Der Billesberger Hof ist ein Musterbeispiel an Vielfalt. Landwirt Amade Billesberger hat dort so ziemlich alles geschaffen, wie Landwirtschaft und Natur in Einklang leben können. Der Mann, der auch als Bauer Mogli bloggt, baut auf 1,5 Hektar mehr als 100 Sorten Gemüse an, auf weiteren drei Hektar ein halbes Dutzend verschiedener Kartoffelsorten, die Hühner entstammen natürlich alten Zweinutzungsrassen, ebenso die Puten. „Ich mache gar nicht so viel Neues“, sagt Amade Billesberger, wenn man ihn auf diese für einen durchschnittlichen Bauernhof außerordentliche Vielfalt anspricht. „Ich mache das, was meine Urgroßeltern schon gemacht haben.“
Damit ist Amade Billesberger nicht nur ein besonders nachhaltig arbeitender Landwirt. Sondern auch ein besonders politisch arbeitender.
Denn wenig ist so politisch, wie die Frage, welche Sorten Bäuerinnen und Bauern heute anbauen. Das wurde bei Slow Food Deutschlands Abschlussveranstaltung des – in diesem Jahr notgedrungen ins Digitale verlagerte – Terra Madre Festivals deutlich. Der Grund: Die allermeisten Landwirt*innen arbeiten – anders als Amade Billesberger – mit immer weniger Saatgutsorten, weil eine international agierende Industrie diese immer weiter verknappt. Mit verheerenden Folgen. „Wenn wir überleben wollen, müssen wir unseren Anbau drastisch verändern und dabei spielt das Saatgut eine Rolle“, sagte Benny Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft während der Veranstaltung. Dabei kristallisierten sich fünf Gründe heraus, warum das Thema Saatgutvielfalt ganz oben auf die Agenda gehört.
1. Landwirt*innen weltweit setzen immer weniger Saatgutsorten ein.
Der Mensch und sein Saatgut, das ist eine über 12.000 Jahre alte Beziehungsgeschichte. „Saatgut hat eine ganz lange Tradition des freien Austausches“, sagt Benny Haerlin. „Dadurch, dass wir es weitergeben, vermehrt es sich.“ Und das hat über die Jahrhunderte sehr gut geklappt. 75.000 essbare Pflanzen hat der Mensch so kennengelernt, davon 12.000 kultiviert. Nur: Diese Entwicklung stoppte irgendwann.
Das Ergebnis lässt sich heute betrachten: Lediglich ein Prozent der grundsätzlich kultivierten Pflanzen wird noch in größerem Stil angebaut, 120 in etwa. Und nur 30 davon liefern 95 Prozent der Nahrung. Allein beim Getreide liefern Mais, Reis und Weizen 80 Prozent der weltweiten Ernte. Nie war der Mensch so abhängig von so wenigen Sorten. „Und so, wie wir heute diese Sorten anbauen - in Monokulturen, in Hochleistungssorten - führt es weiter zu Verlusten“, sagt Benny Haerlin.
2. Immer weniger Konzerne kontrollieren immer weniger Sorten.
Dass nur noch so wenige Sorten, davon viele künstlich erzeugte Hybridsorten, die sich – vereinfacht gesagt – nicht von selbst vermehren können, eingesetzt werden, hat einen simplen Grund: immer weniger, dafür aber größere Konzerne versuchen, die Kontrolle über das Saatgut zu erlangen. Fünf Unternehmen beherrschen mehr als die Hälfte des weltweiten Saatgutgeschäfts.
Und sie versuchen mit allen Mitteln, die Landwirtschaft mit nicht-samenfesten Sorten zu versorgen. Der Vorteil aus ihrer Sicht: Weil Landwirt*innen diese Hybrid-Sorten nicht selbst vermehren können, werden sie vom Saatguteinkauf bei den Konzernen abhängig. Verschärfend kommt hinzu, dass viele dieser Konzerne ihr Saatgut zu patentieren versuchen. Dann hätten sie quasi ein Copyright aufs Leben. „Alle Parteien sagen: Pflanzen sollen nicht patentierbar sein, aber die Bundesregierung hält sich nicht dran“, sagt Haerlin. „Wir brauchen einen Wechsel im Landwirtschaftsministerium, weil es vom Druck dort abhängt, wie stark die Nicht-Patentierbarkeit von Saatgut durchgesetzt wird.“
3. Saatgutkonzentration verursacht Armut und Hunger.
Noch findet diese Konzentration vor allem im globalen Norden und in Latein-Amerika statt. Vor allem die vielen Klein-Bauern Afrikas und Indiens arbeiten bisher oft noch mit samenfesten Sorten. Sie ständen vor dem Ruin und ihre Länder damit vor großen Hungersnöten, wenn sie in Abhängigkeit von diesen Konzernen gerieten. „Wir haben schon jetzt richtig viel Vielfalt auch bei uns in Uganda verloren“, sagt der aus Uganda stammende Vizepräsident von Slow Food International, Edie Mukiibi. „Dagegen setzen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der die wahre Vielfalt Afrikas an Saatgut sichert.“
So arbeitet Slow Food in afrikanischen Ländern in Vielfalt-Zentren daran, Saatgut zugänglich zu halten. „Das ist wichtig, weil die Regierungen afrikanischer Länder ihre Landwirte oft allein lassen“, sagt Mukiibi. „Sie unterstützen oft die Umstellung auf Hybrid-Saatgut, weil sie sich durch ausländische Kreditgeber unter Druck gesetzt fühlen.“ Was dagegen hilft? „Wir brauchen Food-Souveränität als Grundlage für Menschenrechte“, sagt Mukiibi. „Die Gesundheit und der Wohlstand in unserem Land hängen davon ab, dass es einen fairen Zugang zu Saatgut gibt.“
4. Der Klimawandel erfordert Saatgut-Vielfalt.
In vielen afrikanischen Ländern sind die Folgen der Klimakrise schon heute stärker als in Europa zu spüren. Und in klimatisch so problematischen Lagen kann die Abhängigkeit von wenigen Sorten kritisch werden – denn Hochleistungssorten sind oft besonders anfällig, zudem hilft ein reicher Genpool an Sorten, die passenden Pflanzen für neue klimatische Bedingungen zu finden.
Biodiversität ist deswegen ein Schlüssel für Resilienz gegen die Klimakrise. Und für Edie Mukiibi steht fest: „Die Biodiversität wird hier zerstört, wenn wenige Unternehmen die Kontrolle über das Saatgut bekommen.“ Und das macht Landwirtschaft anfällig für Folgen der Klimakrise. Weil Sorten möglicherweise weniger robust werden, aber auch, weil Biodiversität die Voraussetzung für fruchtbare Böden ist. Amade Billesberger sagt: „Wir müssen auf den Boden achten, den Humus vermehren. Es wird Raubbau am Humus betrieben. Und das wird verhindert, indem man Vielfalt fördert.“
5. Wir verlieren wichtiges Wissen über Saatgut.
Dabei haben sich viele Verbraucher*innen schon an das Sorten-Einerlei gewöhnt. Carolin Engwert, die in Berlin auf kleinstem Raum einen Garten betreibt und darüber bloggt, merkt das immer an den Zuschriften ihrer Leser*innen. „Meine Leser denken, ihre Möhren müssten aussehen wie im Supermarkt“, sagt sie. „Wenn sie sehen, dass die aus ihrem Garten anders aussehen, müssen die an die Hand genommen werden. Ich sage dann immer: Das gehört so.“ Wenn aber immer mehr Sorten verschwinden, muss immer mehr Menschen der Wert der Vielfalt von neuem erklärt werden.
Und was kann man nun tun?
„Die Lösung beginnt beim Einkauf“, sagt Amade Billesberger. „Jeder kann biologisch, regional und saisonal kaufen. Das fördert in jedem Fall die Vielfalt.“ Dazu lohnt es sich, beim Einkauf von Gemüse gezielt nach solchem aus samenfesten Sorten zu fragen. „Und selbst kochen ist enorm wichtig“, sagt Carolin Engwert. „Gemüse kaufen und verarbeiten hilft schon weiter.“
Autor: Sven Prange
]]>Natural Wines, Vins Vivants oder Orange Wines und Pet Nats haben die Weinbars in Barcelona, Paris, New York, Tokyo und Berlin erobert. Naturweine sind eine herausfordernde Bereicherung der Weinwelt: Sie sehen im Glas anders aus, riechen anders, schmecken anders. Aromen von Weihrauch, Apfelmost und Bergamotte, manchmal aber auch von Nagellackentferner oder Fahrradschlauch überraschen unsere an blankpolierte Fruchtaromen gewöhnten Gaumen. Naturweine können neue Horizonte eröffnen und begleiten Speisen, zu denen oft keine anderen Weine passen. Ihre Schöpfer*innen arbeiten konsequent handwerklich, bewirtschaften ihre Reben biologisch oder biodynamisch und lehnen manipulative Techniken im Weinberg sowie im Keller ab. Viele gute Gründe für Slow Food Enthusiast*innen, sich mit diesen besonderen Weinen zu beschäftigen, wie das überwältigende Interesse der Teilnehmenden unter Beweis stellte.
Auch Ursula Hudson war eine begeisterte Anhängerin von Naturweinen und immer auf der Suche nach neuen Geschmackswelten und handwerklich erzeugten Produkten. Außerdem initiierte sie 2020 die ersten Slow Food Online-Weinverkostungen. Deshalb wurde der Workshop der im vergangenen Jahr verstorbenen Vorsitzenden von Slow Food gewidmet. Sie wäre mit Begeisterung dabei gewesen und fehlte nicht nur an diesem Abend.
Welche Naturweine gab es zu verkosten und wer hat diese ausgewählt?
Im Rahmen von Terra Madre und Salone del Gusto sowie in Kooperation mit ECOVIN, dem Bundesverband ökologisch arbeitender Weingüter in Deutschland, wurde eine bundesweite Ausschreibung unter ECOVIN Winzer*innen durchgeführt. Jedes Weingut konnte seine Weine zur Probe anstellen. Die Voraussetzung war eine strenge Definition von Naturwein: nichts rein und nichts raus. Das heißt, Schwefelzugaben sind ebenso tabu wie Filtration und sonstige Schönungen.
Alle angestellten 37 Weine wurden von den beiden Moderatoren Susanne Salzgeber und Ulrich Amling verkostet und vier Weinstile von Naturwein für den gemeinsam Workshop ausgewählt:
Weingut Melsheimer (Mosel), 2018 Rurale Riesling Brut Nature: ein Petillant Naturel (Pet Nat), der als gärender Wein auf die Flasche kommt und sich dort zu einem Schäumer entwickelt.
Weingut Brüder Dr. Becker (Rheinhessen), 2019 Scheurebe pure eine Aromarebsorte, nach kurzem Schalenkontakt vergoren, abgefüllt ohne Schwefel und mit feinem Hefetrub.
Weingut Zähringer (Baden), 2018/2019 Weißburgunder Orange: ein auf der Maische vergorener Weißwein, oxidativ ausgebaut, der an georgische Amphorenweine erinnert.
Ökologisches Weingut Schäfer-Heinrich (Württemberg). 2016 Was ist das? Rotwein: eine ungeschwefelte Cuvée aus der resilienten PIWI-Rebsorte Cabernet Cortis und Dornfelder.
Mit einem Naturwein-Quiz und regelmäßigen Fragen zu den Aromen in den Weinen wurden die Gäste aktiv in die Verkostung eingebunden.
Die Mehrheit der Teilnehmenden verfügte über erste Erfahrungen mit Naturwein und punktete mit einem erstaunlichen Wissensdurst, den die erfahrenen ECOVIN-Winzer*innen Lotte Pfeffer-Müller, Thorsten Melsheimer, Paulin Köpfer und Lars Hieber mit Offenheit und ausführlichen Erklärungen stillen konnten.
Am Ende der Veranstaltung, nach 150 Minuten Wein probieren und regen Diskussionen waren fast alle zugeschalteten Teilnehmenden noch dabei. 94 Prozent beantworteten die Frage, welchen Stellenwert Naturwein für sie als Weingenießer einnimmt mit:
„eine interessante Weinstilistik, die den konventionellen Weinmarkt bereichert“ und „möchte ich noch mehr davon probieren“. Nur sechs Prozent meinten dagegen „ist nicht meins, kann ich darauf verzichten“.
Nicht verzichten wollten hingegen über 120 Teilnehmende auf die After-Show-Diskussion bei Zoom, die noch weitere zwei Stunden regen Austausch über die lebendigen Weine und die Vielfalt der Weinstile mit sich brachte.
Lebendiger geht’s nicht. Es lebe die Vielfalt!
Was man über Naturweine wissen sollte - 5 FAKTEN
→ Ökologischer oder biodynamischer Weinbau ist die Basis für Naturweine
→ Naturweine sind handwerklich hergestellte Weine ohne technische oder chemische Eingriffe im Keller
→ Naturweine sind immer spontan vergoren mit den eigenen Hefen
→ Naturwein wird wenig oder gar kein Schwefel zugesetzt
→ Naturweine werden weder geschönt noch gefiltert
Autorin: Susanne Salzgeber
Hinweis: Naturweine sind keine Massenweine, deshalb waren die Weinpakete für die Veranstaltung limitiert.
Neugierig geworden? Drei Weinpakete mit den vier kuratierten Naturweinen sind noch zu haben. Interessierte melden sich per Mail beim Weingut Zähringer: info@weingut-zaehringer.de. Das Paket kostet 75 Euro inkl. Versand. Wer zuerst bestellt…
]]>Saatgut ist Kulturgut, Saatgut ist Vielfalt. Insbesondere im Zuge des Klimawandels schützt der Erhalt dieser Vielfalt unsere Ernährungssicherheit. Denn regionaltypische Sorten sind an die örtlichen Gegebenheiten angepasst und widerstandsfähiger gegenüber Wetterschwankungen. Seit Beginn der sogenannten Grünen Revolution in den 1960er Jahren jedoch wird immer mehr Saatgut patentiert und moderne Hochleistungs- sowie Hochertragssorten gezüchtet. Die Patentierung drängt Lebensmittelerzeuger*innen weltweit in die Abhängigkeit großer Konzerne. Die Vermehrung und der freie Austausch von samenfesten Sorten sowie eine zweite Aussaat werden verhindert. Auch ein Blick in deutsche Supermarktregale spiegelt diese Einfalt wider. Selbst bei regionaltypischen Kulturpflanzen wie Kartoffeln und Äpfeln ist die Auswahl auf wenige, standardisierte Sorten des internationalen Handels beschränkt. Trotz 30.000 essbarer Pflanzen ernährt sich die Weltbevölkerung hauptsächlich von 30 Arten.
Am Tag der Erde beantworten die folgenden Expert*innen große Fragen zu kleinen Saaten; sie teilen Wissen und Tipps für den Alltag, mit denen Verbraucher*innen im Garten, auf dem Balkon oder auf der Fensterbank zu mehr Saatgut-Vielfalt beitragen können:
• Edie Mukiibi, Vize-Präsident von Slow Food International und Koordinator des 10.000 Gärten in Afrika Projekts in Uganda
• Amadé Billesberger vom Ökohof Billesberger im Moosinning
• Caroline Engwert, Gärtnerin und Bloggerin Hauptstadtgarten.de
• Benny Härlin, Leiter des Berliner Büros der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und der Initiative Save Our Seeds
• Moderation: Tanja Busse, Autorin und Journalistin
Die Teilnehmenden können das Saatgut-Set des gemeinnützigen Vereins Genbänkle bestellen und sieben „Altsorten“ säen. Das Set kostet 15 Euro zzgl. 2 Euro Versand. Die Veranstaltung bildet den Abschluss der größten Slow-Food-Veranstaltung Terra Madre Salone del Gusto, die aufgrund der Pandemie erstmalig online stattfand und Menschen weltweit zu verschiedenen Online-Diskussionen und -Verkostungen eingeladen hat.
Event-Details: Wann? Donnerstag, 22.4. 19:00 – 20:30 Uhr; Wo? Online via Zoom und Youtube. Bitte melden Sie sich >> hier an und geben an, ob Sie optional ein (oder zwei) Saatgut-Set(s) bestellen möchten. Der Versand der Sets erfolgt ab dem 15. April. Bei Bestellung des Sets ist der gemeinnützige Verein Genbänkle Ihr Vertragspartner und stellt die Rechnung. SFD ist Ideengeber und organisatorischer Partner und lässt Ihnen die Zugangsdaten und technischen Hinweise per E-Mail vor der Veranstaltung zukommen. Am Donnerstag, 22. April, schalten Sie sich um 19 Uhr live in das Online-Seminar ein und können den Abend mit unseren Gästen genießen. Auch ohne Saatgut-Set ist eine Teilnahme an der Veranstaltung möglich und willkommen; die Teilnahme an der Veranstaltung selber ist kostenlos.
Während in der Vergangenheit Weingüter fast ausschließlich von Männern geführt wurden, nehmen immer mehr gut ausgebildete, kreative Frauen Einfluss auf die Weinwelt. Noch vor 30 Jahren betrug der Frauenanteil beim Studium Kellerwirtschaft und Weinbau an der Hochschule in Geisenheim unter 10 Prozent, heutzutage sind es fast 30 Prozent Frauen, die diesen Weg gehen. In den Studienfächern Internationale Weinwirtschaft und Marketing sind die Frauen inzwischen sogar in der Mehrheit. Bei der praktischen Winzer*innen-Ausbildung sind aktuell 26 Prozent der Lehrlinge Frauen. Nicht zuletzt die Qualität ihrer Weine sowie zahlreiche Preise und Auszeichnungen bestätigen sie in ihrem Tun. Frauen stehen nicht selten exemplarisch für eine neue Wein-Generation: Ökologischer Anbau, Nachhaltigkeit im Weinberg und im Keller, Mut zu neuen und alternativen Rebsorten wie den Pilzwiderstandsfähigen Sorten (PIWIS) sind ihnen ebenso wichtig, die Pflege der biokulturellen Vielfalt liegt ihnen am Herzen. Sie bauen alte Sorten an und unterstützen den handwerklichen Ausbau von Wein.
Trotzdem sind Frauen in der Weinwelt noch immer in der Minderheit. Der Abend mit den Winzerinnen zeigte ihre große Solidarität untereinander, trotz unterschiedlicher Generation und verschiedener Werdegänge
Folgende Frauen und ihre Weine wurden von der Moderatorin und Sommelière Susanne Salzgeber vorgestellt
Eva-Maria Köpfer, Sommelière und Geschäftsführerin des Weingutes April (Baden), präsentierte ihren Auxerrois trocken 2020. Das Bio-Weingut mit langer Tradition ist Ecovin zertifiziert und liegt direkt am Kaiserstuhl in Baden. Der Auxerrois zählt zu den weißen Burgunder-Rebsorten. Er ging aus einer natürlichen Kreuzung von Pinot und Weißem Heunisch hervor. Namensgebend ist die französische Stadt Auxerre in der Region Bourgogne-Franche-Comté, was auch auf einen französischen Ursprung hinweist.
Hanneke Schönhals, Inhaberin des Weingutes Schönhals (Rheinhessen), präsentierte ihren Saphira trocken 2020. Das Bio-Weingut Schönhals, das Hanneke Schönhals 2018 von ihrem Vater und Bio-Pionier Eugen übernahm, arbeitet seit über 30 Jahren ökologisch. Es ist Ecovin und Demeter zertifiziert. Weine aus Piwis (Pilzwiderstandsfähige Rebsorten) sind ihre Spezialität.
Saphira ist eine pilzwiderstandsfähige Rebsorte und – wie der Name schon sagt – besonders widerstandsfähig gegen Krankheiten und klimatische Veränderungen, ihr Anbau verringert zudem den CO2-Ausstoß.
Dr. Eva Vollmer, Inhaberin des Weinguts Eva Vollmer (Rheinhessen), präsentierte ihren Weißburgunder Gutswein trocken 2019. Eva Vollmer macht seit 2007 ihre eigenen Weine, promovierte zum Thema Pflanzenschutz in Steillagen und arbeitet von Beginn an ökologisch und Ecovin zertifiziert. Mit Hanneke Schönhals gemeinsam hat sie sich im Kampf gegen den Klimawandel zusammengetan, um bald nur noch Zukunftsweine zu pflanzen. (www.zukunftsweine.de)
Martina Bernhard, Mit-Inhaberin des Weinguts Bernhard (Rheinhessen), präsentierte ihren Wilde Hilde Rosé trocken.
Das Weingut Bernhard, das von Martina und ihrem Vater gemeinsam geführt wird, konnte den Jahrgang 2020 zum ersten Mal als bio-zertifiziert kennzeichnen. Sie sind Mitglied bei Ecovin und arbeiten vorrangig biodynamisch. Die Wilde Hilde ist eine Cuvée aus Spätburgunder und Sankt Laurent. Martina hat eine eigene Frauen-Weinlinie herausgebracht, die Frauen in Ländern des globalen Südens durch Spenden unterstützt (www.sisters-in-wine.de).
Lotte Becker, Inhaberin der Weinguts Brüder Dr. Becker (Rheinhessen), präsentierte ihren Spätburgunder VDP.Gutswein trocken 2019.
Das Weingut Dr. Becker gehört zu den ersten VDP-Weingütern, die biozertifiziert waren, arbeitet schon seit mehr als 30 Jahren ökologisch und ist von Ecovin sowie Demeter zertifiziert. Der Spätburgunder, geprägt vom Kalkboden, wurde im traditionellen großen Holzfass für 12 Monate ausgebaut. Lotte ist eine Bio-Pionierin in Deutschland.
Julia Weckbecker, Mit-Inhaberin des Weinguts Weckbecker (Mosel) und Geschäftsführerin des Bernkasteler Rings e.V. präsentierte ihren Riesling Hatzenporter Burg Bischofsheim feinherb 2019. Sie hat inzwischen 30 Prozent der Steillagen des elterlichen Weingutes an der Terrassenmosel auf ökologischen Weinbau umgestellt. Der Riesling feinherb ist vom kalkhaltigen Schiefer-Boden geprägt.
Zu den Weinen wurden gemeinsam mit Lea Leimann, die als Vorstandsmitglied von Slow Food Deutschland an der Veranstaltung teilnahm, Käse- und Speiseempfehlungen diskutiert und zum Schluss auf die Gleichberechtigung der Geschlechter angestoßen: Auf dass alle Frauen weltweit die gleichen Rechte und Chancen bekommen! Prost!
Autorin: Susanne Salzgeber
]]>Zum Wochenanfang hatte Bäckermeister Heiner Beck mit seinem Team die Laibe gebacken und anschließend von der Schwäbischen Alb quer durch die Republik verschickt. Am Donnerstag kamen die Pakete bei den Teilnehmenden an. Am Freitagabend fand die Online-Verkostung von Slow Food Deutschland zum Thema „Getreide fest und flüssig“ dann statt – und so mancher der über 1.000 Teilnehmenden wunderte sich, wie angenehm frisch die vier verschiedenen Brote noch schmeckten.
Das liege an der Teigführung, erklärte Beck: „Wenn ein Brot Zeit gehabt hat, lange zu gehen, kann es Wasser aufnehmen und binden.“ Die Teigruhe ist dem „Bäckermeister aus Leidenschaft“ wichtig. Ebenso viel Wert legt er darauf, hauptsächlich regionale Zutaten zu verarbeiten: „Ich schau immer, dass ich das von der Schwäbischen Alb irgendwie zusammen bringe.“ Sein Netzwerk von Landwirt*innen und Müller*innen, die ihn beliefern, hat sich Beck im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgebaut. „Dinkel wurde hier in unserer Gegend eigentlich traditionell angebaut, irgendwann aber vom ertragsstärkeren Weizen verdrängt.“ Anfang der 1990er Jahre hat Beck dann wieder Bäuer*innen vom Dinkel-Anbau überzeugt. Heute bezieht die Bäckerei mit ihren 20 Filialen nicht nur ihren gesamten Dinkel aus der Region, sondern auch alle anderen Getreidesorten und sogar den Leinsamen.
Die regionalen Gegebenheiten berücksichtigen
Dabei galt die Schwäbische Alb lange als karge und landwirtschaftlich nicht gerade attraktive Gegend. „Wir haben hier eine nur etwa 15 bis 20 Zentimeter dicke Bodenschicht, dann beginnt der kalkige Untergrund“, erklärt der Biolandwirt Franz Häußler. Auch die Höhenlage von 500 bis 800 Metern mache den Anbau schwieriger. Mit Sorten, die sowohl zu den regionalen Gegebenheiten als auch zum ökologischen Landbau passen, sei es trotzdem möglich, gute Erträge zu erzielen. Wichtig sei für die Bäuer*innen aber natürlich, dass sie zuverlässige und faire Abnehmer*innen haben. „Eine gute Kommunikation ist hier ganz wichtig und gehört für mich auch zur Lebensqualität.“
Heiner Beck jedenfalls kennt alle seine Zuliefer*innen und schätzt ihre Arbeit. Auch deshalb hat er sich an der Aktion Boden-Brot beteiligt, die vom Verein Die Freien Bäcker initiiert wurde und von Mitte Januar bis Ende Februar lief. Mit dem Boden-Brot wollen der Verein und die teilnehmenden Bäcker*innen darauf aufmerksam machen, dass eine der grundlegenden Voraussetzungen für ein gutes, gesundes Brot ein fruchtbarer Boden ist. „Doch die Bodenfruchtbarkeit ist in Gefahr – durch den Klimawandel, aber auch durch die zunehmende Versiegelung von Flächen sowie die dramatischen Humusverluste“, warnt Anke Kähler, Vorsitzende der Freien Bäcker. „Es ist wichtig, dass wir die Bäuer*innen auch dafür bezahlen, dass sie durch eine nachhaltige Bewirtschaftung die Bodenfruchtbarkeit erhalten und verbessern.“ Mit jedem verkauften Boden-Brot geht eine Spende an die neu gegründete Bildungsorganisation Atelier Ernährungswende, die interessierte junge Menschen zu Bodenexpert*innen ausbilden soll. Diese werden ihr Wissen dann in Berufsschulen und Betrieben weitergeben.
Neuzüchtungen und alte Sorten
Für sein Boden-Brot hat Heiner Beck eine Mehlmischung aus Dinkel, Weizen und Lichtkornroggen gewählt – letztere ist eine Roggensorte, die zwar neu gezüchtet wurde, sich aber an alten Vorbildern orientiert. Denn früher gab es häufig Roggensorten mit hellen Körnern und milderem Geschmack. Dr. Bertold Heyden, Leiter des Keyserlingk-Instituts für Saatgutforschung und Getreidezüchtung im biologisch-dynamischen Landbau, beschäftigt sich beruflich mit solchen Neuzüchtungen und betont: „Der ökologische Landbau, der eben nicht mit mineralischem Dünger arbeitet, muss sich stärker auf die regionalen Bodengegebenheiten einstellen und braucht deshalb andere Sorten als die konventionelle Landwirtschaft.“
Doch auch alte Sorten erfüllen oft die Erwartungen – und führen zu ganz neuen Geschmackserlebnissen. Braumeister Maximilian Krieger vom Riedenburger Brauhaus stellte ein Bier vor, das aus dem historischen Urgetreide Emmer hergestellt wird. Die alte Weizenart gibt dem unfiltrierten, kastanienbraunen Bier eine malzige Karamellnote. Krieger bezieht nicht nur den Emmer aus der Region, sondern hat auch Hopfenbäuer*innen, die für ihn anbauen. Das Historische Emmerbier ist nur eines aus der Angebotspalette des Riedenburger Brauhauses: „Geschmäcker sind bekanntlich unterschiedlich, und das ist auch gut so.“ Eines ist für Maximilian Krieger aber nicht verhandelbar: Seine Rohstoffe kommen allesamt aus biologischem Anbau. Und mittlerweile alle aus der Region rund um das niederbayrische Altmühltal: „Wir arbeiten mit rund 35 Bäuer*innen zusammen, sind an kontinuierlichen Beziehungen interessiert und zahlen gute Preise.“
Viel Zeit ist auch beim Bier gut für den Geschmack
Auch der Inhaber der Berg-Brauerei in Ehingen, Uli Zimmermann, setzt zu 100 Prozent auf Braugetreide aus der näheren Umgebung. Der Braumeister präsentierte ein 3-Korn-Hefeweizen aus Weizen-, Gersten- und Dinkelmalz, das mit einem weichen, fruchtigen Geschmack überraschte. „Vor etwa 40 Jahren ging es unserer Brauerei schlecht und wir mussten überlegen, wie wir weitermachen. Die Idee war dann, Biere jenseits des Mainstreams zu brauen. Heute klingt das logisch, damals nicht unbedingt.“ Vieles hat sich seitdem verändert, an einigen alten Brautraditionen hat Zimmermann aber festgehalten. So werden alle Biere der Berg-Brauerei in offenen Bottichen vergoren: „Das dauert zwar länger als ein herkömmlicher Brauvorgang, tut dem Bier aber gut“, erklärt Zimmermann. Denn viel Zeit sei gut für den Geschmack: „Das gilt beim Bier genauso wie beim Brot.“
Anders als Zimmermann und Krieger, deren Brauereien seit vielen Generationen im Familienbesitz und -betrieb sind, hat Felix vom Endt erst vor vier Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht und die kleine Craft Beer Brauerei Orca Brau in Nürnberg gegründet. Vom Endt produziert derzeit „nur“ 500 bis 800 Hektoliter jährlich, dafür aber 150 bis 160 Sorten. Er experimentiere eben gerne beim Brauen: „Orca Brau versteht sich als handwerklich und traditionell, aber auch als innovativ. Das eine schließt das andere nicht aus.“ Der Geschmack gehe dabei „von einfach bis fordernd“. Das untergärige Fränkische Landbier von Orca Brau war weder das eine noch das andere Extrem – aber mit seinem Malz der fränkischen Landgerste und dem vor Ort angebauten Hopfen ein Beispiel dafür, dass auch junge Brauer*innen wie vom Endt sich der Regionalität verpflichtet fühlen.
Autorin: Birgit Schumacher
]]>In der biodynamischen Imkerei von Jasper Heilmann finden Bienen ihr vollkommenes Glück. Ihre Stöcke stehen auf den Feldern Brandenburger Biobäuer*innen. Heilmann entnimmt ihnen nur die Menge Honig, die sie entbehren können, und die Bienenköniginnen vermehren sich ausschließlich natürlich. So entstehen nicht nur Felder voller Artenvielfalt in Brandenburg, sondern auch vorzügliche Honige, von denen Jasper Heilmann drei Sorten – aus Lindenblüten, Buchweizen und Kornblume im Rahmen einer Terra Madre-Veranstaltung von Slow Food Deutschland vorstellte. Nur eine Gefahr droht den Bienen: Wenn sie von den Feldern der Bio-Bäuer*innen abkommen und in industriell geprägte Monokulturen benachbarter Landwirt*innen geraten. Dort lauern Pestizide und Nahrungsarmut.
Auch Ysabel Calderón lebt mit und von den Bienen. Allerdings in Peru und deswegen allein sieht die Bienenhaltung der Slow-Food-Aktivistin schon anders aus. Aber auch im Grundsatz unterscheidet sie sich von jener im Brandenburger Osten: Im Norden Perus halten die Menschen die Bienen im Wald, binden ihre Produkte Honig und Wachs viel stärker in ihren Alltag ein. Und doch sind die Probleme ähnlich: „Durch die ständige Entwaldung sind die Lebensräume der Bienen bedroht“, berichtet Ysabel Calderón. Und diese Entwaldung hat, wie die Monokulturen in Brandenburg, ebenfalls mit unserer westlichen Ernährung zu tun: Die indigenen Völker in Peru roden ihre Urwälder, um dort Platz für den Anbau billiger Nahrungs- oder Futtermittel für die nördliche Welt zu schaffen.
Die Biene beschäftigt die Menschen weltweit. Sie ist das wohl politischste Tier unserer Zeit. Weil sie eine unglaubliche Sympathieträgerin ist. Vor allem aber, weil sie auch eine Art Indikator für den Zustand der jeweiligen Öko-Systeme ist: Wo Bienen an ihrer Umwelt leiden, tun es meist auch andere Insekten und Pflanzenarten. Ein industrialisiertes, auf Monokulturen und hohen Pestizideinsatz ausgerichtetes Lebensmittelsystem spielt hierbei die zentrale Rolle. Aber welche Auswirkungen hat dieses System auf Bienen und Klimawandel? Und wie müsste ein Ernährungssystem der Zukunft aussehen, das Bienenpopulationen und biologische Vielfalt vor dem Hintergrund des Klimawandels schützt und für kommende Generationen erhält? Das diskutierte Moderatorin Tanja Busse nicht nur mit Jasper Heilmann und Ysabel Calderón, sondern auch mit dem Bienen-Aktivist Tobias Miltenberger von der Stuttgarter NGO proBiene und Stig Tanzmann von der Organisation Brot für die Welt.
Biene unter Druck
Die Biene steht nach einigen Volksinitiativen in Deutschland, die etwa in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen bereits zu neuen Artenschutzgesetzen führten, nicht nur politisch in Deutschland auf der Agenda. Sie steht auch unter Druck. Insekten-Populationen sind in Deutschland seit den 80er Jahren je nach Studie und Region um zwischen 30 und 75 Prozent zurückgegangen, von den 560 in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten sind gut 50 Prozent akut bedroht. Neben der hochintensiven Landwirtschaft und der zunehmenden Strukturverarmung naturnaher Lebensräume spielt der Klimawandel hier eine herausragende Rolle. So gefährden veränderte Temperaturverläufe die sensible Abstimmung zwischen Pflanze und Bienen. Schwankende Temperaturen im Winter stören die Winterruhe der Bienen und machen sie anfälliger für Parasiten und Krankheiten. Trockeneres Klima führt bei Pflanzen zu einer geringeren Nektarproduktion, was Bienen unmittelbar die Nahrungsgrundlage entzieht. Da aber Klimawandel, Artenverlust und Ernährungssystem wechselseitig miteinander verbunden sind, lässt sich das eine kaum ohne das andere betrachten.
„Im Gegensatz zu Honigbienen haben Wildbienen kaum eine Lobby, die sie beschützt“, sagt Miltenberger. Er verweist auf die auch in Deutschland immer schlechter werdenden Lebensbedingungen, sowohl für Wild- wie für Honigbienen. Denn letztere werden zwar durch Berufs- und Hobbyimker*innen am Leben gehalten. Die Nahrungsarmut in einer leer geräumten Landschaft, der Kontakt zu Pestiziden und die immer dichter werdende Ausbeutung ihrer Arbeit schwächen sie.
Bienen-Risiko Ernährungssystem
Miltenberger erklärt, dass das Leid der Honigbienen ebenso wie die Krise der Wildbienen mit unserem Ernährungssystem zusammenhängen. Das Wachsen oder Weichen-Motto der Landwirtschaftspolitik setze alle Beteiligten unter Druck: on den Bäuer*innen bis zur Biene. Das fängt bei der Honigbiene an, aus der die Imker*innen immer mehr herauspressen: ein Volk gibt heute vier Mal so viel Honig wie in den 60er Jahren. Auch, weil die Deutschen so gerne billigen Honig essen: Ein Kilo pro Kopf und Jahr. Weniger und dafür besser bezahlter Honig wäre da mehr. Das setzt sich aber vor allem bei den indirekten Folgen für Honig- und Wildbienen fort. „Landwirte sind in einem Riesendilemma, in das sie auch durch die Politik gezwängt worden sind“, sagt Miltenberger. „Der Landwirt versucht, das Maximale herauszuholen und gibt den Druck auf den Acker weiter.“ Und dort verenden dann Bienen und andere Insekten.
Und dieser Befund gilt weltweit. Wegen der ökologischen Bedeutung der Biene, aber auch wegen der sozialen. „Honig ist für viele Menschen weltweit eine wichtige Einkommens- und Nahrungsquelle“, sagt Stig Tanzmann. „An zu vielen Orten werden landwirtschaftliche Systeme ohne die Bienen gedacht. Das ist eben der westliche Ansatz. In Ländern wie Brasilien aber müsste das anders sein: Da gehören Bienen zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Land und Wäldern.“
Bienen und Klima schützen
Dazu würde aber auch eine andere Art der Wertschöpfung für Menschen aus den ländlichen Räumen gehören. „Bei uns wird sehr viel Wald zerstört, um Kakao und Bananen zu pflanzen oder auch Palmöl“, sagt Ysabel Calderón. Die Produkte wiederum werden in den Norden verkauft. Und Stig Tanzmann sagt: „Oft entsteht die Bedrohung durch gentechnisch veränderte Futtermittel für die nördlichen Länder oder zunehmend auch für China. Das bedeutet, dass sehr große Flächen geschaffen werden, die dann aus dem Flugzeug behandelt werden. Das sind Wüsten, in denen nichts wächst, außer gentechnisch veränderte Pflanzen.“ Kurzfristig, und das ist das Problem, ist das durchaus lukrativ für die Menschen vor Ort. „Viele indigene Völker mögen das, weil es sehr viel Geld bringt“, sagt Ysabel Calderón.
Auch da aber könnten Bienen helfen, findet sie: Wenn über den Verkauf von Produkten von im Wald lebenden Bienen Erlöse für die Menschen hereinkämen, würden diese die Wälder eher als die ihren begreifen – was nicht nur dem Arten-, sondern auch dem Klimaschutz helfen würde. Was wiederum dem Artenschutz dienen würde. Eine stetige Interaktion. Denn wenn die Durchschnittstemperaturen sich weiter erhöhen, werden wir viele Arten verlieren.
Entwaldung, Temperaturerhöhung und Monokulturen sind eine toxische Mischung für Bienen. Es gibt auch viele Pflanzen, etwa Sträucher, die sich den neuen Temperaturen nicht anpassen können und deswegen einfach verschwinden. Damit verschwindet aber auch die Nahrungsgrundlage für viele Bienen. Auch hier wirbt Stig Tanzmann für einen Perspektivwechsel. „Es ist ein sehr europäisches Verständnis, dass Wald Holz ist. In anderen Gegenden der Welt ist Wald Nahrung, weil es eben Vielfalt und Leben ist."
Autor: Sven Prange
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Geröstete Kichererbsen mit Schokolade überziehen – wie ist denn diese Idee entstanden? Emilie Wegner kann das ganz einfach erklären: „Als ich Ernährungswissenschaft studiert habe, hörte ich jedes Semester aufs Neue, wie gesund Hülsenfrüchte durch ihre hohen Eiweiß- und Ballaststoffgehalte sind. Gleichzeitig hieß es aber auch immer, dass die Deutschen sie nicht so gerne essen und der Verbrauch seit langem stagniert.“ Also überlegte die junge Frau, wie sie den Hülsenfrüchten zu einer neuen Beliebtheit verhelfen könnte. „Snacks werden immer gerne gegessen, deshalb habe ich mich mit meinen beiden Mitstreitern dafür entschieden.“ Die fettfrei gerösteten Kichererbsen des Leipziger Unternehmens Hülsenreich gibt es nicht nur mit Schokoumhüllung, sondern auch in den Varianten würzig-scharf oder mit fruchtig-mildem Curry-Geschmack.
Miso und Kaffeepulver aus Süßlupinen
Die süße Version bildete den Abschluss des Hülsenfrüchte-Verkostungs-Workshops von Slow Food Deutschland, das auf großes Interesse stieß. „Crunchy und mit Suchtfaktor“, so lautete das überwiegende Urteil der Teilnehmer*innen zu den Schoko-Kichererbsen. Doch es wurde nicht nur neugierig probiert, sondern auch interessiert zugehört, was die Hersteller*innen zu ihren Produkten erzählten. Wie wird im Schwarzwald aus Lupinen Miso gemacht und wie lässt sich das beim Kochen verwenden? Die Herstellung dauert lange, erzählt Peter Koch von der Firma Schwarzwald-Miso, die Paste muss fast ein Jahr im Fass reifen, bis die cremige Textur und der würzige Geschmack entsteht. Und es muss gar nicht unbedingt asiatisch gekocht werden, um die Würzpaste einzusetzen: „Lupinen-Miso eignet sich als Kraftbrühe, Suppe oder Drink, aber auch gut für Salatdressings, weil es Öl und Essig miteinander verbindet.“ Als „feiner und eleganter als Soja-Miso“, „blumig“ und „mit leichter Karamell-Note“ wurde die in heißem Wasser aufgelöste Paste von den Verkoster*innen beschrieben.
Ebenfalls mit Süßlupinen arbeitet Linda Kelly vom gleichnamigen Biolandhof in Herdwangen am Bodensee. Als Bäuerin schätzt sie nicht nur die gesundheitlichen Pluspunkte der Lupinensamen, die zum Beispiel alle essenziellen Aminosäuren enthalten, die der menschliche Körper braucht. Wie alle Hülsenfrüchte gelten Lupinen auch als Bodenverbesserer, denn sie können über Knöllchenbakterien an den Wurzeln Stickstoff aus der Luft im Boden binden. Diese quasi „natürliche Düngung“ kommt sogar noch den Nachfolgekulturen zugute. Vom Kelly-Hof gibt es nicht nur Lupinenmehl, -schrot, -kerne oder -porridge, sondern auch Lupinenkaffee – wahlweise pur oder mit einem Gewürzmix aus Kardamom, Zimt, Ingwer und anderem versetzt. Das Pulver löst sich nicht auf, sondern wird wie normaler Filterkaffee aufgebrüht und ist nicht nur für Menschen mit Glutenunverträglichkeit eine gute Alternative zum Getreidekaffee.
Bohnen mal ganz anders
Für die meisten Verkoster*innen ein neues Geschmackserlebnis war das Tempeh aus schwarzen Bohnen des Brandenburger Unternehmens Peaceful Delicious. Geschäftsführer Frank Schlefendorf gab wichtige Zubereitungstipps: Den Block in etwa 0,5 bis 1 Zentimeter breite Streifen schneiden und in reichlich neutralem Öl auf beiden Seiten anbraten, anschließend abtropfen lassen und nach Belieben würzen. „Eine fettarme Zubereitung ist nicht wirklich lecker.“ Obwohl die schwarzen Bohnen einen nussigen kräftigen Eigengeschmack hätten, hänge viel von den nach dem Braten verwendeten Gewürzen ab, denn das eigentliche Produkt bestehe nur aus den Zutaten Bohnen, Ferment und Apfelessig. Bohnen-Tempeh-Streifen oder Würfel passen, so Schlefendorf, gut als Topping zu Salaten. Durch die Fermentation werden die Bohnen deutlich leichter bekömmlich.
Nicht die schwarzen, sondern ganz normale Ackerbohnen nimmt Cecilia Antoni für ihren Snack. „Ich wollte eine Hülsenfrucht verwenden, die bei uns wächst.“ Ackerbohnen werden in Deutschland immerhin auf 60.000 Hektar angebaut, landen aber hauptsächlich im Tierfutter – deshalb werden sie auch manchmal als „Saubohnen“ bezeichnet. „Im Mittelalter waren Ackerbohnen noch ein Grundnahrungsmittel, sind dann aber aus der Mode gekommen. In Italien gelten sie immer noch als Delikatesse.“ Cecilia Antoni versucht schon lange, das Image von Hülsenfrüchten aufzupolieren und veröffentlicht auf ihrem Blog beanbeat.de regelmäßig außergewöhnliche Rezepte. Da war der Weg bis zum eigenen Start-Up namens Bohnikat nicht weit. Der herzhafte Ackerbohnensnack – fettfrei geröstet und anschließend mit Rapsöl und Salz vermischt – ist dort das erste Produkt, weitere sollen folgen. „Hülsenfrüchte sind köstlich, vielseitig und nährstoffreich“, schwärmt Antoni.
Aufstrich und Pasta als gelungene Resteverwertung
Zwei weitere Produkte der Verkostung entstanden als Idee zur Resteverwertung: Benedikt Sprenker baut auf seinem landwirtschaftlichen Betrieb im westfälischen Beckum Edamame an. Diese Sojabohnen werden noch unreif geerntet, haben dann eine leuchtend grüne Farbe und eine weiche Konsistenz. Sprenker verkauft die Schoten hauptsächlich als Frischware, die dann im Ganzen gegart werden müssen und nach japanischem Vorbild inzwischen als Snack zum Bier gereicht werden. „Es bleiben aber immer mal Schoten übrig oder werden aussortiert“, erzählt Sprenker. Und die werden inzwischen zu Cremes in drei Geschmacksrichtungen verarbeitet, ideal als Aufstrich auf Brot oder als Dipp für Gemüsesticks.
Auch bei der Erzeugergemeinschaft „Alb-Leisa“, zu der inzwischen 120 Linsen anbauende Biobäuer*innen auf der Schwäbischen Alb gehören, dachte man über eine gute Verwertung von Bruch- oder schrumpeligen Linsen nach, die nicht in den Verkauf kommen. „Viel zu schade, um als Tierfutter zu enden“, fand nicht nur Lutz Mammel von der Erzeugergemeinschaft. Stattdessen werden die Linsen zu Mehl vermahlen, das dann wiederum kombiniert mit Dinkelmehl zu Nudeln verarbeitet wird. „In einem Auflauf mit Gemüse schmecken sie wunderbar“, empfiehlt Mammel.
Auf den Geschmack kommen
Ohnehin gleicht die Geschichte des Linsenanbaus auf der Schwäbischen Alb einem modernen Märchen. Bis in die 1950er Jahre war die Region ein Schwerpunkt im deutschen Linsenanbau, dann geriet die traditionelle Frucht in Vergessenheit. Als Woldemar Mammel, der Vater von Lutz, sich in den 1980er Jahren wieder daran versuchte, waren die historischen Sorten verschwunden. Mammel musste auf Linsen aus Frankreich und Italien ausweichen. Erst 2006 wurden zwei der alten Sorten, Späth´s Alblinse I und II, in einer Saatgutdatenbank im russischen Sankt Petersburg wiederentdeckt. Einige hundert Samen kamen so auf die Schwäbische Alb zurück und wurden in mühevoller Arbeit vermehrt. Heute sind die Alb-Leisa Linsen eine geschätzte Delikatesse.
Solche Erfolgsgeschichten wären den Hülsenfrüchten noch viel häufiger zu wünschen: In Deutschland wachsen sie bislang nur auf 1,2 Prozent der gesamten Ackerfläche. Die Anbauzahlen sind zwar in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, bleiben aber insgesamt gesehen auf einem sehr niedrigen Niveau. Umso wichtiger ist es, die kleinen Erzeuger*innen und Produzent*innen vor Ort zu unterstützen, die im Sinne von Slow Food gut, sauber und fair arbeiten. Und den Hülsenfrüchten wieder einen wichtigen Platz im Speiseplan einzuräumen. Bei dem vielfältigen Produktangebot und den unterschiedlichen Geschmackserlebnissen dürfte das kaum ein Problem sein.
Autorin: Birgit Schumacher
]]>Die Basis für ‚echten‘ Brot- und Biergenuss bilden aus Sicht von Slow Food Saatgutvielfalt, gesunde Böden, handwerkliches Know-How sowie Wertschätzung. Doch ist es um all dies nicht gut bestellt. Allein die Vielfalt unserer Kulturpflanzen ist in den vergangenen 100 Jahren durch die Industrialisierung der Landwirtschaft weltweit um 75 Prozent zurückgegangen. Saatgut-Monopole, Gentechnik, Klimawandel und Kriege sowie Preise, die den wahren Wert unserer Lebensmittel nicht abbilden, gefährden unser kostbares Erbe. Bei der Online-Verkostung zu Brot und Bier zeigt Slow Food die Stellschrauben für eine Landwirtschaft, Lebensmittel-erzeugung und Ernährung, die die planetaren Grenzen respektiert und gleichzeitig Genuss und Freude verspricht.
Welche Rolle spielt ein fruchtbarer Boden für gesundes Brot? Wie hängt die Vielfalt von Ackerböden mit der von Brot- und Biersorten zusammen? Wie können wir die Diversität erhalten und was ist sie uns wert? Wie schmecke ich handwerkliche Verarbeitung bei Brot und Bier heraus? Und welche Rolle spielt die Zutat ‚Zeit‘? Durch den Abend führt Katrin Simonis, Alumna der Slow Food Youth Akademie. Als Expert*innen an ihrer Seite sind:
Das Verkostungspaket enthält folgende acht Spezialitäten & kostet inkl. Versand 36 Euro:
Wie läuft eine Slow Food Deutschland Online-Verkostung ab? Sie melden sich an und erhalten von Beckabeck heimische Brot- und Bierspezialitäten zugesandt. Beckabeck ist somit Ihr Vertragspartner für das Verkostungspaket und stellt die Rechnung. Slow Food Deutschland ist Ideengeber und organisatorischer Partner und lässt Ihnen die Zugangsdaten und technischen Hinweise per E-Mail vor der Veranstaltung zukommen. Am 26.02.2021 schalten Sie sich um 19:00 Uhr live mit ein und können unter der Anleitung von Katrin Simonis zusammen mit den Produzent*innen und Expert*innen den Abend genießen.
Bitte melden Sie sich >> hier verbindlich bis zum 17.02.21 an. Mit der Anmeldung ist automatisch die Bestellung des Verkostungspakets bei Beckabeck verbunden. Der 17.02.21 ist letztmöglicher Bestell- und Anmeldetermin. Der Versand der Pakete erfolgt ab dem 22./23.02.21.
Rückfragen unter projektbeauftragte@slowfood.de
Man kann sich die Lage der Welt wie eine Küstenstadt vorstellen, die ohne Schutz durch Deiche die nächste Sturmflut herantosen sieht. Da ist die erste Welle, die über die Küste zu schwappen droht und die Corona heißt. Gleich dahinter aber türmen sich schon zwei weitere Wellen: die Welle namens Klimakrise und die namens Artensterben. Der Umweltforscher Josef Settele ist eine der Stimmen, die vor dem Zusammenhang zwischen diesen drei großen Krisen warnen: Sie verstärken sich gegenseitig und drohen im Zusammenwirken unberechenbar zu werden. Oder wie Nina Wolff, die amtierende Slow Food-Deutschland-Vorsitzende, zur Eröffnung eines Podiums „Menschengesundheit nicht ohne Planetengesundheit“ sagte: „Eine Triple-Krise ist etwas, mit dem man sich ernsthaft auseinandersetzen sollte. Die Zeitfenster, das zu fixen, bemessen sich nicht in Jahrhunderten, sondern in Jahrzehnten. Mit anderen Worten: Unser Handeln ist jetzt gefragt.“
Das mag erstmal bedrohlich klingen. Erst recht in einer Zeit, die mit guten Nachrichten geizt. Und doch wohnt dieser Analyse etwas fundamental Konstruktives inne. Das jedenfalls verdeutlichten während der Podiumsdiskussion unter Moderation der Autorin Tanja Busse neben Nina Wolff auch die Ulmer Evolutionsökologin Simone Sommer, der Generalsekretär des internationalen Biodynamie-Verbandes Demeter, Christoph Simpfendörfer, und Hubert Hohler, gastronomischer Leiter der Buchinger Wilhelmi Klinik am Bodensee und Mitglied der Slow Food Chef Alliance. Denn eine Erkenntnis, die sich durch die Beiträge der Diskutanten zog: Jenseits der nötigen großen Schritte durch die Politik gibt es auch viele kleine Schritte, die jede*r Einzelne von uns gehen kann, diese Krisen einzudämmen. Und diese Schritte führen über unsere Ernährung.
„Eine Erkenntnis ist, dass wir keine einzige dieser Krisen bewältigen werden, wenn wir unserer Art, Lebensmittel herzustellen, zu handeln und zu verzehren, nicht radikal ändern“, sagt Nina Wolff. Das verdeutlichen zwei Zahlen: pro Kopf verbraucht jeder Mensch in den industrialisierten Ländern heute etwa 80 Kilogramm mehr Lebensmittel pro Jahr als noch in den 1950er Jahren. Und der Planet muss heute mehr als drei Mal so viele Menschen ernähren wie damals. Es wird enger auf dem Planeten, Mensch und Tier drängeln sich um immer weniger Flächen.
Wo es Tier und Mensch zu eng wird
Da ist es kaum ein Wunder, dass Simone Sommer sagt: „Gut 60 Prozent menschlicher Infektionen sind heute Zoonosen.“ Also Krankheiten durch Erreger, die von Tieren auf den Menschen überspringen, wie eben der Corona-Erreger. „Und eine der treibenden Kräfte dabei“, sagt Sommer, „ist der Verlust der Biodiversität.“ Für Sommer ist deswegen klar: „Zoonosen nehmen schon aufgrund der demographischen Entwicklung zu: Wir sind einfach sehr viele Menschen. Hinzu kommt, dass industrielle Landwirtschaft und Umweltveränderungen, etwa durch Entwaldung, die Voraussetzungen für Zoonosen vereinfachen.“ Sie sieht den nicht-nachhaltigen Teil der Landwirtschaft als Baustein, aus dieser Lage herauszukommen. „Eine gesunde Menschheit ist nicht zu trennen von der Gesundheit von Tieren und Umwelt.“ Menschengesundheit führt eben nur über Planetengesundheit.
Ein Ernährungsstil für den Planeten
Den Gedanken hat bereits vor zwei Jahren die Eat-Lancet-Kommission formuliert und in eine Planetary Health Diet, also eine Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen, übersetzt. Die Idee dahinter ist so einleuchtend wie Slow Food kompatibel: jeder Mensch muss seine Ernährung so ändern, dass er der Erde nur das an Ressourcen entnimmt, das ihm rechnerisch zusteht. Das heißt nicht, dass alle Menschen nur noch Getreide oder nur noch Gemüse essen. Aber dass sie sich ihres rechnerischen Ressourcenverbrauches bewusst werden. „Es kommt auf das rechte Maß an“, sagt Nina Wolff. „Und auf die Verortung: Diese Ernährung wird an der Küste anders aussehen als in den Bergen, auf dem Land anders als in der Stadt.“
„Wir brauchen dafür regionale Kreisläufe“, sagt Demeter-Mann Christoph Simpfendörfer. „Und wir müssen Regionalität neu denken: Wir brauchen regionale Produkte, die Tier und Planeten gerecht werden.“ Entscheidend ist dabei die Verknüpfung von Regionalität und ganzheitlicher Nachhaltigkeit: im Lebensmittelanbau wie in der Verarbeitung. Wenn die Pute aus der Region gequält oder mit Soja aus Brasilien gefüttert wird, später dann von Billiglöhnern in Industrieschlachthäusern getötet wird, löst das keine sondern schafft neue Probleme.
„Wir müssen eben wieder essen, als ob es ein Morgen gäbe“, sagt Hubert Hohler. „Unser täglich Brot geb uns heut, ist ok. Unser täglich Fleisch gib uns heute, geht nicht.“ Er wirbt deswegen dafür, durch die eigene Ernährung vier Komponenten unter einen Hut zu bringen: Gesundheitsverträglichkeit, Wirtschaftsverträglichkeit, Sozialverträglichkeit, Umweltverträglichkeit.
Wo Politik eingreifen muss
Das ist gleichermaßen Auftrag an Politik und jede*n Einzelne: Denn viele kleine Schritte helfen genauso, die Herausforderungen zu lösen, wie es auch die großen politischen Schritte braucht. Da stimmt es einerseits zuversichtlich, wenn hohe Vertreter*innen der Europäischen Kommission wie Präsidentin Ursula von der Leyen oder ihr Vize Frans Timmermanns von „Ökozid“ oder einem „Paris-Abkommen für die Artenvielfalt“ sprechen. Gleichzeitig steuert die Agrarpolitik der Gemeinschaft weiter in die falsche Richtung.
Dabei gäbe es hier wirkungsmächtige Hebel. Simone Sommer sagt: „Die Politik müsste 20 Prozent der Flächen zu Rückzugsflächen für die Natur machen, ganz konsequent.“ Natürlich bräuchten Landwirt*innen dann einen finanziellen Ausgleich dafür. Aber dass das wirkungsvoll sei, sei kaum zu bestreiten. „Wir reden schon sehr lange, aber es ist mühsam, das in den politischen Prozess zu bekommen“, sagt Sommer.
Weniger Verbrauch, mehr Wirkung
„Politik ist das eine“, findet Christoph Simpfendörfer. „Aber es ist schon so, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Wenn man sich seine monatlichen Ausgaben anschaut, sieht man schon, was man alles bewegen kann.“ Das zeigt allein der Zusammenhang zwischen den drei großen Qs Quantität, Qualität und Quantum, den Hubert Hohler aufzeigt: Noch in den 50er Jahren sei es vor allem um Versorgungssicherheit, also die Menge an Lebensmitteln gegangen. Es folgte eine Phase der Qualitätssicherung. Und heute sie die Zeit es Quantums: „Wir fragen heute nicht mehr nach dem Qualitätsproblem, sondern nach dem Quantum: Wann ist es genug?“, formuliert Hohler und spielt damit auf die Frage an, die jede*r von uns beim Erstellen des Speiseplans im Kopf haben sollte.
„Wir müssen ganz klein und ganz groß denken: Gleichzeitig mit den Achtjährigen gut, sauber und fair kochen lernen und die großen Schritte, von unseren Politikern einfordern“, sagt Nina Wolff. Und gleichzeitig natürlich den Genuss nicht vergessen. Denn, auch den ermöglicht eine Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen. Die Formel weniger tierische, mehr pflanzliche Ernährung, etwa im Verhältnis 20:80, bedeutet nicht weniger Genuss. Nina Wolff sagt mit Blick auf Slow Foods Wirken: „Ich würde sagen, wir haben dafür einen lebens- und genussbejahenden Ansatz entwickelt.“ Denn am Ende führt nicht nur ein gesunder Planet zu einem gesunden Menschen, sondern auch eine Ernährung, die Freude bereitet.
Autor: Sven Prange
]]>Über das Buch
„Leckerland ist abgebrannt“, das drei Wochen in der Spiegel-Bestsellerliste stand, ist kein klassischer Ratgeber. Manfred Kriener stellt keine Gebote auf, schreibt weder auf noch vor, was wir essen sollen und was nicht. Er hat ein Informationspaket geschnürt, mit dem Verbraucher*innen ihren eigenen Kompass neu justieren und sich selbst ermächtigen, kluge Ernährungsentscheidungen zu treffen. Krieners Buch vermisst in elf Kapiteln die kulinarische Landschaft, mitunter scharf gewürzt, aber immer nahrhaft für Kopf und Bauch. Er beschreibt Orte und Un-Orte unserer Nahrungsmittelerzeugung; er beantwortet, warum Lachse zu Veganern erzogen werden, wann das erste Laborfleisch in den Regalen liegen wird und was Veganer*innen auf dem Oktoberfest machen.
]]>Der Auftakt
Die Auftaktveranstaltung konnte, wenn auch in kleinerem Rahmen, noch vor Ort stattfinden. In der Markhalle neun in Berlin fand am 08.10. zu diesem Anlass eine Podiumsdiksussion mit dem Titel „Biokulturelle Vielfalt ist politisch“ statt. Nina Wolff, amtierende Slow-Food-Vorsitzende, Verena Günther von Good Food Good Farming, Caroline Engwert von Hauptstadtgarten.de und – zugeschaltet per Video – Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bunds ökologischer Lebensmittelwirtschaft, diskutierten dabei unter der Moderation von Katie Gallus insbesondere die Frage, wie eine nachhaltige Agrarpolitik zum Schutz von Vielfalt beitragen könnte und müsste. Einen Nachbericht zur Veranstaltung finden Sie >> hier.
Biokulturelle Vielfalt retten - Die Slow Food Arche des Geschmacks
Die biokulturelle Vielfalt stand auch bei der zweiten Veranstaltung im Rahmen von Terra Madre im Fokus. Bei einer Online Podiumsdiskussion wurde zudem ein zentrales Slow-Food-Projekt gewürdigt, das sich dem Erhalt dieser Vielfalt widmet – die Arche des Geschmacks. Das digitale Podium bestritten Dr. Anita Idel, Mediation und Projektmanagement Agrobiodiversität + Arche-Kommission, Jens Witt, Leitung Chef Alliance in Begleitung eines Skudde-Erzeugers, Katrin Knüpfer, Leitung Einkaufsführer und Leitung Slow Food Leipzig-Halle, Jörg Geiger, Presidio Champagner Bratbirne, Manufaktur Jörg Geiger, WiesenObst e.V., Gernot Würtenberger und Salem El-Mogadeddi, Arche-Passagier Freekeh (Palästina), Conflict Food - so schmeckt Frieden, sowie Nina Wolff auf dem digitalen Podium. Moderiert wurde der Abend von Dr. Tanja Busse.
In der Diskussion arbeiteten die Diskutant*innen fünf Maßnahmen heraus, wie sich möglichst vielfältig und klein strukturierte Systeme in der Ernährung fördern lassen, um so die biokulturelle Vielfalt zu stärken. >> Hier geht es zum ausführlichen Nachbericht.
Biokulturelle Vielfalt schmecken
Der direkteste Weg, biokulturelle Vielfalt zu begreifen, ist, sie selbst zu erleben. Gelegenheit dazu hatten die Teilnehmer*innen der Online-Verkostung „Biokulturelle Vielfalt schmecken“. Im Mittelpunkt standen dabei Passagiere der Arche des Geschmacks und die Erzeuger*innen der besonderen Produkte. Josef Kolb von Kolb‘s Biohof, packte Leberwurst von seinen Rhönschafen in die Verkostungsboxen, die die Teilnehmer*innen vorab zugeschickt bekamen. Claudia Höß vom Obsthof Höß steuerte Bühler Frühzwetschgen bei, Markus Bruderhofer von Feines aus dem Hegau die Höri Bülle, eine alte Aroma-Zwiebel von der gleichnamigen Bodensee Insel. Außerdem mit im Paket waren der Lausitzer Nelkenapfel, den Christoph Schuster von der Apfelscheune Cannewitz präsentierte und die Hutzeln, also nach traditioneller Methode im Ganzen getrocknete Birnen, die Reiner Schütz von den Baumfeldern in Fatschenbrunn mitbrachte. Auch Käse und Wein fehlten nicht. Thomas Menne bereicherte die Verkostung mit dem Nieheimer Käse, einem traditionellen Sauermilchkäse aus seiner Nieheimer Schaukäserei, die Weinbegleitung kam von Gerd Sych, der einen Alten fränkischen Satz „servierte“. Luka Luebke, Köchin aus der Slow-Food-Chef Alliance leitete die Verkostung und faste die Slow-Food-Kernbotschaft zum Abschluss prägnant zusammen: „Esst, was ihr retten wollt!“
Wer die Veranstaltung noch einmal nacherleben möchte findet >> hier einen Nachbericht inklusive Video.
Wine for Future: Neue Rebsorten entdecken
Vielfalt schmecken konnten auch die Teilnehmer*innen der Online-Weinverkostung „Wine for Future“. Dabei drehte sich alles um sogenannte PiWi-Weine, also solche Sorten, die durch Einkreuzung von Wildrebenarten widerstandsfähig gegen typische Pilzkrankheiten wie den echten und falschen Mehltau sind. Das ermöglicht es, diese Sorten mit wesentlich weniger oder sogar ohne Einsatz von Pestiziden anzubauen. Die drei Weiß- und drei Rotweine wurden aus den ECO-Winnern 2020 (einem Weinwettbewerb von Ecovin Deutschland) ausgewählt. Bei der Veranstaltung gewährten außerdem renommierte Expert*innen tiefe önologische Einblicke. Mit dabei waren Paulin Köpfer (ECOVIN & PIWI-International), Hanneke Schönhals (Jungwinzerin demeter und ECOVIN Weingut Schönhals), Martin Wurzer-Berger (Slow Food Deutschland Weinkommission) und Ulrich Amling (Tagesspiegel Berlin). Durch die Verkostung führte die Wein-Sommelière Natalie Lumpp. Knapp 300 bestellte Weinpakete und ungefähr 800 Zuschauer*innen im Stream belegen das große Interesse an diesen besonderen und zukunftsfähigen Weinen.
>> Hier gibt es den Nachbericht mit Video
Bean to Bar: Die Reise der Schokolade
Ähnlich großer Beliebtheit erfreute sich auch die Online Verkostung nachhaltiger und fairer Schokolade. Dabei wurden die Teilnehmer mitgenommen auf eine Reise der Schokolade von der Bohne bis zur Tafel. Die Reiseführung übernahmen dabei Fernando Botelho Lima und Patricia Viana Lima von der Fazenda São Jose, Modaka Cacau, aus Brasilien die vom Anbau der Kakaobohnen berichteten, Fausto Reyes von der Chocolatería La Rifa aus México der dort Kakao zu hochwertigen und fairen Schokoladen verarbeitet und Nanetta Ruf, Konditorin und Absolventin der Slow Food Youth Akademie, die Einblicke in die vielfältigen Möglichkeiten der Verwendung von Schokolade gewährte. Durch den Abend führten Patrick von Vacano vom Schokoladenhersteller Original Beans, der hochwertige Schokoladen aus biologischem Anbau herstellt und von dem die Produkte für die Verkostung kamen, und Stella Diettrich von Slow Food Deutschland. Neben ausgezeichneter Schokolade gab es für die Zuschauer*innen viele Informationen zu den Zu- und Missständen in der Welt der Schokoladenerzeugung und Hinweise dazu, worauf es zu achten gilt, wenn man gute, saubere und faire Schokolade genießen möchte. Nachbericht und Video mit Simultanübersetzung von der Veranstaltung gibt es >> hier.
Gemeinsam (Online-)Kochen in den Convivien Köln und Pfalz
Auch unsere Convivien haben sich aktiv in das Programm von Terra Madre eingebracht. So haben sich die Convivien Köln und Pfalz digital zusammengefunden, um gemeinsam ein Drei- Gänge-Menü zu kochen. Im Fokus standen auch dabei Passagiere der Arche des Geschmacks. Nach einer Rotkohlsuppe mit Voatsiperiferypfeffer, gab es im Hauptgang Reis mit Alblinsen, Birnenhutzeln und Höri Bülle und anschließend gedünstete Birnen mit Sabayon vom Birnenschaumwein aus der Champagner-Bratbirne. Zu Beginn gab Jörg Geiger, der in seiner Manufaktur den Schaumwein aus den Bratbirnen herstellt, eine Einführung zu Birne und Wein. Danach wurde angestoßen, gemeinsam gekocht und genossen. Für alle Beteiligten war es ein kurzweiliger Abend und nicht die letzte gemeinsame Online-Veranstaltung der Convivien.
]]>Fausto Reyes muss nicht lange überlegen: „Am liebsten habe ich den Kakao flüssig, gerne schon morgens.“ Und gerne, daran lässt der junge Mexikaner ebenfalls keinen Zweifel, auch sehr regelmäßig. Aber Fausto Reyes sitzt ja auch an der Quelle. Die heißt in seinem Fall La Rifa und ist eine Chocolateria in Mexiko, die ausschließlich biologisch, fair und handwerklich erzeugten Kakao zu Schokoladen verarbeitet. Und die damit im weltweiten Geschäft mit dem süßen Genussmittel, das wird durch Fausto Reyes Ausführungen während eines Schokoladen-Verkostungs-Workshops von Slow Food Deutschland und der Schokoladen-Manufaktur Original Beans deutlich, eine echte Ausnahme ist.
Denn auch wenn die Schokolade fest zur Vorweihnachtszeit gehört: Kooperativ, friedlich und fair hergestellte Schokoladen gibt es kaum. Wer dann noch eine Schokolade sucht, die gemäß der Slow-Food-Kriterien gut, sauber und fair entsteht, erlebt nicht viele Erfolgserlebnisse. Aber es gibt sie, die Schokoladen, die Gewissen und Genuss gleichermaßen bedienen. Und während der Verkostung, durch die Stella Diettrich von Slow Food und Patrick von Vacano von Original Beans führten, wurde deutlich, wie sich diese aus dem Schokoladenangebot auswählen lassen.
Der Anbau: Biologisch und wild
Der wichtigste Akteur im Schokoladenanbau spielt in der Wahrnehmung keine Rolle. Er ist extrem klein, kommt aus deutscher Perspektive gesehen nur in fernen Ländern vor und hat es dort nicht leicht: die Schokoladenfliege. „Ohne sie und ihre Bestäubungsleistung gäbe es überhaupt keinen Kakao“, sagt Patrick von Vacano. Er ist einer der Schokoladen-Spezialist*innen des niederländischen Unternehmens Original Beans, das seit einigen Jahren hochwertiger Schokolade aus biologischem Anbau, kooperativem Handel und handwerklicher Fertigung herstellt und verkauft. Und dabei eben unter anderem darauf achtet, dass die Kakaobäume so angebaut werden, dass sich in ihrer Umgebung auch die Kakaofliege wohlfühlt.
Denn die Alternative ist weder umwelt- noch menschenfreundlich. Die Alternative sind Kakaoplantagen, aus denen 90 Prozent des weltweiten Kakaos stammen und auf denen in Monokulturen Unmengen an Giften, Dünger und menschlichem Leid in Kakao umgemünzt werden. „Deswegen sind Monokulturen ein Problem“, sagt Patrick von Vacano. Und zeigt auch, wie es besser gehen kann: Kakaobäume, die im Mischwald wachsen. Um die herum auch Mangos oder Jackfruit-Bäume ihren Platz haben. Denn diese wachsen höher als Kakaobäume und geben ihnen so den dringend benötigten Schatten. Kakaobäume, die dagegen in Monokulturen wachsen, werden mit Unmengen an künstlichem Sonnenschutz besprüht, um sie vor den Strahlen zu schützen.
Die Anbauer*innen: Fair bezahlt und unabhängig
So etwas käme für Patricia und Fernando Viana nie in Frage. Vater und Tochter betreiben im brasilianischen Bahia einen biologischen Kakaoanbau. „Wenn wir den Kakao biologisch anbauen, tun wir nicht nur für uns etwas Gutes, sondern für das ganze System hier“, sagt Patricia Viana. „Das ist Natur pur, was wir hier erleben.“ Das geht, weil sie ohne chemische Stoffe arbeiten. Aber auch, weil es Menschen vor Ort gibt, die dafür faire Preise bezahlen.
„Eine Schokolade ist nicht so gut wie der Chocolatier, sondern immer nur so gut wie die Bäuer*innen, die den Kakao anbauen“, sagt Patrick von Vacano. Denn tatsächlich haben die Bäuer*innen einige Stellschrauben, an denen Kakao eben sehr gut oder sehr schlecht wird. „Zum einen schmeckt man in der Schokolade neben Säure und Frucht immer auch Einflüsse des Bodens und der Art der Landbewirtschaftung“, sagt von Vacano. Zum anderen geht es aber auch darum, ob die Bäuer*innen sich nach der Ernte eine sorgfältige Behandlung der Bohnen leisten können.
Denn nach der Ernte müssen die Bohnen eigentlich fermentieren, bevor sie schließlich trocknen. „Das dauert mindestens sieben Tage“, sagt Fernando Viana. Einen Zeitraum, den viele industrielle Kakaozulieferer überspringen. Einfach weil sie sich die lange Lagerzeit nicht leisten können. Die Folge: Die Bohnen werden feucht gelagert und gelangen mit Schimmel durchsetzt in die Weiterverarbeitung.
Die Verarbeitung: Handwerklich und ohne Zusatzstoffe
Weil der Großteil der Schokoladen weltweit so ‚schluderig‘ entsteht, schönen industrielle Hersteller in der Verarbeitung. Wer dagegen eine saubere, hochwertige Kakaobohne aus den Anbauländern bezieht, muss in der Verarbeitung weniger schönen. So kommt in gute Schokoladen außer Kakao und hochwertigem Zucker eigentlich nichts hinein. „Lecithine, Vanille, Zusatzstoffe, das hat in einer guten Schokolade nichts zu suchen“, sagt von Vacano. Und rät Verbraucher*innen neben dem Bio-Siegel auch die Zutatenliste einer Schokolade entsprechend zu prüfen.
Als Belohnung warten Schokoladen, die so aromen- und nuancenreich sind, wie man es sonst eher von Wein oder Käse kennt. Selbst wenn Original-Beans-Schokoladen den gleichen Kakaoanteil haben, schmecken sie völlig unterschiedlich. Eine 70-prozentige Schokolade aus einer in Kongo angebauten Virunga-Bohne hat ganz andere Eigenschaften, als eine 70-prozentige Udzwunga-Bohne aus Tansania. „Der Kakaoanteil sagt überhaupt nichts über den Geschmack aus, sondern nur über den zusätzlichen Zuckeranteil“, sagt von Vacano. Eine 70-prozentige Schokolade hat dann eben mehr Zucker als eine 80-prozentige. „Eine Schokolade definiert sich über die Aromen ihrer Bohnen, nicht über ihren Kakaoanteil.“
Neben der Reinheit der Zusammensetzung ist dafür die handwerkliche Fertigung entscheidend. Original Beans lässt seine Schokoladen vom Schweizer Traditionshersteller Felchlin sorgsam verarbeiten. Dort machen sie seit Jahrzehnten nichts anderes.
Die Endveredelung: Sauber und fair
Ob eine Schokolade fair und vertretbar ist, entscheidet sich nicht nur in den ersten Stufen der Fertigung. Sondern entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Das betont die junge Konditorin Nanetta Ruf, Absolventin der Slow Food Youth Akademie. „Die Arbeitsbedingungen sind in der ganzen Branche eine Herausforderung.“ Sie wünscht sich deswegen ein System, in dem die guten Lebensmittel die günstigen sind, und die gesellschaftlich und ökologisch schlechten teurer. Schließlich verursachen sie auch die größeren Schäden am Gemeingefüge.
„Fair bedeutet fair entlang der gesamten Wertschöpfungskette“, sagt auch Patrick von Vacano. „Es ist möglich, fair zu ernten. Wir müssen es nur bezahlen.“ Und, da schließt sich der Kreis, das wäre nicht nur sozial fairer. Sondern auch gemessen am Ressourceneinsatz. Denn derzeit, sagt von Vacano, wachsen bis zu 70 Prozent des Kakao weltweit umsonst. „Er vergammelt am Baum, weil niemand die Ernte fair bezahlt.“
Der hohe Preis für eine faire Schokolade relativiert sich übrigens schnell: Schokolade ist ein Genussmittel, dass bis zum Verzehr bei uns in Europa sehr lange Transportwege zurücklegen muss und dessen Genusswert mit der Mäßigung beim Konsum quasi steigt. „Schokolade sollte man niemals essen“, sagt von Vacano. „Sondern in den Mund nehmen und langsam schmelzen lassen. Nur dann entfalten sich alle Aromen.“ Insofern ergibt ein nachhaltiger, fairer Genuss hier auch eine ganzheitliche Logik.
Und somit ist Ursprungs-Schokolade aus bäuerlicher, handwerklicher und ökologischer Fertigung das Musterbeispiel eines Lebensmittels, wie es die internationale Slow-Food -Gemeinschaft fördern und bewahren will. Nicht zufällig fand die Verkostung deswegen am internationalen Terra Madre Tag statt. An diesem ruft Slow Food weltweit dazu auf, gemeinsam die Bedeutung des lokalen Essens und das Recht aller Menschen auf den Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln zu feiern.
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Gleich zwei Mal führte SFD 2020 Veranstaltungen zu den PiWi genannten pilzwiderstandsfähigen Rebsorten durch. Am Vorabend der Mitgliederversammlung im Juli für Slow-Food-Mitglieder sowie am 4. Dezember als Online-Seminar, das allen interessierten Verbraucher*innen offen stand. Fast 300 Wein-Pakete gingen in den Versand, rund 800 Menschen saßen mit Spannung hinter den Bildschirmen, einige sogar aus der Schweiz. Die sechs Proben – drei Weiß- und drei Rotweine – wurden aus den ECO-Winnern 2020 (einem Weinwettbewerb von Ecovin Deutschland) aus pilzresistent Rebsorten ausgewählt.
"Es macht große Freude, dass man mit einem solchen Webinar 800 Genießer*innen und Interessierte aus der ganzen Republik zusammen bekommt. Die wirklich kompetenten Fachleute haben einen sehr tiefen Einblick ins Thema „PiWi, Ökologischer Wein und Biodiversität“ gegeben. Mit diesen Erfahrungen und Wissen aus erster Hand werden die Verbraucher aufmerksam und überzeugt. Beispielsweise wird jeden das Thema „Pflanzenschutz“ in der Zukunft ganz anders begleiten. Ich wünsche für die Zukunft noch mehr Plattformen für die Protagonist*innen!"
Natalie Lumpp
Das überwältigende Interesse beider Online-Seminare begeisterte auch die Referent*innen. In Berlin blickte der Journalist Ulrich Ameling in die Kamera, der in seinen Texten beharrlich die Vorzüge von Bioweinen im Allgemeinen und PiWi-Reben im Besonderen hervorhebt. Auf dem Weingut Zähringer im badischen Heitersheim saßen im Sommer Paulin Köpfer, Winzer und Vorsitzender von Ecovin Baden und Martin Wurzer-Berger, Leiter der SFD-Wein-Kommission beieinander, um das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu erläutern. Beim Dezember-Termin war Wurzer-Berger aus Münster zugeschaltet. Erfreulicher Weise wurde die Runde am 4.12. um Hanneke Schönhals erweitert, eine junge Winzerin aus dem rheinhessischen Biebelnheim. Auf ihrem Weingut wird seit langem biologisch, seit einigen Jahren auch biodynamisch gearbeitet. Der Anteil an PiWi-Sorten beträgt nahezu ein Viertel der Rebfläche.
"Wer es mit dem Bioweinbau ernst nimmt, kommt an PiWi nicht mehr vorbei. Durch weniger Pflanzenschutz ermöglichen diese resilienten Neuzüchtungen echte Diversität im Weinberg. Sie erlauben die Pflege und Weiterentwicklung der Kulturlandschaft ohne Chemie und schenken Weinliebhaber*innen neue Geschmackserlebnisse – wie diese Probe mit 800 neugierigen Teilnehmenden einmal mehr bewiesen hat. PiWi haben alle Aufmerksamkeit verdient!"
Ulrich Amling
Im heimischen Baden-Baden moderierte Natalie Lumpp ein kurzweiliges Wechselspiel mit den Beitragenden. Sie beschrieb auf charmante, wertschätzende Art die Weine und gab Tipps zur Verkostung. Nach dem ersten Wein, einem Helios aus Baden, zeigte sich Paulin Köpfer begeistert von der Einbettung des Online-Seminars „Wine for Future. Neue Rebsorten entdecken“ in den Rahmen von Terra Madre Salone del Gusto 2020, bei dem SFD u.a. die biokulturelle Vielfalt in den Fokus rückt. Er erläuterte zunächst die Entwicklung des Begriffs ‚PiWi‘ als ein kurios entstandener, interner Begriff unter den Menschen, die Biowein anbauen. „Hybride“ klänge zu sehr nach Mais, auch wenn der Begriff fachlich durchaus korrekt sei; auch „Interspezifische Rebsorten“ sei keine Alternative. Doch selbst mit ‚PiWi‘ seien nicht alle zufrieden. Ein aktueller Vorschlag aus der Hochschule Geisenheim lautet „pioneering wines“; Köpfer warb für die Variante „pioneering wines for future“.
"Ich war einfach (und bin es jetzt noch) überwältigt von dem großen Interesse und den vielen Fragen die via Chat gestellt worden sind. Für die ECOVIN-Weingüter ist es logischerweise entscheidend, dass das Publikum die Weine aus den Neuen Rebsorten schätzen lernt und mehr und mehr von den pioneering wines konsumiert. So bin ich großer Hoffnung, dass nicht nur der Bioweinbau, sondern der Weinbau generell, durch einen wachsenden Anbau von PIWI gemeinsam mit den Konsument*innen einen großen Schritt nach vorne kommen. Damit kann sich die Weinkultur lebendig in eine positive Zukunft weiter entwickeln. Vielen Dank Euch allen – es hat mir große Freude und richtig Spaß gemacht mit Euch diese Probe durchzuführen."
Paulin Köpfer
PiWi-Rebsorten sind neue Sorten, die durch klassisches Einkreuzen der Widerstandsfaktoren amerikanischer Wildrebenarten gegen die Pilzkrankheiten mit den geschmacklichen Eigenschaften der Europäerreben entstehen. Durch das Einkreuzen asiatischer Wildrebenarten wird zudem eine insgesamt größere genetische Breite gewonnen. Weitsichtig wurde an den PiWi schon seit den 1950er Jahren züchterisch gearbeitet. Damals gab es überhaupt noch keine Nachfrage.
Die Europäerrebe vitis vinifera hat keinerlei Widerstandskraft gegenüber den Pilzkrankheiten Oidium (Echter Mehltau) und Peronospora (Falscher Mehltau). Seit beide Erreger vor mehr als 150 Jahren aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt wurden, muss die Europäerrebe auf der ganzen Welt mit zunehmendem Aufwand, vor allem mit Hilfe von Pflanzenschutzmitteln, buchstäblich am Leben erhalten werden. Wenn vom Spritzen in den Weinbergen die Rede ist, geht es vor allem um diese beiden Krankheiten. Gerade Biowinzer*innen mit der Vorstellung und dem Ziel, ein Anbausystem zu etablieren, in dem sich die Gesundheit und Vitalität der Pflanzen aus dem natürlichen Umfeld durch Bodenpflege und Versorgung der Reben „von selbst“ einstellt, kann das nicht befriedigen. Aber mit den vinifera-Reben geht das „von selbst“ überhaupt nicht mehr oder nur unter ganz günstigen und glücklichen Bedingungen.
"Wunderbar finde ich, dass wir unser Thema „Biokulturelle Vielfalt“ im Rahmen von Terra Madre Salone del Gusto setzen konnten: Biokulturelle Vielfalt im Weinbau bedeutet Vielfalt im Weinberg, in Sorten, im Anbau, in der Anpassung an Landschaft, Klima und Kultur. Slow Food steht für die Bewahrung und den Schutz der Biodiversität und so auch der traditionsreichen, der autochthonen Reben mit ihrer Geschichte und ihrer regionalen Typizität. Aber der Blick muss auch – und das ist wichtig - in die Zukunft gerichtet sein in einem ganzheitlichen Sinn. Nachhaltigkeit und Schutz der Biodiversität sind nicht rückwärtsgewandt und statisch, sondern Zukunftsthemen, die Entwicklung und Gestaltung bedeuten. Im Weinbau und in unseren Köpfen. Unser Webinar „Wine for Future“ hat genau das gezeigt."
Andrea Lenkert-Hörrmann (Projektbeauftragte SFD)
Die PiWi-Reben ermöglichen also reduzierte Pflanzengesundheitsmaßnahmen. Das ist nicht nur für die statistisch gesehen acht Prozent Biobetriebe in Deutschland von Bedeutung, sondern für den ganzen Weinbau: Unter dem Gesichtspunkt der Umweltemissionen, die perspektivisch um die Hälfte gesenkt werden sollen, bieten sie auch für konventionelle Betriebe eine große Chance. PiWi-Rebsorten ermöglichen eine Reduktion der Fungizid-Einträge um 70 bis 100 Prozent. Der Klimawandel trägt das seine dazu bei, den Druck zur Etablierung von alternativen Rebsorten zu erhöhen. Wissenschaftler*innen prognostizieren für die vinifera-Sorten im Jahr 2035 bis zu 30 Applikationen von Pflanzenschutzmitteln. Das ist gegenüber dem gegenwärtigen Stand fast eine Verdoppelung der durchschnittlich notwendigen Mengen – nicht zuletzt ein betriebswirtschaftlicher Faktor. Dabei ist die Frage noch gar nicht gestellt, ob es mit den uns so lieb gewordenen klassischen Rebsorten angesichts der sich entwickelnden klimatischen Bedingungen überhaupt noch gelingt, eigenständige, ausgewogene und harmonische Weine hervorzubringen. Für Paulin Köpfer ist es keine Frage, dass dem Wandel angepasste neue Reben gefunden werden müssen.
Nach der Verkostung eines Cabernet blanc durch Natalie Lumpp erzählte Hanneke Schönhals begeistert und überaus begeisternd über ihre alltägliche Arbeit mit den PiWi-Reben im Weinberg und später beim Verkauf. Sie baut ebenfalls einen Cabernet blanc an, sieht aber dessen Aromatik im Ausbau als Naturwein stärker zur Geltung kommend. Sie wies darauf hin, dass PiWi gerade auch in gefährdeten Lagen gut gediehen und eine allgemeine Entlastung mit sich brächten: Die Böden würden weniger verdichtet, die Natur freue sich über geringe Pestizid-Einträge und die Winzer*innen gewännen Zeit für wichtigere Dinge, als dauernd durch den Wingert zu fahren. Begrünungen seien in solchen Weinbergen erfolgreich, Alternativen wie die Aussaat von Salat oder Blumen würden versucht. Auch eine Beweidung durch spezielle Schafrassen sei möglich. Ihre persönliche Entscheidung stehe fest: Sie werde bei zukünftigen Neuanpflanzungen nur noch PiWi-Sorten berücksichtigen. Die Herausforderung liege ihrer Einschätzung nach darin, die Weine zu verkaufen. Das liege weniger an den Privatkund*innen, die im Gespräch und in der Verkostung sehr wohl überzeugt werden könnten, als vielmehr am Fachhandel und auch der Gastronomie.
"Es war mir eine große Ehre in diesem Kreis von qualifizierten Slow-Food-Pionier*innen meine Erfahrungen mit den PiWi-Weinen zu teilen. Für mich sind es die Weine der Zukunft und ich freue mich sehr über die zunehmende Relevanz und Aufmerksamkeit für diese Weine. Solche Verkostungen, wo ich mit meiner Passion und Überzeugung für diese neuen Reben auf Resonanz stoße, motivieren und bestärken mich ungemein, mit PiWi weiterzumachen. Danke an Slow Food!"
Hanneke Schönhals
Im Anschluss an die Verkostung des dritten Weins skizzierte Martin Wurzer-Berger Schlüsselstellen in der Geschichte der Weinreben über die Kontinente hinweg und weckte ein tieferes Verständnis für grundlegende Probleme des Weinbaus, wie sie Paulin Köpfer bereits hatte anklingen lassen.
Die PiWi hätten den Markt ja eigentlich schon erreicht, meinte Ulrich Amling, der fünfte Referent im Bunde. Mit der Rotweinrebe Regent werde schon seit vielen Jahren ein erster dunkler deutscher Rotwein produziert, mit dem Cabernet Cortis ein Rotwein mit der typischen Cabernet-Aromatik, der bei uns gesund ausreife. Dass sich die PiWi schwer täten, liege weniger an den Verbraucher*innen, die keinesfalls unwillig seien. Die Probleme läge in den Wegen begründet, wie Wein in Deutschland vermarktet werde. Die größten Weinhändler seien die Discounter. Dort fände wenig Wissensvermittlung statt. Denn PiWi seien ein komplexes Thema, das nur über Kommunikation und besseres Wissen erfolgreich sein werde. Doch auch die Verbraucher*innen müssten eine größere Bereitschaft entwickeln, sich geschmacklich von ihren Gewohnheiten zu lösen und neuen Weinen zuzuwenden. Kritisch ließ Amling anklingen, dass die PiWi der ersten Generation den aktuellen klimatischen Herausforderungen schon nicht mehr entsprächen.
Die Aufgabe der Zukunft ist es, Aufklärungsarbeit zu leisten und offen darüber zu reden, wie Wein hergestellt werde. PiWi-Rebsorten mit ihren weinbaulichen und geschmacklichen Qualitäten eröffneten die Möglichkeit, den Weinbau ehrlicher und genauer zu betrachten. Transparenz zu erzeugen über die Arbeit und ein Gespräch anzuregen zwischen Winzer*innen und Verbraucher*innen – das ist gute Slow-Food-Tradition und der richtige Weg zu reinem Wein.
"Zu wissen, dass wir 800 Menschen auf eine so leichten und für alle zugängliche Weise in ihrem Wohnzimmer daheim erreicht haben, um gemeinsam zu schmecken, zu lachen und zu lernen macht mich in diesen verrückten Zeiten der Isolation sehr froh."
Paul Kleebinder (Zoom-Organisation in der Geschäftsstelle von SFD)
Allgemeine Einschätzung der fünf Beitragenden war, dass die Akzeptanz für PiWi-Sorten nicht von heute auf morgen geweckt werden könne, dass dieser Weg aber ein überaus lohnender sein werde. Das gelte grundsätzlich für den notwendig komplexeren Blick auf die Bedingungen, unter denen Genuss- und Lebensmittel erzeugt würden.
Text: Martin Wurzer-Berger
Fragt man Verbraucher*innen, wie viele Sorten Äpfel oder Kartoffeln sie kennen, fällt den meisten mehr als eine ein. Bei Kakaobohnen wird es für viele schon schwieriger. Dabei macht die Wahl der Bohnensorten sowie ihre Verarbeitung den entscheidenden Unterschied – für den Geschmack von Schokoladen sowie für eine Erzeugung, die für Mensch und Umwelt fair und gerecht verläuft. Slow Food Deutschland (SFD) gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um unsere süßen Begleiter: Wo werden die Weichen für eine nachhaltige und handwerkliche Schokoladenproduktion gestellt? Wie wirkt diese sich auf Genuss und Geschmack aus? Worauf muss ich beim Einkauf achten, wenn ich ‚gute, saubere und faire Schokolade' möchte? Welche Zutat gehört aus Slow-Food-Sicht in Schokoladen, welche nicht? Wie vielfältig kann ich sie in der Weihnachtsbäckerei einsetzen? Und wie viel Schokoladengenuss ‚verträgt' unser Planet?
Bei der Online-Verkostung am Terra Madre Tag (10.12.2020) werden unter sensorischer Anleitung von Patrick von Vacano acht verschiedene Schokoladenerzeugnisse der Firma ‚Original Beans' verkostet; ein Unternehmen, das ihre Erzeugnisse aus reinen Bohnen herstellt. Parallel dazu werden Wissenshäppchen rund um Erzeugung und Verarbeitung geboten. Durch den Abend führt Stella Dietrich, Leiterin des Bildungsprojektes ‚Edible Connections' bei Slow Food. Die Kakaobohnen-Produzentin Patricia von Modaka Cacau aus Brasilien sowie der Verarbeiter Fausto Reyes von La Rifa aus Mexiko werden live zugeschaltet; Nanetta Ruf, Konditorin und Absolventin der Slow Food Youth Akademie gibt Tipps für eine schokoladige Weihnachtsbäckerei.
Die Kosten für das folgende Schokoladenpaket inklusive Versand und der moderierten Veranstaltung belaufen sich auf 31,60€:
• 2 x 12g Yuna Edelweiß 37%
• 1 x 70g Esmeraldas Milk 42%
• 1 x 70g Udzungwa 70% mit Nibs
• 1 x 70g Virunga 70%
• 1 x 70g Piura 75%
• 1 x 100g Udzungwa Kakaonibs
• 1 x 70g Cusco 100%
• 1 x 200g Schokoladenrondos Virunga 70%
Wann? 10.12.2020 | 20 bis 22 Uhr > das wichtigste zur Online-Verkostung: Nach Anmeldung wird den Teilnehmenden von Original Beans das Schokolade-Paket zugesandt und in Rechnung gestellt; von SFD kommen die Zugangsdaten und technische Hinweise für das Online-Event per E-Mail. Verbindliche Anmeldungen sind bis zum 30.11.2020 per E-Mail über projektbeauftragte@slowfood.de möglich, damit verbunden ist automatisch die Bestellung des Schokoladenpakets.
Die Veranstaltung findet am Terra Madre Tag im Rahmen des von Engagement Global und Brot für die Welt geförderten interkulturellen Slow-Food-Projekts "Edible Connections" statt. Bei dem Projekt arbeiten zwei Schulklassen über Kontinental- und Sprachgrenzen hinweg an zukunftsfähigen Lösungen für unser Lebensmittelsystem.
Der Terra Madre Tag, an dem lokale Lebensmittel auf globaler Ebene gefeiert werden, bringt alle zusammen, die die Vision eines Ernährungssystems teilen, das die lokale Wirtschaft unterstützt, die Umwelt, die biokulturelle Vielfalt, den Geschmack und die Traditionen respektiert. Er findet jährlich am 10. Dezember statt.
Jens Witt und Hardy Marienfeld sind für diese Diskussion in den Schafstall gegangen. In dicken Pullis sitzen Koch Witt und Schafzüchter Marienfeld da auf Strohballen, im Hintergrund stehen einige Schafe und schauen geduldig in die Web-Kamera. Die Corona bedingte Abwanderung der Slow Food Deutschland Podiumsdiskussion zum Wert der biokulturellen Vielfalt vom Podium ins Internet hat die Teilnahme aus dem Stall nicht nur ermöglicht, die Szene führt auch die Bedeutung des Themas eindrücklich vor Augen: Denn bei den Schafen handelt es sich um Skudden. Kleine, wollige Tiere, die auf den mageren Heidewiesen Norddeutschlands einst in Massen vorkamen. Weil sie aber der industrialisierten Landwirtschaft der vergangenen Jahrzehnte weder als Fleisch-, noch als Milch- oder Wollschaf genügten, wären sie fast ausgestorben und sind weiterhin davon bedroht, in Vergessenheit zu geraten. Es ist Züchtern wie Hardy Marienfeld und ihren Partner*innen in Verarbeitung und Verkauf zu verdanken, dass die Rasse heute noch lebt.
Und das ist nicht nur für das Skudde-Schaf gut, sondern für das Leben auf diesem Planeten insgesamt. Denn: Je weniger Sorten, Arten oder Rassen es gibt, desto anfälliger ist das Leben für Seuchen, Krisen, Risiken. Weswegen Slow Food das Thema Biokulturelle Vielfalt in diesem Jahr besonders betont. „Genetische Vielfalt, Vielfalt der Arten, der Ökosysteme – ja, des Lebens: Sie sind ist die Grundlage für unsere Nahrung und unsere Existenz“, sagt die amtierende Slow-Food -Deutschland-Vorsitzende Nina Wolff auf dem virtuellen Podium, auf dem neben ihr auch Anita Idel, Tierärztin und Mitglied der Arche-Kommission von SFD, der Streuobst-Manufakteur Jörg Geiger, die SFD-Einkaufsführerkommissions-Vorsitzende Katrin Knüpfer, die Start-up-Gründer Salem El-Mogaddedi und Gernot Würtenberger von Conflict Food sowie Chef-Alliance-Leiter Witt und Marienfeld mit Moderatorin Tanja Busse diskutierten. Sie alle unterstrichen, was Nina Wolff zur Dimension des Vielfältigkeitsbegriffs aus Slow-Food-Sicht erklärte: „Die biologische Vielfalt ergänzen wir um den kulturellen Aspekt. Denn viele Arten, Sorten und Rassen wurden von Menschen entwickelt, daraus haben sich dann Kulturlandschaften geformt, kulinarische Traditionen und bestimmte Lebensmittel. Das sind kulturelle Werte. Und die wollen wir schützen, vor allem wenn sie schutzbedürftig sind.“
Die Welt droht der Verlust von einer Million Arten.
Und dass sie schutzbedürftig sind, daran besteht kein Zweifel. Der Weltrat für Biodiversität spricht von einer Million bedrohten Arten. Ganze Kulturlandschaften, wie Heideflächen oder Streuobstwiesen, verschwinden. Dieser Rückgang wirkt sich negativ auf unsere Ernährungssicherheit aus. Und auch die Zahl der handwerklich arbeitenden Lebensmittelerzeuger*innen geht zurück. Denn die Vielfalt der Arten, des Lebensmittelhandwerks, der Kulturlandschaften und des Genusses bilden ein zusammenhängendes System. Wie sich der Schwund der biokulturellen Diversität ändern lässt, dafür kristallisierten sich während der Diskussion fünf Schritte heraus:
1. Landwirt*innen zu einer neuen Form der Landwirtschaft ermutigen.
Die Landwirtschaft ist nicht die einzig verantwortliche Branche für mehr Vielfalt, sie nimmt aber eine Schlüsselrolle ein. Schließlich bildet die Arbeit von Landwirt*innen den Ausgangspunkt für Ernährung und Genuss. „Leider werden ja weiter die Bäuerinnen bevorzugt, die Masse produzieren, die zur Monokultur beitragen“, sagt Nina Wolff. „Wichtiger wäre es, Landwirte besser zu stellen, die gesamtgesellschaftliche Leistungen wie den Schutz der biologischen Vielfalt ausüben.“ In der Realität geschieht oft das Gegenteil, wie Anita Idel beschreibt: „Ich habe durch mein Studium der Agrarwissenschaften das Gegenteil dessen gelernt, was wir hier diskutieren. Im Zentrum stand dort ein Leistungsbegriff, der sich über Kilogramm und Tonnen definierte. Ein Leistungsbegriff in unserem Sinne wäre aber ja nicht ein Baum, der möglichst viele Früchte bringt, sondern einer, der es schafft, auch noch bei Spätfrost seine Blüten durchs Frühjahr zu bringen oder unter anderen nicht optimalen Bedingungen etwas zu erzeugen“, sagt Idel. Auch Jörg Geiger, der im schwäbischen Göppingen aus Streuobst hochwertige Getränke für Spitzengastronomie und Handel erzeugt, sieht durch die Landwirtschaftspolitik falsche Rahmenbedingungen: „Die Frage ist, wie betreibt man Landwirtschaft, die Vielfalt fördert?“, sagt Geiger. „Dabei geht es aber um viel mehr als die Frage Bio oder nicht-Bio. Die Symbiose mit dem Boden muss funktionieren, dann werden Pflanzen resilient, dann bekommen wir die Wertigkeit in die Lebensmittel, die wir uns vorstellen.“ Skudde-Züchter Marienfeld ergänzt: „Wir brauchen Partner*innen; Gastronom*innen, Verarbeiter*innen, die genauso ins Risiko gehen wie wir. Partner*innen, die Landwirt*innen zeigen, dass ein Bedarf nach nachhaltigen Produkten da ist. Dann werden Landwirt*innen mutiger.“
2. Alte Sorten und Rassen aktiv nutzen.
Jörg Geiger hat sich entschieden, aktiv die Erzeugung seines Obstes mit zu begleiten. Indem er Stückles-Besitzer ermutigt, ihre Wiesen zu erhalten oder gleich selbst welche anlegt. So entsteht nicht nur eine Symbiose zwischen Nutzung und Naturschutz: Die süddeutschen Streuobstflächen gehören zu den artenreichsten Offenflächen, die in Europa vorkommen. So entsteht auch ein Hort der Sortenvielfalt. Denn auf den Streuobstwiesen wachsen viele Apfel-, Birnen-, Kirsch-, Nuss- oder Zwetschgensorten, die es in der Hochleistungslandwirtschaft nicht mehr gibt. Die aber optimal abgestimmt sind auf die schwierigen Verhältnisse am Fuß der Schwäbischen Alb. So wie die Skudde von Hardy Marienstein auf norddeutsche Heidewiesen. Weil die Skudde aus deren mageren Böden noch Nahrung ziehen, geben sie dem Erhalt der Landschaft auch eine wirtschaftliche Grundlage, wenn man wiederum ihr Fleisch nutzt und vermarktet. „Heutige Wirtschaftsrassen sind sicher um das Dreifache effizienter“, sagt Hardy Marienstein. Sie kommen aber eben auch mit den Verhältnissen in der Heidelandschaft nicht so gut klar, weswegen durch ein Verschwinden der Skudde auch eine über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft verschwinden würde. Solche Zusammenhänge zwischen alten Sorten oder Rassen, ihrer Nutzung und ihren Auswirkungen auf Landschaft und Zusammenleben gibt es überall auf der Welt. Das zeigt sich etwa an einem Produkt von Conflict Food. Gernot Würtenberg und Salem El-Mogaddedi haben dies gegründet, um Lebensmittel aus Konfliktregionen zu vermarkten. Dabei ist ihnen Freekeh aufgefallen, ein Urgetreide aus dem Nahen Osten: Das Korn ist optimiert auf die pflanzenwidrigen Bedingungen dort. Gleichzeitig haben es Menschen über die Jahrtausende so zu bearbeiten gelernt, dass es nutzbar ist. „Freekeh wird durch Verbrennen am Feld nussig, aber auch haltbar“, erzählt Salem El-Mogadeddi. „Das zeigt, dass Biodiversität natürlich mit Sortenvielfalt aber auch mit kultureller Vielfalt und Identität einhergeht.“
3. Den Schutz der Vielfalt ganzheitlich sehen.
Wie wichtig es dabei ist, über die die Grenzen der oft getrennten Systeme Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Naturschutz hinwegzusehen, zeigt ein Beispiel, auf das Katrin Knüpfer verweist. Auf den ostdeutschen Elbwiesen kamen sich Naturschutz und Landwirtschaft in Sachen Artenvielfalt in die Quere. Ein Landwirt zieht dort auf vorbildliche Weise Hereford-Rinder auf. Gleichzeitig siedelte sich dort in den vergangenen Jahren der Wolf wieder an. Eine gewisse Gefahr also für die Kälber in der Herde. „Auch Wölfe sind schützenswert“, sagt Katrin Knüpfer. Und dürfen nicht gegen die Interessen nachhaltig arbeitender Landwirt*innen ausgespielt werden. Die Lösung: Nun laufen Esel auf der Rinderweide mit, die den Wolf abschrecken und so die Kälber schützen.
„Jeder, der den Beruf ausübt, hat eine gewisse Verantwortung“, sagt Jens Witt, der in Hamburg einen Caterer mit täglich gut 3000 Essen, alle in Bio-Qualität, betreibt. „Ein Unternehmen wie das unsere kann etwa Punkte machen, indem wir darauf achten, samenfeste Sorten einzusetzen oder auch extensivere Biohaltung mit alten Tierrassen zu fördern.“ Dazu gehöre es aber, über die Ränder seines eigenen unmittelbaren Wirkungsfelds hinauszuschauen.
4. Erzeuger*innen und Verbraucher*innen vernetzen
„In Frankreich kann man sich abgucken, wie Produzent*innen und Verbraucher*innen miteinander arbeiten“, sagt Jörg Geiger. „Da kommt es ja auch auf die gegenseitige Beziehung an.“ Jens Witt fordert deswegen: „Wir brauchen Lebensmittelbündnisse.“ Zwischen Erzeuger*innen und Verarbeiter*innen, Köch*innen und Landwirt*innen, Kund*innen und Produzent*innen. „Wenn wir die biokulturelle Vielfalt fördern wollen, muss die Ernährung aus mehr bestehen, als Lebensmittel bestellen, bezahlen und essen“, sagt Witt. Denn eines macht er auch klar: Ohne die Bereitschaft von Verbraucher*innen, alte Rassen und Sorten auch nachzufragen, scheitere deren Erhalt. Das sieht auch Katrin Knüpfer so: „Menschen sollten sich nicht nur kritischer, sondern vor allem neugieriger mit Nahrung auseinandersetzen: Sich auf Neues einlassen, auf Märkten nachfragen, das würde schon helfen.“ Und vermutlich etwas bewirken, was Nina Wolff als Schlüsselaufgabe formuliert: „Wir brauchen eine Antwort auf die Frage: Wie schaffen wir es, die Strecke zwischen Lebensmitteln und Menschen zu verkürzen?“
5. Ein erweitertes Verständnis von Kochen und Genießen.
Und am Ende, auch das ist klar, führt der Weg zu mehr biokultureller Vielfalt nur über eine angepasste Erwartungshaltung aller Beteiligter. Hardy Marienstein erklärt das am Beispiel seiner Skudden: Anders als „normale“ Lämmer sind die Skudden erst nach etwa eineinhalb Jahren schlachtreif. Sonst habe sie zu wenig Fleisch angesetzt. „Das ist dann aber wie Wild, eine tolle Spezialität“, sagt Marienstein. „Aber viele Menschen befremdet der Geschmack. Kund*innen und Landwirt*innen müssen sich eben ein Stück aufeinander zu bewegen, sonst wird das alles nichts.“ Jörg Geiger wünscht sich deswegen: „Verbraucher*innen sollten eigensinniger sein.“ Das birgt neben dem Artenschutz auch viele Möglichkeiten. „Mein Wunsch wäre, dass jede und jeder Verantwortung übernimmt für den Erhalt der biokulturellen Vielfalt“, sagt Nina Wolff. „Und, dass Verbraucher*innen sich als Schatzsucher*innen verstehen, die ihren Schatz im eigenen Kühlschrank einfach immer weiter vergrößern.“
Text: Sven Prange
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>>Zur Aufnahme der Podiumsdiskussion "Biokulturelle Vielfalt Retten: Die Slow Food Arche des Geschmacks
>>Mehr zur Arche des Geschmacks
>>Mehr zu Terra Madre Salone Del Gusto
]]>Sie segelt elegant unterm Himmelsdach, huscht über sonnenbeschienene Felsen und krabbelt pfeilschnell ins Versteck. Sie zwitschert, trompetet und maunzt. Sie ist gepunktet, leuchtet im gestreiften Dress oder betört mit schimmerndem Glanz. Sie ist Tier und Pflanze, Wiese und Bach, aber auch Stadtbalkon und Bauernhof. Ihr Name: Biologische Vielfalt – die Vielfalt des Lebens, der große Jackpot der Natur. Doch diese Vielfalt hat in den vergangenen Jahren dramatisch abgenommen. Nur noch fünf Prozent unserer Äcker und Wiesen gelten als ‚High-Value-Flächen‘, auf denen sich vergleichsweise viele Arten tummeln.
Auch in unseren Ställen und auf unseren Tellern ist die Vielfalt ein schützenswertes Gut. So war es konsequent, dass am 8. Oktober 2020 zum diesmal weitgehend virtuell zelebrierten Auftakt von Terra Madre Salone del Gusto von Slow Food nicht nur die biologische, sondern auch die kulturelle Vielfalt im Mittelpunkt stand. In der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg diskutierte die amtierende Slow-Food-Vorsitzende Nina Wolff mit Verena Günther von Good Food Good Farming, mit Caroline Engwert von Hauptstadtgarten.de und – zugeschaltet per Video – mit Felix Prinz zu Löwenstein, dem Vorsitzenden des Bunds ökologischer Lebensmittelwirtschaft.
Vielfalt ist biologisch, kulturell und politisch
Nina Wolff spannte eingangs den Bogen von der Vielfalt der Arten und Ökosysteme bis zur Vielfalt bei landwirtschaftlichen Praktiken und der Zubereitung unserer Speisen. Der Grund, warum Slow Food von biokultureller Vielfalt spricht. „Nur wenn wir alle zusammen diese biokulturelle Vielfalt schätzen und nachfragen, kann sie auch als politisches Thema stärker an Fahrt aufnehmen,“ erklärte Wolff. Auch die Verbraucher*innen stünden also in der Verantwortung und müssten Vielfalt beim Einkauf gezielt nachfragen. Klar aber ist: Die heftigen Verluste an Vielfalt, so Wolff weiter, gingen vor allem auf das Konto einer fehlgeleiteten Agrarpolitik. Hier liege der große und notwendige Änderungsbedarf. Verantwortlichkeiten müssten klar benannt und eingefordert werden. Besonders die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) müsse Rahmenbedingungen schaffen, die es Bäuer*innen ermöglichen, für Planet und Mensch gesunde Nahrungsmittel zu erzeugen.
Prinz zu Löwenstein unterstrich diese Einschätzung und kritisierte die mit der Gießkanne und rein nach Fläche verteilten milliardenschweren EU-Zahlungen an die Landwirtschaft. Die Landwirt*innen sollten stattdessen verstärkt dafür bezahlt werden, dass sie Leistungen für Natur und Umwelt erbringen. Ökologische Aspekte müssten künftig von Jahr zu Jahr immer stärker betont werden, bis die rein flächenbezogenen Agrarsubventionen komplett aus dem EU-Haushalt verschwunden seien. Enttäuscht zeigte sich Löwenstein von der Entwicklung bei der Bio-Landwirtschaft. Deutschland habe im Koalitionsvertrag als Ziel 20 Prozent Bio ausgegeben, die EU sogar 25 Prozent. Aber die reale Politik unterlaufe diese selbst gesteckten Ziele, das zeigten zum Beispiel die Streichungen der Mittel für eine eigene Eiweißpflanzen-Produktion. So bleibe unsere Landwirtschaft von hohen Sojaimporten abhängig – mit allen negativen Folgen. Und der Bioanteil liege europaweit nur bei fünf Prozent. Löwenstein: „Das wichtigste Prinzip der Natur ist Vielfalt; weil wir uns so weit von diesen natürlichen Systemen entfernt haben, haben wir so große Probleme!“
Auch Verena Günther von Good Food Good Farming benannte an diesem Abend die systemischen Stellschrauben, die eine sozial und ökologisch gerechte EU-Agrarpolitik verhindern. Teil des Problems sei, dass zu viele politisch relevante Verhandlungen unter Ausschluss zivilgesellschaftlicher Akteur*innen stattfänden. Umso wichtiger sei es, die Stimmen in gemeinsamen Bündnissen zu einem Kanon zu bündeln, ergänzte Wolff.
Wir brauchen auch sinnliche Erfahrungen, um Vielfalt zu schützen
Während die Wissenschaft ausgerechnet auf dem Land, inmitten von Wiesen und Äckern, einen enormen Schwund beobachtet, ist in der Stadt vielerorts eine reichere Vielfalt zu bestaunen. Carolin Engwert berichtete von dem Projekt ‚Krautschau‘, bei dem Stadtbewohner*innen in ihrem Umfeld vermeintliche Unkräuter fotografieren, bestimmen und an Ort und Stelle beschriften. Erstaunlich, was da alles wächst und blüht. So könnten kleine Pflanzenausstellungen mitten in der Stadt entstehen. Engwert beobachtet, wie der gesellschaftliche Mainstream auf die bedrohte Vielfalt reagiert. Da werden diverse Sommerblumen ausgesät, da werden Insektenhotels installiert. Aber: Es gehe eben um sehr viel mehr! Vehement plädierte sie für ein Schulfach Gärtnern, damit Kinder und Jugendliche eine sinnliche Beziehung zu Böden und Pflanzen, zum Wachsen und Gedeihen aufbauen könnten. So könne man auch das Bewusstsein für die biologische Vielfalt stärken. Mehr Bewusstsein und Wissen bei den Verbraucher*innen erhöhe auch den Druck auf die Politik.
Nina Wolff sieht auch beim Essen die sinnliche Erfahrung als Chance, um Vielfalt wahrzunehmen und zu fördern. Sie erinnerte an den Slow-Food-Ansatz, Erzeuger*innen, Lebensmittelhandwerker*innen und Verbraucher*innen zusammenzubringen. Das stärke die Wahrnehmung von biologischer ebenso wie kultureller Vielfalt und auch die Wertschätzung und Dankbarkeit für eine sichere regionale Versorgung. Und der Wunsch nach sicheren Netzwerken vor Ort sei durch die Corona-Pandemie nochmals gewachsen, so Wolff.
Politische Verantwortung
Die Runde machte deutlich, dass die Politik in der Verantwortung stehe. Sie fordert insbesondere von Deutschland im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft klare Bekenntnisse. Die beteiligten Akteure des Podiums werden dies aufmerksam verfolgen. Denn schon 2007 war von der Bundesregierung die nationale Strategie für den Erhalt der biologischen Vielfalt beschlossen worden. Doch die Verluste konnten seitdem weder gestoppt, noch abgebremst werden. Die schwindende Vielfalt stellt die Menschheit vor Herausforderungen, die mit der Erdüberhitzung durch die Veränderung des Klimas vergleichbar ist.
]]>Unsere Ernährung ist ins Zentrum des politischen und gesellschaftlichen Interesses gerückt. Denn sie ist gemeinsames Leitthema der drei großen Krisen, die das Leben der Menschen weltweit bestimmen: die Klimakrise, der Biodiversitätverlust und die Corona-Pandemie. Als zivilgesellschaftlicher Akteur der Ernährungswende setzt Slow Food sich für die Bewältigung aller drei Krisen ein, wobei für die Bewegung die alles entscheidende Lösung in der größeren Wertschätzung und dem Erhalt der biokulturellen Vielfalt liegt. Biodiversität ist die Grundlage für die Stabilität des Lebens auf der Erde und sichert unsere Ernährung. Deshalb steht sie zwischen Oktober 2020 und März 2021 im Fokus der Vereinsaktivitäten zu Terra Madre in Deutschland.
Für Slow Food ist Vielfalt nicht nur biologisch, sondern auch kulturell: Aus lokalen Sorten und Arten, Klima und Böden entwickeln sich landwirtschaftliche Praktiken, kulinarische Traditionen und Begrifflichkeiten, die unser soziokulturelles und wirtschaftliches Miteinander prägen. Wollen wir unterschiedliche Geschmäcker, Aromen, Farben und Formen genießen und Rezepte, die wir mögen bewahren, dann müssen wir die biologische Vielfalt, das Netzwerk des Lebens, schützen. Auch als Gesellschaft in Netzwerken zu denken und zu handeln, ist dafür Voraussetzung. Das digitale Format des diesjährigen Terra Madre Salone del Gusto ermöglicht es, noch mehr engagierte Menschen weltweit miteinander zu verbinden. Unter dem Motto „Denken, schmecken, Welt bewegen“ können Verbraucher*innen Online-Angebote wie Vorträge, Workshops, Verkostungen sowie Präsenzveranstaltungen wahrnehmen, sich informieren, mitdiskutieren, Vielfalt mit ihren Sinnen erkunden. Dafür bringt SFD gemeinsam mit seinen über 80 Regionalgruppen Verbraucher*innen mit Expert*innen aus Landwirtschaft, Fischerei, Handwerk, Gastronomie und Wissenschaft zusammen.
In Deutschland startet Terra Madre am 8.10. in Berlin. Vertreter*innen der Organisationen Slow Food Deutschland, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Good Food Good Farming!-Bündnis und Hauptstadtgarten.de diskutieren ihre Forderungen an die Politik, Rahmenbedingungen und Anreize für Vielfalt auf dem Acker und auf dem Teller zu schaffen. Denn biokulturelle Vielfalt ist politisch, ihr Schutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu Nina Wolff, amtierende SFD-Vorsitzende: „Als Bewohner*innen eines Planeten, der sich zunehmend als Patient darstellt, erkennen immer mehr Menschen die große Bedeutung unserer Ernährungsweise, vor allem aber auch der Weichenstellungen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, für den Schutz unserer Vielfalt. Die hohe Aufmerksamkeit und das Problembewusstsein möchten wir als Chance für einen Wandel nutzen. Gemeinsam mit anderen wichtigen Akteur*innen der Ernährungswende werden wir an diesem Abend Ziele und Wege hin zu einer wirklich zukunftsfähigen Ernährungspolitik ausloten“.
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>> Zum Programm von Terra Madre Salone del Gusto
>> Zu den geplanten Veranstaltungen in Deutschland
>> Informationen und Details zur Auftaktveranstaltung in Berlin
Mit dem Terra Madre-Format 2020 reagiert Slow Food auf die anhaltende Covid-19-Pandemie, die eine Großveranstaltung mit Delegierten und Besucher*innen aus aller Welt in Italien unmöglich macht. So können 2020 auch Interessent*innen, für die eine Teilnahme an Terra Madre bisher nicht möglich war, dabei sein. Ab dem 8. Oktober wird eine >> virtuelle Plattform für alle kostenlos verfügbar sein und eine breite Auswahl an Konferenzen, Online-Seminaren, E-Learning-Kursen und Workshops anbieten. Produzent*innen werden ihre Erzeugnisse in einem eigens dafür eingerichteten virtuellen ‚Markt‘ vorstellen und verkaufen. Ergänzt wird die Plattform durch einen Bereich für Pressevertreter*innen und einen Business-to-Business-Bereich für Aussteller*innen. Die Inhalte werden in verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt. Für April 2021 ist geplant, Terra Madre mit einem internationalen Slow-Food-Kongress feierlich zu beenden. Dieser findet voraussichtlich in Turin statt.
Our Food, our Planet, our Future
Die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, verarbeiten, vertreiben und konsumieren wirkt sich entscheidend auf die Planetengesundheit und somit unmittelbar auf unsere Zukunft aus. Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Problemstellen hoch industrieller und globaler Lebensmittelketten noch verschärft. Ziel von Terra Madre 2020 ist es, im globalen Dialog Lösungen zu diskutieren, mit denen wir unser gegenwärtiges Lebensmittelsystem in ein besseres überführen. Die anhaltende und durch unser Ernährungssystem mitverursachte Klima- und Umweltkrise und ihre Folgen stehen im Fokus. Slow Food widmet sich u.a. den fortschreitenden Veränderungen verschiedener Ökosysteme, dem Schutz von Biodiversität, Migration als Folge der Degradation natürlicher Ressourcen sowie Fragen der Gleichberechtigung, Inklusion und Gerechtigkeit. Bei verschiedenen Food-Talks vermitteln Expert*innen u.a. aus der Landwirtschaft, der Weiterverarbeitung und der Gastronomie ihre Vision für ein zukunftstaugliches Ernährungssystem. Video-Angebote und umfängliches Bewegtbildmaterial nehmen die Teilnehmer*innen mit hinter die Kulissen der Lebensmittelproduktion und –verarbeitung; sie vermitteln ihnen Einblicke in den Alltag von Landwirtschaft und Fischerei.
Ab September 2020 wird das ausführliche Terra Madre Programm lanciert und auf www.slowfood.de vorgestellt.
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Zur Eventplattform: https://terramadresalonedelgusto.com/en/
Slow-Food-Präsident Carlo Petrini über das Slow-Food-Netzwerk und das neue Format für Terra Madre Salone del Gusto 2020: https://youtu.be/hu93jGiVV5Q
Terra Madre Salone del Gusto ist die größte internationale Slow-Food-Veranstaltung, die alle zwei Jahre unter Einbezug des internationalen Slow-Food-Netzwerks stattfindet. Da eine physische Veranstaltung in Turin dieses Jahr nicht möglich sein wird, wird es stattdessen eine Mischung aus digitalen Events und Präsenzveranstaltungen in den Regionen geben. Terra Madre Salone del Gusto vereint die internationale Messe für Qualitätslebensmittel Salone del Gusto mit der Terra-Madre-Konferenz, dem Treffen traditioneller Kleinerzeuger*innen aus dem internationalen Slow-Food-Netzwerk. In einer vielfältigen Reihe von Konferenzen, Workshops und Vorträgen werden Umwelt- und Agrarpolitik, Fischerei, Lebensmittelverschwendung, artgerechte Tierhaltung und Fleischkonsum, Klimawandel sowie das Lebensmittel und unser Konsum in seinen kulturellen Bezügen diskutiert.
]]>Viele junge Menschen bildeten die Terra-Madre-Delegation 2018 aus Deutschland. | © Elgin Hertel
1.10.2018 – Terra Madre ist das Slow-Food-Netzwerk, das die Slow-Food-Philosophie tagtäglich in die Praxis umsetzt, ob auf dem Feld, auf See, in der Küche oder im urbanen Garten. Es besteht aus Erzeugern, Fischern, Köchen, Imkern, indigenen Gemeinschaften, Tierzüchtern und anderen Vertreterinnen und Vertretern entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette aus 170 Ländern. Alle zwei Jahre kommen sie zum Terra Madre Salone del Gusto in Turin, Italien, zusammen. Rund 90 Teilnehmende bildeten die deutsche Terra-Madre-Delegation.
Vor Ort konnten sie sich untereinander sowie mit Delegierten aus anderen Ländern vernetzen und austauschen sowie deutsche Projekte wie die Slow Mobile einem internationalen Publikum vorstellen.
Die von Slow Food, der Region Piemont und der Stadt Turin in Zusammenarbeit mit dem italienischen Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft organisierte Veranstaltung Terra Madre Salone del Gusto vereint die internationale Messe für Qualitätslebensmittel Salone del Gusto mit der Terra-Madre-Konferenz, dem Treffen traditioneller Kleinerzeuger aus dem internationalen Slow-Food-Netzwerk. In einer vielfältigen Reihe von Konferenzen, Workshops und Vorträgen wurden Umwelt- und Agrarpolitik, Fischerei, Lebensmittelverschwendung, artgerechte Tierhaltung und Fleischkonsum, Klimawandel sowie das Lebensmittel und unser Konsum in seinen kulturellen Bezügen diskutiert. Diese größte internationale Slow-Food-Veranstaltung fand vom 20. - 24. September 2018 in Turin, Italien, statt.
Treffen von 4.000 Slow-Food-Delegierten
Beim Terra-Madre-Welttreffen standen die Vernetzung, die Gemeinschaft sowie ein lösungsorientiertes Denken für eine bessere Zukunft im Zentrum des Geschehens − in den Konferenzen, Workshops genauso wie bei den Treffen der insgesamt über 4.000 Delegierten aus aller Welt. Dazu tauschten sich die Teilnehmenden aus, erarbeiteten gemeinsam Lösungen für Umweltprobleme und Klimaherausforderungen und zeigten gemeinsam Flagge für ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem. Die Terra-Madre-Parade mit Delegierten aus aller Welt zeigte wieder deutlich, dass sich Slow Food die Vielfalt an Farben, Kulturen, Geschmäckern, Regionen und Traditionen auf die Fahne schreibt und sich für deren Erhalt einsetzt.
Bild oben: Terra-Madre-Delegierte aus aller Welt bei der Abschlussveranstaltung des Slow-Food-Welttreffens Terra Madre Salone del Gusto 2018 in Turin, Italien. | © Slow Food Archiv
Kulinarische Vielfalt Deutschlands
Im internationalen und italienischen Marktbereich konnten Besuchende handwerkliche und traditionelle Produkte verschiedener Gemeinschaften probieren und erwerben. Die spezifische Geschichte, regionale Verwurzelung und Herstellungsweise des Produktes standen bei der Produktpräsentation im Vordergrund. Das kulinarische Erbe verschiedenster Regionen bekam beim Terra Madre Salone del Gusto einen Schauplatz der Anerkennung. Slow Food Deutschland war hier mit sechs Ausstellern vertreten. Vor Ort dabei waren die Brauerei Clemens Härle, die Andechser Molkerei, das Fickenschers Backhaus, die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall, der Hohenloher Holunderzauber und die deutsche Knoblauch Räucherei.
Bild oben: Deutschland-Bereich beim Terra Madre Salone del Gusto 2018. | © Sharon Sheets
Inhaltliches Programm zu den brennenden Themen des Lebensmittelsystems
Neben einer Standpräsenz war Slow Food Deutschland auch am Rahmenprogramm des Terra Madre Salone del Gusto beteiligt. Bei einer Pressekonferenz des internationalen Slow-Food-Vorstandes verwies Ursula Hudson auf die Bedeutung der EU-Agrarpolitik für Drittländer durch eine auf Export und Industrie getrimmte Politik. Europa müsse dringend Verantwortung für Umweltschäden und durch den Klimawandel verursachte Fluchtursachen im globalen Süden übernehmen. In diesem Zuge forderte Hudson auch die Umstellung auf eine ganzheitliche Gemeinsame EU-Ernährungspolitik. Das Podium „Ende der Käfighaltung“ moderierte dagegen Slow-Food-Deutschland-Schatzmeister Rupert Ebner. Hierbei wurde klar, dass ein Ende des Leides von Tieren in Käfighaltung primär aus ethischen Gründen geschehen müsse. Allerdings sei die Umstellung auf Freilandhaltung auch aus Klima-, Umwelt- und Qualitätssicht unumgänglich.
Bild oben: Rupert Ebner auf dem Podium (2. v. l.) | © Sharon Sheets
Im globalen Norden müssen wir dringend die Debatte um tierische Produkte voranbringen
Um Tiere in der Landwirtschaft ging es auch beim Podium „Weniger aber dafür besseres Fleisch aus artgerechter Tierhaltung“, moderiert von Ursula Hudson. Hierbei stellte Hudson die dringende Forderung auf, sich bei Tieren in der Landwirtschaft nicht nur über die Nachhaltigkeit von Fleisch Gedanken zu machen, denn vor allem bezüglich des Tierwohls seien Milchprodukte mindestens gleichermaßen problematisch. Wichtig sei es, so Hudson, dass man nicht nur über die Konsummengen diskutiere, sondern vor allem über das System, denn zwischen tierischen Produkten aus artgerechter Freilandhaltung und aus industrieller Massentierhaltung lägen Welten aus Umwelt-, Klima- und Tierwohlsicht. Zwei Vertreter aus Lateinamerika machten die Zuhörenden darauf aufmerksam, dass die Fleischreduktions- und Qualitätsdebatte bei tierischen Produkten eine Debatte des globalen Norden sei, denn auf dem lateinamerikanischen Kontinent sei der Fleischkonsum noch mehr an Rituale gebunden, die Wertschätzung tierischer Produkte sei noch gegeben und auch der Konsum beschränke sich hier auf ein tragbares Maß. Im Gegenteil dazu führe der übermäßige Konsum tierischer Produkte im globalen Norden – vor allem in Europa und Nordamerika – zu fatalen Folgen im globalen Süden, man denke an die Desertifikation und Dürre sowie Abholzung des Regenwaldes zum Futteranbau für europäische Masttiere. Europa und Nordamerika seien aufgerufen, Verantwortung für ihr globales Handeln zu übernehmen und Tiere wieder als fühlende Wesen anzusehen und ihnen ein würdiges Leben zuzugestehen.
Bild oben: Ursula Hudson (Mitte) moderiert eine Konferenz im Meat Cluster über nachhaltigen Konsum tierischer Produkte. | © Sharon Sheets
Austausch und Vernetzung: Ein wachsendes Netzwerk
Eins der wichtigsten Resultate dieser internationalen Veranstaltung ist der Austausch und die Vernetzung auf verschiedensten Ebenen, z.B. thematisch, regional und international: Die deutsche Delegation, die sich untereinander vernetzt und das Netzwerk ausbaut; die Viehzüchter aus aller Welt, die sich untereinander austauschen und voneinander lernen; die Begegnung von Slow Foodies mit Kollegen aus anderen Ländern; die Vertreter aus dem globalen Norden, die den Geschichten der indigenen Gemeinschaften und ihrer Betroffenheit durch den Klimawandel lauschen und dadurch neue Einsichten über das eigene Handeln bekommen können. Auch die Teilnehmenden aus ganz Europa trafen sich hier zu einem Treffen und nutzen die Gelegenheit, um eine gemeinsame Aktion zu planen: Die EU-Aktionstage Ende Oktober 2018. Die Gespräche und Austauschmöglichkeiten, die sozusagen am Rande des Events geschehen, tragen Früchte, denn daraus ergeben sich neue Einsichten und Ideen für die eigenen Aktivitäten zu Hause und eben Anknüpfungspunkte, an die man vorher nicht gedacht hätte. So durfte Slow Food Deutschland zum Beispiel auch die Vertreter des neu gegründeten nationalen Vereins Slow Food Russland begrüßen und sie mit der deutschen Chef Alliance vernetzen. In diesen Gesprächen liegt die Kraft des Netzwerkes, das durch Terra Madre Salone del Gusto Kraft schöpft und wächst.
Bild oben: Wichtiger Teil der Veranstaltungen - Gespräche und Austausch. | © Sharon Sheets
Teilnehmende der Terra-Madre-Parade | © Sharon Sheets
Teilnehmende der Terra-Madre-Parade | © Sharon Sheets
Fickenschers Backhaus
Brauerei Clemens Härle
Deutsche Knoblauch Räucherei
Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall
Andechser Molkerei
Hohenloher Holunderzauber
Alle Ausstellerfotos: © Sharon Sheets
Weitere Fotos vom Terra Madre Salone del Gusto finden Sie auf Facebook
]]>Die von Slow Food, der Region Piemont und der Stadt Turin in Zusammenarbeit mit dem italienischen Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft organisierte Veranstaltung Terra Madre Salone del Gusto vereint die internationale Messe für Qualitätslebensmittel Salone del Gusto mit der Terra-Madre-Konferenz, dem Treffen traditioneller Kleinerzeuger aus dem internationalen Slow-Food-Netzwerk. In einer vielfältigen Reihe von Konferenzen, Workshops und Vorträgen werden Umwelt- und Agrarpolitik, Fischerei, Lebensmittelverschwendung, artgerechte Tierhaltung und Fleischkonsum, Klimawandel sowie das Lebensmittel und unser Konsum in seinen kulturellen Bezügen diskutiert.
Im internationalen Marktbereich wird Deutschland erstmals mit einem eigenen Gemeinschaftsbereich vertreten sein, der unter anderem aus Infoständen von Slow Food Deutschland und der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall sowie aus Verkaufsständen verschiedener Erzeuger besteht. Als Aussteller mit dabei sind die Brauerei Clemens Härle, die Andechser Molkerei, Fickenschers Backhaus, der Hohenloher Holunderzauber und die deutsche Knoblauch Räucherei. Deutsche Qualitätsprodukte aus handwerklicher Produktion wie Brot, Schinken und Bier werden hier einem internationalen Publikum vorgestellt und angeboten.
"Bei Terra Madre konsolidiert sich das Netzwerk aus Produzierenden und Aktivisten aller, die sich das Lebensmittelsystem zukunftsfähig wünschen und sich Tag für Tag mit Herzblut dafür einsetzen. Es war mir deshalb ein großes Anliegen bei der Weltmesse für handwerkliche Qualitätsprodukte auch die deutsche kulinarische Vielfalt vorzustellen", so Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, anlässlich der anstehenden Veranstaltung in Turin.
Große Terra-Madre-Delegation aus Deutschland
Zu den rund 90 deutschen Terra-Madre-Delegierte zählen handwerklich Erzeugende, Kleinbauern, Züchter alter Tierrassen, Imker, Schäfer, Absolventen der Slow-Food-Universität in Italien, innovative Unternehmer rund um die Lebensmittelproduktion und -vermarktung sowie Teilnehmende der Slow Food Youth Akademie. Vor Ort bilden Sie die Teilnehmenden zu den brennenden Themen des Lebensmittelsystems weiter, vernetzen sich mit Delegierten anderer Länder und tauschen sich über für sie relevante Themen aus.
Am Stand von Slow Food Deutschland können Besuchende u. a. mehr über die Themen Boden, Hülsenfrüchte, Lebensmittelverschwendung sowie über die Bildungsprojekte des Vereins erfahren und sich durch Mitmachaktionen spielerisch weiterbilden. So genannte Wurzelkisten bieten eine vertiefende Beschäftigung mit den Themen Boden, Klima und Wurzelwachstum; Fühl- und Riechkissen lassen die Teilnehmenden Lebensmittel mit allen Sinnen erfahren und eine Ausstellung von Hülsenfrüchten zeigt diese als valide Alternative für den Konsum tierischer Produkte.
Mehr Informationen:
www.salonedelgusto.com (Englisch und Italtienisch)
]]>Slow Food Deutschland: Worum geht es bei deinem Projekt?
Heiko Niehaus: Seit April 2018 verwirkliche ich gemeinsam mit Silvia Sibille, einer italienischen Arbeitskollegin und ebenfalls Absolventin der Universität der Gastronomischen Wissenschaften, die Idee, auf hoher See ausschließlich ökologische Rohstoffe von regionalen Kleinproduzenten zu verarbeiten. Dies tun wir auf dem Schulschiff "H.F. 42 Providentia" der Ostseeschule Flensburg. Bei unserem Projekt handelt es sich um das erste segelnde Farm-to-Table-Café. Die Aufbauten der Providentia laden zum Sitzen, Verweilen und Genießen ein. An Bord sollen sich bewusst Menschen begegnen, um Informationen zu nachhaltigen Produktionsweisen im Handwerk jeglicher Art auszutauschen und dabei über die Reling zu schauen.
Das Café öffnet an maximal 20 Tagen im Monat. Das macht es interessant und lässt Zeit für Vorbereitungen. Mit an Bord ist ein Genussladen, in dem die Kunden die sorgfältig ausgewählten und nachhaltigen Spezialitäten norddeutscher und piemontesischer Start-ups und kleinbäuerlicher Betriebe erwerben können.
Woher beziehst du deine Produkte und was ist der kulturelle Kontext der Menschen, die diese Lebensmittel erzeugen?
An Bord gibt es Wein, Bier und Snack-Spezialitäten aus der Region Flensburger Förde und auch aus dem Piemont. Unser Fokus auf piemontesischen Produkten wurzelt in einer großen Faszination für die kulinarischen Traditionen und Herstellungsweisen der Region Piemont. Während meines Studiums konnte ich lernen, dass die landwirtschaftliche Bewirtschaftung Norditaliens viele kulinarische Geheimnisse hütet. Mich fasziniert die kleinbäuerliche Landwirtschaft zur Selbstversorgung, die schließlich auch mein Studienobjekt darstellte. Die Almhirten (Malgari) beziehen ihre Lebensmittel aus den Bergen, ihrem natürlichen Lebensraum. Sie leben seit jeher gemeinsam und solidarisch miteinander und mit ihren Tieren. So haben sie auf natürliche Weise ihre kulinarische Genuss- und Lebensweise durch ihr besonders ausgeprägtes Umweltbewusstsein erhalten können.
Die Malgari produzieren feinste Rohstoffe und sind in der Lage vollständig auf den großflächigen Anbau von Gütern und die Behandlung ihrer Pflanzen mit Pestiziden zu verzichten. Der Lebensmittelverschwendung wirken sie entgegen, indem auf den Höfen der Alm und in der Küche stets alles verwendet wird, was dem natürlichen Lebensraum entnommen wird - sprich: Nach Malgari-Art werden bewusst alle Rohstoffe und Tiere - selbst Gemüseblätter - bei der Zubereitung ihrer Beilagen genutzt. Dabei entstehen kreative Rezepte und kein Abfall.
Dieses ökologische und kulinarische Vorbild der Malgari ist das tragende Element des Konzeptes für das gastronomische Angebot unseres Malgari Cafés. Zusätzlich haben wir auch geräucherte Fischspezialitäten auf unserer Speisekarte, die uns von einem lokalen Fischer frisch angeliefert werden. Wir verzichten hierbei auf bedrohte Arten, um dem Anspruch der Nachhaltigkeit gerecht zu bleiben.
Wie genau muss man sich eure Arbeitsprozesse vorstellen?
Wir können an Bord - bis auf Show-Cooking - nicht warm kochen, sondern bereiten unsere Speisen in der Ostseeschule zu. Bei uns kommen die Früchte des Bodens direkt auf den Tisch an Bord des Traditionsseglers. Dazu haben wir Kooperationen mit umliegenden Bio-Erzeugern. Durch die Direktabnahme von Fleisch und Gemüse garantieren wir kurze Transportwege.
Die Kunden möchten wissen, welche Produkte aus der Region ihnen angeboten werden und so kommt es, dass das Team die Gäste zu Erzeugern und zur Herstellung der Speisen aufklärt, berät und wenig später die Erzeugnisse in den Außerhausverkauf aufnimmt. Die Herangehensweise zeichnet sich seit jeher durch eine enge Kooperation mit den regionalen Akteuren und den Kunden aus. Einen Mix aus den kulinarischen Lebensweisen und Produkten norddeutscher und norditalienischer Start-ups haben wir im Angebot. Das macht das Malgari Café einzigartig.
Ein bildendes Kulturcafé, das sich daraus ergibt, dass alle Beteiligten stets bemüht sind neue Wege zu gehen und bereit sind von Erzeugern zu lernen, um ihre eigenen Arbeitsprozesse zu begreifen und somit umweltverträglicher zu gestalten. Es wird auf lose Waren und wiederverwendbare Verpackungen zurückgegriffen, wie beispielsweise der Bezug von saisonal wechselnden Arabica-Kaffeebohnen in Metalleimern und Milch in Glasflaschen.
Betriebsmittel werden möglichst kunsthandwerklich und im Sinne des Upcycling-Gedankens umfunktioniert oder angefertigt. So dienen die Arbeitsböcke der Bootsbauer derzeit als Esstische und die ehemaligen Treppenstufen der Schule als Servierbretter.
Was genau umfasst das Angebot dieser Schiffsreise?
Ein Bed&Breakfast-Angebot zur Übernachtung in einer der vier Kojen an Bord gibt Besuchern in Flensburg die Möglichkeit, die alte Stadt und ihren Hafen auf der Rum- und Zuckermeile zu erkunden. Dort gibt es prächtige Kontorhäuser und Kaufmannshöfe sowie Verkostungen zu erleben. Auf einer der berühmten Kaffeefahrten um die Ochseninseln kann Genaueres über die faszinierende Geschichte des ehemals segelnden Berufsfahrzeugsschiff erfahren werden. Im Jahr 1895 in Finkenwerder gebaut, fuhr "H.F. 42 Providentia" unter verschiedenen Eignern 25 Jahre lang mit 3-4 Mann Besatzung und ohne Motor zur See, um Fische für den Hamburger Fischmarkt zu fangen. Der Segler ist daher Zeugnis der aussterbenden nachhaltigen Fischerei um die Jahrhundertwende, denn die Dampffischerei und die Gefahren auf hoher See brachten die Segelfischer dazu, letztendlich die Segelfischerei aufzugeben. Heute gibt es nur noch vier Schiffe der einst größten Fischereiflotte Deutschlands.
Das maritime Kulturdenkmal wurde in den letzten sechs Jahren von Schülerinnen und Schülern, dem Team und den Bootsbauern der Ostseeschule restauriert. 2017 wurde es als Traditionsschiff zugelassen. Es wurde seither für Charterfahrten und Umweltbildungsfahrten genutzt. Die Providentia wird von der Schiffscrew der Ostseeschule stets ‚Teerd und Smeerd‘.
Foto: © Privat
Mehr Informationen:
Ein Porträt von Heiko Niehaus anlässlich seiner Teilnahme an der internationalen Slow-Food-Veranstaltung Terra Madre Salone del Gusto in Turin sowie die Liste aller deutschen Delegierten, finden Sie hier hier
Informationen zu Terra Madre Salone del Gusto finden Sie hier hier
]]>Slow Food Deutschland: Was hat dich dazu bewegt eine Reise von Münster nach Turin mit dem Lastenrad zu planen?
Julia Salomon: Die Lastenradbewegung hier in Münster hat mir gezeigt, was man mit Fahrrädern alles bewegen und transportieren kann. Das hat mich inspiriert. Als es dann an die Planung ging, wie ich dieses Jahr nach Turin für Terra Madre Salone del Gusto reise, kam ich auf die Idee mit dem Lastenrad. Hinzu kommt, dass ich aufgrund der hohen CO2-Emissionen des Luftverkehrs beschlossen habe, für ein paar Jahre möglichst keine Flugreisen mehr zu machen. Mit dem Lastenrad, so dachte ich, kann ich sogar die Lebensmittel aus meiner Region ökologisch nachhaltig transportieren, die ich während Terra Madre Salone del Gusto präsentieren möchte. Die Alternative, per klassischem Versand und mit großem ökologischem Fußabdruck, kann so umgangen werden. Unterwegs die verschiedenen Regionen Deutschlands, spannende Menschen, landwirtschaftliche Betriebe und Produktionsstätten zu besuchen, ist ein besonderes Plus.
Bei der Lastenrad-Community habe ich angefragt, ob ich mir ein Rad leihen kann, da ich selbst keines besitze. Als ich erfreulicherweise die Zusage bekam, ging es an die Umsetzung. Mir ist zwar bewusst, dass ich alleine nicht die Welt verändern kann, aber ich kann wichtige Schritte in die richtige Richtung tun. Diese entschleunigte und bewusste Reise soll Anderen als Inspiration dienen. Sie soll zeigen, welche Vorteile alternative Transportmittel haben und welche Vorzüge regionale Lebensmittel und Achtsamkeit für die Umwelt und für jeden einzelnen Menschen haben. Am 24. August geht es nun los, von Münster, erst durch Dortmund und kleine Orte im Bergischen Land, im Lahntal und weiter vorbei an Mainz, Mannheim und Stuttgart, Richtung Bodensee und dann über die Alpen, bis Turin.
In deiner Projektidee erwähnst du, dass dir Klimaschutz und nachhaltige Kreisläufe wichtig sind. Was haben regionale Lebensmittel und die Transportart sowie die Müllreduzierung mit dem Klima und Nachhaltigkeit zu tun?
Der Transport von Konsumgütern wie Lebensmitteln mit Schiffen und Flugzeugen verursacht Treibhausgasemissionen. Viele Lebensmittel werden in Zeiten globalen Handelns kilometerweit transportiert. Dabei werden, bei den klassischen Transportmitteln, große Mengen an CO2 freigesetzt und fossile Rohstoffe verbrannt. Schnelllebigkeit, alltäglicher Luxus und die Tendenz zur Verschwendung sowie leider die Geringschätzung der Rohstoffe sind allgegenwärtig. Der hohe Ressourcen- und Energieverbrauch verursacht immer höhere Umwelt- und Klimabelastungen. Ich finde es zwar schön, dass wir hier vor Ort eine unglaubliche Lebensmittelvielfalt haben, problematisch ist allerdings, dass diese Lebensmittel viele Kilometer zurücklegen müssen, um in unseren Einkaufskörben und auf unseren Tellern zu landen. Deshalb sollten wir wieder mehr auf unsere regionale Lebensmittelvielfalt zurückgreifen, die ist auch bunt und vielfältig. Und die Folgen des Klimawandels sind für uns in Deutschland erst jüngst durch die Dürre zu spüren. Gesellschaftlich müssen wir uns dringend über ressourcen- und klimaschonende Alternativen Gedanken machen.
Wie setzt du einen klimaschonenden und nachhaltigen Lebensstil im Alltag um?
Ich besitze kein Auto, versuche Einkäufe und Transporte weitgehend mit dem Fahrrad zu erledigen und setze auf regionale Bezugsquellen. Im Alltag ist es mir außerdem sehr wichtig, Abfälle zu vermeiden. Am Liebsten gehe ich deshalb in Unverpackt-Läden einkaufen, denn ganz unmöglich finde ich die Masse an Müll, vor allem Plastikmüll, der beim Einkauf in den meisten Supermärkten anfällt. Winzige Kunststoff-Partikel sind mittlerweile überall zu finden, vom Wasserkreislauf bis hin zum Boden und äußerst umweltschädlich. Kunststoff ist nicht per se schlecht, wenn er in langlebiger, funktioneller Form genutzt wird. Das eigentliche Problem liegt in den vielen Einweg- und Kunststoffverpackungen, die eigentlich gar nicht nötig wären, wie z.B. bei eingeschweißtem Bio-Gemüse in vielen Supermärkten. Es gibt nur wenige Ausnahmen, bei denen ich einwegverpackte Lebensmittel kaufe. Frische Lebensmittel bekomme ich wöchentlich von einem 15 km entfernten demeter-Hof der solidarischen Landwirtschaft, bei dem meine Wohngemeinschaft einen Ernteteil hat, oder aus dem kleinen Hochbeet, das wir seit letztem Jahr liebevoll pflegen.
Bei meinem Konsum jenseits von Lebensmitteln achte ich darauf, möglichst langlebige Produkte zu wählen, kaufe bevorzugt Secondhand, oder betreibe Upcycling. Es gibt tolle Läden in denen man nicht nur Secondhand-Kleidung, sondern auch -Möbel oder -Geschirr zu erschwinglichen Preisen kaufen kann. Beim Upcycling versuche ich scheinbare Abfallprodukte in neue, funktionelle oder dekorative neue Produkte zu verwandeln. Fair gehandelte und ökologisch produzierte Kleidung oder sonstige Güter versuche ich immer dann zu wählen, wenn mein Budget das zulässt. Manchmal habe ich Glück und es gibt sie gebraucht zu kaufen. Wichtig ist mir, dass im Sinne der Kreislaufwirtschaft gehandelt wird. Bewusst gute Qualität wählen, immer wieder nutzen und in den Kreislauf zurückführen, wenn man selber keine Verwendung mehr dafür hat. Die wenigen Kosmetikartikel, die ich nutze, stelle ich zum größten Teil selber her, z.B. siede ich Kernseife oder mische mein Deo. Was die digitale Welt angeht, versuche ich meinen Energie-Abdruck zu reduzieren, indem ich zum Beispiel seit Kurzem das Email-System „Posteo.de“ benutze. Deren Server wird mit Ökostrom betrieben und es spart Strom, CO2, Atommüll und schont Ressourcen.
Julia Salomon ist Ökotrophologie-Studentin, arbeitet bei Westfalenfleiß und im Bereich ambulant unterstütztes Wohnen, wo sie Ernährungs-Begleitung für Menschen mit geistiger Behinderung anbietet.
Ein Porträt von Julia Salomon anlässlich ihrer Teilnahme an der internationalen Slow-Food-Veranstaltung Terra Madre Salone del Gusto in Turin, finden Sie hier
Das Interview führte Sharon Sheets, Slow Food Deutschland.
Foto: © Privat
]]>Das Leitmotiv der dieses Jahr zum 12. Mal ausgerichteten Veranstaltung ist Food for Change: Der Fokus wird mehr denn je auf den Menschen liegen und darauf, welchen Beitrag jeder einzelne leisten kann, um einen Wandel einzuleiten. Eins der Highlights wird die Terra Madre Arena sein, die dank der Unterstützung des IFAD (Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung) entstanden ist.
Die Terra Madre Arena bietet den verschiedenen Netzwerken von Slow Food Raum, um sich auszutauschen und die wichtigen Themen zu vertiefen, an denen die internationale Bewegung jahrelang gearbeitet hat. Im Laufe der 5 Veranstaltungstage finden in der Arena über 50 Events statt.
Indigene Völker
Indigene Völker sind die wichtigsten Behüter der Biodiversität dieser Welt: 76 Prozent der Agrobiodiversität unseres Planeten ist in ihren Lebensräumen konzentriert. Daher ist offensichtlich, dass die Unterstützung der indigenen Gemeinschaften und ihrer traditionellen Ernährungssysteme ein grundlegender Aspekt zum Erhalt der biologischen Vielfalt dieser Welt ist. Ihre oftmals unterschätzten Kenntnisse bieten einen Schlüssel, um globale Herausforderungen anzugehen, wie den Klimawandel, Ernährungsunsicherheit und Ungleichheit. Bei Terra Madre Salone del Gusto werden mehr als 300 indigene Delegierte aus über 60 Ländern anwesend sein. In der Arena zeigen die vom Netzwerk Indigenous Terra Madre (ITM) organisierten Foren, dass es dringend notwendig ist, die Systeme der indigenen Völker zur Nahrungsmittelherstellung zu fördern und zu schützen. Dabei sollen auch ihre ganzheitliche Herangehensweise an das Thema Ernährung hervorgehoben und ihre Bindungen innerhalb der gesamten Slow Food-Bewegung verstärkt werden. Die Veranstaltungen und Konferenzen behandeln folgende 4 Schwerpunktthemen: Frauen als Trägerinnen des Wandels, Landrechte, indigene Jugendliche als Impulsgeber des Wandels und indigene Köche. Am 20. September eröffnet das indigene Netzwerk das Programm mit einer traditionellen Zeremonie. Darauf folgt eine Präsentation der Führungsstruktur, Strategie und der Erfolge des Netzwerks im Laufe der letzten beiden Jahre, um den Ideenaustausch und die Diskussionen der anschließenden Veranstaltungen zu erleichtern. Nicolas Mukumo Mushumbi (aus der Demokratischen Republik Kongo) und Denisa Livingston (aus den USA), beide Mitglieder des Internationalen Slow Food-Rats für das indigene Netzwerk, werden bei der Veranstaltung auch zugegen sein. Unter diesem Link können Sie das vollständige Programm einsehen.
Migranten
Migration ist eins der zentralen Themen innerhalb der Terra Madre Arena. Eine Delegation von über 200 Migranten aus 33 verschiedenen Ländern wird sich in der Arena versammeln, um über Themen wie Klimamigration, moderne Formen der Versklavung, die Rolle der Migranten in der internationalen Entwicklung und Essen als Instrument zur sozialen Integration zu diskutieren. Die Wiederentdeckung alter Traditionen, Formen der Zusammenarbeit, der Wissensaustausch und die Mitbeteiligung sind von strategischer Bedeutung, um die Resilienz von Migrantengemeinschaften in Italien, Europa und der ganzen Welt aufzubauen und die Sichtweise auf Migranten zu verändern, damit die Gesellschaft sie nicht mehr als Opfer sondern als Förderer eines Wandels begreift. Ein Beispiel dafür ist das Event Rezepte für den Dialog (23. September, 18 Uhr, Torino Lingotto Fiere) - eine gemeinsame Initiative von LVIA, Slow Food, Renken, Colibrì, Panafricando, Asbarl, der Region Piemont und der Stadt Turin, die von der Italienischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird. Diese Themen kehren beim Internationalen Festival der mediterranen Küche wieder, das im Laufe der Veranstaltungszeit von Terra Madre Salone del Gusto teils in der Arena, teils im Turineser Stadtviertel San Salvario stattfindet. Als Sammelbecken der Vielfalt von Arten, Kulturen und Rezepten wird das so genannte Mare Nostrum (20. September, 16 Uhr, Torino Lingotto Fiere) in seinem ganzen Reichtum gefeiert, um ein neues Modell von mediterraner Entwicklung und Aufnahme zu fördern. Unter diesem Link können Sie das vollständige Programm einsehen.
Jugend
Bisher haben 600 Delegierte des Youth-Netzwerks aus über 100 verschiedenen Ländern einen Flug nach Turin gebucht, in den nächsten Wochen werden es noch mehr werden. Zehn junge Delegierte lassen sich auf das Abenteuer der Tour Giro di SFYN ein, benannt nach dem berühmten Radrennen in Italien. Sie fahren am 6. September von Holland aus mit dem Fahrrad los und durchqueren auf der 1.1250 km langen Reise (einschließlich 10.000 Höhenmetern) in 11 Tagen 9 Länder, um schließlich rechtzeitig zum Startschuss von Terra Madre Salone del Gusto in Turin anzukommen. Unterwegs besuchen sie örtliche Erzeuger und Mitglieder des Netzwerks, um die Philosophie von guten, sauberen und fairen Lebensmittel zu verbreiten. Valentina Gritti, internationale Koordinatorin des Slow Food Youth Networks, sagt: «Wir haben uns entschieden, am Giro di SFYN teilzunehmen, weil wir mental die Grenzen sprengen wollen, die uns auferlegt werden: Radfahren lässt einen die Entfernung und den Abstand zwischen den Orten neu überdenken. Natürlich möchten wir dabei auch eine Botschaft übermitteln, da Fliegen eine wenig nachhaltige Art zu reisen ist und wir die Umwelt schützen möchten: In den meisten Fällen gibt es Alternativen.» Wenn die Delegierten des Youth-Networks in Turin angekommen sind, werden sie alle im Bereich des Slow Food Youth Networks (SFYN) zusammenkommen, um über verschiedene Themen zu diskutieren, bewährte Praktiken auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und – besonders wichtig – gemeinsam Spaß zu haben. Denn der Aufbau von Verbindungen und die Förderung werden bei allen Aktivitäten, Workshops, Diskussionsrunden und Konferenzen den roten Faden bilden. Das Programm (hier einsehbar) bietet viele Highlights, darunter auch eine morgendliche Yoga-Session. Die Veranstaltungen des SFYN finden teils in der Arena, teils in der Universität der Gastronomischen Wissenschaften in Pollenzo statt.
Die thematischen Foren von Terra Madre werden von den Delegierten des Netzwerks präsentiert und sind frei zugänglich, so lange Plätze vorhanden sind.
Terra Madre Salone del Gusto ist eine Veranstaltung, die von der Stadt Turin, Slow Food und der Region Piemont in Zusammenarbeit mit dem MIPAAF (Italienischen Ministerium für Land- und Forstwirtschaft) organisiert wird. Die Veranstaltung wird durch die Unterstützung zahlreicher Sponsoren ermöglicht, darunter die Offiziellen Partner, GLEvents-LingottoFiere, IREN, Lavazza, Lurisia, Parmigiano Reggiano, Pastificio Di Martino und Quality Beer Academy; mit Unterstützung der Compagnia di San Paolo, Fondazione CRT-Cassa di Risparmio di Torino, Associazione delle Fondazioni di Origine Bancaria del Piemonte, sowie Coldiretti; sowie der Unterstützung des IFAD, der Europäischen Union, der TCF-Stiftung und CIA (Confederazione Italiana Agricoltori).
Mehr Informationen:
]]>Die internationale Slow-Food-Gemeinschaft steht unter Schock. Luis Maldonado, Slow-Food-Aktivist, Koordinator des Huehuetenango Hochland Kaffee Presidio und Direktor von ASDECAFE, einer Kaffeeproduzenten-Genossenschaft wurde von zwei Attentätern auf dem Motorrad durch zwei Schüsse in den Rücken und einen in den Kopf ermordet. Wir bedauern diesen Verlust zutiefst und sprechen seiner Familie unser aufrichtiges Mitgefühl aus.
Durch dieses Verbrechen ging Luis von uns, aber sein Kampf für soziale Gerechtigkeit und Kleinbauernrechte der Kaffeeproduzenten Guatemalas lebt weiter. Diese Brutalität macht das Ausmaß und die Risiken deutlich, die Menschen in unserer globalen Gemeinschaft eingehen, um für die eigene Existenzsicherung und Menschenrechte zu kämpfen. In Gedanken sind wir deshalb auch bei unseren Netzwerkkollegen, die tagtäglich für die Rechte von Kleinbauern, indigenen Völkern und Landrechte ihr Leben riskieren!
Bei der Slow Food Stiftung für Biodiversität finden Sie Informationen zu dem Slow Food Presidio "Huehuetenango-Hochland-Kaffee", das Luis Maldonado koordiniert hat: Huehuetenango-Hochland-Kaffee (Englisch)
Das Foto wurde zum Ende eines weltweiten Kaffeeproduzententreffen bei internationalen Terra Madre Netzwerktreffen 2016 aufgenommen. Luis Maldonado ist die zweite Person von rechts (im schwarzen Hemd). | Beide Fotos: © Slow Food Archiv
"Die digitale Kommunikation ersetzt nicht den persönlichen Austausch. Gemeinsam mit Asmelash haben wir die weiteren Chancen unseres Süd-Nord-Austauschs sowie unserer Bildungsarbeit ausgelotet. Dabei sind viele neue Ideen entstanden," sagte Louise Duhan, Projektbeauftragte bei Slow Food Deutschland für "10.000 Gärten in Afrika". Dagne besuchte die International Urban Farming Conference in Berlin und nahm am Wochenende der Slow Food Youth Akademie in Duderstadt teil. Er war außerdem einer der Podiumsgäste beim Ackertalk auf dem IGA-Campus.
Bild links: Asmelash Dagne (li.), äthiopischen Koordinator des internationalen Slow-Food-Projektes "10.000 Gärten in Afrika" bei der Slow Food Youth Akademie in Duderstadt
Strategien für urbane Gärten
Asmelash Dagne wurde für die von der Grünen Liga organisierte „International Urban Farming Conference“, die am 11. und 12. September in Berlin stattfand, nach Berlin eingeladen. Die Konferenz wollte „im Jahr der Internationalen Gartenausstellung in Berlin […] einen fachlichen Austausch zwischen Projekten der urbanen Agrikultur weltweit ermöglichen sowie gute Ideen und kluge Strategien liefern“. Bei einem Workshop zum Thema Bildung wurden weitere Projekte aus Kuba und Großbritannien vorgestellt, die Nutzgärten als Grundlage für Ernährungsbildung im Bereich Nachhaltige Entwicklung nutzen. „In Äthiopien wird Gartenarbeit von vielen Kindern und Jugendlichen als Strafe wahrgenommen. Bauer wird man nicht, wenn man gut in der Schule ist. Deshalb ist es für uns eine zentrale Aufgabe, dass wir Berufe und Tätigkeiten in der Landwirtschaft für die jüngere Generation wieder attraktiv machen. Das ist unsere Zielgruppe, wenn es darum geht, Essen zukünftig nachhaltig anzubauen,“ so Asmelash Dagne während seines Vortrags. Um die Potenziale ebenso wie die Herausforderungen von Urban Gardening aufzuzeigen, wurden den Teilnehmern der Konferenz verschiedene Projekte zum städtischen Gärtnern in und um Berlin vorgestellt. Viele dieser Projekte stehen vor ähnlichen Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Zugang zu Land, der Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten oder der Projektabwicklung mit der Stadt und weiteren Behörden.
Stadtgärten und Permakultur
Die zweite große Station während des Deutschlandaufenthalts von Asmelash Dagne war der Besuch bei der Slow Food Youth Akademie in Duderstadt. Hier drehte sich dieses Mal alles um das Thema „Obst und Gemüse“ und Asmelash bereicherte das Wissen der jungen Erwachsenen mit seinem Vortrag zum Thema „Urban Gardening und Permakultur: Wie ernähren wir uns nachhaltig in der Zukunft?“. Während der anschließenden Diskussionsrunde tauschte er sich dazu mit Thomas Meiseberg vom Hof Luna aus. Trotz ihrer doch sehr unterschiedlichen Erfahrungen aufgrund verschiedener geografischer und gesellschaftlicher Kontexte, waren sich Meiseberg und Dagne einig: Mit einer intensiven und konventionellen Landwirtschaft wird die steigende Weltbevölkerung nicht zukunftsfähig ernährt werden können. Über das indigene lokale Wissen hinaus, bringt die holistische Herangehensweise der Permakultur jedem bei selbst zu denken, die lokalen Gegebenheiten wahrzunehmen und die Anbaumethoden mit durchdachter Planung an die spezifische Region anzupassen, um im Einklang mit der Natur zu arbeiten. Für Asmelash ist die Permakultur definitiv ein Teil der Lösung für mehr Ernährungssouveränität. Im Rahmen des Akademie-Wochenendes wurden weitere innovative Lösungsansätze und Projekte wie die Open Source Seed Intitiative oder das Projekt Proyecto Ahuejote aus Mexico-Stadt vorgestellt.
Bild oben: Vortrag über Streuobstwiesen am Wochenende der Slow Food Youth Akademie
Wege zum nachhaltigen Fleischkonsum
Wie schafft man es die jüngere Generation für globale Ernährungszusammenhänge zu begeistern? Darum ging es am 19. September in der Slow-Food-Veranstaltungsreihe „Nord-Süd Dialog auf der IGA“ in Berlin. Die Gesprächsrunde fand auf dem 2000m2 Weltacker statt und setzte den Fokus auf die Frage nach Wegen für einen nachhaltigen Fleischkonsum. Mit dabei war eine 9. Klasse aus Berlin-Marzahn, die Asmelash Dagne aufmerksam zuhörten, als dieser berichtete, dass Fleisch in seinem Heimatland nur zu ganz besonderen Anlässen wie Ostern oder Weihnachten gegessen würde. Erstaunt stellten sie den Unterschied fest, dass sie hingegen zu jeder Zeit und zu günstigen Preisen Zugang zu tierischen Produkten haben. Dass ein solches Überangebot nicht unbedingt im Einklang mit Umwelt, Tier und Mensch stehen kann, wurde ihnen dabei deutlich. Sie stellten zahlreiche Fragen zur Tierhaltung und den globalen Auswirkungen von Fleischkonsum auf die Umwelt.
Bild oben: Workshop auf der IGA mit Asmelash Dagne (re.).
Die Kuh als Familienmitglied
Und die Lage in Äthiopien? „Bei uns gelten Kühe oder Ziegen fast schon als Familienmitglieder. Sie unterstützen uns in der Landwirtschaft sowie beispielsweise beim Transport von Wasser. Nur wenige Familien können es sich leisten, mehr als vier Mal pro Jahr ein Tier zu schlachten. Für uns ist es unvorstellbar, dass für viele hier in Deutschland ein fast täglicher Fleischkonsum möglich ist. Da drängen sich natürlich Fragen auf, woher alle diese Tiere kommen und womit sie gefüttert werden?,“ so Asmelash. Das Ausmaß sowie die Konsequenzen eines solchen Fleischkonsums wird mithilfe des 2000m2 Weltackers veranschaulicht. 2000m2 ist die Fläche die jedem Weltbürger zustünden, wenn die globale Ackerfläche von 1,4 Milliarden Hektar gerecht verteilt wären. Auf dieser Fläche sollte also alles wachsen was wir für unseren Konsum brauchen. Zwei Drittel der 2000m2 Fläche wird mit Soja, Getreide und Mais angebaut, die allein der Tierfutterproduktion dienen. Wenn die 2000m2 z.B. nur dazu dienten, um Futtermittel für Schweine anzubauen, dann würde die Fläche gerade mal für die Fütterung zweier Schweine ausreichen.
Diskussion auf dem "Weltacker"
Um so oft und so günstig Fleisch essen zu können, wie wir es hierzulande momentan tun, reichen unsere Agrarflächen in Europa nicht aus. Deshalb greift die Fleischproduktion auf große Flächen für die Futtermittelproduktion zurück: Viele Futtermittel werden vor allem aus Südamerika importiert. „Was würde passieren, wenn europäische Länder, aus irgendeinem Grund, nicht mehr die Möglichkeit hätten in diesen Ländern Futter anzubauen? Was würdet ihr dann machen?“ führt Asmelash fort. In Gruppenarbeit diskutieren die Schüler diese Frage und zeichnen diese als Video auf, damit Asmelash sie an die Schüler nach Äthiopien weitertragen kann. Die Schüler verließen den Weltacker nachdenklich aber trotzdem freudig. Vielen von ihnen wurde erstmalig bewusst, dass ihr Essverhalten in Berlin das Leben und die Ernährungssicherheit von Mensch, Tier und Umwelt in anderen Ländern beeinflusst. Wichtig war vor allem, dass sie zugleich lernten, dass es Alternativen gibt und sie selber Teil der Lösung sind – durch ihre täglichen Konsumentscheidungen. Wenn sich auch viele von den jungen Erwachsenen einen deutlich geringen Fleischkonsum an diesem Tag noch nicht vorstellen konnten, so war der Denkanstoß gesät.
Bild oben: Ackertalk auf der IGA.
Anbaumethoden in Äthiopien
Die globalen Auswirkungen unseres Konsums waren auch Thema während des „Ackertalks“ auf der IGA am 20. September. Zusammen mit Asmelash diskutierten Daniel Diehl, Projekt Koordinator vom Boden Begreifen, Dr. PD Elisabeth Meyer-Renschhausen, freie Autorin und Privatdozentin mit Schwerpunkt kleinbäuerliche Landwirtschaft und Ernährung weltweit, und Ulrich Nowikow, stellvertretender Geschäftsführer der Grünen Liga und des IGA Campus. Im Fokus standen Anbaumethoden in Äthiopien, Herausforderungen wie konventionelle Landwirtschaft, Land Grabbing und Klimawandel sowie die Ernährungssouveränität. „Wir sind uns alle einig: Ernährungsbildung der jungen Generation ist das A und O für einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen, sowohl bei uns in Deutschland als auch in Ländern wie Äthiopien. Dafür brauchen wir nationale und internationale Netzwerke und persönliche Kontakte, um voneinander zu lernen und über Grenzen hinweg zu denken,“ fasst Diehl am Ende des Abends zusammen.
Asmelash blickt auf seine Erfahrung im Berlin zurück: „Gemeinsam sind wir stärker. Meine zwei Wochen in Deutschland haben mir wieder gezeigt, wie wichtig es ist voneinander zu lernen. Ich habe so viele neue Projekte kennengelernt, neue Ideen gesammelt und bin von der Motivation und Begeisterung so vieler junger Leute angesteckt. Es gibt mir Mut und Energie, um weiterzumachen“.
Bild oben: Asmelash Dagne (li.) berichtet bei der Slow Food Youth Akademie von Äthiopien.
Apfelsaftverkostung mit Teilnehmern der Slow Food Youth Akademie
Vortrag auf der Urban-Farming-Konferenz
Bilder auf dieser Seite: © Louise Duhan
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]]>Bei den „Boden – unsere Lebensgrundlage“ Workshops auf dem Gelände des 2000m² Weltackers auf dem IGA Campus wird Schülern vermittelt, wie viel Ackerfläche jedem Menschen theoretisch zur Verfügung stünde, wenn die Flächen global gleich und gerecht verteilt wären. Die Zusammenhänge des globalen Lebensmittelsystems werden vor allem durch einen direkten Austausch per Video Live-Schaltung mit Schülern aus Äthiopien erarbeitet. So lernen die Schüler andere Lebenswelten kennen und verstehen, was unser Essen mit der Lebens- und Ernährungssituation der Menschen in anderen Ländern zu tun hat. Zur praktischen Veranschaulichung und modellhaften Präsentation des internationalen Slow-Food-Projektes der 10.000 Gärten in Afrika ist Slow Food Deutschland auf dem IGA-Campus auch mit einer Parzelle eines äthiopischen Schulgartens vertreten. Beim Projekttag am 11. Juli 2017 galt es mit einer 7. Klasse aus Berlin Neukölln zu erörtern, welche Auswirkungen unsere Essgewohnheiten im globalen Kontext haben, und zu verstehen, wie sich unsere Ernährungswelt von der von Menschen aus Äthiopien unterscheidet.
Bild oben: Äthiopische Schüler zeigen bei der Live-Schaltung nach Deutschland stolz ihren Nutzgarten und stellen ihre Ernährungswelt anhand von Grafiken vor.
"Denkt beim Essen auch an die Menschen, die euer Essen produzieren!"
Welche Wechselwirkungen gibt es innerhalb des globalen Lebensmittelsystems und wie hängt das Konsumverhalten im globalen Norden mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen im globalen Süden zusammen? Slow Food setzt sich zum Ziel bei seinen Bildungsprojekten Essen immer in den ganzheitlichen Kontext einzubetten. Folglich richtet sich der Blick über den nationalen Tellerrand hinaus. Als Einführung in die Thematik stellt der Projektbeauftragte des Slow-Food-Schulprojektes Boden Begreifen, Daniel Diehl, an diesem sonnigen Dienstag Morgen das Konzept des 2000m2 Weltackers vor, das die Initiatoren wie folgt beschreiben: „Wenn wir die globale Ackerfläche von 1,4 Milliarden Hektar durch die Zahl der Erdenbürger teilen, ergibt das 2000 m² pro Nase. Darauf muss also alles wachsen, womit Mutter Erde uns nährt und versorgt: Brot, Reis, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Öl, Zucker – aber auch all das Futter für die Tiere, deren Fleisch, Milch und Eier wir verzehren, das vom Acker und nicht von Wiesen und Weiden stammt“.
Daran anknüpfend erklärt Daniel, was das praktisch für uns als Verbraucher bedeutet: Wie viel jeder von uns persönlich an Ackerfläche verbraucht, hat eine direkte Auswirkung darauf, wie viel Land den Menschen in anderen Ländern zur Verfügung steht. Zum Auftakt der Diskussion über die globale Lebensmittelproduktion fordert Daniel die Schüler auf, sich darüber Gedanken zu machen, wo unsere Lebensmittel herkommen.
Bild oben: Projektbeauftragter des Slow-Food-Schulprojektes Boden Begreifen, Daniel Diehl, stellt das Konzept des 2000m2 Weltackers vor.
Verbrauch von Ackerflächen im Ausland durch Import
Es wird schnell deutlich: Gerade hierzulande beziehen wir viele unserer Produkte aus dem Ausland und die dortige Ackernutzung dient oft dem Export und nicht dem Eigenbedarf. Wie es wohl den Personen ergeht, die unsere Lebensmittel erzeugen? Das ist eine weitere Frage, die hier behandelt wird. Als Anstoß gibt Daniel den Teilnehmern mit auf den Weg, man solle doch das eigene Essen in den Kontext der Lebensmittelproduktion stellen: „Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass ihr beim Essen auch an die Menschen denkt, die euer Essen produzieren“. Als Beispiel erzählt er von seiner Arbeit mit Bauern in Kambodscha, die oft im Matsch und gebückt den ganzen Tag lang in prahlender Sonne arbeiten, um Reis anzubauen, damit wir diesen dann hierzulande essen können. Das Beispiel bringt den Schülern nahe: Für die Erzeugung unserer Lebensmittel hierzulande werden also auch Ackerflächen in anderen Ländern genutzt.
Bild oben: Diskussion des globalen Ernährungskontextes unserer Lebensmittel.
Erfahrungsaustausch zwischen Äthiopien und Deutschland
Nach diesem Denkanstoß zur globalen Lebensmittelproduktion sollen die Schüler nun skizzieren, wo wir in Deutschland unsere Lebensmittel her beziehen, was wir hier essen und wo wir einkaufen. Gleichzeitig sollen sich die Schüler Fragen überlegen, die sie dann bei der Live-Schaltung nach Äthiopien an die Schüler dort richten sollen. Durch schöne, selbstgezeichnete Bilder erklären die deutschen Schüler den Äthiopiern nun vor der Kamera, dass wir hier hauptsächlich im Supermarkt einkaufen. Umgekehrt können die Neuköllner erfahren, dass die Schüler in Äthiopien ihr eigenes Obst und Gemüse im Schulgarten anbauen und dort nicht die selben Einkaufsstrukturen vorhanden sind. Der Bereich "Logistik und Transport" interessiert die deutschen Schüler auch: Durch die Frage, ob es in Äthiopien ebenfalls Autos gibt, wird schnell klar, dass sich die Infrastruktur in Äthiopien stark von unserer unterscheidet. Dass es in Äthiopien mehr Esel als Autos gibt eröffnete den Schülern hier eine Vorstellung über das dortige Lebensmittelsystem. Lebensmittel werden nicht so einfach wie hier mit dem LKW hin und her gefahren.
Was esst ihr, was essen wir?
Im nächsten Schritt des Austausches zeigen Videobotschaften, welche Kulturpflanzen im jeweiligen Land angebaut werden und welche Lebensmittel daraus hergestellt werden. Während unsere Schüler über den Weltacker laufen und per Video unter anderem Weizen und dessen Erzeugnisse wie Brot und Pizzateig vorstellen, können die deutschen im Gegenzug einen Einblick in den Schulgarten in Äthiopien bekommen. Der Projekttag war für beide Seiten sehr bereichernd und informativ. Voller Stolz stellten die deutschen sowie die äthiopischen Schüler ihre Bilder vor und lauschten im Gegenzug den Antworten des Gegenüber. Der Austausch führte bei den Schülern hier nicht zuletzt zu einer größeren Wertschätzung der hier vorzufindenden Gegebenheiten, vor allem im Hinblick auf Lebensmittel und die Lebensbedingungen.
Bild: Die Schüler aus den beiden Ländern stellen sich gegenseitig ihre Lieblingsgerichte vor und zeigen, was auf dem jeweiligen Acker wächst.
So schmeckt Äthiopien
Abgerundet wird der Projekttag mit einer Kochaktion, bei der die deutschen Schüler in einer Küche unter freiem Himmel äthiopische Gerichte kochen, um auch ganz praktisch zu erfahren, wie Äthiopien ‚schmeckt‘. Begeistert und voller Freude helfen die Schüler unserer Bundesfreiwilligen Claudia beim Kochen und bereiten einen Kartoffelsalat mit Roter Beete, Linseneintopf sowie eine äthiopische Gemüsepfanne zu. Ganz traditionell bleiben Messer und Gabel dem Tisch fern. Stattdessen wird das Gemüse durch frisch vor Ort zubereitetes äthiopisches Brot – Injera – aufgegabelt. Injera ist ein in der Pfanne ausgebackener Sauerteigfladen, der in Äthiopien als Besteckersatz dient.
Bild oben: Zum Abschluss der Bildungseinheit wurde gemeinsam äthiopisch gegessen.
Zum Aktionsformat
Die Veranstaltung Boden – unsere Lebensgrundlage beinhaltet Aspekte der beiden Slow Food initiierten Projekte Boden Begreifen und 10.000 Gärten in Afrika und findet in Kooperation mit dem Projekt 2000m² Weltacker der Zukunftsstiftung Landwirtschaft statt.
Bilder: © Sharon Sheets (4), Archiv Slow Food Äthiopien (1)
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]]>Beim letzten Terra-Madre-Treffen in Turin forderte der Berkeley Professor und Agrarökologe Miguel Altieri die Mission der Slow-Food-Bewegung mit ihrem "gut, sauber und fair für alle" heraus. Er argumentierte, dass Slow Food einen Weg finden muss, um sicherzustellen, dass auch arme und gefährdete Menschen Zugang zu solchen Lebensmitteln bekommen. Das Erreichen dieses Zieles ist eine Geschichte der radikalen Transformation der Lebensmittelsysteme und indigenen Selbstbestimmung: Es ist die Geschichte der geschützten kommunalen Gärten und des traditionellen Wissens der Bauern des indigenen Stammes Bakiga im Südwesten Ugandas.
Zerstörung des Nahrungsmittelsystems
Lange Jahre des Kolonialismus, gefolgt von Guerilla- und Bürgerkriegen, haben viele von Ugandas traditionellen Nahrungsmittelsystemen und die Esskultur des Landes zerstört. Trotz aktueller politischer Stabilität kämpfen die Menschen in Uganda auch heute noch mit Korruption, Armut, gravierender Ernährungsunsicherheit und Hunger. Der Verlust der traditionellen Hausgärten und der einhergehende Verlust der traditionellen Gartenbau-Techniken und Ernährungssysteme hat zu der schweren Nahrungsmittelunsicherheit in der Region beigetragen, unter der wir jetzt leiden.
Die einheimischen Bauern des Stammes Bakiga, die am Rande des Kashohe-kitome Regenwaldes in Ugandas Südwesten leben, haben bis heute immer noch ihre traditionellen Hausgärten beibehalten. Diese dynamischen und komplexen traditionellen Nahrungsmittelsysteme helfen ihnen ihre Gemeinden trotz ihrer extremen Verwundbarkeit zu erhalten. Armut, systemische Korruption, Krankheiten und Nahrungsmittelunsicherheit führen hier zu einer hohen Kindersterblichkeitsrate und einer geringeren Lebenserwartung und -qualität.
Das traditionelle Nahrungsmittelsystem der Bakiga, das einen Familiengarten vorsieht, wurde beibehalten. Diese vielfältigen Mischkulturen von Bananen und anderen Früchten sind in der Lage, den Bedürfnissen der Familie basierend auf dem Existenzminimum gerecht zu werden. Das Geld, das aus dem Verkauf verdient werden kann, z.B. von überzähligen Säcken an Bohnen oder Bananen, wird dazu verwendet die Schulgebühren für die Kinder zu bezahlen und vielleicht etwas Salz oder Seife (nicht so häufig in Haushalten) zu kaufen.
Das Ziel der 10.000 Gärten in Afrika
Slow Food hat das „10.000 Gärten in Afrika-Projekt“ als eine Antwort auf das Problem der Ernährungsunsicherheit in Afrika initiiert. Wie der Vize-Präsident von Slow Food International, Edie Mukiibi, in seiner Rede bei Terra Madre in diesem Jahr sagte: "Auch wenn Menschen hier hungrig sind, kann das Ziel nicht das bloße satt machen sein, sondern für das Sättigen muss auch hier das Prinzip des guten, sauberen und fairen Essens gelten, denn Menschen haben das recht darauf das zu essen, was sie kulturell gewöhnt sind“. Und Slow Food Präsident Carlo Petrini sagte: "Ich möchte die Missionare bitten zu Hause zu bleiben. Ich habe viel Vertrauen in die Afrikaner. Afrikaner wissen, wie sie die wichtigen Dinge für sich selbst tun und was sie anbauen müssen“. Die übergeordnete Idee ist, dass sich lokale afrikanische Dorfgemeinschaften zusammenfinden und Slow Food vor Ort ihnen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer eigenen Systeme zum Erreichen der Lebensmittelsicherheit und Ernährungssouveränität hilft.
Das „10.000 Gärten in Afrika Projekt“ in dieser Bakiga-Gemeinschaft ist ein Beispiel für das verantwortliche Verwalten des Allgemeinguts. Durch die Gärten sind die Gemeinschaften auf dem Weg traditionelles Wissen im gemeinsamen Raum zu bewahren. Der Kampf gegen die Armut und die Zerstörung des traditionellen Wissens geschieht gemeinsam und offen als Solidaritätsbewegung. Die Gärten dienen als Zufluchtsort für traditionelle Kulturpflanzen, traditionelles landwirtschaftliches Wissen und die traditionelle Anbautechniken. In diesen Gemeinschaftsgärten wächst langsam die Begeisterung, das Interesse und die Energie der Jugend für den Erhalt des traditionellen Wissens der Älteren.
Einer für alle, alle für einen!
Eine große Frage für uns als Slow-Food-Aktivisten war, wie wir den Anfang des Projektes gestalten sollten. Es war nicht leicht die Zusammenarbeit zwischen allen Menschen zu organisieren und zu entscheiden, wie wir die Idee eines Gemeinschaftsgartens im Dorf präsentieren sollten. Alle Community-Mitglieder sind bereits voll ausgelastet mit ihrer eigenen Gartenpflege und der Pflicht Schulgebühren aufzutreiben und sich mit Krankheit und extremer Armut auseinander zu setzen. In einer Gemeinschaft, in der jede Familie ihre eigene Nahrung in einem kleinen Hausgarten erzeugt, bedeutet die Errichtung eines Gemeinschaftsgartens die Einführung einer völlig neuen Art der Zusammenarbeit. Die Idee wurde aber gut aufgenommen und die Begeisterung der Jugend und die Unterstützung des Dorf-Vorsitzenden ermöglichten die Errichtung des Gartens.
Im Bild oben: Makarena (re.) und David – zwei "Garden-Manager" des Slow Food Projekts "10 000 Gärten in Afrika" in Uganda| © Corey W. Whitney
Weitere Informationen:
Slow-Food-Projekt: "10 000 Gärten in Afrika"
Uganda sagt danke für die Unterstützung aus Deutschland.
Ohne die Unterstützung von Slow Food Uganda und die finanzielle Unterstützung der deutschen Convivien, hätte das Projekt nicht entstehen können. Slow Food Uganda hat dazu beigetragen, die Mitglieder der Gemeinschaft an die Slow-Food-Botschaft heranzuführen. Zu wissen, dass sie nicht die einzigen Menschen sind, die mit diesen Problemen konfrontiert sind, und zu wissen, dass sie die Unterstützung der anderen armen Gemeinden und Bauern auf der ganzen Welt und in Uganda haben, hat unsere Gemeinden zum Handeln inspiriert. Deutsche Slow-Food-Mitglieder haben das Projekt durch finanzielle Unterstützung des „10.000 Gärten in Afrika-Projekt“ sowie durch Gartengeräte gefördert. Die Mitglieder der Convivien in Deutschland hatten sogar daran gedacht uns wiederaufladbare Solarleuchten und Scheinwerfer zuzusenden, wohl wissend, dass es die 12 Stunden Dunkelheit pro Tag am Äquator schwer machen, einen Garten zu pflegen.
Jetzt arbeitet die Bakiga Bevölkerung gemeinsam daran einen gemeinsamen Garten wachsen zu lassen. Der Garten ist ein Weg für die Bakiga sich dem globalen Widerstand gegen Unternehmenseigentum und kapitalistische Aneignung des traditionellen Wissens anzuschließen. In diesem Fall wird der Slow-Food-Garten zu einer Oase für traditionelle Kulturen und traditionelles Wissen.
Paten für Gärten gesucht
Es ist entscheidend, dass die Einrichtung des Gartens mit einem Gespräch über den Zweck des Gartens begann und mit der Aufklärung darüber, dass der Garten den Bedürfnissen der Gemeinschaft dienen sollte, aber auch dazu den Verlust von traditionellem Wissen und der traditionellen Kulturpflanzen und Erntepraktiken zu stoppen. Wenn die Absicht der Slow-Food-Bewegung vorab nicht klar übermittelt wird, dann besteht das Risiko, dass sich die Gemeinden dafür entscheiden einen Garten aus wirtschaftlichen Interessen anzulegen, um finanzielle Mittel für die Gemeinschaft zu erzeugen. Eine weitere Gefahr ist, dass die Gärten ohne nachhaltige Aktivisten Solidarität und finanzielle Unterstützung von Slow Food im Laufe der Zeit verloren gehen. Die Anerkennung und Finanzierung der internationalen Convivien für die Gärten sollte regelmäßig sein, damit sie nachhaltig sind. Convivien im Ausland sollten sich darauf einigen Paten bestimmter Slow-Food-Gärten zu werden und regelmäßige Gebühren für ihre Pflege und für die weitere Entwicklung zu zahlen.
Im Bild oben: Carolyne und Makarena (re.) vom Slow Food Projekt "10 000 Gärten in Afrika" in Remitagu, Uganda| © Corey W. Whitney
Weitere Informationen:
Slow-Food-Projekt: "10 000 Gärten in Afrika"