Genussführer: Dittjes und Dattjes

7.10.2014 - Frischer Fisch vom Kutter und zum Nachtisch einen spektakulären Sonnenuntergang hinter den Nordseedünen. Oder ein plätscherndes Vier-Gänge-Menü auf einem Solarboot auf dem Bodensee. Darf’s ein Rübstiel-Kartoffelstampf an einer langen Tafel in der Kaiserstadt Aachen sein? Einige Highlights aus dem neuen Slow Food Genussführer 2015 aufgetischt von Manfred Kriener.

Dittjes und Dattjes und andere Highlights im neuen Genussführer

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Jetzt liegt er in den Buchhandlungen. 450 Seiten kulinarischer Orientierung mit Restaurant- und Gasthaus-Empfehlungen vom Kap Arkona bis zum Bodensee. Und wie das duftet. Leider nicht nach ausgelassenem Speck und gerösteten Zwiebeln, sondern nach frisch bedrucktem Papier. Jetzt geht der neue Slow Food Genussführer Deutschland 2015 in den Buchhandel und alle sind gespannt, ob sich der spektakuläre Verkaufserfolg des Vorjahres wiederholen wird. Der Auftakt war vielversprechend. Schon in der ersten Woche besetzt das Buch in der Amazon-Rangliste immer wieder Platz eins unter den Reise- und Kulinarik-Führern.

Entdeckungen im kulinarischen Niemandsland

Mit 403 Adressen hat die neue Ausgabe gegenüber den 300 des Vorjahres kräftig zugelegt. Sucht man nach den Highlights des Führers, bleibt man in verschiedenen Regionen hängen, von denen einige vormals noch kulinarisches Niemandsland waren. Zum Beispiel der Bodensee. Niemand hat je bezweifelt, dass auch dort gastronomische Perlen zu finden sind. Jetzt präsentiert das Bodensee-Team von Slow Food gleich elf Adressen im neuen Guide, die sich alle unweit des Seeufers konzentrieren. Unter den elf Empfehlungen befindet sich auch das Restaurant „Grüner Baum“ in dem kleinen Örtchen Moos am Untersee. Das Lokal ist, wie Rainer Liebscher vom Bodensee-Convivium sagt, für seine herausragende Fischküche bekannt. Und tatsächlich gibt es hier den beliebtesten Bodensee-Fisch, das Felchen, in verschiedenen Interpretationen, dazu Kretzer und Hechtklößchen, Lachsforelle und eine legendäre Fischsuppe, die der Gast auch zum Mitnehmen im Henkelmann bestellen kann. Eine weitere Besonderheit des Grünen Baums: das plätschernde Diner auf dem Boot mitten auf dem See als Spezialangebot.

Wandert man auf der Karte ein Stück nach Nordwesten, landet man im Saarland, das jetzt mit einem eigenen Kapitel vertreten ist und nicht mehr mangels Masse mit Rheinland-Pfalz gemeinsam auftreten muss. Zu den Neuen an der Saar gehört auch das „Landhaus im Ostertal Werns Mühle“. Weil der Ort Ottweiler-Fürth nicht gerade im pulsierenden Zentrum des Saarlands liegt, würden wohl nur Eingeweihte und die Wanderer auf dem Premiumwanderweg „Mühlenpfad“ hier einkehren. So steht Werns Mühle für eine besondere Tugend des Genussführers: Der präsentiert immer wieder Adressen jottwede (janz weit draußen), von denen man als Fremder nie etwas erfahren würde. „Markus Keller pflegt hier eine bürgerliche Küche und die aber richtig gut!“ sagt Maria Voss-Peter, die Leiterin des Genussführerteams an der Saar über das abgelegene Ausflugslokal, in dem „mit großer Leidenschaft gekocht wird“.

Eine Trouvaille im tiefen Oberpfälzer Wald

Bleiben wir im Süden. Bayern ist mit mehr als 100 Adressen im neuen Genussführer stark vertreten. Aber auch dort gab es noch weiße Flecken auf der Karte. Jetzt ist einer getilgt. In Schönsee, tief im Oberpfälzer Wald an der Grenze zu Tschechien, liegt das Restaurant „Weiherblasch“. Dort gibt‘s Fisch aus eigener Bio-Aquakultur und fabelhafte Kochkunst zu bestaunen – eine echte Trouvaille. Mit dem Wirt kann man stundenlang über Gott und die Welt und die Qualitäten von Oberschale und Unterschale reden. „Für diese Region ist das schon eine richtig ungewöhnliche und sehr gute Adresse“, sagt Gerhard Tremel von der Slow Food-Gruppe Nürnberg. Tremel, der den Text zu Weiherblasch geschrieben hat, ist einer von mehr als 100 Autorinnen und Autoren des neuen Genussführers.

Kichererbsenfritten aus der Kaiserstadt

Wenn wir im Westen der Republik einige hundert Kilometer nach Norden vorrücken, erreichen wir Aachen. Hier hat sich eine neue Genussführergruppe gebildet, die auch gleich ein Lokal für den Genussführer 2015 beisteuert: die „Kochnische“. Petra und Tom Emonts sind eigentlich auf Catering spezialisiert, sie öffnen ihr Restaurant deshalb leider nur jeden Donnerstagabend, bieten dann aber ein echtes kulinarisches Erlebnis für 18 Gäste an einer großen langen Tafel. Schon mal Kichererbsenfritten und Rübstiel-Kartoffelstampf probiert? Von Aachen wäre es nicht allzu weit nach Bochum. Dort gibt es mit dem Restaurant „Zum Neuling“ in der Neulingstraße des Bochumer Stadtteils „Neuling“ einen echten Neuling im Führer. Jenseits aller Kalauer wird handwerklich tiptopp gekocht: Pfefferpotthast, Reibekuchen und als Nachtisch natürlich eine Creme vom Pumpernickel.

Speisen mit Blick auf Leuchtturm und Nordsee

Endlich ist Slow Food reif für die Insel. Genauer: für Nord- und Ostfriesland. In Norddorf auf der Insel Amrum liegt das Restaurant „De Strunluuker“. Das Haus befindet sich oberhalb der Dünen am Strandübergang mit einem hinreißenden Blick auf Leuchtturm und Nordsee. Im Restaurant gibt’s „Sachen zum Fuddern, wenn’s draußen lausich kalt is.“ Inselbauern und Fischer tun sich mit der Belieferung noch etwas schwer, aber die regionale norddeutsche Küche von Volker Vietmeier ist nicht nur wegen der legendären Sonnenuntergänge einen Besuch wert. Genuss und Seeblick auch im „Seekrug“ auf Langeoog mit phänomenaler Aussicht über Dünen und Meer. Auf der Ostfriesenkarte des Hauses finden wir unter anderem: Langeooger Hagebuttensauce, eingelegte Dittjes und Dattjes, gegrillten Fisch frisch vom Kutter und Schmorbraten vom Bioochsen. Die Überfahrt mit der Fähre zum Inselschmaus dürfte sich lohnen.

Keine Angst: Es gibt kein Schnitzel vom Kuheuter

Von Friesland nach Berlin – ein großer Sprung. Zu recht hatten viele Leser des Genussführers bitter beklagt, dass ausgerechnet die Hauptstadt einen großen weißen Fleck auf der Landkarte bildete und bisher nicht im Genussführer vertreten war. Jetzt gibt es vier Berliner Lokale im neuen Guide und im Convivium lebhafte Debatten darüber, was eigentlich heute Berliner Küche ist. Die Einflüsse sind bunt und vielfältig: türkische Küche, polnische Küche, jüdische Küche, brandenburgische Küche, schlesische Küche und manches mehr. Ein uraltes Berliner Gericht ist das „Berliner Schnitzel“ – ein gekochtes, anschließend paniertes und ausgebackenes Stück vom Kuheuter. Kann man das heute noch einem Gast anbieten? Keine Angst: In den vier empfohlenen Berliner Lokalen gibt es weder Wiener noch Berliner Schnitzel, dafür aber gute deutsche Küche mit regionalem Einschlag, beliefert von vielen Erzeugern aus dem Brandenburger Umland.

Wenn ein Slow-Food-Aktivist kocht

Unter den ostdeutschen Bundesländern überzeugt Mecklenburg-Vorpommern mit fünf neuen Einträgen. Aber was passiert, wenn der Leiter der Slow-Food-Gruppe selbst ein Restaurant aufmacht? Wenn es gut ist, landet es im Genussführer und wird von einem anderen Convivium bewertet. Im Fall von „Tilmann Hahn’s Gasthaus“ im mecklenburgischen Kühlungsborn musste die Hamburger Gruppe zum Testessen ausrücken. Hahn steht als Slow-Food-Aktivist unter besonders strenger Beobachtung. Sein neues Gasthaus hat es inzwischen bis auf die Gastronomieseiten des Berliner Tagesspiegels geschafft – mit besten Haltungsnoten. Carpaccio vom Müritzstör mit gepulten Krabben, roten Zwiebeln und Zitronensauce? Tillmann Hahn kocht genau sowas und manches andere an einem behaglichen Ort.

Es gäbe viele andere lohnende Adressen, die es verdient hätten, hier als Highlight des neuen Genussführers beschrieben zu werden: etwa das „Gasthaus Preztsch“ als erstes Lokal im Weinbaugebiet Saale-Unstrut oder das Restaurant „Chardonnay“ in der VW-Autostadt. Die Leserinnen und Leser werden ihre eigenen Favoriten finden, wobei den 126 neuen Gaststätten und Restaurants 277 bewährte Adressen gegenüber stehen, die es zum zweiten Mal in den Führer geschafft haben.

Text: Manfred Kriener

Mehr Informationen:
Publikationen: Slow Food Deutschland Genussführer 2015

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