Für eine klima- und biodiversitätsgerechte Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)

Die für den 1. Januar 2021 geplante reformierte EU-Agrarpolitik bleibt aus. Die aktuellen Verhandlungen deuten erneut auf eine ‚Reform‘ hin, welcher der Mut und die Konsequenz für den notwendigen Richtungswechsel fehlt. Slow Food hat sich gemeinsam mit Partnerorganisationen an die EU gewandt, um eine Neuausrichtung zu fordern.

Europa-Flagge (c) creative commonsUnsere Ernährung beruht zu über 90% auf der landwirtschaftlichen Produktion. Langfristig ist diese nur gesichert, wenn die natürlichen Voraussetzungen landwirtschaftlicher Erzeugung – Boden, Wasser, Luft, Klima, biologische Vielfalt – effektiv geschützt werden. Hierzu kann und sollte Politik die richtigen Anreize bieten.

Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP), das umfassende Finanzierungsinstrument der europäischen Landwirtschaft, wäre dafür ein wichtiger Hebel. Von den rund 60 Mrd. Euro Landwirtschaftsgeldern werden allein in Deutschland jährlich ca. 6 Mrd. Euro verteilt. Die „alte“ GAP hat mit diesem Budget erheblich zu Bodendegradation, Grundwasserbelastung, Klimawandel und Biodiversitätsverlusten in Europa beigetragen. In drei Wochen, nämlich zum 1. Januar 2021, sollte nach dem ursprünglichen Zeitplan eine reformierte EU-Agrarpolitik in Kraft treten. Slow Food Deutschland fordert: Die im Rechtsetzungsverfahren aufgetretene Verzögerung sollte als Chance genutzt werden, noch jetzt den Hebel für unsere zukunftsfähige Ernährung umzulegen.

GAP-Reform im Zeichen von Klima- und Biodiversitätskrise

Die EU-Kommission strebte mit ihren Vorschlägen von 2018 eine umfassende politische Neuordnung für eine größere Zukunftstauglichkeit der Landwirtschaft an. Der Erstentwurf der GAP-Reform wurde rasch eingeholt von einer neuen EU-Kommission mit einer deutlich verstärkten Ausrichtung auf die Zukunftsfähigkeit der EU. Spätestens seit Verabschiedung des Europäischen Green Deal (2019) – der Rahmenstrategie zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2050 – sind für eine klima- und biodiversitätsschonende Gestaltung der GAP klar definierte politische Ziele vorgegeben. Für die notwendige und von Slow Food seit vielen Jahren geforderte Ernährungswende sind diese von zentraler Bedeutung.

Im Mai 2020 hob die Kommission die grundsätzliche Vereinbarkeit ihrer GAP-Vorschläge mit dem Green Deal hervor, und verabschiedete zwei thematische Strategien mit konkreten Umsetzungszielen: Die Farm-to-Fork-Strategie zielt darauf ab, den Übergang zu einem nachhaltigen Ernährungssystem zu beschleunigen, indem sie eine integrierte Betrachtung der ökologischen, landwirtschaftlichen und gesundheitlichen Aspekte von Lebensmitteln vornimmt. Mit der Biodiversitätsstrategie liegt ein langfristiger Plan zum Schutz der Natur und zur Umkehrung der Schädigung von Ökosystemen vor, mit einer Reihe von zeitgebundenen Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt von Lebensmittelsystemen und zur Umstellung auf eine nachhaltigere Landwirtschaft. Zu den wichtigsten Zielen bis 2030 gehören 25% Anwachsen des Ökolandbaus, sowie je 50% weniger Pestizideinsatz, Nährstoffverlust und Antibiotika in Viehzucht und Aquakultur und  20% weniger Düngemitteleinsatz. Zudem eine deutliche Anhebung der Anteile geschützter Flächen (30%) und rechtsverbindliche Ziele zur Wiederherstellung von Ökosystemen.

Stand der Verhandlungen

Aufgrund von Streitigkeiten über den EU-Haushalt und pandemiebedingten Verzögerungen bei den GAP-Verhandlungen wird nun zunächst für eine Übergangszeit bis 2023 die alte GAP in Kraft bleiben. Nachdem das Europäische Parlament (EP) und der Rat sich erst am 21. Oktober 2020 auf ihre jeweilige Verhandlungsposition festgelegt haben, gehen die trilateralen Verhandlungen mit der Kommission in den kommenden Monaten als sog. „Trilog“ weiter. Slow Food kritisiert, dass die Allgemeine Ausrichtung des Rats und die Position des EP jeweils klassische Einigungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen. Sie nehmen die positiven Elemente der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie, die einen ernsthaften Wandel bewirken könnten, kaum auf. Die GAP wäre demnach weiterhin ein Finanzierungsmittel, das in erster Linie den Besitz von Land belohnt, statt gesellschaftliche Leistungen für den Schutz der natürlichen Grundlagen. Auch künftig würde die Beihilfenpolitik  große Agrarkonzerne bevorzugen. Kleinbäuer*innen, die biologische Landwirtschaft betreiben und biologische Vielfalt erhalten und wiederherstellen hingegen würden mit Blick auf die Green-Deal-Ziele weiterhin unzunreichend gefördert.

Obwohl es ein übergeordnetes gesellschaftliches Interesse an einer wissenschaftsbasierten Politikgestaltung unter Einhaltung ökologischer Grenzen sowie des Klimaschutzes gibt, scheint die EU auch mit der aktuellen GAP-Reform den dringend notwendigen Richtungswechsel kaum zu bewerkstelligen. 

Appell der Zivilgesellschaft an die EU-Kommission

Da der Trilog die letzte Chance ist, der nachhaltigen Ausrichtung der europäischen Landwirtschaft einen einheitlichen rechtlichen Rahmen zu geben, hat Slow Food Deutschland sich in den vergangenen Tagen gemeinsam mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen an die EU-Kommission gewandt. Slow Food Youth hat als Teil eines Bündnisses junger Menschen entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Lebensmittelsystems sowie der Klimagerechtigkeitsbewegung in einem Schreiben an die EU-Kommission ihre Forderung nach einer ambitionierten, regional angepassten Landwirtschaftspolitik ausgedrückt – nach einer GAP, die Klima, Umwelt und Biodiversität schützt sowie Landwirt*innen für ihre gesellschaftlichen Leistungen fair entlohnt. Die jungen Erwachsenen weisen damit erneut darauf hin: Die Klimakrise wartet nicht und duldet keinen Aufschub. In einem weiteren Schreiben fordert Slow Food Deutschland gemeinsam mit einer breiten Plattform von Verbänden aus Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft, Entwicklungspolitik, Verbraucherschutz und Tierschutz, dass es künftig für Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe kein Mindestbudget geben darf, sondern vielmehr die Leistungen der Landwirt*innen für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz zu honorieren sind. Des Weiteren mahnen die Verbände eine Halbzeitbilanzierung der GAP sowie ein höheres Maß an Transparenz in den laufenden Trilog-Verhandlungen sowie der nationalen Ausgestaltung an. 

Was jetzt für Slow Food Deutschland zählt

Immer wieder führt uns die Wissenschaft vor Augen, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, um die Folgen von Klimawandel und Biodiversitätsverlust abzumildern. In Übereinstimmung mit gleichgesinnten Verbänden sieht Slow Food die grundlegende Neuausrichtung der GAP als Voraussetzung für eine Trendwende in unserem wenig nachhaltigen und in Anbetracht der Herausforderungen geradezu unzeitgemäßen Ernährungssystem. Zentral dabei ist die ambitionierte Umsetzung von Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie.

In Fragen des Klima- und Biodiversitätsschutzes braucht die EU einige Mitgliedstaaten, die mutiger voranschreiten und als Vorreiter einer zukunftstauglichen Landwirtschaft wissenschaftlich empfohlene Maßnahmen zügiger in die Umsetzung bringen, als es anderen möglich ist. Um Mängel in der politischen Ausgestaltung auf EU-Ebene wettzumachen, sollte der deutsche Strategieplan zur GAP-Umsetzung konsequent mit dem Green Deal verknüpft werden. Dafür wird sich Slow Food Deutschland gegenüber den nationalen Entscheidungsträger*innen, insbesondere im BMEL, einsetzen.

Slow Food sieht Politik und Landwirtschaft in der Hauptverantwortung für die Nachhaltigkeit der europäischen Agrarpolitik. Doch auch wir Verbraucher*innen sind gefragt: Unsere Ernährungsweisen stehen auf dem Prüfstand, denn wir nehmen täglich maßgeblichen Einfluss darauf, was in welchen Mengen und auf welche Weise erzeugt und nachgefragt wird. Verbraucher*innen können und sollten die Chance und ihr Potential nutzen, um als Koproduzent*innen mit ihren Einkäufen und Restaurantbesuchen eine Lebensmittelerzeugung zu unterstützen, die Klimaschutz, biokulturelle Vielfalt und Genuss gleichermaßen fördert. Der Verein sieht sich aufgerufen, die eigenen Ansätze für eine angepasste Ernährungsweise, beispielsweise das Positionspapier über eine Gesunde Ernährung, weiterzuentwickeln, zu verbreiten und mit Verbraucher*innen und Entscheider*innen zu diskutieren. Für Slow Food steht dabei außer Frage: Planetengesundheit ist die Voraussetzung für Menschengesundheit. Und eine ausgewogene, klima- und biodiversitätsfreundliche Ernährung muss einen fairen Preis haben, für alle entlang ihrer Wertschöpfung sowie für die Verbraucher*innen. Gesunde Ernährung im Slow-Food-Sinne soll kein Luxus sein. Deswegen zeigt Slow Food 2021 verstärkt Möglichkeiten auf, wie dies auch für den kleinen Geldbeutel umsetzbar ist.

 

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