„Fairness ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess“

Wie gestalten wir eine faire Landwirtschaft für Mensch, Tier und Umwelt? Und wie beziehen wir dabei auch die Menschen aus anderen Weltregionen mit ein? Darüber spricht Sven Prange mit dem Umwelt- und Entwicklungsexperten Jürgen Maier.

Jürgen Maier_(c) Stephanie Becker.jpgHerr Maier, wie fair geht es in der Landwirtschaft zu?

Jürgen Maier: Was ist denn fair? Ich glaube, wir müssen uns zunächst über die Definition von Fairness unterhalten. Da sind in der Vergangenheit viele Fehler gemacht worden, weil Fairness vor allem als freiwillige Leistung gesehen wurde. Wenn man dabei bleibt, wird Fairness nie aus der Nische herauskommen – dann bleibt die Wirtschaft und damit auch die Art, wie wir Lebensmittel erzeugen, in der Breite unfair.

Es gibt kein faires Leben in einem unfairen System?

Nehmen wir die Landwirtschaft, wo Landwirte sich flächendeckend über unfaire Preise beklagen, auch im Bio-Bereich. Demgegenüber stehen aber genauso viele Konsumenten, die sagen: Von meinem Gehalt kann ich mir keine höheren Lebensmittelpreise leisten. Wir haben in Deutschland den größten Niedriglohnsektor in Europa. Das setzt ja voraus, dass diese Menschen durch ihren Konsum auch andere Menschen wieder im Preis drücken.

Niedrige Preise ermöglichen also soziale Teilhabe?

Wir leben in einer Wirtschaftsweise, in der wir alle an einem Punkt unfair handeln müssen. Die mies bezahlte Krankenschwester ist dann quasi gezwungen, den Bauern auszubeuten, weil sie sich nur Billiglebensmittel leisten kann. Der wiederum muss dann die Krankenschwester ausbeuten, weil er sich höhere Krankenkassenbeiträge nicht leisten könnte.

Und die Landwirt*innen haben zusätzlich Angst, durch Dumpingangebote aus ärmeren Weltgegenden, in denen Landwirt*innen noch billiger arbeiten, unterboten zu werden.

Und daran sieht man: Wir können die Fairness-Probleme in der Landwirtschaft weder isoliert noch ausschließlich auf freiwilliger Basis lösen. Es ist nur systemisch lösbar. In einem Wirtschaftssystem, das die globale Konkurrenz Aller gegen Alle zum Prinzip hat, setzen sich immer die durch, die am brutalsten die Preise drücken.

Dadurch wird das Problem so groß, dass der Einzelne sich aus der Lösung zurückziehen kann.

Das ist natürlich nicht meine Botschaft. Jeder Einzelne kann im Sinne von fairem Handel und Bio-Landwirtschaft die Lage erheblich verbessern und das Gewissen beruhigen. Ich mach das ja auch. Aber das Problem wird nicht allein dadurch gelöst, dass 100 Prozent der Konsumenten freiwillig faire Preise bezahlen. Das werden nie 100 Prozent sein und sein können.

Und nun?

Man muss die Politik mit dem Einkaufskorb fortsetzen, aber sie darf nicht das einzige Mittel sein. Wir haben es mit Marktstrukturen zu tun, die politisch in eine Richtung gelenkt wurden und die man nun in eine andere Richtung regulieren muss, wenn man mehr Fairness durchsetzen will.

Wenn wir Europäer*innen alle nur noch ein Mal die Woche Fleisch essen würden und den Rest der Tage Hülsenfrüchte, würde sich automatisch etwas ändern: Es gäbe keine Nachfrage mehr nach Billigfleisch aus der Industrie, die wiederum hätte dann keinen Bedarf mehr an billigem Sojafutter aus dem Regenwald. Wo keine Nachfrage, da auch keine Produktion.

Weniger Fleisch zu essen, ist immer gesünder. Aber dieser geringere Konsum muss politisch flankiert werden. Wir haben in den letzten Jahren ja schon eine Situation gehabt, wo der inländische Fleischkonsum gesunken, die Fleischproduktion aber gestiegen ist – weil es den meisten Fleischproduzenten egal ist, ob sie nach Deutschland oder nach China verkaufen. Wir müssen deswegen auch die Massentierhaltung politisch zurückdrängen, Tierhaltung damit stärker am Tierwohl orientieren und das bedeutet, sie wird auch teurer. Aber dann darf es keinen ruinösen Wettbewerb mit Importen zum Dumpingpreis geben und der Weltmarkt darf nicht länger der Maßstab aller Dinge sein. Wir brauchen keinen Weltmarkt für Schweinehälften.

Also müssen wir erst Einigkeit auf der Welt erzielen, bevor es Besserung gibt. Das Problem wird immer größer…

Da würde ich widersprechen. Im Konsens ist die Welt noch nie verändert worden. Auch die Globalisierung, sehen wir gerade, lässt sich wieder zurückdrehen. Warum soll das beim Wirtschaftssystem nicht so gehen? Wenn die Deutschen oder die EU hergeht und sagen, wir wollen bestimmte Standards schützen, geht das. Beim Stahl und dem CO2-Schutzring zeigt die EU es ja gerade. Da sollen künftig durch Klima-Zölle Stahlhersteller geschützt werden, damit sie in Europa emissionsarm Stahl herstellen können.

Europa soll sich abschotten?

Nicht abschotten, aber seine Standards verbessern und schützen. Warum ist europäische Milch in Afrika auf dem Markt? Sowohl die afrikanischen wie die europäischen Milchbauern wären doch besser dran, wenn sie sich vor dem Diktat der Weltmarktpreise schützen könnten. Dazu gehört, dass Dumping kein Wettbewerbsvorteil mehr sein kann. Dafür brauchen wir Standards. Wie fair das dann im Anschluss ist, sei mal dahingestellt. Aber es wäre fairer als heute.

Wie vermeiden wir, dass wir alle Produzent*innen außerhalb der Insel Europa dann ausschließen?

Es geht nicht darum, Premiumprodukte aus dem Ausland zu verbieten. Aber wenn wir eine fairere Landwirtschaft in der Welt haben wollen, dürfen wir zumindest die Massenprodukte unserer Ernährung nicht billig importieren. Dadurch entstehen ja die meisten Fairnessprobleme im Nord-Süd-Verhältnis.

Womöglich sehen das die brasilianischen Landarbeiter*innen, die vom Sojaanbau für die europäische Fleischindustrie leben, zunächst etwas anders.

Fairness ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess. Und dabei kann auch herauskommen, dass Menschen aus anderen Gegenden unter Umständen andere Prioritäten haben, was sie als fair beurteilen. Das fängt ja schon bei Kleinigkeiten an: Nicht alle Erzeuger in südlichen Ländern wollen sich durch feste Preise langfristig binden. Manche setzen freiwillig darauf, dass Preise auch mal schnell und deutlich steigen können. Andere dagegen wollen vor allem Sicherheit. Der Begriff Fairness ist schillernd. Wenn alle am Aushandlungsprozess gleichberechtigt beteiligt sind, kommt natürlich ein Kompromiss dabei heraus.

Dafür muss aber der Prozess zumindest stattfinden.

Und vor allem muss er auf Augenhöhe stattfinden. Da glaube ich schon, dass wir mit dem etwa vagen Begriff Fairness nur so umgehen können, dass wir ihn im Widerstreit der Interessen aushandeln. Das kann natürlich nicht Politik alleine machen, dafür braucht es die entsprechenden Handlungsentscheidungen jedes Einzelnen und eine deutlich wahrnehmbare, organisierte Zivilgesellschaft. 

Jürgen Maier ist Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung.

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