Beste Reste

Volle Regale im Supermarkt verführen dazu, mehr einzukaufen als eigentlich gebraucht wird. Und so bleiben oft genug Reste übrig, die im Kühlschrank immer weiter nach hinten wandern, bis sie schließlich im Müll landen. Ein Online-Kochkurs der Slow Food Youth beschäftigte sich mit dem Thema Lebensmittelverschwendung.

Es kommt in den besten Haushalten vor. Die weiche Möhre, die trockene Brotkante, der abgelaufene Joghurt, die matschige Tomate – sie wandern in den Abfalleimer, obwohl sie mit ein bisschen Fantasie und Kocherfahrung durchaus noch hätten verwertet werden können. Etwa zehn Prozent des Haushaltsmülls, so Schätzungen, sind essbare Lebensmittel.

Doch Lebensmittelverschwendung ist immer auch eine Verschwendung der wertvollen Ressourcen Boden, Wasser und Energie. Außerdem haben Ernährung und Landwirtschaft einen großen Einfluss auf die Erderwärmung – je mehr produziert wird, umso stärker sind die Auswirkungen auf den Klimawandel. „Wir essen auf fürs Klima“ hieß folgerichtig der vierte und letzte politische Online-Kochkurs, zu dem die Slow Food Youth eingeladen hatte. Der Abend war Teil der Kampagne „Zukunft würzen: Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt!“, mit der Slow Food und die Slow Food Youth für eine Transformation unseres Ernährungssystems eintreten.

Verantwortung liegt nicht nur bei den privaten Haushalten

Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO gehen jährlich etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel zwischen Acker und Teller verloren. Die Verantwortung liegt also nicht nur bei den privaten Haushalten, das machte Valentin Thurn, Dokumentarfilmer sowie Regisseur und Produzent des 2011 erschienenen Films „Taste the Waste“, direkt anfangs in seinem inhaltlichen Beitrag zum Abend klar. Die Bäuer*innen ernten die Felder nicht komplett ab, sondern pflügen krummes oder unansehnliches Gemüse einfach unter. In vielen der Bäckereien sind bis kurz vor Ladenschluss die Regale voll bestückt, obwohl so viel gar nicht mehr verkauft werden kann. Supermärkte werfen immer noch Lebensmittel weg, die unansehnlich geworden sind oder das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben. „Da hat sich in den vergangenen zehn Jahren seit Erscheinen des Films leider nicht viel getan“, bedauerte Thurn. „Obwohl das Problembewusstsein deutlich gewachsen ist, verharren wir in Deutschland bei der Lebensmittelverschwendung weiter auf einem hohen Niveau.“

Dabei ist es Ziel der Bundesregierung, der EU und der Vereinten Nationen, die Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren. Es wird also höchste Zeit, dafür etwas zu tun. In Frankreich, Belgien oder Tschechien gibt es beispielsweise schon Gesetze, die es Supermärkten untersagen, essbare Lebensmittel in den Abfall zu geben. Aber auch ohne gesetzliche Vorschriften sei viel machbar, meinte Thurn: „Mit ökonomischen Anreizen wie Steuerersparnissen lässt sich die Wirtschaft gut beeinflussen. Unternehmen, die weniger wegwerfen, könnten finanziell belohnt werden. Und umgekehrt: Wer viel wegwirft, der muss eben dafür bezahlen.“

Früher galt es vielen als Sünde, Essen wegzuwerfen

Weniger volle Regale wären vielleicht die Folge, für deutsche Verbraucher*innen ein ungewohnter Anblick. Aber gerade das übergroße Angebot in den Supermärkten, Discountern und anderen Lebensmittelgeschäften verführe ja auch zum Kaufen. Warum nachdenken, was wirklich gebraucht wird, wenn alles jederzeit in großen Mengen verfügbar ist? Und da kommen dann doch wieder die privaten Haushalte ins Spiel. Nach einer vom Bundesernährungsministerium in Auftrag gegebenen Studie wirft jede*r Deutsche etwa 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg – was zusammengerechnet die stolze Summe von über 6 Millionen Tonnen ergibt.

„Für meine Mutter war das Wegwerfen von Essen noch Sünde, sie hatte den Hunger am eigenen Leib erlebt“, erzählte Valentin Thurn. Heute spielten optische Kriterien dagegen eine große Rolle: Der Apfel sieht zu schrumpelig aus, die Banane zu braun, die Kartoffel keimt – schon sind sie ein Fall für die Mülltonne. Auch Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, landeten viel zu oft im Abfall, obwohl sie noch essbar sind. „Der Slow-Food-Gründer Carlo Petrini hat schon recht, wenn er meint, dass viele Städter*innen die Fähigkeit verloren haben, gute von schlechten Lebensmitteln zu unterscheiden.“ Thurn plädierte für möglichst praktisch angelegte Kochkurse in den Schulen: „Es geht um eine kulturelle Fähigkeit, die wir zu verlieren drohen – nämlich die Fähigkeit, uns aus möglichst naturbelassenen Zutaten ein leckeres Essen zuzubereiten.“

Mit Fantasie statt mit Rezept kochen

Darum ging es dann auch im praktischen Teil des Abends: Im Kochkurs sollte aus Resten etwas geschmacklich Überzeugendes entstehen. Dem Problem, dass natürlich nicht jeder der über 60 Teilnehmer*innen die gleichen Reste zu Hause hatte, begegnete Koch Bernd Gröning vom Fabulose-Team direkt zu Beginn mit dem Ratschlag: „Vergesst das Rezept. Rezepte sind nur in Apotheken und der Patisserie wichtig. Wir kochen mit Herz und Fantasie.“ Und so ließ sich tatsächlich fast jede Zutat des eigentlichen Rezepts ersetzen – je nachdem, was gerade übrig war und verarbeitet werden musste.

Mit dem Verwerten von Resten kennt sich Gröning bestens aus, denn das Fabulose  ist ein Dortmunder Pop-Up Restaurant, in dem mit Lebensmitteln gekocht wird, die sonst in der Tonne gelandet wären – weil sie nicht verkauft wurden oder nicht „schön genug“ für den Einzelhandel sind. So entstehen Mittagsangebote, 5-Gänge-Menüs oder Caterings – ein bisschen Aufklärungs- und Bildungsarbeit gibt es kostenlos dazu.

Mit Witz und angenehmer Ruhrpott-Herzlichkeit erzählten Gröning und seine Kollegin Sophia Neuendorf von ihren Erfahrungen aus der Gastronomie und dem Kochen mit Resten. Fast nebenbei köchelte die Soße auf dem Herd, wurde Gemüse in Streifen gehobelt und Dressings angerührt. Und es gab jede Menge Tipps: Aus den Gemüseschalen lässt sich noch eine schöne Brühe kochen, das Grün der Tomatenrispen bringt eine Extraportion Geschmack an die Nudelsoße, Marmeladen- oder Grillsaucen-Reste passen gut ins Salatdressing. Auch mit überreifen Bananen lässt sich viel mehr machen als nur Bananenbrot. Wer die Früchte aus biologischem Anbau kauft, kann sogar die Schale zum Essen geben: Hier lohnt sich dann doch der Blick ins Rezept…

Autorin: Birgit Schumacher

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