Prozent. Die anderen 52 Prozent wurden importiert, aus dem nahen Südtirol ebenso wie aus Neuseeland.
Dieser Selbstversorgungsgrad schwankt jedes Jahr. Je nachdem wie die Apfelernte ausfällt waren es auch schon 32 oder 60 Prozent. Damit liegen die Äpfel beim Obst in Sachen Selbstversorgung an der Spitze, gefolgt von Pflaumen, Erdbeeren und Johannisbeeren. Schon bei Birnen und Kirschen sinkt der Eigenanteil auf 20 Prozent. Aprikosen, Pfirsiche und Zitrusfrüchte sowie alle Trockenfrüchte kommen komplett aus dem Ausland, Bananen und Ananas sowieso. Für bio gilt das im Prinzip ebenso, auch wenn der Selbstversorgungsgrad bei Äpfeln 2018/19 bei 80 Prozent lag.
Gemüse aus dem Süden
Beim Gemüse können wir Deutschen uns zumindest bei Weiß und Rotkohl selbst versorgen, bei Sellerie reicht es fast und bei Lauch, Rüben, Kopfsalat und Blumenkohl kommen jeweils 70 Prozent von deutschen Betrieben. Bei den Zwiebeln wächst mehr als die Hälfte bei uns und ansonsten helfen die Niederlande und Spanien aus. Doch im Frühjahr, wenn die Lager leer werden und die neuen Zwiebeln noch wachsen müssen, kommt der Ersatz aus Ägypten oder Neuseeland. Was den Gemüse-Versorgungsgrad nach unten reißt, sind Fruchtgemüse wie Tomaten, Zucchini und Paprika, die fast komplett importiert werden. Gerade mal vier Prozent aller gegessenen Tomaten werden auch hier angebaut, die anderen kommen aus Italien, Spanien und den Niederlanden zu uns. Bio steht beim Fruchtgemüse etwas besser da, weil in den letzten Jahren mehrere große Bio-Gewächshäuser gebaut wurden. Doch auch hier kommt der Großteil an Tomaten & Co. aus dem Ausland.
Gründe für die geringe Selbstversorgung gibt es mehrere: Der Freilandanbau ist durch das Wetter beschränkt und nicht jedes Erzeugnis lässt sich über Monate lagern. Das Gefühl für Saisonalität
ist vielen Verbraucher*innen verloren gegangen. Schließlich gibt es im Laden immer alles zu (fast) jeder Zeit. Doch kommen diese Produkte dann eben aus Ländern mit viel Sonne wie Spanien oder Ägypten oder gleich vom anderen Ende der Welt, wo Sommer ist, wenn es bei uns schneit. Auch der Preis spielt eine Rolle: Arbeiter*innen in Polen oder auf dem Balkan ernten Äpfel, Zwetschgen und Beeren viel billiger als deutsche Betriebe. Ein Großteil des Obstes für die Verarbeitung kommt tiefgefroren von dort, bio und konventionell.
Eiweiß aus heimischem Anbau
Wenn die Deutschen weniger tierisches Eiweiß essen sollen, brauchen sie eine andere Eiweißquelle. Hier bieten sich Bohnen, Erbsen, Linsen und andere Hülsenfrüchte an, die hierzulande kaum noch erzeugt werden. Zwar hat sich die Anbaufläche in den letzten sechs Jahren auf 220 000 Hektar verdoppelt. Doch dort wachsen vor allem Ackerbohnen, Futtererbsen sowie Lupinen und Sojabohnen, die verfüttert werden. Nur ein geringer Teil kommt auf den Teller, meist zu Fleischersatzprodukten verarbeitet. Buschbohnen und Erbsen aus den Gärtnereien decken einen Teil des saisonalen Bedarfs. Getrocknete Bohnen kommen fast komplett aus dem Ausland. Das gilt übrigens trotz vieler Walnussbäume und Haselsträucher auch für Nüsse. Die Zahlen zeigen, wieviel zu tun ist, damit wir uns von einer regionalen Vielfalt pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel ernähren können, die tatsächlich gut, sauber und fair erzeugt und verarbeitet wurden. Da ist politischer Wille und staatliche Förderung gefragt, denn es fehlt an passenden Verarbeitungsstrukturen und an Erfahrung im Anbau ebenso wie an fairen Wettbewerbsbedingungen. Doch es gibt viele Beispiele, die zeigen was mit Engagement möglich ist.
Nachmachen erwünscht
Netzwerke von Biogärtnern wie Dreschflegel kümmern sich um die Erhaltung alter Gemüsesorten. Deren Vielfalt braucht es, um geschmackvolle und regional angepasste Sorten zu züchten, die auch mit schwierigen klimatischen Bedingungen fertig werden. Es waren Biobäuer*innen auf der Schwäbischen Alb, die den Arche-Passagier Alblinse aus einer russischen Genbank zurückholten und den Linsenanbau wieder heimisch machten. Andere begannen damit, in Brandenburg wieder Hirse anzubauen oder brachten mit der Lupine eine neue Hülsenfrucht auf den Teller. Deutsche Biolandwirt*innen haben sich auch an Senf und Sonnenblumen herangetraut, die bisher weitgehend importiert werden.
Es braucht auch regionale Strukturen, um diese Erzeugnisse zu verarbeiten. Zahllose Molkereien, Mühlen, Schlachthöfe oder Ölpressen sind in den letzten fünfzig Jahren dem »Wachsen oder Weichen«, der industriellen Ernährungswirtschaft, zum Opfer gefallen. Auch hier gibt es Beispiele eines Wandels: Stadtmolkereien in Bürgerhand, Metzger*innen und Kommunen, die wieder örtliche Schlachthäuser eröffnen, regionale Ölpressen und alte Mühlen, die ihre Zukunft mit regionalem Getreide sichern. Solidarische Landwirtschaften schießen wie die Pilze aus dem Boden und verbinden Verbraucher*innen und Biolandwirt*innen.
Bei all diesen Initiativen vor Ort darf die größte Stellschraube nicht vergessen werden: die EU-Subventionen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Expert*innen aus Wissenschaft, Umweltschutz und Bio-Verbänden sind sich seit Jahren einig: Gefördert werden sollen die Leistungen der Landwirt*innen für das Gemeinwohl und nicht wie bisher pauschal die bewirtschaftete Fläche. Die Zutaten also wären angerichtet. Nun muss gekocht werden.
Autor: Leo Frühschütz; erschienen im Slow Food Magazin Ausgabe 6, 2020
]]>Man kann sich die Lage der Welt wie eine Küstenstadt vorstellen, die ohne Schutz durch Deiche die nächste Sturmflut herantosen sieht. Da ist die erste Welle, die über die Küste zu schwappen droht und die Corona heißt. Gleich dahinter aber türmen sich schon zwei weitere Wellen: die Welle namens Klimakrise und die namens Artensterben. Der Umweltforscher Josef Settele ist eine der Stimmen, die vor dem Zusammenhang zwischen diesen drei großen Krisen warnen: Sie verstärken sich gegenseitig und drohen im Zusammenwirken unberechenbar zu werden. Oder wie Nina Wolff, die amtierende Slow Food-Deutschland-Vorsitzende, zur Eröffnung eines Podiums „Menschengesundheit nicht ohne Planetengesundheit“ sagte: „Eine Triple-Krise ist etwas, mit dem man sich ernsthaft auseinandersetzen sollte. Die Zeitfenster, das zu fixen, bemessen sich nicht in Jahrhunderten, sondern in Jahrzehnten. Mit anderen Worten: Unser Handeln ist jetzt gefragt.“
Das mag erstmal bedrohlich klingen. Erst recht in einer Zeit, die mit guten Nachrichten geizt. Und doch wohnt dieser Analyse etwas fundamental Konstruktives inne. Das jedenfalls verdeutlichten während der Podiumsdiskussion unter Moderation der Autorin Tanja Busse neben Nina Wolff auch die Ulmer Evolutionsökologin Simone Sommer, der Generalsekretär des internationalen Biodynamie-Verbandes Demeter, Christoph Simpfendörfer, und Hubert Hohler, gastronomischer Leiter der Buchinger Wilhelmi Klinik am Bodensee und Mitglied der Slow Food Chef Alliance. Denn eine Erkenntnis, die sich durch die Beiträge der Diskutanten zog: Jenseits der nötigen großen Schritte durch die Politik gibt es auch viele kleine Schritte, die jede*r Einzelne von uns gehen kann, diese Krisen einzudämmen. Und diese Schritte führen über unsere Ernährung.
„Eine Erkenntnis ist, dass wir keine einzige dieser Krisen bewältigen werden, wenn wir unserer Art, Lebensmittel herzustellen, zu handeln und zu verzehren, nicht radikal ändern“, sagt Nina Wolff. Das verdeutlichen zwei Zahlen: pro Kopf verbraucht jeder Mensch in den industrialisierten Ländern heute etwa 80 Kilogramm mehr Lebensmittel pro Jahr als noch in den 1950er Jahren. Und der Planet muss heute mehr als drei Mal so viele Menschen ernähren wie damals. Es wird enger auf dem Planeten, Mensch und Tier drängeln sich um immer weniger Flächen.
Wo es Tier und Mensch zu eng wird
Da ist es kaum ein Wunder, dass Simone Sommer sagt: „Gut 60 Prozent menschlicher Infektionen sind heute Zoonosen.“ Also Krankheiten durch Erreger, die von Tieren auf den Menschen überspringen, wie eben der Corona-Erreger. „Und eine der treibenden Kräfte dabei“, sagt Sommer, „ist der Verlust der Biodiversität.“ Für Sommer ist deswegen klar: „Zoonosen nehmen schon aufgrund der demographischen Entwicklung zu: Wir sind einfach sehr viele Menschen. Hinzu kommt, dass industrielle Landwirtschaft und Umweltveränderungen, etwa durch Entwaldung, die Voraussetzungen für Zoonosen vereinfachen.“ Sie sieht den nicht-nachhaltigen Teil der Landwirtschaft als Baustein, aus dieser Lage herauszukommen. „Eine gesunde Menschheit ist nicht zu trennen von der Gesundheit von Tieren und Umwelt.“ Menschengesundheit führt eben nur über Planetengesundheit.
Ein Ernährungsstil für den Planeten
Den Gedanken hat bereits vor zwei Jahren die Eat-Lancet-Kommission formuliert und in eine Planetary Health Diet, also eine Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen, übersetzt. Die Idee dahinter ist so einleuchtend wie Slow Food kompatibel: jeder Mensch muss seine Ernährung so ändern, dass er der Erde nur das an Ressourcen entnimmt, das ihm rechnerisch zusteht. Das heißt nicht, dass alle Menschen nur noch Getreide oder nur noch Gemüse essen. Aber dass sie sich ihres rechnerischen Ressourcenverbrauches bewusst werden. „Es kommt auf das rechte Maß an“, sagt Nina Wolff. „Und auf die Verortung: Diese Ernährung wird an der Küste anders aussehen als in den Bergen, auf dem Land anders als in der Stadt.“
„Wir brauchen dafür regionale Kreisläufe“, sagt Demeter-Mann Christoph Simpfendörfer. „Und wir müssen Regionalität neu denken: Wir brauchen regionale Produkte, die Tier und Planeten gerecht werden.“ Entscheidend ist dabei die Verknüpfung von Regionalität und ganzheitlicher Nachhaltigkeit: im Lebensmittelanbau wie in der Verarbeitung. Wenn die Pute aus der Region gequält oder mit Soja aus Brasilien gefüttert wird, später dann von Billiglöhnern in Industrieschlachthäusern getötet wird, löst das keine sondern schafft neue Probleme.
„Wir müssen eben wieder essen, als ob es ein Morgen gäbe“, sagt Hubert Hohler. „Unser täglich Brot geb uns heut, ist ok. Unser täglich Fleisch gib uns heute, geht nicht.“ Er wirbt deswegen dafür, durch die eigene Ernährung vier Komponenten unter einen Hut zu bringen: Gesundheitsverträglichkeit, Wirtschaftsverträglichkeit, Sozialverträglichkeit, Umweltverträglichkeit.
Wo Politik eingreifen muss
Das ist gleichermaßen Auftrag an Politik und jede*n Einzelne: Denn viele kleine Schritte helfen genauso, die Herausforderungen zu lösen, wie es auch die großen politischen Schritte braucht. Da stimmt es einerseits zuversichtlich, wenn hohe Vertreter*innen der Europäischen Kommission wie Präsidentin Ursula von der Leyen oder ihr Vize Frans Timmermanns von „Ökozid“ oder einem „Paris-Abkommen für die Artenvielfalt“ sprechen. Gleichzeitig steuert die Agrarpolitik der Gemeinschaft weiter in die falsche Richtung.
Dabei gäbe es hier wirkungsmächtige Hebel. Simone Sommer sagt: „Die Politik müsste 20 Prozent der Flächen zu Rückzugsflächen für die Natur machen, ganz konsequent.“ Natürlich bräuchten Landwirt*innen dann einen finanziellen Ausgleich dafür. Aber dass das wirkungsvoll sei, sei kaum zu bestreiten. „Wir reden schon sehr lange, aber es ist mühsam, das in den politischen Prozess zu bekommen“, sagt Sommer.
Weniger Verbrauch, mehr Wirkung
„Politik ist das eine“, findet Christoph Simpfendörfer. „Aber es ist schon so, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Wenn man sich seine monatlichen Ausgaben anschaut, sieht man schon, was man alles bewegen kann.“ Das zeigt allein der Zusammenhang zwischen den drei großen Qs Quantität, Qualität und Quantum, den Hubert Hohler aufzeigt: Noch in den 50er Jahren sei es vor allem um Versorgungssicherheit, also die Menge an Lebensmitteln gegangen. Es folgte eine Phase der Qualitätssicherung. Und heute sie die Zeit es Quantums: „Wir fragen heute nicht mehr nach dem Qualitätsproblem, sondern nach dem Quantum: Wann ist es genug?“, formuliert Hohler und spielt damit auf die Frage an, die jede*r von uns beim Erstellen des Speiseplans im Kopf haben sollte.
„Wir müssen ganz klein und ganz groß denken: Gleichzeitig mit den Achtjährigen gut, sauber und fair kochen lernen und die großen Schritte, von unseren Politikern einfordern“, sagt Nina Wolff. Und gleichzeitig natürlich den Genuss nicht vergessen. Denn, auch den ermöglicht eine Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen. Die Formel weniger tierische, mehr pflanzliche Ernährung, etwa im Verhältnis 20:80, bedeutet nicht weniger Genuss. Nina Wolff sagt mit Blick auf Slow Foods Wirken: „Ich würde sagen, wir haben dafür einen lebens- und genussbejahenden Ansatz entwickelt.“ Denn am Ende führt nicht nur ein gesunder Planet zu einem gesunden Menschen, sondern auch eine Ernährung, die Freude bereitet.
Autor: Sven Prange
]]>Über das Buch
„Leckerland ist abgebrannt“, das drei Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste stand, ist kein klassischer Ratgeber. Manfred Kriener stellt keine Gebote auf, schreibt weder auf noch vor, was wir essen sollen und was nicht. Er hat ein Informationspaket geschnürt, mit dem Verbraucher*innen ihren eigenen Kompass neu justieren und sich selbst ermächtigen, kluge Ernährungsentscheidungen zu treffen. Krieners Buch vermisst in elf Kapiteln die kulinarische Landschaft, mitunter scharf gewürzt, aber immer nahrhaft für Kopf und Bauch. Er beschreibt Orte und Un-Orte unserer Nahrungsmittelerzeugung; er beantwortet, warum Lachse zu Veganern erzogen werden, wann das erste Laborfleisch in den Regalen liegen wird und was Veganer*innen auf dem Oktoberfest machen.
]]>Versorgung in der Pandemie, Klimakrise, Artensterben: In kaum einem Bereich laufen die großen Herausforderungen unserer Zeit so zusammen, wie in der industriellen Landwirtschaft. Sie verursacht und ist zugleich anfällig für systemische Krisen : Indem sie zu viel CO2 ausstößt, zu viel Pestizide einsetzt, zu viel Fleisch produziert. Und indem sie die Menschen im Agrarsystem ausbeutet, wie die aktuellen Landwirt*innen-Demos vor Supermärkten zeigen. Oder anders gesagt: Die Art, wie der Großteil der Land- und Lebensmittelwirtschaft arbeiten, führt immer weiter in eine Sackgasse – und bisher ist es niemandem gelungen, auf diesem Weg zu bremsen. Das ist in etwa das Fazit des diesjährigen Kritischen Agrarberichts, den das ArgarBündnis, ein Zusammenschluss von 26 Organisationen aus dem Spektrum nachhaltiger Land- und Lebensmittelwirtschaft, erstellt hat. Titel: „Welt im Fieber – Klima & Wandel.“
„Die Corona-Krise verdeutlicht einmal mehr, dass die menschliche Gesundheit, das Wohlbefinden von Tieren und die planetare Gesundheit nicht isoliert betrachtet werden dürfen und ganz wesentlich von der Art und Weise abhängen, wie wir Nahrungsmittel produzieren, verarbeiten, handeln und konsumieren“, heißt es in dem Bericht, den mehr als ein Dutzend Fachautoren aus Wissenschaft, Politik, Landwirtschaft und Verbraucherorganisationen verfasst haben. Dabei stellt der Bericht, neben einem generell bedenklichen Gesamtzustand der Landwirtschaft, drei Hauptbaustellen heraus: Die soziale Situation auf den Höfen, die Mit-Verantwortung der Landwirtschaft für die Lösung von Klimakrise und Artensterben, sowie die Frage nach mehr Tierwohl.
Klimakrise und Artensterben: Myriam Rapior, Bundesvorstand der BUNDjugend, warnte während der Vorstellung des Berichts davor, dass in Zeiten der Corona-Pandemie die Zwillingskrise aus Klimawandel und Artensterben vergessen wird: „Unsere Bauernhöfe müssen umwelt- und klimaschonend werden, dafür müssen wir die Agrarwende schnellstmöglich angehen. Die Landwirtschaft kann Teil der Lösung der Klimakrise sein, doch sie braucht die Unterstützung der Bevölkerung und der Regierenden.“
Tiere: Zu viel Nitrat im Boden, desaströse Zustände in vielen Ställen, Skandale in Schlachtbetrieben. Die deutsche Landwirtschaft hat ein Tierproblem. „Zentraler Bestandteil einer umfassenden Agrar- und Ernährungswende ist die drastische Reduktion der Tiernutzung und die gezielte Förderung vegetarischer und veganer Ernährungsstile“, sagt BUND-Aktivistin Myriam Rapior. Für Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, gelingt mehr Klimaschutz nur im Schulterschluss mit mehr Tier-, Arten- und Umweltschutz: „Konsum und Produktion von tierischen Produkten müssen erheblich gesenkt werden.“
Wirtschaftliche Lage: Ob das Auf und Ab bei Schweinepreisen, die Dauerturbulenzen am Milchmarkt oder das immer weitere Steigen der Bodenpreise: Der Bericht macht auf die prekäre wirtschaftliche Situation auf vielen Höfen aufmerksam. Philipp Brändle von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sagt: „Fakt ist auch, dass die wirtschaftliche Situation vieler Betriebe aufgrund einer über Jahrzehnte auf Intensivierung getrimmten Agrarpolitik sowie unanständig niedriger Erzeugerpreise oft desaströs ist.“
Das Berichts-Bündnis plädiert deswegen dafür, bei der anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU das Instrument der sogenannten Öko-Regelungen gezielt und umfangreich zu nutzen. Diese Eco-Schemes böten die Chance, Höfe für gesellschaftlich gewünschte Ziele zu honorieren – und so gleichzeitig Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Situation der Betriebe zu verbessern.
Das schlägt auch die Brücke zum Beitrag von Slow Food Deutschland zum Kritischen Agrarbericht. Im Zusammenspiel von Praktikern und Wissenschaftlern entstand in den vergangenen Jahren eine Studie zu Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Milchwirtschaft. Eine der Kernbotschaften: Höfe sollten nur so viel Milch produzieren und so viele Kühe halten, wie sie von ihren Flächen ernähren können. Genau darin sieht Slow Food-Projektbeauftragte und Studien-Autorin Andrea Lenkert-Hörrmann einen Auftrag an die Agrarpolitik: „Die Eco-Schemes bieten die Chance, Landwirtinnen und Landwirte an den richtigen Stellen zu fördern.“ Ein Hof müsse so unterstützt werden, dass er auch mit weniger Tieren wirtschaften könne. „Gutes Weidemanagement ist die beste Voraussetzung für den Schutz von Klima und Artenvielfalt und sollte honoriert werden“, sagt Lenkert-Hörrmann. „Dann führen Eco-Schemes auch zu einer nachhaltigen Milchwirtschaft.“
Höfe besser für gesellschaftliche Leistung zu entlohnen, würde auch ein anderes Problem lösen – die zunehmenden Feindbilder zwischen unterschiedlichen Lagern in der Agrardebatte. Fortschritt, betonen die Beteiligten der Studie, geht nur, wenn die Menschen in der Landwirtschaft nicht gegeneinander streiten. Frieder Thomas, Geschäftsführer des Agrarbündnisses, sieht immerhin dafür gute Ansätze: „Mittlerweile gehen auch diejenigen auf die Straße, die dem System gefolgt sind.“
Autor: Sven Prange
]]>Bereits zum zehnten Mal nutzten engagierte Verbraucher*innen die Schnippeldisko am Vorabend der WHES-Demo, um sich für die Wertschätzung von Lebensmitteln und deren Erzeuger*innen auszusprechen. Das taten sie dieses Jahr in ihren eigenen vier Wänden; in dem Bewusstsein, dass trotz bzw. gerade wegen der Corona-Pandemie die Forderung nach einem Systemwandel in der Agrarpolitik nicht verstummen darf. Als Moderator*in führten Anna Messerschmidt und Constantin Pelka durch den Abend, beide engagierte Mitglieder von Slow Food Youth. Sowohl kommunikativ als auch technisch eine echte Herausforderung, der sich das gesamte Slow-Food-Team mit Schwung und Begeisterung stellte. Denn via Zoom, YouTube und Facebook wurden die Streams bundesweit rund 1.400 mal geklickt. Trotz der Kontaktbeschränkungen fanden sich damit nicht nur Gleichgesinnte innerhalb Deutschlands zusammen. Auch Gäste aus Übersee waren dabei, um über die Erfordernisse eines nachhaltigen und fairen Lebensmittelsystems zu diskutieren. Fair für Mensch und Tier, für Umwelt und Klima. Eine große Rolle spielen dabei weiterhin die Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfungskette. Carmen Ruiz Paredes, Präsidentin des Vereins Movimiento de Mujeres del Sur (Bewegung der Frauen aus dem Süden), berichtete in diesem Zusammenhang von den prekären Zuständen in den Gewächshäusern der spanischen Region Almería, aus der ein wesentlicher Teil des Obsts und Gemüses in deutschen (Bio-)Supermärkten stammt.
Gewusst wie
Zahlreich vertreten waren natürlich auch Menschen aus dem Slow-Food-Netzwerk selber. Sie tauschten sich zum neuesten Stand in Projekten aus, wie dem Zweinutzungshuhn-Projekt von Jens Witt und Sebastian Seelig, der Fahrrad-Küche aus Münster ‚Pepe die Pastinaken Pedale‘ und der sogenannten Schokofahrt, bei der leidenschaftliche Radfahrer*innen aus ganz Deutschland und weiteren Europäischen Ländern mit dem Rad nach Amsterdam fahren, um dort mit dem Segelschiff emissionsfrei transportierte Schokolade abzuholen und zu Hause zu verteilen. Während des gesamten Abends konnten die Teilnehmenden außerdem an Workshops teilnehmen, wobei neben Fragen fairer Lieferkettengesetzte im Bereich der Lebensmittelwirtschaft vor allem auch der praktische Workshop des Chef-Alliance-Koches Detlev Ueter nachgefragt war. Er hielt zahlreiche Antworten auf die Frage bereit: Wie kann ich Lebensmittel haltbar machen? Natürlich mit dem Ziel, die Verschwendung von Lebensmitteln auch im Privaten einzudämmen. Und Fermentieren, Einkochen und Einfrieren kann jede*r lernen – daran ließ Ueter keinen Zweifel.
Bewegte Pausen
Die beiden DJs Annett Gapstream und Maltesar unterstützen den gesamten Abend über immer wieder mit Musik und sorgten damit für Abwechslung. So manch eine*r kommentierte am Ende des Tages, das Tanzbein schon lange nicht mehr so geschwungen zu haben. Eine willkommene Ablenkung und Bewegungseinheit also in Zeiten von Lockdown.
Mit der Schnippeldisko 2021 beteiligte sich Slow Food Youth (SFY) in diesem Jahr an der internationalen Kampagne ‚Our Food Our Future‘, die junge Menschen zu politischem Engagement für ein zukunftsfähiges und faires Lebensmittelsystem ermutigen möchte.
Das Projekt wird ko-finanziert von der Europäischen Union.
Disclaimer:
Dieses Dokument wurde mit Unterstützung der Europäischen Union produziert. Die Inhalte dieses Dokument liegen in der alleinigen Verantwortung von Slow Food Deutschland und spiegeln unter keinen Umständen die Positionen der Europäischen Union wider.
]]>Die Versiegelung fruchtbarer Böden durch Umwandlung in Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrsflächen sowie die intensive Landwirtschaft sind die Hauptgründe für den Verlust von Böden und Bodengesundheit. Bäuerinnen und Bauern, insbesondere in regionalen, transparenten Wertschöpfungsketten, können den Boden so beackern, dass seine natürliche Fruchtbarkeit erhalten bleibt. Doch nach wie vor sind wertvolle Ackerböden Spekulationsobjekte für außerlandwirtschaftliche Kapitalanleger. Zwar stellt die Thematik längst eine globale Herausforderung dar, doch liegt ein konkreter Handlungsrahmen oft auch auf lokaler/regionaler Ebene. Durch gebündeltes Engagement und wirksame Zusammenarbeit lassen sich hier Veränderungen bewirken.
Freie Bäcker*innen schaffen Aufmerksamkeit für das Thema Boden am eigenen Laib
Initiiert wurde die Aktion BODEN-BROT insbesondere, um auf die bestehenden Risiken des Humusverlustes in unseren Böden aufmerksam zu machen. Um die Bodenfruchtbarkeit, die Erträge und die Wasserspeicherfähigkeit der Böden zu fördern sowie ihre Erosionsanfälligkeit zu mindern, ist der Erhalt und Aufbau von Humus von entscheidender Bedeutung. Die geplante Bildungskampagne, die sich an die Aktion anschließt und mit den Spenden aus der Aktion finanziert wird, nimmt deshalb speziell die Bedeutung der fruchtbaren Bodenschicht in den Blick.
„Wir möchten die Menschen darauf aufmerksam machen, dass der Erhalt gesunder, fruchtbarer Böden die wesentliche Grundlage dafür ist, dass wir Bäcker*innen täglich gutes Brot für sie backen können. Die Verfügbarkeit und die Vielfalt unserer Nahrung hängen tatsächlich von unzähligen, winzigen Lebewesen ab, die die oberste Schicht des Bodens beleben. Im Verborgenen versorgen sie die Pflanzen mit Nährstoffen und Wasser, wandeln organisches Material zu Humus um und sorgen dafür, dass CO2 im Boden gespeichert wird. Nicht zuletzt in Anbetracht der Klimakrise und ihrer Auswirkungen müssen wir dafür sorgen, dass Bauern und Bäuerinnen Maßnahmen zum gezielten Humusaufbau umsetzen können. Das geht selbstverständlich nur, wenn ihre Leistungen fair entlohnt werden “, erklärt Anke Kähler, Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende des Die Freien Bäcker e.V.
Das BODEN-BROT backen Handwerks-Bäckereien, die aktiv die Ziele der Aktion unterstützen. Die Brote werden aus Getreide gebacken, das direkt von regionalen Erzeuger*innen, Erzeugergemeinschaften oder Mühlen stammt. Das Ergebnis ist ein aus nachhaltig erzeugten Rohstoffen, handwerklich hergestelltes Brot. Das BODEN-BROT steht für Vielfalt in und auf dem Ackerboden sowie im Brotregal - und ist ein Symbol für den Wert regionaler Versorgungsstrukturen.
Bildungskampagne Boden: Wissenstransfer für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit
Mit jedem verkauften Boden-Brot ist eine Spende in Höhe von einem Euro verbunden. Der gesamte Spendenbetrag der teilnehmenden Bäckereien fließt in die für 2021 geplante Bildungskampagne Boden. Sie beginnt mit der Ausbildung von jungen, interessierten Menschen aus verschiedenen Netzwerken durch ausgewiesene Boden-Expert*innen. Mittelfristiges Ziel der Kampagne ist, fehlendes Wissen zum Themenkomplex Boden durch die geschulten Boden-Profis an Schüler*innen in Berufsschulen sowie an Mitarbeitende in Betrieben des Lebensmittelhandwerks weiterzugeben. „Schließlich sind die Relevanz und das Wissen zum Themenkomplex Boden, denen leider nicht in den Lehrplänen entsprochen wird, die Grundlage für klimagerechtes, nachhaltiges Wirtschaften“, ist sich Anke Kähler sicher.
Slow Food Deutschland ist Unterstützer der Aktion BODEN-BROT
Zur Aktion BODEN-BROT auf der Seite der Freien Bäcker >>hier
]]>„Bleibt Zuhause!“, sagt das Bündnis wegen der Pandemie und ruft mit der „Aktion Fußabdruck“ zum Protest auf Distanz auf. Tausende Menschen schicken dieser Tage ihre Fußabdrücke nach Berlin, wo diese am Samstag vor dem Kanzleramt eindrucksvoll in Szene gesetzt werden. Bäuer*innen mit Traktoren und Imker*innen mit Rauchtöpfen repräsentieren die Agrarwende-Bewegung bei dem Protest am Amtssitz von Kanzlerin Merkel – und komplettieren so das imposante Bild, das durch das Meer an Fußabdrücken entsteht.
Saskia Richartz, „Wir haben es satt!“-Sprecherin, sagt:
„Nach 15 Jahren CDU/CSU im Agrarministerium ist der Reformstau verheerend. Das politische Versagen lässt sich an der Zahl der geschlossenen Höfe und verschwundenen Insekten ablesen. Zur Bundestagswahl formulieren wir fünf Messlatten für eine krisenfeste Landwirtschaft. Wir fordern: Steuergelder nur für den Umbau der Landwirtschaft, weniger Tiere besser halten, Höfesterben stoppen, Pestizideinsatz halbieren und Nein zum EU-Mercosur-Abkommen.“
Elisabeth Waizenegger, Milchbäuerin aus dem Allgäu, von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sagt:
"Das unionsgeführte Agrarministerium hat zu verantworten, dass seit 2005 130.000 Höfe schließen mussten. Dumpingpreise und Höfesterben haben wir satt! Die aktuellen Bauerndemonstrationen bei Lebensmitteleinzelhandel und Großmolkereien zeigen die verzweifelte Situation auf vielen Höfen. Wir Bäuerinnen und Bauern sind bereit für Klima-, Arten- und Tierschutz, wenn wir faire Erzeugerpreisen bekommen und unsere Leistungen durch eine bessere EU-Subventionspolitik honoriert werden."
Volker Krause von der Bohlsener Mühle und dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sagt:
„In der Lebensmittelbranche sehen wir, dass immer mehr Leute zu gut erzeugtem Essen greifen. Doch die Politik versagt, wenn sie die Verantwortung auf die Verbraucher abwälzt. Für Klima- und Artenschutz und nicht zuletzt zum Schutz vor künftigen Pandemien brauchen wir ein zukunftsfähiges Ernährungssystem. Der sozial-ökologische Umbau der Land- und Lebensmittelwirtschaft muss daher beschleunigt und das EU-Ziel von 25 Prozent Bio-Anbaufläche bis 2030 umgesetzt werden."
Johannes Specht von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sagt:
„Wir begrüßen das Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie, für das wir seit langem gekämpft haben. Das ist ein wichtiger Schritt für viele zehntausend Menschen, die in der Branche arbeiten. Doch jetzt muss es weitergehen: Wir wollen in Tarifverhandlungen deutlich höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erreichen. In der Fleischbranche sehen wir die Umsetzung ökologischer Nachhaltigkeit nur, wenn auch die soziale Ausbeutung gestoppt wird.“
„Wir haben es satt!“-Protest – Terminübersicht
Hintergrund:
Für eine bäuerliche Landwirtschaft mit mehr Umwelt-, Tier- und Klimaschutz protestiert das „Wir haben es satt!“-Bündnis aus rund 60 Organisationen am 16. Januar vor dem Kanzleramt. Seit 2011 gingen alljährlich zum Auftakt der „Grünen Woche“ Zehntausende unter dem Motto „Wir haben es satt – Essen ist politisch!“ auf die Straße. Wegen der Pandemie hat das Bündnis in diesem Jahr die „Aktion Fußabdruck“ ins Leben gerufen, dank der Protest für die Agrar-wende auf Distanz möglich ist.
Forderungen des „Wir haben es satt!“-Bündnisses im Superwahljahr:
Weitere Informationen finden Sie >>hier
]]>Unsere Ernährung beruht zu über 90% auf der landwirtschaftlichen Produktion. Langfristig ist diese nur gesichert, wenn die natürlichen Voraussetzungen landwirtschaftlicher Erzeugung – Boden, Wasser, Luft, Klima, biologische Vielfalt – effektiv geschützt werden. Hierzu kann und sollte Politik die richtigen Anreize bieten.
Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP), das umfassende Finanzierungsinstrument der europäischen Landwirtschaft, wäre dafür ein wichtiger Hebel. Von den rund 60 Mrd. Euro Landwirtschaftsgeldern werden allein in Deutschland jährlich ca. 6 Mrd. Euro verteilt. Die „alte“ GAP hat mit diesem Budget erheblich zu Bodendegradation, Grundwasserbelastung, Klimawandel und Biodiversitätsverlusten in Europa beigetragen. In drei Wochen, nämlich zum 1. Januar 2021, sollte nach dem ursprünglichen Zeitplan eine reformierte EU-Agrarpolitik in Kraft treten. Slow Food Deutschland fordert: Die im Rechtsetzungsverfahren aufgetretene Verzögerung sollte als Chance genutzt werden, noch jetzt den Hebel für unsere zukunftsfähige Ernährung umzulegen.
GAP-Reform im Zeichen von Klima- und Biodiversitätskrise
Die EU-Kommission strebte mit ihren Vorschlägen von 2018 eine umfassende politische Neuordnung für eine größere Zukunftstauglichkeit der Landwirtschaft an. Der Erstentwurf der GAP-Reform wurde rasch eingeholt von einer neuen EU-Kommission mit einer deutlich verstärkten Ausrichtung auf die Zukunftsfähigkeit der EU. Spätestens seit Verabschiedung des Europäischen Green Deal (2019) – der Rahmenstrategie zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2050 – sind für eine klima- und biodiversitätsschonende Gestaltung der GAP klar definierte politische Ziele vorgegeben. Für die notwendige und von Slow Food seit vielen Jahren geforderte Ernährungswende sind diese von zentraler Bedeutung.
Im Mai 2020 hob die Kommission die grundsätzliche Vereinbarkeit ihrer GAP-Vorschläge mit dem Green Deal hervor, und verabschiedete zwei thematische Strategien mit konkreten Umsetzungszielen: Die Farm-to-Fork-Strategie zielt darauf ab, den Übergang zu einem nachhaltigen Ernährungssystem zu beschleunigen, indem sie eine integrierte Betrachtung der ökologischen, landwirtschaftlichen und gesundheitlichen Aspekte von Lebensmitteln vornimmt. Mit der Biodiversitätsstrategie liegt ein langfristiger Plan zum Schutz der Natur und zur Umkehrung der Schädigung von Ökosystemen vor, mit einer Reihe von zeitgebundenen Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt von Lebensmittelsystemen und zur Umstellung auf eine nachhaltigere Landwirtschaft. Zu den wichtigsten Zielen bis 2030 gehören 25% Anwachsen des Ökolandbaus, sowie je 50% weniger Pestizideinsatz, Nährstoffverlust und Antibiotika in Viehzucht und Aquakultur und 20% weniger Düngemitteleinsatz. Zudem eine deutliche Anhebung der Anteile geschützter Flächen (30%) und rechtsverbindliche Ziele zur Wiederherstellung von Ökosystemen.
Stand der Verhandlungen
Aufgrund von Streitigkeiten über den EU-Haushalt und pandemiebedingten Verzögerungen bei den GAP-Verhandlungen wird nun zunächst für eine Übergangszeit bis 2023 die alte GAP in Kraft bleiben. Nachdem das Europäische Parlament (EP) und der Rat sich erst am 21. Oktober 2020 auf ihre jeweilige Verhandlungsposition festgelegt haben, gehen die trilateralen Verhandlungen mit der Kommission in den kommenden Monaten als sog. „Trilog“ weiter. Slow Food kritisiert, dass die Allgemeine Ausrichtung des Rats und die Position des EP jeweils klassische Einigungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen. Sie nehmen die positiven Elemente der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie, die einen ernsthaften Wandel bewirken könnten, kaum auf. Die GAP wäre demnach weiterhin ein Finanzierungsmittel, das in erster Linie den Besitz von Land belohnt, statt gesellschaftliche Leistungen für den Schutz der natürlichen Grundlagen. Auch künftig würde die Beihilfenpolitik große Agrarkonzerne bevorzugen. Kleinbäuer*innen, die biologische Landwirtschaft betreiben und biologische Vielfalt erhalten und wiederherstellen hingegen würden mit Blick auf die Green-Deal-Ziele weiterhin unzunreichend gefördert.
Obwohl es ein übergeordnetes gesellschaftliches Interesse an einer wissenschaftsbasierten Politikgestaltung unter Einhaltung ökologischer Grenzen sowie des Klimaschutzes gibt, scheint die EU auch mit der aktuellen GAP-Reform den dringend notwendigen Richtungswechsel kaum zu bewerkstelligen.
Appell der Zivilgesellschaft an die EU-Kommission
Da der Trilog die letzte Chance ist, der nachhaltigen Ausrichtung der europäischen Landwirtschaft einen einheitlichen rechtlichen Rahmen zu geben, hat Slow Food Deutschland sich in den vergangenen Tagen gemeinsam mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen an die EU-Kommission gewandt. Slow Food Youth hat als Teil eines Bündnisses junger Menschen entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Lebensmittelsystems sowie der Klimagerechtigkeitsbewegung in einem Schreiben an die EU-Kommission ihre Forderung nach einer ambitionierten, regional angepassten Landwirtschaftspolitik ausgedrückt – nach einer GAP, die Klima, Umwelt und Biodiversität schützt sowie Landwirt*innen für ihre gesellschaftlichen Leistungen fair entlohnt. Die jungen Erwachsenen weisen damit erneut darauf hin: Die Klimakrise wartet nicht und duldet keinen Aufschub. In einem weiteren Schreiben fordert Slow Food Deutschland gemeinsam mit einer breiten Plattform von Verbänden aus Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft, Entwicklungspolitik, Verbraucherschutz und Tierschutz, dass es künftig für Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe kein Mindestbudget geben darf, sondern vielmehr die Leistungen der Landwirt*innen für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz zu honorieren sind. Des Weiteren mahnen die Verbände eine Halbzeitbilanzierung der GAP sowie ein höheres Maß an Transparenz in den laufenden Trilog-Verhandlungen sowie der nationalen Ausgestaltung an.
Was jetzt für Slow Food Deutschland zählt
Immer wieder führt uns die Wissenschaft vor Augen, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, um die Folgen von Klimawandel und Biodiversitätsverlust abzumildern. In Übereinstimmung mit gleichgesinnten Verbänden sieht Slow Food die grundlegende Neuausrichtung der GAP als Voraussetzung für eine Trendwende in unserem wenig nachhaltigen und in Anbetracht der Herausforderungen geradezu unzeitgemäßen Ernährungssystem. Zentral dabei ist die ambitionierte Umsetzung von Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie.
In Fragen des Klima- und Biodiversitätsschutzes braucht die EU einige Mitgliedstaaten, die mutiger voranschreiten und als Vorreiter einer zukunftstauglichen Landwirtschaft wissenschaftlich empfohlene Maßnahmen zügiger in die Umsetzung bringen, als es anderen möglich ist. Um Mängel in der politischen Ausgestaltung auf EU-Ebene wettzumachen, sollte der deutsche Strategieplan zur GAP-Umsetzung konsequent mit dem Green Deal verknüpft werden. Dafür wird sich Slow Food Deutschland gegenüber den nationalen Entscheidungsträger*innen, insbesondere im BMEL, einsetzen.
Slow Food sieht Politik und Landwirtschaft in der Hauptverantwortung für die Nachhaltigkeit der europäischen Agrarpolitik. Doch auch wir Verbraucher*innen sind gefragt: Unsere Ernährungsweisen stehen auf dem Prüfstand, denn wir nehmen täglich maßgeblichen Einfluss darauf, was in welchen Mengen und auf welche Weise erzeugt und nachgefragt wird. Verbraucher*innen können und sollten die Chance und ihr Potential nutzen, um als Koproduzent*innen mit ihren Einkäufen und Restaurantbesuchen eine Lebensmittelerzeugung zu unterstützen, die Klimaschutz, biokulturelle Vielfalt und Genuss gleichermaßen fördert. Der Verein sieht sich aufgerufen, die eigenen Ansätze für eine angepasste Ernährungsweise, beispielsweise das Positionspapier über eine Gesunde Ernährung, weiterzuentwickeln, zu verbreiten und mit Verbraucher*innen und Entscheider*innen zu diskutieren. Für Slow Food steht dabei außer Frage: Planetengesundheit ist die Voraussetzung für Menschengesundheit. Und eine ausgewogene, klima- und biodiversitätsfreundliche Ernährung muss einen fairen Preis haben, für alle entlang ihrer Wertschöpfung sowie für die Verbraucher*innen. Gesunde Ernährung im Slow-Food-Sinne soll kein Luxus sein. Deswegen zeigt Slow Food 2021 verstärkt Möglichkeiten auf, wie dies auch für den kleinen Geldbeutel umsetzbar ist.
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Gleich zwei Mal führte SFD 2020 Veranstaltungen zu den PiWi genannten pilzwiderstandsfähigen Rebsorten durch. Am Vorabend der Mitgliederversammlung im Juli für Slow-Food-Mitglieder sowie am 4. Dezember als Online-Seminar, das allen interessierten Verbraucher*innen offen stand. Fast 300 Wein-Pakete gingen in den Versand, rund 800 Menschen saßen mit Spannung hinter den Bildschirmen, einige sogar aus der Schweiz. Die sechs Proben – drei Weiß- und drei Rotweine – wurden aus den ECO-Winnern 2020 (einem Weinwettbewerb von Ecovin Deutschland) aus pilzresistent Rebsorten ausgewählt.
"Es macht große Freude, dass man mit einem solchen Webinar 800 Genießer*innen und Interessierte aus der ganzen Republik zusammen bekommt. Die wirklich kompetenten Fachleute haben einen sehr tiefen Einblick ins Thema „PiWi, Ökologischer Wein und Biodiversität“ gegeben. Mit diesen Erfahrungen und Wissen aus erster Hand werden die Verbraucher aufmerksam und überzeugt. Beispielsweise wird jeden das Thema „Pflanzenschutz“ in der Zukunft ganz anders begleiten. Ich wünsche für die Zukunft noch mehr Plattformen für die Protagonist*innen!"
Natalie Lumpp
Das überwältigende Interesse beider Online-Seminare begeisterte auch die Referent*innen. In Berlin blickte der Journalist Ulrich Ameling in die Kamera, der in seinen Texten beharrlich die Vorzüge von Bioweinen im Allgemeinen und PiWi-Reben im Besonderen hervorhebt. Auf dem Weingut Zähringer im badischen Heitersheim saßen im Sommer Paulin Köpfer, Winzer und Vorsitzender von Ecovin Baden und Martin Wurzer-Berger, Leiter der SFD-Wein-Kommission beieinander, um das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu erläutern. Beim Dezember-Termin war Wurzer-Berger aus Münster zugeschaltet. Erfreulicher Weise wurde die Runde am 4.12. um Hanneke Schönhals erweitert, eine junge Winzerin aus dem rheinhessischen Biebelnheim. Auf ihrem Weingut wird seit langem biologisch, seit einigen Jahren auch biodynamisch gearbeitet. Der Anteil an PiWi-Sorten beträgt nahezu ein Viertel der Rebfläche.
"Wer es mit dem Bioweinbau ernst nimmt, kommt an PiWi nicht mehr vorbei. Durch weniger Pflanzenschutz ermöglichen diese resilienten Neuzüchtungen echte Diversität im Weinberg. Sie erlauben die Pflege und Weiterentwicklung der Kulturlandschaft ohne Chemie und schenken Weinliebhaber*innen neue Geschmackserlebnisse – wie diese Probe mit 800 neugierigen Teilnehmenden einmal mehr bewiesen hat. PiWi haben alle Aufmerksamkeit verdient!"
Ulrich Amling
Im heimischen Baden-Baden moderierte Natalie Lumpp ein kurzweiliges Wechselspiel mit den Beitragenden. Sie beschrieb auf charmante, wertschätzende Art die Weine und gab Tipps zur Verkostung. Nach dem ersten Wein, einem Helios aus Baden, zeigte sich Paulin Köpfer begeistert von der Einbettung des Online-Seminars „Wine for Future. Neue Rebsorten entdecken“ in den Rahmen von Terra Madre Salone del Gusto 2020, bei dem SFD u.a. die biokulturelle Vielfalt in den Fokus rückt. Er erläuterte zunächst die Entwicklung des Begriffs ‚PiWi‘ als ein kurios entstandener, interner Begriff unter den Menschen, die Biowein anbauen. „Hybride“ klänge zu sehr nach Mais, auch wenn der Begriff fachlich durchaus korrekt sei; auch „Interspezifische Rebsorten“ sei keine Alternative. Doch selbst mit ‚PiWi‘ seien nicht alle zufrieden. Ein aktueller Vorschlag aus der Hochschule Geisenheim lautet „pioneering wines“; Köpfer warb für die Variante „pioneering wines for future“.
"Ich war einfach (und bin es jetzt noch) überwältigt von dem großen Interesse und den vielen Fragen die via Chat gestellt worden sind. Für die ECOVIN-Weingüter ist es logischerweise entscheidend, dass das Publikum die Weine aus den Neuen Rebsorten schätzen lernt und mehr und mehr von den pioneering wines konsumiert. So bin ich großer Hoffnung, dass nicht nur der Bioweinbau, sondern der Weinbau generell, durch einen wachsenden Anbau von PIWI gemeinsam mit den Konsument*innen einen großen Schritt nach vorne kommen. Damit kann sich die Weinkultur lebendig in eine positive Zukunft weiter entwickeln. Vielen Dank Euch allen – es hat mir große Freude und richtig Spaß gemacht mit Euch diese Probe durchzuführen."
Paulin Köpfer
PiWi-Rebsorten sind neue Sorten, die durch klassisches Einkreuzen der Widerstandsfaktoren amerikanischer Wildrebenarten gegen die Pilzkrankheiten mit den geschmacklichen Eigenschaften der Europäerreben entstehen. Durch das Einkreuzen asiatischer Wildrebenarten wird zudem eine insgesamt größere genetische Breite gewonnen. Weitsichtig wurde an den PiWi schon seit den 1950er Jahren züchterisch gearbeitet. Damals gab es überhaupt noch keine Nachfrage.
Die Europäerrebe vitis vinifera hat keinerlei Widerstandskraft gegenüber den Pilzkrankheiten Oidium (Echter Mehltau) und Peronospora (Falscher Mehltau). Seit beide Erreger vor mehr als 150 Jahren aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt wurden, muss die Europäerrebe auf der ganzen Welt mit zunehmendem Aufwand, vor allem mit Hilfe von Pflanzenschutzmitteln, buchstäblich am Leben erhalten werden. Wenn vom Spritzen in den Weinbergen die Rede ist, geht es vor allem um diese beiden Krankheiten. Gerade Biowinzer*innen mit der Vorstellung und dem Ziel, ein Anbausystem zu etablieren, in dem sich die Gesundheit und Vitalität der Pflanzen aus dem natürlichen Umfeld durch Bodenpflege und Versorgung der Reben „von selbst“ einstellt, kann das nicht befriedigen. Aber mit den vinifera-Reben geht das „von selbst“ überhaupt nicht mehr oder nur unter ganz günstigen und glücklichen Bedingungen.
"Wunderbar finde ich, dass wir unser Thema „Biokulturelle Vielfalt“ im Rahmen von Terra Madre Salone del Gusto setzen konnten: Biokulturelle Vielfalt im Weinbau bedeutet Vielfalt im Weinberg, in Sorten, im Anbau, in der Anpassung an Landschaft, Klima und Kultur. Slow Food steht für die Bewahrung und den Schutz der Biodiversität und so auch der traditionsreichen, der autochthonen Reben mit ihrer Geschichte und ihrer regionalen Typizität. Aber der Blick muss auch – und das ist wichtig - in die Zukunft gerichtet sein in einem ganzheitlichen Sinn. Nachhaltigkeit und Schutz der Biodiversität sind nicht rückwärtsgewandt und statisch, sondern Zukunftsthemen, die Entwicklung und Gestaltung bedeuten. Im Weinbau und in unseren Köpfen. Unser Webinar „Wine for Future“ hat genau das gezeigt."
Andrea Lenkert-Hörrmann (Projektbeauftragte SFD)
Die PiWi-Reben ermöglichen also reduzierte Pflanzengesundheitsmaßnahmen. Das ist nicht nur für die statistisch gesehen acht Prozent Biobetriebe in Deutschland von Bedeutung, sondern für den ganzen Weinbau: Unter dem Gesichtspunkt der Umweltemissionen, die perspektivisch um die Hälfte gesenkt werden sollen, bieten sie auch für konventionelle Betriebe eine große Chance. PiWi-Rebsorten ermöglichen eine Reduktion der Fungizid-Einträge um 70 bis 100 Prozent. Der Klimawandel trägt das seine dazu bei, den Druck zur Etablierung von alternativen Rebsorten zu erhöhen. Wissenschaftler*innen prognostizieren für die vinifera-Sorten im Jahr 2035 bis zu 30 Applikationen von Pflanzenschutzmitteln. Das ist gegenüber dem gegenwärtigen Stand fast eine Verdoppelung der durchschnittlich notwendigen Mengen – nicht zuletzt ein betriebswirtschaftlicher Faktor. Dabei ist die Frage noch gar nicht gestellt, ob es mit den uns so lieb gewordenen klassischen Rebsorten angesichts der sich entwickelnden klimatischen Bedingungen überhaupt noch gelingt, eigenständige, ausgewogene und harmonische Weine hervorzubringen. Für Paulin Köpfer ist es keine Frage, dass dem Wandel angepasste neue Reben gefunden werden müssen.
Nach der Verkostung eines Cabernet blanc durch Natalie Lumpp erzählte Hanneke Schönhals begeistert und überaus begeisternd über ihre alltägliche Arbeit mit den PiWi-Reben im Weinberg und später beim Verkauf. Sie baut ebenfalls einen Cabernet blanc an, sieht aber dessen Aromatik im Ausbau als Naturwein stärker zur Geltung kommend. Sie wies darauf hin, dass PiWi gerade auch in gefährdeten Lagen gut gediehen und eine allgemeine Entlastung mit sich brächten: Die Böden würden weniger verdichtet, die Natur freue sich über geringe Pestizid-Einträge und die Winzer*innen gewännen Zeit für wichtigere Dinge, als dauernd durch den Wingert zu fahren. Begrünungen seien in solchen Weinbergen erfolgreich, Alternativen wie die Aussaat von Salat oder Blumen würden versucht. Auch eine Beweidung durch spezielle Schafrassen sei möglich. Ihre persönliche Entscheidung stehe fest: Sie werde bei zukünftigen Neuanpflanzungen nur noch PiWi-Sorten berücksichtigen. Die Herausforderung liege ihrer Einschätzung nach darin, die Weine zu verkaufen. Das liege weniger an den Privatkund*innen, die im Gespräch und in der Verkostung sehr wohl überzeugt werden könnten, als vielmehr am Fachhandel und auch der Gastronomie.
"Es war mir eine große Ehre in diesem Kreis von qualifizierten Slow-Food-Pionier*innen meine Erfahrungen mit den PiWi-Weinen zu teilen. Für mich sind es die Weine der Zukunft und ich freue mich sehr über die zunehmende Relevanz und Aufmerksamkeit für diese Weine. Solche Verkostungen, wo ich mit meiner Passion und Überzeugung für diese neuen Reben auf Resonanz stoße, motivieren und bestärken mich ungemein, mit PiWi weiterzumachen. Danke an Slow Food!"
Hanneke Schönhals
Im Anschluss an die Verkostung des dritten Weins skizzierte Martin Wurzer-Berger Schlüsselstellen in der Geschichte der Weinreben über die Kontinente hinweg und weckte ein tieferes Verständnis für grundlegende Probleme des Weinbaus, wie sie Paulin Köpfer bereits hatte anklingen lassen.
Die PiWi hätten den Markt ja eigentlich schon erreicht, meinte Ulrich Amling, der fünfte Referent im Bunde. Mit der Rotweinrebe Regent werde schon seit vielen Jahren ein erster dunkler deutscher Rotwein produziert, mit dem Cabernet Cortis ein Rotwein mit der typischen Cabernet-Aromatik, der bei uns gesund ausreife. Dass sich die PiWi schwer täten, liege weniger an den Verbraucher*innen, die keinesfalls unwillig seien. Die Probleme läge in den Wegen begründet, wie Wein in Deutschland vermarktet werde. Die größten Weinhändler seien die Discounter. Dort fände wenig Wissensvermittlung statt. Denn PiWi seien ein komplexes Thema, das nur über Kommunikation und besseres Wissen erfolgreich sein werde. Doch auch die Verbraucher*innen müssten eine größere Bereitschaft entwickeln, sich geschmacklich von ihren Gewohnheiten zu lösen und neuen Weinen zuzuwenden. Kritisch ließ Amling anklingen, dass die PiWi der ersten Generation den aktuellen klimatischen Herausforderungen schon nicht mehr entsprächen.
Die Aufgabe der Zukunft ist es, Aufklärungsarbeit zu leisten und offen darüber zu reden, wie Wein hergestellt werde. PiWi-Rebsorten mit ihren weinbaulichen und geschmacklichen Qualitäten eröffneten die Möglichkeit, den Weinbau ehrlicher und genauer zu betrachten. Transparenz zu erzeugen über die Arbeit und ein Gespräch anzuregen zwischen Winzer*innen und Verbraucher*innen – das ist gute Slow-Food-Tradition und der richtige Weg zu reinem Wein.
"Zu wissen, dass wir 800 Menschen auf eine so leichten und für alle zugängliche Weise in ihrem Wohnzimmer daheim erreicht haben, um gemeinsam zu schmecken, zu lachen und zu lernen macht mich in diesen verrückten Zeiten der Isolation sehr froh."
Paul Kleebinder (Zoom-Organisation in der Geschäftsstelle von SFD)
Allgemeine Einschätzung der fünf Beitragenden war, dass die Akzeptanz für PiWi-Sorten nicht von heute auf morgen geweckt werden könne, dass dieser Weg aber ein überaus lohnender sein werde. Das gelte grundsätzlich für den notwendig komplexeren Blick auf die Bedingungen, unter denen Genuss- und Lebensmittel erzeugt würden.
Text: Martin Wurzer-Berger
Aufgerufen von rund 60 Organisationen aus Landwirtschaft und Gesellschaft fordern die Protestierenden – natürlich mit Maske und genug Abstand – im Januar eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Die Protestveranstaltung, die zum Auftakt des Superwahljahres mit sechs Landtags- und der Bundestagswahl stattfindet, steht unter dem Titel: „Agrarindustrie abwählen – Agrarwende lostreten!“
Für alle, die eine weite Anreise hätten, hat sich das Bündnis eine besondere Mitmach-Möglichkeit überlegt: Die „Aktion Fußabdruck“. Hierfür wird der Abdruck des eigenen Fußes oder Schuhs mit einer Forderung versehen und nach Berlin geschickt. Am Kanzleramt werden die Abdrücke dann in Szene gesetzt und es entsteht ein eindrucksvolles Protestbild.
„Wir haben es satt!“-Sprecherin Saskia Richartz sagt:
„Die bauern-, tier- und umweltfeindliche Agrarpolitik muss im kommenden Jahr abgewählt werden. Die gescheiterte EU-Agrarreform, das fortschreitende Höfe- und Artensterben und das katastrophale Abkommen mit den Mercosur-Staaten zeigen, wie das unionsgeführte Landwirtschaftsministerium die Agrarindustrie hofiert. Dass die nötigen Umbaumaßnahmen in der Landwirtschaft nicht angegangen werden, zerstört Existenzen und unsere Umwelt. Wir verlangen einen raschen Rettungsplan und einen echten Politikwechsel.“
Terminhinweis:
„Wir haben es satt!“-Protest: „Agrarindustrie abwählen – Agrarwende lostreten!“
Zeit: Samstag, 16. Januar 2021, 12-14:30 Uhr Ort: Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin
Programmpunkte: „Aktion Fußabdruck“, Reden, Musik & Poetry Slam
Am Vormittag: Traktorkonvoi und Protest der Bauern und Bäuerinnen (Informationen folgen)
Die Forderungen im Wahljahr
Zum >> Aufruf
Hintergrund: Unter dem Motto „Wir haben Agrarindustrie satt!“ demonstrieren seit 2011 im Januar zehntausende Menschen – Bäuer*innen, Lebensmittelhandwerker*innen, Tier-, Umwelt- und Naturschützer*innen, Aktive der Entwicklungszusammenarbeit, engagierte Jugendliche und viele mehr – kraftvoll, bunt und lautstark auch bei eisigen Temperaturen in Berlin. Gemeinsam treten sie ein für eine Landwirtschaft, in der Tiere artgerecht gehalten werden, Umwelt und Klima geschützt werden, gutes Essen für alle erzeugt wird und Bäuer*innen faire Preise für ihre Produkte erhalten.
Weitere Informationen gibt es >> hier
]]>Derzeit entscheidet sich, wie die 55 Milliarden Euro verteilt werden, die die EU künftig pro Jahr an die Landwirtschaft zahlt. Bei dem EU-Agrartreffen in Koblenz (30.8.-1.9.) werden die Weichen für die abschließenden Verhandlungen hierzu gestellt. Klar ist: Die pauschalen Flächensubventionen sind nicht mehr zeitgemäß. Bei der aktuellen Reform der gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) müssen Klima- und Insektenschutz vorangebracht, der Umbau der Ställe hin zu artgerechter Haltung finanziert und das Höfesterben beendet werden.
Die Flächensubventionen nach dem Motto „Wer viel hat, dem wird gegeben“ befeuern einen massiven Konzentrationsprozess in der europäischen Landwirtschaft. Trotz hunderten Milliar-den Euro an Subventionen – jeder dritte Euro aus dem EU-Haushalt geht an die Landwirtschaft – mussten in der EU zwischen 2005 und 2016 über vier Millionen Bauernhöfe (29 Prozent) ihre Tore schließen (Quelle: Eurostat, Abb. 5). Die übrigen Betriebe bewirtschaften immer größere Flächen. Von den Subventionen profitieren die, die auf Masse und nicht nachhaltig produzieren. Das muss sich ändern.
Europäischer Protestbrief für die Agrarwende
In der vergangenen Woche haben sich mehr als 400 bäuerliche und zivilgesellschaftliche Organisationen aus 12 EU-Mitgliedsstatten in einem offenen Brief an Agrarministerin Klöckner als Vorsitzende der Agrarminister*innen der EU gewandt. Die zentralen Forderungen des Briefes: Anpassung der Agrarpolitik an die Klima-und Biodiversitätsziele der EU, Beendigung des Höfesterbens und zielorientierte Förderpoliitk statt pauschaler Flächensubventionen. Zum offenen Brief: www.wir-haben-es-satt.de/offenerbrief
Demonstrationsbündnis „Wir haben es satt!“
Bei der „Wir haben es satt!“-Demonstration gehen jedes Jahr im Januar Zehntausende in Berlin gegen die Agrarindustrie und für eine bäuerliche Zukunftslandwirtschaft auf die Straße. Bäuer*innen – ökologisch wie konventionell – kämpfen im Schulterschluss mit Umwelt-, Tier- und Klimaschützer*innen sowie Eine-Welt- und ernährungspolitischen Aktivist*innen für eine Wende in der Agrarpolitik – hin zu mehr ökologischer und bäuerlicher Landwirtschaft. Weitere Informationen: www.wir-haben-es-satt.de
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Weitere Protesttermine:
Protestaktion: „Eure Agrarpolitik ist ein einziger Scherbenhaufen“
Zeit: Dienstag, 1. September 2020, 9:45 Uhr
Ort: Rhein-Mosel-Halle, Julius-Wegeler-Straße 4, 56068 Koblenz
Protestcamp (initiiert von der BUNDjugend Rheinland-Pfalz)
Zeit: Sonntag, 30. August bis Dienstag, 1. September 2020
Ort: Kaiserin-Augusta-Anlagen (Nähe Schlossstufen), 56068 Koblenz