Landwirtschaft mit Zukunft: Themenwoche gegen Pestizide

19.03.2020 - Vom 20. bis 30. März findet die 15. Pestizid-Themenwoche statt, um ein Bewusstsein für die Gefahren zu schaffen, die der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft für Mensch, Tier und Umwelt birgt. Aufgrund des Coronavirus wird die Aktionswoche diesmal hauptsächlich online begleitet. Seit über 20 Jahren arbeitet die französische Organisation „Générations Futures“ zu diesem Thema und legt verursachte Schäden offen. Jedes Jahr ruft sie Landwirt*innen, Organisationen, Verbraucher*innen und institutionelle Akteur*innen dazu auf, sich Ende März gemeinsam dieses Themas anzunehmen. Auch Slow Food gehört zu den Partner*innen.

Herbizide_Bild_zefe_wu_Pixabay.jpgDas Thema Pestizide ist hoch aktuell in Europa, man denke allein an den mit rasantem Tempo voranschreitenden Biodiversitätsverlust sowie den Verlust an Insektenpopulationen. Auf der politischen Agenda ist das Thema ebenfalls von höchster Brisanz: im April plant die Europäische Kommission, ihre „Farm to Fork"-Strategie zu veröffentlichen, d.h. den Teil des Green Deal, der es der EU ermöglichen soll, reale Fortschritte im Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu machen und den großen Herausforderungen, vor denen unsere Ernährungssysteme stehen, zu begegnen. Es wird interessant sein zu sehen, wie viel Raum der – wenn auch schrittweisen – Aussetzung von Pestiziden gewährt wird und welche Maßnahmen geplant werden, um den Übergang der europäischen Landwirtschaft zu nachhaltigeren Anbausystemen wie dem agrarökologischen Ansatz sicherzustellen.

Pestizideinsatz: Status quo in der EU

Der Europäische Rechnungshof hat den Bericht „Nachhaltige Nutzung von Pflanzenschutzmitteln: begrenzte Fortschritte bei der Messung und Verringerung von Risiken" veröffentlicht und überprüft, ob die im Bereich Landwirtschaft festgelegten Maßnahmen der EU sich positiv ausgewirkt haben. Das Ergebnis fiel negativ aus. Zum Beispiel haben nicht alle EU-Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht festgeschrieben, dass die Landwirt*innen integrierten Pflanzenschutz anwenden müssen (eine Kombination von Verfahren, bei denen unter vorrangiger Berücksichtigung biologischer, biotechnischer, pflanzenzüchterischer sowie anbau- und kulturtechnischer Maßnahmen die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß beschränkt wird). Darüber hinaus gebe es keine Anreize für Landwirt*innen, den Einsatz und ihre Abhängigkeit von Pestiziden zu verringern. Der EU Rechnungshof wies auch darauf hin, dass die Anwendung des integrierten Pflanzenschutzes nicht als Bedingung für den Erhalt von Agrarsubventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgesehen ist. Der europäische Gerichtshof hat ferner aufgedeckt, dass die von der Kommission (Eurostat) veröffentlichten Statistiken über einzelne Wirkstoffe und ihre Verwendung nicht detailliert genug und somit nicht wirklich nützlich SIND. Die Datenlage und Informationen für die EU-Mitgliedsstaaten sind demnach höchst unzureichend.

Pestizidkonzerne wehren sich mit Händen und Füßen

Ackergiftkonzerne wie Bayer-Monsanto, BASF und Syngenta sowie die Regierungen der Vereinigten Staaten und Kanadas wehren sich mit Händen und Füßen gegen europäische Vorschriften gegen Pflanzenschutzmittel wie Pestizide, Herbizide und Insektizide, und das bislang mit Erfolg. Sie wollen sie den finanziellen Gewinn durch einen eingeschränkten Handel mit der EU nicht entgehen lassen. So wird mit Zöllen gedroht, um die EU von der Umsetzung eines Verbots von Ackergiften wie Pestiziden abzuhalten. Die Verhandlungen sind aktuell in vollem Gange.

Glücklicherweise hat auch die wissenschaftliche Gemeinschaft Stellung zu diesem wichtigen Thema bezogen: 24 Forschungsinstitute aus 16 europäischen Ländern gaben diesen Februar während der Internationalen Landwirtschaftsausstellung in Paris eine Erklärung ab, in der sie feststellten, dass „eine starke Nachfrage von öffentlichen Behörden, landwirtschaftlichen Fachleuten und der Gesellschaft in ganz Europa eine gemeinsame Forschungsanstrengung zur Beschleunigung des Übergangs zur Agrarökologie vorangetrieben hat". Um sich der gegenwärtigen Herausforderung zu stellen, haben sie die gemeinsame Absichtserklärung „Auf dem Weg in eine chemiefreie Landwirtschaft" veröffentlicht, in der vorgeschlagen wird, die Art und Weise, wie Forschung betrieben wird, zu überdenken und für Europa neue gemeinsame Strategien zu entwickeln.

EU-Bürgerinitiative Bienen und Bauern retten

Die Pestizid-Aktionswoche reiht sich ein in die Forderungen der aktuell laufenden EU-Bürgerinitiative
Bienen und Bauern retten, die von 90 europäischen Organisationen - darunter Slow Food - aus 17 Ländern unterstützt wird. Bei der Initiative geht es um die Umstellung auf eine zukunftsfähige und somit bienen- und insektenfreundliche Landwirtschaft, denn aktuell steht die industrielle Landwirtschaft mit ihrem hohen Pestizideinsatz in direktem Zusammenhang mit dem Artensterben und vor allem dem Kollaps von Bienenbeständen und anderen für die Lebensmittelproduktion bedeutungsvollen Bestäubern.

Die Kampagne fordert, folgende Maßnahmen in der EU gesetzlich zu verankern:

1. Schrittweiser Ausstieg aus synthetischen Pestiziden

Der Einsatz synthetischer Pestizide in der EU-Landwirtschaft soll bis 2030 um 80% reduziert werden. Bis 2035 sollen die EU-Mitgliedstaaten komplett pestizidfrei sein.

2. Maßnahmen zur Erholung der Biodiversität

Biotopflächen sollen wiederbelebt und landwirtschaftliche Flächen so gestaltet werden, dass sie die Artenvielfalt fördern.

3. Unterstützung von Bäuer*innen

Die Landwirt*innen müssen beim notwendigen Übergang zur Agrarökologie unterstützt werden. Kleinteilige, vielfältige und nachhaltige landwirtschaftliche Strukturen sollen unterstützt, der Ökolandbau ausgebaut sowie die Forschung zu pestizid- und gentechnikfreiem Anbau gefördert werden.

Ihre Unterschrift für die Kampagne Bienen und Bauern retten

Ziel der Initiative ist es, bis September 2020 eine Million Unterschriften von EU-Bürger*innen zu sammeln und diese der EU zu übergeben. Ferner sind die EU-Kommission und das EU-Parlament dazu verpflichtet, die Forderungen der Initiative gesetzlich umzusetzen. Seit den Anfängen der Organisation macht sich Slow Food mit Projekten wie der Arche des Geschmacks für den Erhalt der biokulturellen Vielfalt stark und fordert die Beendigung des Einsatzes von bienen- und umweltschädlichen Pestiziden und dem damit verbundenen Biodiversitätsverlust. Unter dem Motto #EchteVielfalt stellt Slow Food Deutschland das Thema Biokulturelle Vielfalt 2020 als Jahresthema ins Zentrum des Vereinsgeschehens, inhaltlich und auch im Hinblick auf Aktionen und Events.

Jetzt die Kampagne unterschreiben: https://www.slowfood.com/de/save-bees-farmers/

Was unternimmt Europa für den Bienen- und Insektenschutz?

Obwohl bekannt ist, dass wir Bienen und andere Bestäuber zur Bestäubung von Kulturpflanzen brauchen und auch die Biodiversität für die Ernährungssicherung und -souveränität zu erhalten ist, geschieht zu wenig, um deren Verlust aufzuhalten. Und das, obwohl ganz eindeutig ist, dass Ackergifte wie Pestizide, Herbizide und Insektizide der Ernährungs- und Artenvielfalt schaden. In Europa wurde die Verwendung einiger Neonikotinoide verboten: solche, für die es reichlich Beweise für ihre Toxizität für die Bestäuber gibt. Diese Maßnahmen sind jedoch unzureichend, da das derzeitige System der Risikobewertung auf der Sterblichkeit erwachsener Bienen basiert. Aber, wie die Forschung gezeigt hat, provozieren die gesetzlich erlaubten Dosen dieser Insektizide einen Orientierungsverlust und gefährden das Immun- und Reproduktionssystem der Bienen. Ferner können diese Auswirkungen über Generationen weitergegeben werden, da sich die Larven, die auf kontaminierten Pollen aufgezogen werden, nicht richtig entwickeln, was zum Zusammenbruch von Bienenvölkern führen kann. Es liegt also noch ein weiter Weg vor uns. Das zeigt, warum wir uns basisdemokratisch organisieren müssen und mit Initiativen wie der EU-Bürgerinitiative Druck auf EU-Entscheidungsträger*innen ausüben müssen.

Mehr Informationen zum Slow-Food-Deutschland-Jahresthema #EchteVielfalt:

https://www.slowfood.de/was-wir-tun/2020-jahresthemen/echtevielfalt

Mehr Informationen zur Pestizid Aktionswoche:

http://www.pesticideactionweek.org/

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