„Das ist eine massive Veränderung in der Milchviehhaltung, die Zeit braucht“

Falsche Anreize in der Landwirtschaftspolitik und die Dauer-Billigpreise für Fleisch gehen auf Kosten von Millionen Nutztieren in deutschen Ställen. Deswegen fordert Slow Food: Verbessert Wohlergehen und Gesundheit von Nutztieren. Anja Frey vom Voelkleswaldhof in Baden-Württemberg hat da ein paar Ideen.

(c) Anja Frey_4.jpgAnja Frey betreibt mit ihrem Mann seit vielen Jahren einen biodynamischen Hof in der baden-württembergischen Hohenlohe. Ein Milchviehbetrieb, wie es sie dort viele gibt. Und wie er doch auch wieder besonders ist. Denn vom Voelkleswaldhof ging eine Bewegung aus, die immer mehr Milchhöfe erfasst, auch wenn es immer noch zu wenige sind: Betriebe, die die vielen Kälber nicht wie auf der großen Mehrheit der Höfe nach wenigen Tagen von den Mutterkühen trennen und zur Mast ins Ausland transportieren – sondern ihre Kälber mit den Mutterkühen aufziehen, mästen und selber vermarkten.

Frau Frey, Slow Food fordert von der nächsten Bundesregierung, endlich Wohlergehen und Gesundheit von Nutztieren verbindlich zu verbessern. Warum geht es den Tieren in der Landwirtschaft schlecht?

Ich würde nicht sagen, dass es den Tieren in der Landwirtschaft grundsätzlich schlecht geht. Ich kann im Wesentlichen für Milchviehbetriebe sprechen. Und da würde ich sagen, dass auf vielen Höfen – auch wegen entsprechender Förderung und Beratung – das Augenmerk zwar mittlerweile darauf gerichtet wird, ob es dem Tier dem äußeren Anschein nach gut geht. Aber nicht unbedingt danach, ob es auch seinem Wesen gemäß gehalten wird. Die einen sagen, ich baue jetzt einen neuen Stall mit viel Platz, Licht, Sonne. Das sieht dann aus, als ob es tiergerecht wäre. Aber ist das wirklich die Antwort auf die Frage: Was braucht eine Kuh? Dafür muss man das Wesen anschauen und nicht nur nach Tiergerechtigkeitsaspekten schauen. Wesensgemäß bedeutet zum Beispiel: Die Kuh ist ein Wiederkäuer, sie braucht das Gras, sie will weiden, sie will das Gras abrupfen. Aber auch: sie möchte ihr Kalb aufziehen nach der Geburt.

Wo sehen Sie ein Problem?

Das Wachse- oder Weiche-Prinzip der Landwirtschaftspolitik hat viele Höfe dazu gebracht, aus ihren Milchkühen immer mehr herausholen zu müssen. Sonst sehen viele Betriebe keine Möglichkeit, zu den am Markt geforderten Billigpreisen für Milch produzieren zu können. Dennoch haben wir Landwirte eine besondere Verantwortung, wenn wir unsere Erde nachhaltig gestalten, mit unseren Ressourcen verantwortlich umgehen. Wir wollen unsere Produkte produzieren, wir wollen gleichzeitig die Landschaften pflegen. Und das so, dass es für die nachfolgenden Generationen auch noch funktioniert. Ein Riesenbaustein auf dem Weg dahin wäre es, wenn wir in der Milchvielhaltung richtig etwas ändern – im konventionellen, wie im Bio-Bereich. Und dafür wäre es wichtig, die Kälberaufzucht neu zu gestalten.

Was ist daran ein Problem?

Zum einen kommen männliche Kälber auf die Welt, die in der Milchproduktion nicht eingesetzt werden können – aber auch in der Fleischproduktion nicht, weil viele Rassen nur auf Milchleistung gezüchtet sind. Es gibt aber auch weibliche Kälber, die ebenfalls nicht für die Milcherzeugung gebraucht werden. Einige weibliche Kälber kommen womöglich noch in die Herde, viele Kälber aber werden nach 14 Tagen vom Hof geholt, in die Mast gebracht, nicht selten auch auf langen Tiertransporten quer über den Kontinent gefahren und dann in spezialisierte Großmastanlagen gegeben. Auch, weil die Betriebe sich auf Betreiben der Politik stark spezialisiert haben: entweder sie erzeugen Milch oder Fleisch. Viele Milchbetriebe haben schlicht keinen Platz und kein Futter, die Tiere noch zwei, drei Jahre aufzuziehen, zu mästen und dann auch noch zu vermarkten. Es sind die wenigstens, die das können.

Was machen Sie auf dem Voelkleswaldhof im baden-württembergischen Hohenlohe anders?

Wir arbeiten seit mehr als 60 Jahren biodynamisch. Den Generationen hier auf dem Hof war die wesensgemäße Tierhaltung schon immer wichtig. Wir geben schon seit mehr als 20 Jahren unsere Kälber nicht mehr vom Hof, sondern ziehen sie mit den Mutterkühen auf. Bei uns bleiben beide Geschlechter auf dem Hof. Einige weibliche Kälber werden in knapp drei Jahren zu Milchkühen. Ihre „Geschwister“ werden nach etwa vier bis sieben Monaten geschlachtet und zu Kalbfleisch verarbeitet. Was der landwirtschaftliche Betrieb mit viel Sorgfalt erzeugt hat, sollte mit ebenso viel Sorgfalt verarbeitet werden – und zwar alle Teilstücke! Das gebietet allein der Respekt vor dem Tier. Und daraus haben wir eine Initiative Bruderkalb gegründet, der heute mehr als 50 Bioland- und Demeter-Betriebe angehören und die ähnlich arbeiten.

Und das klappt?

Die Koordination ist nicht ganz einfach. Bei mir laufen die Informationen auf, wann wird welches Kalb geschlachtet. Parallel dazu muss mit den Partnern in Verarbeitung und Handel gesprochen und verhandelt werden, zu welchem Preis sie das Kalb nehmen.  Das geht überhaupt nur, weil wir Partner haben, die uns das Fleisch dieser Kälber abnehmen und hochwertig vermarkten. Aber was heißt schon: Klappt das? Man darf da nicht so viel Angst haben, wir müssen da ja weiterdenken. Wir dürfen – egal ob Biobauer oder kein Biobauer – ein Wesen wie eine Kuh nicht komplett dem Diktat des Marktes unterwerfen. Unabhängig von der Vermarktung müssen wir uns ja fragen: welche Haltung wollen wir? Dass es funktioniert zeigt ja nicht nur, die lange Zeit, in der wir das jetzt schon machen. Sondern auch, dass es deutschlandweit mittlerweile mehrere Initiativen gibt, die ähnliche Ziele verfolgen. Daraus haben wir einen Zusammenschluss gegründet, der sich nun für einheitliche Richtlinien einsetzt.

Moderne Milchviehrassen sind aber doch gar nicht dafür gemacht, auch Fleisch zu ergeben. Müsste man nicht viel stärker wieder dazu kommen, nur mit Rinderrassen zu arbeiten, die sowohl Milch als auch Fleisch geben können: dann hätte man ja längst nicht so einen großen, verzeihen Sie das Wort, „Überschuss“ an Kälbern.

Wir halten jetzt schon alte Rassen wie das in Süddeutschland beheimatete Braunvieh, das Niederungsrind, aber auch noch, zum Teil von früher, schwarz- und rot-bunte Kühe, die noch eher auf Milchleistung gezüchtet sind. Auf Dauer brauchen wir sicher auch züchterische Veränderungen. Aber das braucht Zeit. Die erste Baustelle auf dem Weg zu mehr Tierwohl ist die Aufzucht aller Kälber mit der Mutter- oder Ammenkuh. Die nächste Baustelle ist die Frage der Rasse. Das geht aber nicht von jetzt auf gleich. Ich muss mit den gestandenen Kühen, die wir haben, weiterarbeiten. Und die werden auf einem Betrieb wie dem Voelkleswaldhof eben auch mal neun oder zehn Jahre alt. So eine ganze Herde umzustellen, wird mindestens 15 Jahre dauern.

Wie geht es eigentlich den Kühen, wenn die wieder ihre Kälber selbst betreuen?

(c) Anja Frey_1zu1.jpgMan kann es ja nur erahnen. Man hat gemerkt, dass die Kühe erstmal gefordert waren. Über Jahre wirkt sich das auf die Genetik aus, wenn die Kühe nicht mehr gewohnt sind, ihre Kälber aufzuziehen. Man muss sich da erstmal Zeit nehmen und sich reinfühlen. Das gilt für die Menschen auf den Betrieben übrigens auch. Das ist eine massive Veränderung in der Milchviehhaltung, die Zeit braucht. Gerade auch auf Betrieben, auf denen mehrere Generationen arbeiten. Wenn das Tränken der Kälber bisher zum Beispiel Aufgabe der Oma auf dem Hof war, muss man das ja sensibel ändern. Das ist eine starke soziale Frage. Die Ernsthaftigkeit ist wichtig, man muss den Betrieben aber auch Zeit geben, die Aufgabe in dieser Dimension zu schaffen.

Und wie geht es den Kälbern?

Die Kälber entwickeln sich hervorragend, die haben kaum eine der gewöhnlichen Kälberkrankheiten. Sie sind wirklich sehr, sehr gesund. Da merkt man: Das Konzept kann nur stimmen.

Die Arbeit ist aber auch aufwendiger, als die Kälber einfach wenige Tage nach Geburt irgendwohin zu geben.

Aufwendiger ist sie. Aber wenn alle Betriebe so arbeiten würden, wäre das wirtschaftliche für alle besser. Alle Milchbetriebe leiden ja darunter, dass viel zu viel Milch auf dem Markt die Preise drückt. Lässt man die Kälber bei den Kühen Milch saugen, ist automatisch weniger Milch auf dem Markt, die Milch wird wertvoller in dem Moment. Und gleichzeitig entlastet es auch den Fleischmarkt, weil wir die Kälber nicht zur Mast irgendwo hingeben, wo sie bis zu ausgewachsenen Tieren gemästet werden. Milch und Fleisch gehören eben zusammen.

Trotzdem ist Ihre Milch und auch das Fleisch Ihrer Bruderkälber teurer.

Die Zeit, die die Kälber bei der Kuh verbringen, kostet die Landwirte Geld. Die Kälber trinken zwischen 1700 und 2000 Liter Milch, das fehlt dem Landwirt als Milchgeldeinnahme. Zudem muss er seinen Hof umbauen. Auf der anderen Seite führt er aber eine sehr wesensgemäße Kälberhaltung durch. Er erfüllt damit viele Erwartungen: seine, die der Tiere. Aber eben auch die Erwartungen vieler Konsumenten an die wesensgemäße Tierhaltung. Deswegen kostet das Fleisch einfach mehr – nicht, weil es etwas Besonderes ist, sondern weil die Kosten einfach anfallen. Die Betriebe bekommen über unsere Vermarktung schon deutlich mehr, aber es reicht dennoch nicht. Wir können nur im Preis nicht höher gehen, weil es dann am Markt nicht mehr funktioniert – dafür ist anderes Fleisch einfach zu billig. Wenn künftig mehr Landwirte dabei mitmachen sollen, müssen die Produkte aus dieser Art der Haltung auch gekauft werden – und zwar nach der Formel: Höherer Aufwand gleich höherer Preis. Dafür bekommen Verbraucher aber auch ein sehr hochwertiges Lebensmittel.

Die Fragen stellte Sven Prange



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