Ackerlandvergabe: Erstmals gemeinwohlorientierte Vergabekriterien von öffentlichem Land

20.02.2020 - Ein nicht unbeträchtlicher Teil der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland ist Pachtland im Besitz von Kirchen, Kommunen, Städten und Bundesländern. Nach welchen Kriterien wird dieses Pachtland eigentlich vergeben? Wie kann der Umgang mit öffentlichem Land in Zukunft umweltgerecht und enkeltauglich gestaltet werden? Diese Fragen richtete Karin Vorländer vom Institut für Welternährung im Interview an Björn Pasemann, Mitinitiator des zivilgesellschaftliches Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ in Greifswald.

Verbreitet ist bislang die unhinterfragte Verlängerung bestehender Pachtverträge – unabhängig davon wie umwelt- und klimagerecht diese Flächen bewirtschaftet werden. In Greifswald hat es das zivilgesellschaftliche Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ erstmals geschafft, neue Kriterien für die Vergabe von Pachtland durchzusetzen, das der Hansestadt Greifswald gehört. Im Gespräch mit Karin Vorländer vom IWE erläutert Björn Pasemann, Mitinitiator des Aktionsbündnisses, die Anliegen des Greifswalder Leuchtturmprojektes.

Das Aktionsbündnis „Unser Land schafft Wandel“ hat im November 2019 im Stadtparlament von Greifswald die Neuausrichtung der Vergabe der insgesamt 4700 Hektar landwirtschaftlichen Pachtlandes in Kommunalbesitz durchgesetzt. Wie kam es dazu?

Maßgeblich initiiert wurde das Aktionsbündnis von der Finc Foundation, einer privaten lokalen Naturschutzorganisation aus Greifswald, die auch international tätig ist. Im Frühjahr 2019 schlossen sich Bürgerinnen und Bürger Greifswalds und verschiedene Umweltgruppen zusammen, wie etwa Nabu, Greenpeace, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, das Bündnis Junge Landwirtschaft, Fridays for Future und Climate Justice, alles Gruppen, die in Greifswald aktiv sind. Aber es musste eine Organisation geben, die die Situation aufs Tapet brachte und die Möglichkeiten aufzeigte, die wir in Greifswald haben. Das war in diesem Fall Finc, zu der ich gehöre.

Wie ist das Thema einer gemeinwohlorientierten Vergabepraxis von Pachtland in den Fokus gekommen?

Uns treibt das Thema schon länger um. Wir beobachten negative Auswirkungen auf die Biodiversität rund um Greifswald, die hinlänglich nachgewiesen sind. Wir sehen ausgeräumte Landschaften, riesige Ackerschläge ohne dass da Hecken oder Bäume vorhanden sind, viel Pestizid-Einsatz und das Verschwinden vormals typischer Tiere und Pflanzenarten. Der Greifswalder Fluss Ryck lädt auch nicht gerade zum Baden ein.

Es wurde bekannt, dass die Stadt und die Universität Greifswald Land besitzen. Wir wollten, dass die Eigentümer öffentlichen Landes ihrer Verantwortung gerecht werden. Es sollte anerkannt werden, dass öffentliches Land das Land aller Bürgerinnen und Bürger ist. Das heißt, es geht dabei um das Landeigentum der Städte und Gemeinden, aber auch der Bundesländer. Wir wollen, dass dieses öffentliche Land im Sinne des Gemeinwohls und zukünftiger Generationen bewirtschaftet wird. Dazu gehört dann auch, dass die gesamte Vielfalt der Ökosystemleistungen erhalten bleiben soll und dass auch lokal anerkannt wird, dass die Landnutzung innerhalb planetarer Grenzen stattfindet.

Wer hat bislang das Land bearbeitet und genutzt?

Da gibt es verschiedene landwirtschaftliche Betriebe von bäuerlich kleinen, konventionellen Betrieben bis zu industriellen 3000 Hektar großen Betrieben, die dann teilweise auf städtischen Flächen wirtschaften. Nur 8,5 Prozent der städtischen Flächen werden bisher ökologisch bewirtschaftet.

Welche konkreten Forderungen zur Landvergabe hat das Bündnis aufgestellt?

Wir wollen, dass die öffentlichen Landeigentümer ihrer Verantwortung nachkommen. Die Landschaft sollte all ihre Funktionen erfüllen und nicht nur den höchstmöglichen Ertrag bringen. Einerseits soll Land der Produktion hochwertiger Nahrung dienen. Es soll andererseits Lebensraum für Menschen und Habitat für Tiere und Pflanzen sein. Gerade öffentliche Flächen sollten nicht nur dazu dienen, möglichst große Pachteinnahmen zu generieren. Über die Pachtpreise soll auch reguliert werden können, dass Landwirte eine Chance haben, naturverträglich und auskömmlich zu wirtschaften. Ganz konkret gefordert haben wir, dass die Landvergabe reformiert wird. Wir haben die Einführung von ökologischen und sozialen Kriterien bei der Landvergabe gefordert, dass über diese Landvergabe gewährleistet wird, dass die Betriebe zum Zuge kommen, deren Wirtschaftskonzept einen besonderen Mehrwert für die Gesellschaft bringt. Wichtig war uns, dass die übliche intransparente Praxis der uneingeschränkten Weiterverpachtung beendet wird. Nach Ablauf eines 12-jährigen Pachtvertrages sollen die Flächen neu ausgeschrieben werden und Pachtinteressenten können sich darauf bewerben. Dazu werden dann die neuen Kriterien abgefragt.

Was bringt denn nach den neuen Kriterien Punkte bei der Landvergabe?

In dem neuen, klaren Kriterienkatalog wird eine auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtete Bewirtschaftungsweise berücksichtigt. Es gibt Punkte für Ökolandbau und Betriebe, die Biodiversitätsmaßnahmen umsetzen, wenn etwa mindestens auf zehn Prozent der Flächen Blühstreifen, Brachen, Gewässerschutzstreifen, extensive Weiden oder Lerchenfenster angelegt werden. Es gibt einen ganzen Katalog von Naturschutzmaßnahmen, die zusätzlich für die Flächen festgelegt werden sollen. Es wird nicht mehr nach Höhe der Pacht, sondern nach Konzept entschieden. Darunter fällt dann auch, dass Junglandwirte und Existenzgründer bevorzugt werden sollen. Auch innovative Konzepte, wie solidarische Landwirtschaft, werden unterstützt. Ausschlusskriterium ist der Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen und Massentierhaltung. Der Bewerber muss im Pachtgebiet ortsansässig sein.

Gibt es ein Vorbild für Ihren Kriterienkatalog?

Wir waren im Gespräch mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und haben auch auf die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland geschaut, die ein Punktesystem hat, welches für uns aber nicht ausreichend war, weil dort Biodiversität und Ökologie nicht genügend ins Gewicht fallen Aber an deren grundsätzlichen Vorgehensweise haben wir uns orientiert.

Gab es Widerstände ?

Veränderungen sind häufig anstrengend. Die zuständigen Stellen in der Stadtverwaltung waren anfangs nicht gerade begeistert. Wir wissen bis heute immer noch nicht, wo genau die stadteigenen Pachtflächen liegen. Einige der großen industriellen Agrarbetriebe haben im Vorfeld stark gegen die Vorschläge mobilisiert und konnten den konservativen Block im Stadtparlament für den Erhalt des Status quo gewinnen. Da wurden Briefe geschrieben, Lobbyarbeit gemacht, Einzelgespräche geführt. Da geht es um Besitzstandswahrung und darum, eine Veränderung bei der Landvergabe zu verhindern.

Wir dagegen haben versucht, dass die Bevölkerung von der Thematik was mitbekommt. Wir haben Infostände gemacht, wir haben eine Petition gestartet, um die Dringlichkeit zu verdeutlichen und die Bevölkerung zu sensibilisieren.

Wie bleiben Sie mit denen im Gespräch, die weiter ablehnend sind? Die Abstimmung in der Bürgerschaft war ja mit 24 zu 16 Stimmen durchaus knapp.

Wir sind grundsätzlich dialogbereit. Allerdings muss in der Landwirtschaft ein Wille zur Veränderung erkennbar sein; als Grundlage, dass in der Fläche wirklich etwas passiert. Es muss anerkannt werden, dass es bei der bisherigen Bewirtschaftungspraxis Probleme gibt, aber das wird ja momentan leider häufig noch geleugnet.

Zielt ihre Initiative auf zertifizierten Öko-Anbau oder ist in Ihren Augen auch eine konventionelle Landwirtschaft akzeptabel, die womöglich nachhaltiger und ökologischer als bisher arbeitet?

Das ist eine spannende Diskussion. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir unbedingt mehr Ökolandbau in der Fläche brauchen. Es sind ja in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 20 Prozent bis 2030 angestrebt. Das ist eine Zielmarke, aber das ist durchaus zu wenig.
Konventionelle Landwirtschaft, bei der viele Naturschutzmaßnahmen umgesetzt werden, kann aber durchaus hilfreich sein: Kleinere Schläge, Hecken, Randstreifen. Es muss nicht alles öko sein. Aber wir brauchen grundsätzlich einen Paradigmenwechsel. Wir müssen weg davon, dass der Ökolandbau als eine Art Premiumlandwirtschaft wahrgenommen wird. Wir müssen dahin kommen, dass eine naturverträgliche, enkeltaugliche Landwirtschaft der Standard ist.

Auch die Universität Greifswald und die Kirche sind Landbesitzer. Haben Sie sich auch an die gleichermaßen gewandt?

Wir haben uns zunächst auf die Stadt konzentriert, weil dort am offensichtlichsten wird, dass es sich um das Land der Bürgerinnen und Bürger handelt. Nichtsdestotrotz sind wir auch im Gespräch mit der Kirche und auch in der Universität ist ein Prozess angestoßen worden, der von den Studierenden ausgeht. Die Vollversammlung und der Asta haben sich dafür ausgesprochen, dass dort ein ähnlicher Prozess stattfinden muss.

Öffentliches Land gibt es nicht nur in Greifswald. Wie also weiter?

Ich ermutige dazu, in allen Städten nachzuhaken und beim Liegenschaftsamt nachzuforschen, ob und wie viele Flächen in öffentlicher Hand sind. Es wäre nötig, im Bundestag eine kleine Anfrage zu starten, um wirklich einen Überblick zu bekommen. Es geht ja nicht nur um die kommunalen Flächen, es geht ja auch um die Landesflächen. Brandenburg beispielsweise hat 30.000 ha landwirtschaftliche Flächen im Eigentum und die Frage ist, wie soll in Zukunft mit diesen Flächen umgegangen werden. Das muss stärker diskutiert werden. Wir wollen auch andere Gruppen inspirieren lokal aktiv zu werden und vor Ort Druck zu machen. Das gehört auf die Agenda, zu schauen, wie wird mit öffentlichen Flächen umgegangen. Wir haben sehr positive Rückmeldungen bekommen.

Quelle: Institut für Welternährung

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