Gemeinsame EU-Agrarpolitik: Potenziale umsetzen – jetzt!

06.07.2020 - Seit Jahrzehnten werden bäuerliche Existenzen, biologische Ressourcen und Lebensräume durch eine auf Rationalisierung und Intensivierung ausgerichtete Forschungs- und Agrarförderung vernichtet. Nur mit einer zukunftstauglichen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) werden Klima und Artenvielfalt eine Chance haben.

anita idel 6-2018 Rumänien Fortini (c) Katrin Denkewitz.JPGDer Dezember 2019 liegt wegen der Corona-Pandemie bereits eine gefühlte Ewigkeit zurück. Ursula von der Leyen veröffentlichte mit dem „Green Deal“ ihr Regierungsprogramm für die
kommenden fünf Jahre – als Antwort auf „klima- und umweltbedingte Herausforderungen“: „Mit jedem Jahr steigt die Temperatur der Atmosphäre und verändert sich das Klima. Eine Million der acht Millionen Arten auf dem Planeten droht zu verschwinden.“ Dabei bezieht sich die Präsidentin der Europäischen Kommission explizit sowohl auf den Weltklimarat (IPCC) als auch auf den Weltbiodiversitätsrat (IPBES). Der IPBES stellt den Verlust der biologischen Vielfalt in den direkten Zusammenhang mit weitgehend agrarbedingter Zerstörung weiterer Ressourcen: der Böden, Gewässer und Wälder.

Bereits die Fokussierung des Green Deal auf das Klima ist bemerkenswert. Aber das könnte nach dem üblichen Motto „Weniger vom Schlechten“ umgesetzt werden: einige besonders gefährliche Dreckschleudern vom Netz nehmen und gleichzeitig die verbleibenden Kohlekraftwerke mit teurer zusätzlicher Umwelttechnologie aufrüsten – und so letztlich deren Nutzungsdauer verlängern. 

So bliebe die Landwirtschaft jedoch wieder außen vor. Schließlich wird sie nur für einen vergleichsweise kleinen CO2-Ausstoß verantwortlich gemacht. Kein Wunder, denn wesentliche Emissionen werden routinemäßig für den nationalen „Ist-Stand der Treibhausgas und Ammoniakemissionen“ erst gar nicht erhoben oder nicht der Landwirtschaft zugerechnet: Dazu zählen (Regen-)Waldabholzung und Umbruch von Dauergrasland (Landnutzungsänderungen, LULUCF) sowie unter anderem Futtermittelimporte, Bereitstellung von Mineraldünger und der Energieeinsatz in der Landwirtschaft.

Ein Muss: Klima und Artenschutz 

Gerade deshalb ist es so entscheidend, dass von der Leyen den Green Deal gleichermaßen auf Klima- und Artenschutz orientiert – auch wenn die Ziele viel zu weit in der Zukunft liegen. Ihre
Zielvorgabe: „… dass 2050 keine NettoTreibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist“. Diese Ziele dürfen laut
von der Leyen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wer das schreibt, muss sich daran messen lassen! Denn möglich ist das nur mit dem größten Flächennutzer – der Landwirtschaft: Ohne einen Richtungswechsel in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sind diese Ankündigungen Makulatur und bleibt der Green Deal hohl. Ohne zukunftstaugliche GAP kann von der Leyen bezüglich der Biodiversität nicht liefern.

Nie zuvor proklamierte ein EU-Kommissionspräsident eine dem Green Deal vergleichbare Strategie zur Nachhaltigkeit und nie vertraten EU-Kommissare solches Interesse an der Landwirtschaft. Denn der EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski ist nicht allein: Die EUGesundheitskommissarin Stella Kyriakides und der EU Umweltkommissar Virginijus Sinkevičeus zeichnen mitverantwortlich für die „Farm to Fork“- beziehungsweise Biodiversitätsstrategie. Und der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Frans Timmermans ist Klimakommissar und zudem federführend für den Green Deal.

Hinzu kommt ein weiterer entscheidender Aspekt: Der Green Deal bietet den nationalen Landwirtschaftsministern die Chance, die kommende GAP ohne Gesichtsverlust zu ändern, obwohl sie bereits seit Monaten quasi als unantastbar gilt.

Chronologie des Umbruchs? 

Noch vor Weihnachten reagierte Julia Klöckner mit ihrem spanischen und ihrem französischen Kollegen in einer gemeinsamen Erklärung. Diese ist überwiegend rückwärtsgewandt. Dennoch: Die Minister teilen „die Zielsetzung, dass die GAP einen größeren Beitrag zum Umweltschutz und zum Kampf gegen den Klimawandel leisten soll, indem sie den Übergang zu nachhaltigeren Produktionssystemen mit dem Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 begleitet“.

Januar 2020: Zur Eröffnung der Grünen Woche beschreibt Stella Kyriakides die geplante „Farm to Fork“-Strategie als einen „der wichtigsten Bausteine des Grünen Deals“, da sie „den Beitrag der
Landwirtschaft definieren“ würde. Mit konkretem Bezug zur GAP formuliert Janusz Wojciechowski beim Empfang des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): „Mein Traum ist, die gesamte Landwirtschaft in Europa möge bio sein!“ Julia Klöckner reagiert sibyllinisch: „Es wird nicht bleiben, wie es ist.“ Das ist zwar richtig, denn „weiter so wie bisher“ ist keine Option; aber sie schließt damit auch die Lockerung des Gentechnikrechts ein!

März 2020: Es gab und gibt viele Gründe, einer enkeltauglichen Umsetzung des Green Deal wenig Chancen beizumessen. Dazu zählen die geplante Aufrüstung im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ebenso wie der aktuelle Vorschlag für den EU-Haushalt 2021 bis 2028, der den Green Deal komplett konterkariert: zwar mit der GAP als größtem Posten, aber massiver Kürzung der zweiten Säule.

Mai 2020 (1): Ob Auto- oder Agrarlobby – spätestens seit auf SARS-CoV-2 mit einem „Shut Down“ reagiert wurde, wird der Erwartungsdruck dramatisch geschürt, die Klima- und Umweltziele auszusetzen. Aber laut topagrar.com vertrat Stella Kyriakides zusammen mit Virginijus Sinkevičeus vor dem Agrarausschuss des EU-Parlaments, dass die Corona-Krise „keine Ausrede für eine Verschiebung sein“ dürfe und es einen ambitionierten EU-Agrarhaushalt für die Landwirtschaft nur geben könne, „wenn sie sich im Einklang mit den Umwelt- und Klimazielen der EU befindet“.

Mai 2020 (2): Weiterhin erhalten 20 Prozent der Betriebe über 80 Prozent der Mittel. Der Europäische Rechnungshof hatte bereits 2018 kritisiert, die Finanzmittel für die Landwirtschaft flössen nicht in Maßnahmen „mit denen wesentliche Bedürfnisse erfüllt und Ergebnisse erzielt“ würden. Dies entspräche „einer Ausgaben- und nicht einer Leistungskultur“.

Weniger vom Schlechten ist nicht gut! Ob Ursula von der Leyen mit ihrer Kommission liefern will, statt rückwärtsgewandt mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen und Chemie am kranken (Agrar-)System zu reparieren, entscheidet sich an der GAP. Die Chance des Green Deal der Europäischen Kommission liegt in der Verknüpfung von Klima und Artenvielfalt. Maßnahmen, die diese Ziele konterkarieren, dürfen nicht gefördert werden. Das muss künftig die agrarpolitische
Debatte wesentlich bestimmen. 

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Informationskasten zur „Farm to Fork“- und Biodiversitätsstrategie:

Die EU-Kommission hat im Mai 2020 Ziele bis 2030 definiert. Demnach sollen der Einsatz von Antibiotika und Pestiziden halbiert, der chemische Düngemitteleinsatz um 20 Prozent reduziert sowie mindestens 30 Prozent der europäischen Land- und Meeresgebiete in Schutzgebiete umgewandelt und die Flächen für den ökologischen Landbau auf 25 Prozent ausgeweitet werden.

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Anita Idel-166 r.(c) KatrinDenkewitz2.jpgKommentar: Dr. Anita Idel, Slow-Food-Expertin, Tierärztin und Mediatorin

Quelle: dieser Kommentar von Dr. Anita Idel erschien in der Ausgabe 03/2020 der ÖKOLOGIE&LANDBAU auf den Seiten 48-49. Der Titel ist hier leicht angepasst.

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Fotos: Anita Idel, Katrin Denkewitz

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