Wegwerfgesellschaft Deutschland

17.4.2011 - In Deutschland werden jährlich 15 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Oder anders ausgedrückt: Das Leben im Überfluss erlaubt den deutschen Haushalten, Essbares im Wert von 20 Milliarden Euro in den Müll zu kippen – was dem Jahresumsatz von Aldi entspricht. Die Folgen der Wegwerfgesellschaft waren ein zentrales Thema der Slow Food Veranstaltungen auf der Messe in Stuttgart vom 14. bis 17. April.
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Allein das Essen, das in Europa weggeworfen wird, würde ausreichen, um damit die Menschen weltweit zwei Mal zu versorgen, berichtete der Filmemacher Valentin Thurn („TASTE THE WASTE“).

Besonders betroffen von der bitteren Aktion „Frisch auf den Müll“ ist der Einzelhandel. „Mehr als ein Prozent vom Netto-Verkaufswert sind bei uns nicht mehr verkaufbar“, erklärte Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute.

Ein großes Problem, auch in der Gastronomie. „Viele Gäste essen mehr mit den Augen als mit dem Mund“, beklagte Alf Wagenzink, Küchendirektor des Hotels Intercontinental in Berlin. Es sei schon bitter, mit ansehen zu müssen, wie oft die Hälfte von Büffets, sei es beim Frühstück oder bei Veranstaltungen, weggeworfen werden. Hinzu kommen Abfälle beim Zubereiten („beim Putzen von Gemüse bleibt oft nur ein Drittel übrig“). Für die Gastronomie ein großes Problem, denn Speisereste dürfen nicht mehr an Tiere verfüttert werden, sondern müssen teuer entsorgt werden.

Wagenzink und seine Mitarbeiter offerieren ihren Gäste deshalb nicht mehr riesige Frühstücksplatten mit Wurst und Käse, die schnell antrocknen, sondern servieren „on the spot“ – Wurst und Käse werden live geschnitten und portioniert, so dass weniger im Müll landet.

Auch Bäckermeister Roland Schüren aus Hilden hat einen Weg gefunden, hart gewordene Backwaren, die nicht mehr verkauft werden können, zu verwenden. „Wir heizen mit Brot“, erklärte Schüren. Allerdings nur mit steinharten Produkten, denn die Verwertung geschieht in mehreren Stufen: Zunächst wird Brot am nächsten Tag günstiger angeboten. Auch Tafeln holen Brot ab. „Allerdings ist dort der Bedarf nicht so groß wie das Angebot“, weiß Schüren. Deshalb heizt er seinen Backofen mit 70 Prozent Holzpellets und 30 Prozent Restware. Der Heizwert sei sehr hoch.

Die Lebensmittelverschwendung geht zu Lasten der Konsumenten. „Wenn wir mehr Waren kaufen, steigen die Preise“, sagte Valentin Thurn. Außerdem kritisiert der Filmemacher: „Die Verbraucher erkennen die Qualität nicht mehr. Deshalb fordert er vehement die Einführung des Fachs Ernährung an den Schulen, um sinnliche Erfahrungen zu bekommen. Auch Küchenchef Alf Wagenzink ist der Meinung, dass Geschmack „aggressiv geschult“ werden muss. Das Berliner Interconti geht mit gutem Beispiel voran: Dort verteilen so genannte Apfel-Boys an Hotel-Gäste Äpfel alter Sorten. Auch mit Kochkursen für Kinder werde versucht, Defizite auszugleichen. „Was Kinder über Lebensmittel wissen, ist teilweise entsetzlich“, kritisiert Wagenzink.

Um der Verschwendung von Lebensmitteln entgegen zu steuern, wurde jetzt am Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart, ein Forschungsprojekt eingerichtet. Gerold Hafner will mit Wissenschaftlern aus anderen nordwesteuropäischen Ländern versuchen, Deutschland zu einer Muster-Region im Kampf gegen die Wegwerfmentalität zu machen. Auch der Einzelhandel steuert dem Wegwerfen entgegen – so sollen z.B. faule Orangen aus Netzen entsorgt und der brauchbare Rest der Früchte zu Saft oder Obstsalat verwertet werden.

Valentin Thurn wies auch auf alte Konservierungsmöglichen von Lebensmittel hin, beispielsweise Karotten stehend in Sand zu lagern oder Äpfel mit Kartoffeln zu lagern, damit die Kartoffeln nicht keimen.

Foto:  Auf der Slow Food Messe lief der Film "Taste the Waste" in der VIP-Lounge im Preview vor dem Kinostart. Regisseur Valentin Thurn diskutierte auf der Forumsbühne in Halle 2 über das Thema "Wegwerfgesellschaft Deutschland." | Katharina Heuberger

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