Konsumverhalten: Der Einkaufskorb als Spiegel unserer Überzeugungen?

11.07.2019 - Wir verabscheuen Kinderarbeit, Fairer Handel ist uns wichtig, Tierwohl ebenso, wir möchten, dass Hühner Auslauf haben, Schweine ihre Ringelschwänze behalten und Kühe glücklich sind. Doch wenn es um die Kaufentscheidung im Supermarkt geht, dann ist häufig der Preis entscheidend. Ulrich Enneking, Professor für Agrarmarketing, testete im Feldversuch, wie ernst es Verbraucherinnen und Verbrauchern mit dem Tierwohl ist.

Ulrich Enneking (c) EnnekingUlrich Enneking ist Professor für Agrarmarketing an der Universität Osnabrück und hat im Herbst 2018 mit seinen Studentinnen und Studenten in einem Feldversuch getestet, wie sehr Kundinnen und Kunden am Tierwohl gelegen ist. In 18 niedersächsischen Supermärkten und Discountern wurden ihnen zwei Monate lang Bratwürste, Schweinegulasch und Minutensteaks angeboten, jeweils in Bio-Qualität, im mittleren Preissegment mit einer Aussage zu besseren Haltungsbedingungen für Tiere, und als preiswertes Produkt ohne Angaben zum Tierwohl. 11% der Kundinnen und Kunden kauften die Bioware, 16% entschieden sich für das Tierwohl Produkt, bei allen anderen landete das Billigfleisch im Einkaufskorb. Enneking und sein Team sind noch dabei, die parallel durchgeführte Kundenbefragung wissenschaftlich auszuwerten, aber überraschend ist die Diskrepanz zwischen der positiven Einstellung zum Tierwohl einerseits, und der Kaufentscheidung für das billigste verfügbare Produkt für ihn nicht. Verbraucherinnen und Verbraucher kommen mit einer Vielzahl von Kaufüberlegungen und Motivationen in einen Laden, wo sie dann mit einer Flut von Produktinformationen konfrontiert werden, sagt er. Hinzu kommt, dass die Angaben zum Tierwohl uneinheitlich sind. Nicht alle Labels basieren auf gut definierten Kriterien deren Einhaltung kontrolliert wird und für Verbraucherinnen und Verbraucher ist es schwer reine Werbeaussagen sicher von Kennzeichnungen zu unterscheiden, die wirklich einen bestimmten Tierwohl-Standard garantieren.

Kinder, Katzen und Gesundheit....

Ob wir faktische Informationen zur Kenntnis nehmen hängt von unserer Motivation ab. ‚Rede über Kinder, Gesundheit und Haustiere’, war der Rat, den kürzlich bei einer Tagung eine Aktivistin für das Organisieren von Kampagnen gab. Ulrich Enneking stimmt dem zu: „Letztendlich ist das auch der Grund, warum Bio-Label bei kritischen Verbrauchern eine wesentlich höhere Akzeptanz haben, besonders dann, wenn es um Kinder und Gesundheit geht. Studien zeigen, dass junge Familien besonders viel Bio-Milch kaufen - solange die Kinder klein sind. Danach lässt der Anteil der Biokäufe wieder nach. Und Haustiere spielen eine ähnliche Rolle, sie sind in unserer Gesellschaft oft eine Art Kinderersatz, ein Wesen das umsorgt werden will. Wir haben das erfragt: Es ist eine hohe Bereitschaft bei Verbrauchern da, Bioware bei Hunde- und Katzenfutter einzusetzen. Das trifft sogar für vegane Komponenten im Hundefutter zu, auch wenn Tierphysiologen das wahrscheinlich weniger gut finden. Was zählt ist die Perspektive des Menschen, und wenn ich Veganer oder Vegetarier bin und denke, dass das gut für mich ist, dann habe ich ein ungutes Gefühl, wenn mein Tier Fleisch bekommt”.

Der Gesetzgeber ist gefordert

Enneking ist optimistisch. Wenn rationale Argumente die richtigen Emotionen im Marketing und in Kampagnen ansprechen, dann sind langfristig deutlich mehr Käuferinnen und Käufer, 30 bis 50%, bereit, mehr für Produkte auszugeben, die beispielsweise bessere Tierwohlstandards garantieren. Aber dauerhafte Veränderungen müssen von Seiten der Politik unterstützt werden, die Billigproduktion mit schlechten Standards verboten werden. Beispiel Eier aus Freilaufhaltung: Tierschützerinnen und Tierschützer machten die Haltungsbedingungen von Käfighennen zum Thema, einzelne Betriebe, Hersteller und Supermärkte boten Alternativen an, und der Gesetzgeber – in diesem Fall auf EU Ebene – verbot die Haltung in Legebatterien und definierte bessere Standards, die, finanziert über etwas höhere Preise, zur neuen Norm wurden. „Um den Standard in einer gesamten Produktkategorie anzuheben, dafür muss die Politik Regeln schaffen, das geht nicht allein über den Markt“, sagt Enneking. Für ihn ist die nächste Überlegung, wie man Impulse für weitere Verbesserungen setzen kann.

Leuchtturm-Unternehmen

„Es muss starke Initiativen aus der Wirtschaft geben“, sagt Enneking. Unternehmen, die sich die Frage stellen, wie Tierwohlstandards mit Produkten weiter verbessert werden können, die für Kunden so attraktiv sind, dass sie bereit sind, einen höheren Preis dafür zu zahlen. Enneking glaubt, dass Herstellerinnen und Hersteller sowie Produzentinnen und Produzenten sich ‚ganzheitlich auf die Konsumenten einstellen müssen’. Gefragt sind der besondere Geschmack zum Beispiel von bestimmten Rinder- oder Schweinerassen, gepaart mit Regionalität und einer Verpackung, die den ästhetischen Kriterien und dem ‚Lifestyle’ der jeweiligen Zielgruppe entspricht – von Gourmetgenuss bis zum ‚Fun-Charakter’ für Kids. Und glücklicherweise ist für manche Essen einfach richtig wichtig: „Wir haben von Nord nach Süd gehend einen generell stärkeren Sinn für regionale Produkte und eine wachsende Bereitschaft, für Lebensmittel Geld auszugeben. Auch Direktvermarktung funktioniert in Süddeutschland im wesentlichen besser als in Norddeutschland“.

Der Preis muss stimmen

Enneking kommt noch einmal auf den Feldversuch mit Billigfleisch, teurem Bio-Fleisch und einem Produkt mit Tierwohl-Label, das preislich in der Mitte liegt, zurück. Dass sich auf Anhieb 16% der Verbraucherinnen und Verbraucher für das Tierwohl-Produkt entscheiden deutet für ihn darauf hin, dass es bislang zu wenig Produkte gibt, die preislich zwischen billig und bio liegen. Ökologisch wäre auch die Steigerung des Marktanteils von Biowaren wünschenswert, Biolandwirtschaft setzt weder chemische Herbizide noch Dünger ein. Enneking glaubt, dass auch hier der Weg über den Preis geht: Biobetriebe müssen effizienter werden und kostengünstiger produzieren, das darf jedoch nicht zu Lasten der Standards oder des Einkommens der Landwirtinnen und Landwirt gehen. Und Effizienz ist nicht gleichbedeutend mit industrieller Bio-Landwirtschaft. Es kann nicht darum gehen, dass so wie in den USA Großunternehmen reihenweise kleine Biobetriebe aufkaufen und Lobbyistinnen und Lobbyisten Druck auf die Politiker ausüben, bis die Biostandards auch einen Milchbetrieb mit 15.000 Kühen zulassen. Aber schon eine Bestandsobergrenze pro Flächeneinheit könnte die Industrialisierung verhindern. Die Universität Osnabrück (an der Enneking lehrt) liegt im sogenannten ‚Veredelungsgürtel’, eine Landwirtin bzw. ein Landwirt mit 25 oder 30 Hektar Land kann einen Schweinemastbetrieb mit 3.000 Tieren haben – mit potentiell katastrophalen Konsequenzen für die Umwelt. „Dem Betriebswachstum müssen durch die Definition von Umwelt- und Tierwohlstandards ökologische Grenzen gesetzt werden“, sagt Enneking. Die Zukunft sieht er in einer Zusammenarbeit von Landwirtinnen und Landwirten mit effizienten Höfen, hohen Umwelt- und Tierwohlstandards und Unternehmerinnen und Unternehmern, die deren Produkte zu erschwinglichen Preisen vermarkten, die dennoch hoch genug sind um den Bäuerinnen und Bauern ein Einkommen und damit das Überleben zu sichern.

Text: Marianne Landzettel

Copyright: Ulrich Enneking

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