2019 - Das Jahr des Fischs in der Europäischen Union

08.04.2019 - Wie stehen die Chancen, dass sich die Mitgliedstaaten der EU an ihre vor sechs Jahren zugesagte Verpflichtung halten, die Überfischung in den angrenzenden Meeren zu beenden? Slow Food Deutschland mahnt Entschlossenheit an.

Wadden Sea Niederlande 2 © Fokke van Saane.jpg2019 ist das Jahr, in dem die EU ein wichtiges Versprechen einlösen muss: Mit der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik von 2013 haben sich die Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtet, die Überfischung in Europa bis zum Jahr 2020 zu beenden. Vollumfänglich tritt 2019 zudem die Pflicht in Kraft, alle getätigten Fänge mit an Land zu bringen. Rückwürfe, d.h. die Praxis, unerwünschte Fänge auf See zu entsorgen, müssten damit bis auf wenige Ausnahmen der Vergangenheit angehören. 2019 könnte also das Jahr der Nachhaltigkeitswende in der europäischen Fischerei werden.

Zukunftsfähige Fischerei beruht auf einem Grundprinzip: Es darf nur so viel gefischt werden, dass die Fischbestände auf lange Sicht ergiebig sind. Fischbestände sind erneuerbare Ressourcen. Sie füllen sich durch Fortpflanzung von Jahr zu Jahr auf, sofern genügend geschlechtsreife Fische für die Vermehrung zur Verfügung stehen. Um die biologischen Grenzen der natürlichen Reproduktion zu respektieren, darf die Befischung eines Bestands den von Fischereibiologen jährlich errechneten maximalen nachhaltigen Ertrag nicht übersteigen. Bei Beständen, für die diese Nachhaltigkeitsmarke mangels Daten nicht errechnet werden kann, gilt für die Festlegung der Fanggrenzen der Vorsorgeansatz, der größere Vorsicht verlangt.

Ohne Fangquoten-Disziplin keine nachhaltige Fischerei

Bis spätestens 2020 soll die gesamte EU-Fischerei nachhaltig, die Überfischung beendet sein – so die rechtliche Vorgabe der entsprechenden EU-Verordnung. Doch bestätigt eine aktuelle Analyse des Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschusses für Fischerei der EU-Kommission, dass dieses Ziel bei mehr als einem Drittel der Bestände noch immer nicht erreicht ist und die Fortschritte zu langsam sind, um die gesetzte Frist einzuhalten.

Wie ist dies zu erklären? In der EU müssen jährlich über 150 Fanggrenzen festgelegt werden. Grundlage hierfür sind die wissenschaftlichen Gutachten des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) in Kopenhagen. Die EU-Kommission macht auf dieser Grundlage einen Vorschlag für Fangquoten, die vom Ministerrat rechtlich verbindlich festgelegt werden – in vielen Fällen allerdings abweichend von den Empfehlungen. Warum? Um den Übergang der EU vom Überfischungs- in den Nachhaltigkeitsmodus ohne abrupte Quotenkürzungen mit möglicherweise schädlichen Folgen für den Fangsektor zu bewerkstelligen, konnten noch bis einschließlich dieses Jahres Abweichungen vom Prinzip des höchstmöglichen Dauerertrags beschlossen werden. Davon wurde reichlich Gebrauch gemacht, ohne den Beleg einer »ernstlichen Gefährdung« der betreffenden Fangflotten zu erbringen. Allzu oft strebten die Entscheiderinnen und Entscheider einen Kompromiss an zwischen dem Bestandserhaltungsziel und kurzfristiger wirtschaftlicher Rentabilität– beispielsweise bei den Quoten für die Makrele im Nordostatlantik.

Wirtschaftliche Härtefälle

Es gibt durchaus Fälle, in denen die wissenschaftlich ermittelten Fanggrenzen zu sozio-ökonomischen Härten führen: Für den Hering in der westlichen Ostsee etwa hatte der Internationale Rat für Meeresforschung für 2019 eine Nullquote empfohlen. Da diese insbesondere bei der kleinen Küstenfischerei einen erheblichen und womöglich nicht wiedergutzumachenden Schaden verursacht hätte, wurde die zulässige Gesamtfangmenge für 2019 gegenüber dem Vorjahr lediglich halbiert. Die immer noch einschneidenden ökonomischen Verluste sollen durch Überbrückungszahlungen kompensiert werden. Es ist fraglich, ob die vereinbarte Quotenkürzung ausreicht, um diesen Heringsbestand in der Ostsee langfristig wieder aufzubauen. Auch in wirtschaftlich schwierigen Phasen sollten Fangquoten nicht oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlungen festgesetzt werden.

Auch in Zukunft wird es immer wieder Jahre geben, in denen Fangquoten aufgrund der wissenschaftlichen Bestandsanalysen gekürzt werden müssen, weil selbst mit gesunden Beständen natürliche Schwankungen nicht auszuschließen sind. Nicht zuletzt tragen die mit der Erderwärmung einhergehenden steigenden Wassertemperaturen dazu bei, dass es zu geographischen Verschiebungen bei den Beständen oder gar zum Rückgang beim Nachwuchs kommt und dass Lebensgemeinschaften in den Meeren sich verändern. Ab 2020 aber ist ein Überschreiten des Nachhaltigkeitsstandards bei der Festsetzung von Fangquoten keine Option mehr, da nicht mehr rechtmäßig. Gewisse Schwankungen der Fangmengen müssen von Fischerinnen und Fischern als wirtschaftliches Risiko ihrer Tätigkeit in Kauf genommen werden. Bei existenzbedrohenden Einbußen hat die Politik die Option, mittels finanzieller Hilfen über schwere Zeiten hinwegzuhelfen.

Kontrolle gegen Fisch-Verschwendung

Schätzungen zufolge werden ca. ein Viertel der weltweiten Fänge entweder als ungewollter »Beifang«, d.h. unbeabsichtigt mitgefangene andere Fischarten oder nicht vermarktungsfähiger Babyfisch, wieder über Bord geworfen. Darunter beispielsweise jeweils an die 20 Prozent Rückwürfe bei der Schellfisch- sowie der Kabeljaufischerei in der Nordsee. Das Problem: Die rückgeworfenen Fische sind in der Regel entweder nicht mehr lebensfähig oder bereits tot – eine nicht zu verantwortende Verschwendung marinen Lebens, die mit der so genannten »Anlandeverpflichtung« in den europäischen Meeren beendet werden soll.

Ab diesem Jahr gilt dieses Rückwurfverbot für alle Arten mit Fangbeschränkungen in der Nordsee. In der Ostsee ist die Anlandeverpflichtung schon seit 2017 in Kraft. Künftig müssen in der Regel alle Fänge an Land gebracht und auf die Fangquote des Fischers angerechnet werden. Die Beifänge in der östlichen Dorsch-Fischerei betragen laut wissenschaftlichen Erhebungen allerdings noch immer mindestens 11,2 Prozent – trotz anders lautender Logbuch-Einträge. Dass die Regelung nicht zu greifen scheint, erklären sich Expertinnen und Experten einhellig mit der mangelnden Kontrolle auf See. Unter anderem das Thünen-Instituts für Ostseefischerei fordert daher strengere Kontrollen, etwa durch Fernüberwachung mittels Kameras und Sensoren.

Und wir Verbraucherinnen und Verbraucher?

Wir sollten im Slow-Food-Sinne als Ko-Fischerinnen und -Fischer Verantwortung übernehmen. Doch um zu einer verantwortlichen Fischauswahl in der Lage zu sein, muss ein vertrauenswürdiges Angebot vorliegen. Mit kaum einem Nahrungsmittel verbindet sich so viel Unsicherheit. Meldungen über zu hohe Fangquoten und Verschwendung durch Rückwürfe zerstören das Vertrauen. Dabei wäre die Wahl von Fisch aus EU-Beständen häufig die »sicherere«, denn importierter Fisch trägt teils noch viel höhere Nachhaltigkeitsrisiken. Auch die marine Aquakultur ist nur bedingt eine Lösung. In ihrer intensiven Form hat sie negative Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit und Landschaftsbild und sollte nur dort betrieben werden, wo sie zur Eiweißversorgung der lokalen Bevölkerung notwendig ist. Zur Deckung des europäischen Eiweißbedarfs brauchen wir sie nicht.

Fisch von unseren Küsten zu boykottieren, bis Politik und Institutionen die bestehenden Probleme beim europäischen Fischereimanagement gelöst haben, wäre eine radikale Verbraucherhaltung, die der regionalen Fischerei schaden würde. Doch: In dem für die Nachhaltigkeit der europäischen Fischbestände entscheidenden Jahr 2019 müssen die Nachhaltigkeitsziele der europäischen Fischereipolitik mit der notwendigen Verve verfolgt werden – von der Politik und von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern. Und wir dürfen erwarten, dass nur legale Fischprodukte aus nicht überfischten Beständen ihren Weg in unsere Fischtheken finden!

Ein Beitrag von Dr. Nina Wolff, Fischerei-Expertin von Slow Food Deutschland

Bild (c) Fokke van Saane

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