Welternährungstag 2014: Sanft ruht die Ernährungswende

PRESSEINFORMATION - Berlin, 16. Oktober 2014

Sanft ruht die Ernährungswende

Welternährungstag: Slow Food Deutschland verlangt eine ernsthafte und konkrete Strategie für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion in der EU. Taten sind gefragt statt Wortgeklingel und leere Versprechen.

(mk) Der Welternährungstag ist seit jeher ein idealer Zeitpunkt für wohlfeile Bekenntnisse zu nachhaltiger Ernährung und Lebensmittelproduktion. Doch in der konkreten Umsetzung einer tatsächlichen Landwirtschafts- und Ernährungswende treten wir seit Jahren auf der Stelle. Auch die Europäische Kommission hat ihren ambitionierten Ankündigungen und Initiativen bisher keine Taten folgen lassen. Der Startschuss der neuen EU-Initiative für eine nachhaltige Ernährung fiel 2012. Und schon 2011 hatte das EU-Parlament seinen eindrucksvollen Report zur Lebensmittelverschwendung und für eine nachhaltigere Nahrungsmittelkette vorgelegt. Im vergangenen Jahr folgte dann die große Anhörung der NGOs, der Vereine und Verbände. Seitdem herrscht Schweigen im Walde. Das versprochene Strategiepapier der Kommission zur nachhaltigen Ernährung ruht sanft in den Schubladen. Wenn ein wirklich ernsthafter Aufbruch zu einer neuen Agrar- und Lebensmittelpolitik schon auf dem Papier nicht gelingt, wie will er dann gegen die mächtigen Interessen der Agrarindustrie tatsächlich angegangen und umgesetzt werden?

Dass einer überwältigenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Europas das Thema auf den Nägeln brennt, wurde jüngst mit einer Eurobarometer-Umfrage erneut bestätigt. Jetzt muss die neue EU-Kommission das Thema prioritär aufgreifen und in konkrete Politik überführen. Noch nie in der langen Geschichte des gemeinsamen Europas war die Sehnsucht der Menschen nach einer anderen, nachhaltigen Form von Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion so groß. Pestizid- und Antibiotika-Orgien, Foodmiles-Exzesse und Nahrungsmittelverschwendung, Höfesterben und Gentechnikgefahren, Massentierhaltung und leergefischte Meere – „die Brisanz des Themas ist ebenso hoch wie die Angst der Politik, es ernsthaft anzupacken, statt immer nur an kleinen Rädchen zu drehen, die das große Ganze unangetastet lassen“, sagt die Slow-Food-Deutschland-Vorsitzende Ursula Hudson, „wer Nachhaltigkeit will, der muss dezentrale Strukturen und bäuerliche Landwirtschaft fördern, der muss die Umwelt vor den Auswüchsen des Agromolochs schützen – vom großen Jauche-See bis zu den Riesenställen!“

Selbst bei der Lebensmittelverschwendung, einem Thema, das überall auf offene Ohren und Herzen trifft, geht es nicht voran. Zeitweise schien es so, als könnte zumindest dieses Problem Gegenstand konsensfähiger Initiativen werden. Doch es bleibt bisher bei der Aufbereitung hässlicher Zahlen und der Einsicht, dass auf diesem Feld viel zu tun ist. 90 Millionen Tonnen Lebensmittel werden im Jahr in Europa weggeworfen, bis 2020 wird der Lebensmittel-Abfallberg auf 126 Millionen Tonnen anwachsen. 30 bis 50 Prozent aller Lebensmittel landen im Mülleimer – mit verheerenden Folgen für Umwelt, Klima und für unseren Geldbeutel. Die Buchhaltung der Misere ist mustergültig, aber die politischen Gegenmaßnahmen sind lau und unkonkret. Dabei sind eine ganze Reihe von Maßnahmen ganz offensichtlich. Wir brauchen:

  • klare Verpflichtungsziele aller EU-Länder zur Verringerung der Verschwendung
  • Durchforstung und Reform der Vorschriften, die den Handel zum Wegwerfen von Le-bensmitteln zwingen
  • Andere Bezeichnungen beim Mindesthaltbarkeitsaufdruck
  • Geld und Unterstützung für europaweite Aufklärungskampagnen und Initiativen
  • Stopp der Verbrennung von Lebensmittelabfällen. Kompostierung und energetische Verwertung sind für unvermeidbare Abfälle das Gebot der Stunde.

Darüber hinaus liegen mehr als 30 konkrete Vorschläge zum Thema auf den Brüsseler Tischen. Jetzt muss gehandelt werden. Dabei ist eines klar: Der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung ist nicht der Schlüssel für die Nachhaltigkeit bei Produktion, Handel und Konsum von Lebensmitteln. Die Lebensmittelverschwendung ist aber eines der unübersehbaren Leitsymptome eines kranken Systems. Slow Food Deutschland wird weiterhin, gemeinsam mit vielen Partnerorganisationen, die Debatte über die Nachhaltigkeit von Landwirtschaft und Ernährung befeuern. Mit klingenden Namen – vom „Ressourceneffizienten Europa 2020“ bis zum „Aufbruch für eine nachhaltige Landwirtschaft“ – und immer neuen Initiativen der Kommission, die dann doch nur auf dem Papier bestehen, lassen sich jedenfalls keine Probleme lösen. Das konzeptionelle, strategische und politische Vakuum der Umsetzung dieser Initiativen ist eklatant. Ebenso die ökologischen und sozialen Folgen der permanenten Verschleppung und Verzögerung.

Der Durchbruch der industriellen Massenproduktion in der Landwirtschaft kam Ende der 1950er Jahre mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Jetzt hat Europa die Chance, aber auch die Pflicht, die schlimmsten Fehlentwicklungen zu korrigieren und eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion aufs Gleis zu setzen. Anpacken statt Aussitzen!

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