Wertschätzung

"Wertschätzung darf nicht beim Filet aufhören"

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17.4.2011 - Expertenforum auf der Slow Food Messe in Stuttgart: Unter dem Motto "Vergessenes und wenig Geschätztes - Genießen und Verantwortung übernehmen" führten Fachleute und Praktiker am Freitag, dem 15. April, eine Podiumsdiskussion zur fatalen Wegwerfpraxis in der deutschen Lebensmittelwirtschaft. 

Die Wertschätzung darf nicht beim Filet aufhören. „Wir müssen Tiere als Ganzes wertschätzen“, sagte Stephan Johnigk vom Verein Provieh gegen tierquälerische Massentierhaltung, am Freitag auf der Slow Food Messe in Stuttgart. So müsse man beispielsweise bei der Putenhaltung von der Konzentration auf schnellwüchsige, großbrüstige Tiere endlich wegkommen, da dies sonst auch zum Artensterben führe, sagte Johnigk in der Diskussionsrunde „Vergessenes und wenig Geschätztes – Genießen und Verantwortung übernehmen“.

Auch Marcus Wewer vom Thönes natur Verbund (Wachtendonk) forderte dazu auf, wieder wie früher die ganzen Tiere zu verarbeiten. Er erklärte, Rasse, Fütterung und Haltung hätten entscheidenden Einfluss auf die Qualität – „noch mehr aber das Verhältnis zwischen dem Landwirt und seinen Tieren.“ Auf diesem Gebiet liegt nach Ansicht von Johnigk vieles im Argen: „Viele Tiere haben kein schönes Leben – und auch keinen schönen Tod.“ Er forderte die Verbraucher auf, Bauern-Hähne statt Turbo-Hühner zu kaufen.

Die Autorin Sabine Herre („Von Alblämmern und Landgockeln – GenussGeschichten aus Baden-Württemberg“) kennt den geschmacklichen Unterschied. „Der Landgockel aus Mäusdorf ist nicht nur schwerer, sondern hat auch saftigeres Fleisch und einen enorm besseren Geschmack.“ Sie hat die Probe aufs Exempel gemacht und gleichzeitig einen Schlegel vom Landgockel und vom Turbo-Hahn aus der Masthaltung zubereitet. „Der Unterschied war riesengroß.“ Nach Ansicht von Herre braucht ein gutes Produkt einfach Zeit, „egal ob Tier, Käse oder Schinken“.

Da gutes Fleisch nicht zu Schnäppchenpreisen zu haben ist, haben Gastronomen oft Probleme, den Gästen die höheren Preise zu erklärten. „Zehn Prozent unserer Gäste wissen und schätzen, dass wir beste Qualität servieren“, sagte Markus Reinauer, Küchenchef der Jagstmühle in Hohenlohe. Er kaufe und verwerte fast nur noch ganze Tiere, darunter auch das vom Aussterben bedrohte Limpurger Rind. „Die werden drei Mal so alt wie normale Rinder und bekommen natürliches Futter auf der Weide“, berichtete Reinauer.

Aus Sicht von Marcus Wawer gibt es weitere positive Signale. „Biowaren und Biofleisch haben sich prächtig entwickelt.“ Das sei gut so, denn die bürgerliche Küche müsse neu belebt werden. Stephan Johnigk berichtete, dass 20 Prozent der Menschen bereit wären, für Biofleisch mehr Geld auszugeben. Allerdings würden nur 300 000 Schweine in Deutschland artgerecht gehalten und geschlachtet. Für ihn ist es ein Unding und abscheulich, dass „Hähnchenbrustfilet bei uns billiger als Katzenfutter“ zu haben ist.

Markus Reinauer warnte davor, die „Hausfrauenküche in Deutschland aussterben“ zu lassen. Er schätze zum Beispiel die Landfrauen und ihre hausmacher Rezepte als Ratgeber für seine Arbeit als Koch. Auch Reinauer forderte ein Umdenken; so könne er nicht nachvollziehen, dass Ziegenböcke aus Deutschland 3000 Kilometer weit nach Süden transportiert werden, als hierzulande als Lebensmittel genutzt zu werden.

Foto: Leber – eine köstliche Innerei. Oft verschmäht, doch hier weiterverarbeitet zum wohlschmeckenden Knödel auf den Geschmackserlebnissen während der Slow Food Messe | K. Heuberger

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