Am Anfang steht das Korn

Die deutsche Brotkultur und das handwerkliche Bierbrauen hat die UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt. Doch was trägt dazu bei, dass ein Brot auch nach ein paar Tagen noch frisch und gut schmeckt, ein Bier mit einzigartigen Geschmacksnoten überzeugt? Bei der Online-Verkostung „Getreide fest und flüssig“ von Slow Food waren sich Bäcker*innen und Brauer*innen einig: Gute Produkte brauchen Zeit und Getreidesorten, die regional und möglichst umweltschonend angebaut werden.

Zum Wochenanfang hatte Bäckermeister Heiner Beck mit seinem Team die Laibe gebacken und anschließend von der Schwäbischen Alb quer durch die Republik verschickt. Am Donnerstag kamen die Pakete bei den Teilnehmenden an. Am Freitagabend fand die Online-Verkostung von Slow Food Deutschland zum Thema „Getreide fest und flüssig“ dann statt – und so mancher der über 1.000 Teilnehmenden wunderte sich, wie angenehm frisch die vier verschiedenen Brote noch schmeckten.

Das liege an der Teigführung, erklärte Beck: „Wenn ein Brot Zeit gehabt hat, lange zu gehen, kann es Wasser aufnehmen und binden.“ Die Teigruhe ist dem „Bäckermeister aus Leidenschaft“ wichtig. Ebenso viel Wert legt er darauf, hauptsächlich regionale Zutaten zu verarbeiten: „Ich schau immer, dass ich das von der Schwäbischen Alb irgendwie zusammen bringe.“ Sein Netzwerk von Landwirt*innen und Müller*innen, die ihn beliefern, hat sich Beck im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgebaut. „Dinkel wurde hier in unserer Gegend eigentlich traditionell angebaut, irgendwann aber vom ertragsstärkeren Weizen verdrängt.“ Anfang der 1990er Jahre hat Beck dann wieder Bäuer*innen vom Dinkel-Anbau überzeugt. Heute bezieht die Bäckerei mit ihren 20 Filialen nicht nur ihren gesamten Dinkel aus der Region, sondern auch alle anderen Getreidesorten und sogar den Leinsamen.

Die regionalen Gegebenheiten berücksichtigen

Dabei galt die Schwäbische Alb lange als karge und landwirtschaftlich nicht gerade attraktive Gegend. „Wir haben hier eine nur etwa 15 bis 20 Zentimeter dicke Bodenschicht, dann beginnt der kalkige Untergrund“, erklärt der Biolandwirt Franz Häußler. Auch die Höhenlage von 500 bis 800 Metern mache den Anbau schwieriger. Mit Sorten, die sowohl zu den regionalen Gegebenheiten als auch zum ökologischen Landbau passen, sei es trotzdem möglich, gute Erträge zu erzielen. Wichtig sei für die Bäuer*innen aber natürlich, dass sie zuverlässige und faire Abnehmer*innen haben. „Eine gute Kommunikation ist hier ganz wichtig und gehört für mich auch zur Lebensqualität.“

Heiner Beck jedenfalls kennt alle seine Zuliefer*innen und schätzt ihre Arbeit. Auch deshalb hat er sich an der Aktion Boden-Brot beteiligt, die vom Verein Die Freien Bäcker initiiert wurde und von Mitte Januar bis Ende Februar lief. Mit dem Boden-Brot wollen der Verein und die teilnehmenden Bäcker*innen darauf aufmerksam machen, dass eine der grundlegenden Voraussetzungen für ein gutes, gesundes Brot ein fruchtbarer Boden ist. „Doch die Bodenfruchtbarkeit ist in Gefahr – durch den Klimawandel, aber auch durch die zunehmende Versiegelung von Flächen sowie die dramatischen Humusverluste“, warnt Anke Kähler, Vorsitzende der Freien Bäcker. „Es ist wichtig, dass wir die Bäuer*innen auch dafür bezahlen, dass sie durch eine nachhaltige Bewirtschaftung die Bodenfruchtbarkeit erhalten und verbessern.“ Mit jedem verkauften Boden-Brot geht eine Spende an die neu gegründete Bildungsorganisation Atelier Ernährungswende, die interessierte junge Menschen zu Bodenexpert*innen ausbilden soll. Diese werden ihr Wissen dann in Berufsschulen und Betrieben weitergeben.

Neuzüchtungen und alte Sorten

Für sein Boden-Brot hat Heiner Beck eine Mehlmischung aus Dinkel, Weizen und Lichtkornroggen gewählt – letztere ist eine Roggensorte, die zwar neu gezüchtet wurde, sich aber an alten Vorbildern orientiert. Denn früher gab es häufig Roggensorten mit hellen Körnern und milderem Geschmack. Dr. Bertold Heyden, Leiter des Keyserlingk-Instituts für Saatgutforschung und Getreidezüchtung im biologisch-dynamischen Landbau, beschäftigt sich beruflich mit solchen Neuzüchtungen und betont: „Der ökologische Landbau, der eben nicht mit mineralischem Dünger arbeitet, muss sich stärker auf die regionalen Bodengegebenheiten einstellen und braucht deshalb andere Sorten als die konventionelle Landwirtschaft.“

Doch auch alte Sorten erfüllen oft die Erwartungen – und führen zu ganz neuen Geschmackserlebnissen. Braumeister Maximilian Krieger vom Riedenburger Brauhaus stellte ein Bier vor, das aus dem historischen Urgetreide Emmer hergestellt wird. Die alte Weizenart gibt dem unfiltrierten, kastanienbraunen Bier eine malzige Karamellnote. Krieger bezieht nicht nur den Emmer aus der Region, sondern hat auch Hopfenbäuer*innen, die für ihn anbauen. Das Historische Emmerbier ist nur eines aus der Angebotspalette des Riedenburger Brauhauses: „Geschmäcker sind bekanntlich unterschiedlich, und das ist auch gut so.“ Eines ist für Maximilian Krieger aber nicht verhandelbar: Seine Rohstoffe kommen allesamt aus biologischem Anbau. Und mittlerweile alle aus der Region rund um das niederbayrische Altmühltal: „Wir arbeiten mit rund 35 Bäuer*innen zusammen, sind an kontinuierlichen Beziehungen interessiert und zahlen gute Preise.“

Viel Zeit ist auch beim Bier gut für den Geschmack

Auch der Inhaber der Berg-Brauerei in Ehingen, Uli Zimmermann, setzt zu 100 Prozent auf Braugetreide aus der näheren Umgebung. Der Braumeister präsentierte ein 3-Korn-Hefeweizen aus Weizen-, Gersten- und Dinkelmalz, das mit einem weichen, fruchtigen Geschmack überraschte. „Vor etwa 40 Jahren ging es unserer Brauerei schlecht und wir mussten überlegen, wie wir weitermachen. Die Idee war dann, Biere jenseits des Mainstreams zu brauen. Heute klingt das logisch, damals nicht unbedingt.“ Vieles hat sich seitdem verändert, an einigen alten Brautraditionen hat Zimmermann aber festgehalten. So werden alle Biere der Berg-Brauerei in offenen Bottichen vergoren: „Das dauert zwar länger als ein herkömmlicher Brauvorgang, tut dem Bier aber gut“, erklärt Zimmermann. Denn viel Zeit sei gut für den Geschmack: „Das gilt beim Bier genauso wie beim Brot.“

Anders als Zimmermann und Krieger, deren Brauereien seit vielen Generationen im Familienbesitz und -betrieb sind, hat Felix vom Endt erst vor vier Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht und die kleine Craft Beer Brauerei Orca Brau in Nürnberg gegründet. Vom Endt produziert derzeit „nur“ 500 bis 800 Hektoliter jährlich, dafür aber 150 bis 160 Sorten. Er experimentiere eben gerne beim Brauen: „Orca Brau versteht sich als handwerklich und traditionell, aber auch als innovativ. Das eine schließt das andere nicht aus.“ Der Geschmack gehe dabei „von einfach bis fordernd“. Das untergärige Fränkische Landbier von Orca Brau war weder das eine noch das andere Extrem – aber mit seinem Malz der fränkischen Landgerste und dem vor Ort angebauten Hopfen ein Beispiel dafür, dass auch junge Brauer*innen wie vom Endt sich der Regionalität verpflichtet fühlen.

Autorin: Birgit Schumacher

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