Genuss macht Schule: Food Policy im Alltag

20.9.2017 -  Am 13. September fand in Hannover das 33. Herrenhäuser Forum Mensch – Natur – Technik der VolkswagenStiftung zum Thema „Genuss macht Schule – Food Policy im Lernalltag“ statt. Ausgerichtet wurde die Veranstaltung in Kooperation mit Slow Food Deutschland und Slow Food Hannover. Unter den Diskutanten befanden sich die Slow-Food-Vertreter Lotte Rose (Frankfurt University of Applied Sciences) und Friedrich Soretz (Organisationsberater mit Schwerpunkt Kindergarten und Schule). Ein Bericht von Sharon Sheets, Slow Food Deutschland.

Genuss macht Schule: Food Policy im Lernalltag

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Eine Veranstaltung zum Thema Schulverpflegung mag für viele zunächst nicht sehr inspirierend klingen. Das Thema ist allerdings von höchster gesellschaftlicher Relevanz, wenn man bedenkt, dass die meisten Kinder heutzutage ihr Mittagessen in der KiTa oder Schule zu sich nehmen: Zwei Drittel aller Vorschulkinder, die eine KiTa besuchen, haben 2013 ihr Mittagessen dort erhalten. Das sind über 1,3 Millionen Kinder in Deutschland. Die Zahlen sprechen für sich: Unsere Kinder, Enkel, Neffen oder Patenkinder sind von der Ernährungssituation in Kindertagesstätten und Schulen betroffen. Und wer möchte nicht das Beste für den Nachwuchs?

Als Einführung zur Veranstaltung sprach Katja Ebeling von der VolkswagenStiftung über die wichtige Rolle, die der Schule heute als Ernährer zukommt: „Über viele Jahre war das Zuhause der zentrale Ort der Essensversorgung unserer Kinder. Inzwischen übernehmen vor allem am Mittag Kindergärten und Ganztagsschulen diese Grundversorgung. Die öffentliche Hand schlüpft zunehmend in die Rolle des ‚Nährers‘ von Kindern und Jugendlichen. Dies geschieht in einer Zeit, in der ein Umdenken und ein Richtungswechsel in der Ernährungspolitik sowie in der Lebensmittelwirtschaft und im Konsum angesichts fortschreitender Krisen unabdingbar ist. Anders wird es keine Lösungen für drängende Krisenherde wie den Klimawandel, seine weitgreifenden Folgen für Mensch und Umwelt, die Massentierhaltung sowie die Nahrungsmittelüberproduktion auf der einen und Hungerkatastrophen auf der anderen Seite geben,“ so Ebeling.

Bild oben: Einschulung. Für viele Kinder der Moment, in dem nicht mehr die Eltern das Mittagessen für sie zubereiten. | © Katharina Heuberger

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Interessenskonflikte in der Gemeinschaftsverpflegung

In den Impulsvorträgen von Lotte Rose (im Bild) und Katja Schneider (Vernetzungsstelle Schulverpflegung Hessen) wurde deutlich, dass Schulverpflegung ein Ort von Interessenskonflikten ist. Anliegen der Eltern, der Schülerinnen und Schüler, der pädagogischen Institutionen und des Staates stoßen aufeinander und sind nicht deckungsgleich. Erfolgreiche Gemeinschaftsverpflegung hat zwischen diesen Interessensgegensätzen auszubalancieren. Eine wichtige Rolle spielen hier die Beratungsleistungen der Vernetzungsstellen für Kita- und Schulverpflegung in den Bundesländern.

Rose zeichnete nach, dass aus der Perspektive der Erwachsenen und Institutionen Gesundheit, Geld und Pragmatismus die dominanten Leitfiguren der Gemeinschaftsverpflegung sind, während Kinder und Jugendliche das Essen vor allem für Beziehungsverhandlungen, Abgrenzungen und Spiele nutzen. Sie machte auch deutlich, dass die Verpflegungspraxis der jüngeren Kinder zentral von der Idee der Erziehungsbedürftigkeit getragen ist, was zu vielen Gängelungen der kleinen Esser führt. Für die Älteren setzt sich im Mensa-Modell dann die Idee des autonomen Konsumenten durch, der sein Essen selbst bestimmen darf.

Charakteristisch ist zudem eine spezifische pädagogische Paradoxie des Essens in pädagogischen Einrichtungen. Ernährungsbildung will junge Menschen befähigen, die eigene Ernährung politisch mündig, sozial verantwortlich und demokratisch teilhabend unter komplexen gesellschaftlichen Bedingungen zu gestalten. Doch KiTa und Schule realisieren diese Leitfiguren nicht selbst tagtäglich bei ihrer Verpflegung, sondern sie organisieren diese vor allem paternalistisch und pragmatisch. Wo können sich Schülerinnen und Schüler beim Mittagessen z.B. politisch mündig, sozial verantwortlich und demokratisch teilhabend zeigen? So bleiben die Lernziele der Ernährungsbildung letztlich hohl.

„Meine Zukunftsvision ist, die Schnittmenge zwischen den Anliegen der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung und der täglichen Ernährung zu vergrößern. So kann das Mittagessen zu einem ‚Vehikel‘ der Modernisierung von Bildungsinstitutionen werden, in denen im profanen Alltag des täglichen Lebens gelernt wird statt Lernen in Unterrichtsfächer zu pressen“, so Rose zur Reformbedürftigkeit der Gemeinschaftsverpflegung in KiTa und Schule.

Bild oben: Lotte Rose, Professorin an der Frankfurt University of Applied Sciences, Mitglied der Kinderkommission von Slow Food Deutschland und Verfasserin des Slow-Food-Positionspapiers zur Verpflegung in KiTas und Schulen. | © Sharon Sheets

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Bildungsauftrag und Verpflegung verbinden

In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es darum, den Blick auf aktuelle Praktiken der Schulverpflegung und ihre Problemfelder zu richten. Es diskutierten Rose, Soretz, Schneider und Rita Maria Rzyski, Schuldezernentin der Stadt Hannover. Dabei wurden Möglichkeiten der Partizipation thematisiert. „Damit die Diskrepanz zwischen Kopf, Herz und Hand verringert wird, sollten Kinder mehr in der Produktion des Schulessens eingebunden werden. Damit steigt automatisch die Identifikation mit dem, was serviert wird, und Kinder sind eher gewillt in der Schule zu essen. Die Gemeinschaftsverpflegung muss deshalb Wege finden, Kinder mitbestimmen, mitorganisieren und selbst produzieren zu lassen,“ so Soretz.

Einigkeit herrschte darüber, dem Essen in pädagogischen Einrichtungen als Lebens- und Lernraum mehr Gewicht zu verleihen. Soretz und Rose forderten hier eine ganzheitliche Ernährungsbildung in der Schule, die mit den Zielen der Bildung für nachhaltige Entwicklung bereits beim Mittagsessen ernst macht und versucht, Themen des Essens und der Ernährungspolitik fächerübergreifend in den Unterricht zu integrieren. Gelegenheiten dafür gibt es schließlich vielfach: Bei der Aufzucht von Pflanzen und Tieren und dem Verzehr geht es um Biologie, beim Kochen um Chemie und (kulinarische) Kunst, bei der Berechnung von Preisen und Zutatenmengen um Mathematik, beim Lebensmitteleinkauf um Wirtschaft und Politik, bei der Speisenverteilung und Mahlzeitengestaltung um soziales Lernen.

Bild oben: Ein Slow-Food-Projekt für Kinder in Kindergärten und Schulen – Kochen im Slow Mobil, hier in Frankfurt. | © Hans-Georg Roth

Slow-Food-Position

Slow Food Deutschland setzt sich für ein Schulessen ein, das im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung und Ernährung "gut, sauber und fair" ist. Dies bedeutet nicht zuletzt die Verpflegung zu einem Raum für junge Menschen zu machen, in dem sie Genuss in gesellschaftlicher und ökologischer Verantwortung praktisch erleben.

25 Jahre Slow Food Deutschland.

Das Herrenhäuser Forum Mensch – Natur – Technik der VolkswagenStiftung zum Thema „Genuss macht Schule – Food Policy im Lernalltag“ in Hannover gehört zu den diesjährigen Jubiläumsveranstaltungen. Unter dem Motto „25 Jahre Slow Food Deutschland – Weil uns die Zukunft des Essens und unserer Lebensmittelerzeuger wichtig ist“ feiert Slow Food Deutschland gemeinsam mit den rund 14.000 Mitgliedern das 25-jährige Vereinsjubiläum. Veranstaltungen in ganz Deutschland rücken Erzeuger und Produkte in den Fokus, die schon heute im Zeichen eines zukunftsfähigen Lebensmittelsystems und ökologischer Nachhaltigkeit stehen.
Weitere Veranstaltungen im Jubiläumsjahr


Mehr Informationen:

Slow-Food-Positionspapier zur Gemeinschaftsverpflegung in KiTa und Schule

Kinder und Jugendliche bei Slow Food Deutschland: Informationen, Projekte, Positionen

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