Slow Food München: Wie geht „Normalität“?

2.04.2020 - Markus Hahnel ist Leiter der regionalen Gruppe Slow Food München. Was den Münchner gerade so umtreibt, welche kreativen Lösungsansätze es in und um München gibt und wie sich die lokale Slow-Food-Gruppe engagiert, hat er uns im Interview erzählt. Er verrät uns auch Tipps zum einfachen Kochen und hat uns ein Rezept für das italienische Kulturgut Spaghetti Carbonara zum Nachkochen zur Verfügung gestellt....

gube20-eroeffnung-7.jpegWie sehen Sie die aktuelle Situation? Was treibt Sie am meisten um?

Das Gesundheitsrisiko ist natürlich eine Sache, wobei ich hauptsächlich jüngere Menschen kenne, die von Corona betroffen sind und wir davon ausgehen, dass sich der Verlauf positiv entwickelt. Die älteren Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis verlassen kaum das Haus und lassen sich ihre Lebensmittel bis vor die Tür liefern. Große Sorge macht mir die wirtschaftliche Situation vieler Menschen aus unserem Slow-Food-Netzwerk, die extrem betroffen sind. Dazu gehören die Unterstützer und Genussführer Lokale. Darunter sind Berufszweige, in denen die Margen nicht sehr hoch sind, die wenig Rücklagen bilden können, auf die sie jetzt zugreifen könnten. Zudem sind gastronomische Betriebe sehr saisonabhängig. Was jetzt an Arbeit und Einkommen weg fällt, holen sie nicht wieder rein. Die Durststrecken, die Einige überbrücken können sind eher im Bereich von Wochen und nicht Monaten. Deshalb habe ich Sorge, dass es einige trotz Überbrückungsgelder nicht überleben. Und landwirtschaftliche Betriebe, die stark auf Gastronomie setzen, müssen jetzt neu denken und sich anders organisieren. Ich selbst bin auch betroffen, da die Kochschule, die ich vor einem drei viertel Jahr aufgemacht habe, gerade Null Umsatz generiert. Auch mein zweites Standbein, ein Beratungsprojekt für mehr Einsatz von Biofleisch in der Gastronomie, ist zum Stillstand gekommen, da die Gastronomie nun ganz andere Probleme hat.

Es sind durchaus schwierige Zeiten, von denen unser Netzwerk mitunter sehr betroffen ist. Lassen Sie uns darüber reden, was getan werden kann. Sie haben das Stichwort "neu denken" genannt. Sehen Sie in Ihrem Umfeld kreative Lösungsansätze, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen?

Wichtig ist, dass wir uns nicht runterziehen lassen und gerade jetzt auf Gemeinschaft setzen. Und da freut es mich sehr zu sehen, dass es an vielen verschiedenen Stellen Lichtblicke gibt, diverse Plattformen, Vermarktungsstrukturen und Lieferdienste aus dem Boden sprießen. Einige Slow-Food-Unterstützer und Genussführer-Lokale wie in München das >> Süßmund und >> Broeding starten gerade Lieferdienste für ihre Gerichte. Dann gibt es in München auch diverse Stadtteil-Initiativen und der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband hat gemeinsam mit der Genussakademie und Bayern 3 die Initiative Lokalhelden Bayern ins Leben gerufen. Eine >> Bayernlandkarte soll zur Rettung der Lieblingslokale verhelfen und zeigt auf, bei welchen gastronomischen Betrieben jetzt noch bestellt und abgeholt werden kann.

IMG_8283.jpegWie reagiert Slow Food München auf die aktuelle Lage?

Wir engagieren uns zusammen mit der Genussgemeinschaft Städter und Bauern. Durch die Genussgemeinschaft, bringen wir schon seit Längerem Lebensmittel aus der Region durch Einkaufsgemeinschaften an die Städter*innen. In Zeiten von Corona versuchen wir beispielsweise auch Käse aus Südtirol zu vermarkten, da Südtirol sehr hart von der Krise getroffen und dortigen Erzeuger*innen das Geschäft komplett weggebrochen ist. Hinzu kommt, dass ihnen jetzt der Tourismus fehlt. Die Käselieferung, die nächste Woche ankommt, werden wir an Abholstellen zur Verfügung stellen. Dabei sind wir auf das Verständnis der Einkäufer*innen angewiesen. Denn damit sich der Vertrieb lohnt, müssen sie einen ganzen Laib Käse abnehmen und sich um die Weiterverteilung im Bekannten- und Freundeskreis kümmern. Mit 100g Bestellungen können wir nicht arbeiten. So versuchen wir auch auf den bald einsetzenden Spargel-Überschuss zu reagieren, indem wir für Spargel, der jetzt in der Gastronomie wenig Abnehmer*innen findet, Vermarktungswege und Einkaufsgemeinschaften auftun. Auch für die Tätigkeiten, die gerade zeitsensibel sind und innerhalb von wenigen Tagen bzw. Wochen erledigt werden müssen, wie Spargelstechen und Hopfenbinden, versuchen wir uns im Netzwerk zur Unterstützung der Bäuer*innen zu organisieren, da viele ausländische Erntehelfer*innen ausfallen. Organisatorisch ist das Ganze nicht unkompliziert. Nicht jede*r hat ein Auto und Höfe sind nicht unbedingt gut an eine S-Bahn angebunden. Die Verkehrsmittel fahren eingeschränkt sind. Aber die Stärke des Netzwerks zeigt sich in dieser Situation ganz deutlich.

Viele Menschen sind jetzt „zwangsläufig“ mehr auf das Kochen und die selbstgemachte Mahlzeit angewiesen. Haben Sie das Gefühl, dass Menschen nun mehr kochen?

Ich empfinde es auf jeden Fall so, dass viel mehr gekocht wird. So nehme ich es auch in den sozialen Netzwerken wahr. Und ich habe auch von vielen gehört, dass sie den Gemeinschaftsaspekt dabei nicht außen vor lassen, das heißt, dass sie sich trotzdem mit Freund*innen und Familie zum gemeinsamen Essen verabreden, nur eben virtuell, über Face Time, Skype und co. Das lässt sich durchaus auch mit Kerze, guter Stimmung und einer Flasche Wein gemütlich gestalten.

Welche Nahrungsmittel braucht es eigentlich wirklich im Kühlschrank und welche einfachen Gerichte lassen sich zu Mittag zubereiten?

Was es eigentlich nur braucht sind die Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Reis und Nudeln, verschiedene Fette zum Kochen, viel mehr nicht. Diese lassen sich dann endlos mit wenigen Zutaten kombinieren und austauschen. Zum Beispiel Pasta in jeder Form, angefangen mit Salbei und Butter, Pasta aglio e olio (mit Knoblauch und Öl) bis hin zu einer Soße, die man auf Vorrat hat. Auch Kartoffeln lassen sich mit wenigen Zutaten verarbeiten, ob als Salz-, als Brat- oder Rosmarinkartoffeln im Ofen oder als Kartoffelstampf. Aus Teig lässt sich an einem Tag Pizza, am nächsten dann Foccaccia, Brot und mehr machen. Prima sind auch Aufläufe, mit Gemüse oder Fleisch. Es gibt endlos Möglichkeiten, mit wenig Aufwand Leckeres zu zaubern. Und da schnippele, koche und backe ich doch lieber ein wenig, als die neusten Nachrichten zu Corona auf dem Smartphone zu lesen.

Carbonara (c) Markus Hahnel.jpegRezept-Tipp von Markus Hahnel: Spaghetti Carbonara

Zu den Lieblingsgerichten von Markus Hahnel, Leiter von Slow Food München, gehört das italienische Kulturgut Spaghetti Carbonara. Das Rezept stellt er uns mit Hintergrundinformationen zum Gericht zur Verfügung und weist, auf was es bei dem Gericht zu achten gilt. So zum Beispiel ist das A und O "gescheite Pasta" zu nutzen. Tolles Soul und Comfort Food, das wir gerade in Zeiten von Corona gebrauchen können. >> Zum Rezept

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