Corona: Schlachthöfe - die Hotspots der Sklavenhaltung

23.05.2020 - Die Corona-Epidemie in den Schlachthöfen hat die Bundesregierung endlich zum Handeln gezwungen. Doch neben dem Verbot von Werksverträgen braucht es weitere glasklare Regeln und Gesetze zum Schutz von Mensch und Tier. Vor allem aber: Die Schlachthöfe müssen raus aus der Tabuzone. Ein Kommentar von Manfred Kriener

Hackfleisch (c) pexels.jpgDie Bundesregierung will endlich „aufräumen“ mit den skandalösen Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen. Werksverträge mit dubiosen Sub-, Sub-, Subunternehmen sollen verboten, Unterbringung und Bezahlung besser kontrolliert werden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) macht Druck, die Fleischbranche jault auf und droht mit „dringendem Gesprächsbedarf“ und juristischen Feldzügen. Noch sind die neuen Regelungen für die Schlachthofbetreiber nicht im Detail unter Dach und Fach. Zivilgesellschaft und NGOs müssen sehr genau hinsehen, was am Ende – nach dem Abklingen der Empörungswelle – tatsächlich herauskommt.

Jahrelang hat die Politik weggesehen. Erst jetzt, da sich die Schlachthöfe zu Hotspots der Corona-Epidemie entwickelt haben, handelt sie endlich. Nicht, weil ihnen die vielen osteuropäischen und migrantischen Hilfsarbeiter so sehr am Herzen liegen, sondern weil die Schlachthöfe als Corona-Spreader „ganze Landstriche gefährden“, wie der Spiegel schreibt. Teilweise hat sich dort fast jeder vierte Mitarbeitende angesteckt, bei der Firma Westfleisch in Coesfeld sind 280 von 1200 Schlachthofarbeitern betroffen.

Die Horrorzahlen aus Coesfeld, Birkenfeld, Dissen, Bad Bramstedt, Oer-Erkenschwick, Straubing-Bogen und anderen Standorten werfen ein Schlaglicht auf die verheerenden Arbeitsbedingungen und die Struktur unserer Fleischerzeugung. Das Billigfleisch-System wird nicht nur auf dem Rücken der Tiere exekutiert, sondern auch auf dem Rücken der Menschen – vor allem der Schattenarmee der osteuropäischen Arbeiter. Miese Bezahlung trotz Knochenjobs, unwürdige Unterbringung in containerartigen Verschlägen, dazu schlechte hygienische Verhältnisse und unzureichende medizinische Betreuung – so sind die Arbeiter dem Virus fast schutzlos ausgeliefert. Viele fuhren mit Husten und Fieber nachts um 3 Uhr im Sammeltransport immer noch zur Arbeit, weil sie jeden Euro brauchen.

Der Skandal im Skandal: Niemand will für die Corona-Ausbrüche haftbar sein. Mit den undurchsichtigen Verschachtelungen von Verträgen mit Dritt- und Vierunternehmen stehlen sich alle aus der Verantwortung.

Transparenz und Kontrolle sind unausweichlich

Profitgier und Menschenverachtung haben die großen Schlachthöfe zu schaurigen Orten der Ausbeutung von Mensch und Tier gemacht. Jetzt zerrt das Virus die Zustände ans Tageslicht. Man lupft den Stein und sieht das Gewimmel. Die Empörung ist groß. Und es kann keine Ausreden mehr geben. Auch keine hehren Selbstverpflichtungen der Schlachthofbetreiber wie anno 2017, die dann doch nicht eingehalten werden. Jetzt braucht es neben dem Verbot von Werksverträgen glasklare Regeln und Gesetze. Die Schlachthofbetreiber müssen selbst ihre Mitarbeitenden anstellen, bezahlen, unterbringen, befördern – und sie müssen die Verantwortung tragen. Unterkünfte und Bezahlung müssen menschenwürdig sein und der gefährlichen, auch psychisch schweren Arbeit entsprechen. Jedem Arbeiter muss eine angemessene Fläche und sanitäre Einrichtung in der Unterkunft garantiert werden. Das sind wir jenen Menschen schuldig, die eine der schrecklichsten Arbeiten verrichten.

Doch eine echte Reform muss noch weiterreichen. Es braucht auch Transparenz und Kontrollen. Es kann nicht sein, dass die Orte unserer Fleischerzeugung Tabuzonen der Gesellschaft bleiben, im Grunde verbotenes Terrain – gut getarnt und abgelegen, in strukturschwachen Räumen errichtet, teilweise von Stacheldraht und Hundepatrouillen geschützt. Wir brauchen also nicht nur ein Ende der Sklavenhaltung, sondern auch regelmäßige unangemeldete Kontrollen, schmerzhafte Bußgelder bei Verstößen und eine Öffnung dieser abgeschotteten Einrichtungen. Gesellschaft und Medien dürfen nicht länger wegsehen und müssen sich ihrer Wächterfunktion und der Realität in unseren Schlachthöfen stellen. Hier werden schließlich keine Ziegelsteine, hier werden Lebensmittel produziert, das kann und darf nicht außerhalb des gesellschaftlichen Radars geschehen.

Der Preis für Billigfleisch

Der Skandal zeigt auch, welchen Preis die Gesellschaft für den Massenkonsum von Billigfleisch bezahlt. Die Konzentration von immer weniger und immer größeren Schlachthöfen, die im Preiskampf übrig geblieben sind, ist das Ergebnis eines viel zu hohen Fleischkonsums. Der ist in diesem Ausmaß und zu diesen Preisen nur mit Massentierhaltung und mit beängstigenden Tötungsfabriken zu befriedigen. Weniger Tier zu vernünftigen Preisen – dies bleibt, neben den besseren Arbeitsbedingungen, eine Kernforderung der Agraropposition. Dass der Discounter Aldi jetzt, unbeeindruckt von der Schlachthofmisere, die Preise für Wurst und Fleisch nochmal senken will, ist ein verheerendes Signal.

Slow Food hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder für kleinere regionale Schlachthöfe stark gemacht. Das ist gut und vernünftig. Doch die Entwicklung ging und geht in die entgegengesetzte Richtung. Die zehn größten Schlachthöfe Deutschlands produzieren 80 Prozent unserer Fleischerzeugnisse. Wer andere Schlachthöfe will, muss sich mit dieser Realität konfrontieren; der muss dafür sorgen, dass Menschenwürde, Gesundheitsschutz und gute, saubere, faire Arbeits- und Lebensbedingungen für jeden einzelnen Arbeiter garantiert werden. Dann wird nicht nur das Fleisch teurer. Dann haben auch kleinere ehrlichere Schlachthöfe in der Region wieder eine Chance, konkurrenzfähig zu werden.

Früher war das Schlachten ein Fest; in den Dörfern war es ein besonderer Höhepunkt. Im Mittelalter konnte man den Schlachtern bei der Arbeit zusehen. Es war suspekt, wenn der Metzger im abgeschlossenen Raum arbeitete, weil dann keine Möglichkeit bestand, sich von der Qualität und Gesundheit des Schlachtviehs zu überzeugen. Womöglich wurde im finsteren Mittelalter besser, demokratischer und transparenter geschlachtet als im Jahre 2020.

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