Zukunftsfähig essen auf hoher See

28.8.2018 – Während seines Master-Studiums "Food Culture and Communication: High-Quality Products" an der Slow Food Universität der gastronomischen Wissenschaften in Pollenzo, Italien, lernte Heiko Niehaus die Menschen und die Kultur der italienischen Region Piemont sehr gut kennen und erhielt einen Einblick in die traditionelle Herstellung ihrer Lebensmittel. Die Slow-Food-Philosophie hat er verinnerlicht und auch in seinem beruflichen Leben verankert. Auf einem Segelschiff der Ostseeschule Flensburg verarbeitet er in seinem Malgari Café ausschließlich ökologische Lebensmittel von Kleinerzeugern. Diesen September ist er auch als Delegierter beim Terra Madre Salone del Gusto in Turin dabei. Dies nahm Slow Food Deutschland zum Anlass, um mit ihm über sein Projekt zu sprechen.

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Slow Food Deutschland: Worum geht es bei deinem Projekt?

Heiko Niehaus: Seit April 2018 verwirkliche ich gemeinsam mit Silvia Sibille, einer italienischen Arbeitskollegin und ebenfalls Absolventin der Universität der Gastronomischen Wissenschaften, die Idee, auf hoher See ausschließlich ökologische Rohstoffe von regionalen Kleinproduzenten zu verarbeiten. Dies tun wir auf dem Schulschiff "H.F. 42 Providentia" der Ostseeschule Flensburg. Bei unserem Projekt handelt es sich um das erste segelnde Farm-to-Table-Café. Die Aufbauten der Providentia laden zum Sitzen, Verweilen und Genießen ein. An Bord sollen sich bewusst Menschen begegnen, um Informationen zu nachhaltigen Produktionsweisen im Handwerk jeglicher Art auszutauschen und dabei über die Reling zu schauen.

Das Café öffnet an maximal 20 Tagen im Monat. Das macht es interessant und lässt Zeit für Vorbereitungen. Mit an Bord ist ein Genussladen, in dem die Kunden die sorgfältig ausgewählten und nachhaltigen Spezialitäten norddeutscher und piemontesischer Start-ups und kleinbäuerlicher Betriebe erwerben können.

Woher beziehst du deine Produkte und was ist der kulturelle Kontext der Menschen, die diese Lebensmittel erzeugen?

An Bord gibt es Wein, Bier und Snack-Spezialitäten aus der Region Flensburger Förde und auch aus dem Piemont. Unser Fokus auf piemontesischen Produkten wurzelt in einer großen Faszination für die kulinarischen Traditionen und Herstellungsweisen der Region Piemont. Während meines Studiums konnte ich lernen, dass die landwirtschaftliche Bewirtschaftung Norditaliens viele kulinarische Geheimnisse hütet. Mich fasziniert die kleinbäuerliche Landwirtschaft zur Selbstversorgung, die schließlich auch mein Studienobjekt darstellte. Die Almhirten (Malgari) beziehen ihre Lebensmittel aus den Bergen, ihrem natürlichen Lebensraum. Sie leben seit jeher gemeinsam und solidarisch miteinander und mit ihren Tieren. So haben sie auf natürliche Weise ihre kulinarische Genuss- und Lebensweise durch ihr besonders ausgeprägtes Umweltbewusstsein erhalten können.

Die Malgari produzieren feinste Rohstoffe und sind in der Lage vollständig auf den großflächigen Anbau von Gütern und die Behandlung ihrer Pflanzen mit Pestiziden zu verzichten. Der Lebensmittelverschwendung wirken sie entgegen, indem auf den Höfen der Alm und in der Küche stets alles verwendet wird, was dem natürlichen Lebensraum entnommen wird - sprich: Nach Malgari-Art werden bewusst alle Rohstoffe und Tiere - selbst Gemüseblätter - bei der Zubereitung ihrer Beilagen genutzt. Dabei entstehen kreative Rezepte und kein Abfall.

Dieses ökologische und kulinarische Vorbild der Malgari ist das tragende Element des Konzeptes für das gastronomische Angebot unseres Malgari Cafés. Zusätzlich haben wir auch geräucherte Fischspezialitäten auf unserer Speisekarte, die uns von einem lokalen Fischer frisch angeliefert werden. Wir verzichten hierbei auf bedrohte Arten, um dem Anspruch der Nachhaltigkeit gerecht zu bleiben.

Wie genau muss man sich eure Arbeitsprozesse vorstellen?

Wir können an Bord - bis auf Show-Cooking - nicht warm kochen, sondern bereiten unsere Speisen in der Ostseeschule zu. Bei uns kommen die Früchte des Bodens direkt auf den Tisch an Bord des Traditionsseglers. Dazu haben wir Kooperationen mit umliegenden Bio-Erzeugern. Durch die Direktabnahme von Fleisch und Gemüse garantieren wir kurze Transportwege.

Die Kunden möchten wissen, welche Produkte aus der Region ihnen angeboten werden und so kommt es, dass das Team die Gäste zu Erzeugern und zur Herstellung der Speisen aufklärt, berät und wenig später die Erzeugnisse in den Außerhausverkauf aufnimmt. Die Herangehensweise zeichnet sich seit jeher durch eine enge Kooperation mit den regionalen Akteuren und den Kunden aus. Einen Mix aus den kulinarischen Lebensweisen und Produkten norddeutscher und norditalienischer Start-ups haben wir im Angebot. Das macht das Malgari Café einzigartig.

Ein bildendes Kulturcafé, das sich daraus ergibt, dass alle Beteiligten stets bemüht sind neue Wege zu gehen und bereit sind von Erzeugern zu lernen, um ihre eigenen Arbeitsprozesse zu begreifen und somit umweltverträglicher zu gestalten. Es wird auf lose Waren und wiederverwendbare Verpackungen zurückgegriffen, wie beispielsweise der Bezug von saisonal wechselnden Arabica-Kaffeebohnen in Metalleimern und Milch in Glasflaschen.

Betriebsmittel werden möglichst kunsthandwerklich und im Sinne des Upcycling-Gedankens umfunktioniert oder angefertigt. So dienen die Arbeitsböcke der Bootsbauer derzeit als Esstische und die ehemaligen Treppenstufen der Schule als Servierbretter.

Was genau umfasst das Angebot dieser Schiffsreise?

Ein Bed&Breakfast-Angebot zur Übernachtung in einer der vier Kojen an Bord gibt Besuchern in Flensburg die Möglichkeit, die alte Stadt und ihren Hafen auf der Rum- und Zuckermeile zu erkunden. Dort gibt es prächtige Kontorhäuser und Kaufmannshöfe sowie Verkostungen zu erleben. Auf einer der berühmten Kaffeefahrten um die Ochseninseln kann Genaueres über die faszinierende Geschichte des ehemals segelnden Berufsfahrzeugsschiff erfahren werden. Im Jahr 1895 in Finkenwerder gebaut, fuhr "H.F. 42 Providentia" unter verschiedenen Eignern 25 Jahre lang mit 3-4 Mann Besatzung und ohne Motor zur See, um Fische für den Hamburger Fischmarkt zu fangen. Der Segler ist daher Zeugnis der aussterbenden nachhaltigen Fischerei um die Jahrhundertwende, denn die Dampffischerei und die Gefahren auf hoher See brachten die Segelfischer dazu, letztendlich die Segelfischerei aufzugeben. Heute gibt es nur noch vier Schiffe der einst größten Fischereiflotte Deutschlands.

Das maritime Kulturdenkmal wurde in den letzten sechs Jahren von Schülerinnen und Schülern, dem Team und den Bootsbauern der Ostseeschule restauriert. 2017 wurde es als Traditionsschiff zugelassen. Es wurde seither für Charterfahrten und Umweltbildungsfahrten genutzt. Die Providentia wird von der Schiffscrew der Ostseeschule stets ‚Teerd und Smeerd‘.

Foto: © Privat

Mehr Informationen:

Ein Porträt von Heiko Niehaus anlässlich seiner Teilnahme an der internationalen Slow-Food-Veranstaltung Terra Madre Salone del Gusto in Turin sowie die Liste aller deutschen Delegierten,  finden Sie hier hier

Informationen zu Terra Madre Salone del Gusto finden Sie hier hier

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