Fairness in der Verarbeitung: Keine Wertschöpfung ohne Wertschätzung

An der Landwirtschaft verdienen viele, in der Landwirtschaft kaum jemand – nach diesem Motto entwickelte sich über Jahrzehnte die Einkommenssituation vom Acker auf dem Teller. Doch längst gibt es eine Gegenbewegung: Verarbeiter*innen, die ihre Erzeuger*innen fair bezahlen, so dass diese wiederum fair mit Tier, Umwelt und Mitarbeitenden umgehen können.

Irgendwann, es war in den 80er Jahren, merkte Egidius Thönes, dass sich die Dinge im Städtchen Wachtendonk am Niederrhein nicht zum Besseren veränderten. Er, der Viehhändler, machte das an der Zahl der Schlachthöfe fest. Gab es vorher vier, wurden es nun weniger, dafür größere. Und auch das Schweinefleisch schmeckte plötzlich unterschiedlich. Er forschte nach und fand heraus: Hatten die Schweine zuvor auf Stroh gelebt, schmeckte ihr Fleisch besser. Standen sie auf Spaltböden, litt der Geschmack. Aber mit wem darüber reden? Die Metzger vor Ort wurden ebenfalls immer weniger – und die, die blieben, hatten plötzlich andere Sorgen. Also beschloss die alteingesessene Viehhandelsfamilie: Es muss sich etwas ändern. Und es änderte sich etwas.

Egidius Thönes und sein Sohn Thomas begannen, die komplette Kette vom Bauernhof über die Schlachterei bis zur Metzgerei ins Visier zu nehmen. Und sie gründeten den Thönes Naturverbund mit der Idee: Als Verarbeiter ist auch die Schlachterei Thönes nur erfolgreich, wenn die Partner im Wertschöpfungsnetzwerk ebenfalls fair arbeiten können.

Wie in der Landwirtschaft selbst rollt auch durch Verarbeitungsbetriebe eine riesige Konzentrationswelle. Egal ob Schlachthöfe, Metzgereien, Bäckereien, Öl-Mühlen oder Keltereien: die Zahl all dieser Verarbeitungsbetriebe und der Handwerker*innen, die in ihnen Lebensmittel verarbeiten und veredeln, sinkt und sinkt. Immer weniger, dafür aber immer größere und immer industrialisiertere Verarbeitungsbetriebe stehen sowohl Landwirt*innen als auch Verbraucher*innen gegenüber. Die Folge: diese tendenziell wenigen, dafür aber größeren Betriebe, haben viel mehr Druckmöglichkeiten auf ihre „Partner.“ Und das geht auf Kosten der Fairness: im sozialen Umgang, aber auch im Umgang mit Tier und Umwelt. Was dagegen hilft? Ein neues Miteinander aller Partner*innen eines Wertschöpfungsnetzwerks.

Kein Dumping, kein Akkord, keine Leiharbeit: alle Beteiligten immer im Blick

Neulich erreichte Thönes eine Anfrage: Ein Gastronomieunternehmen wollte 40 Tonnen Rinder-Oberschale im Jahr abnehmen. Eigentlich ein großes Geschäft. „Aber die wollten nur die Oberschale“, sagt Bruno Jöbkes, der heute mit Thomas Thönes die Geschäfte des Verbunds leitet. „Was machen wir dann mit dem Rest von den Rindern in der Größenordnung?“ Auf die Frage gab es natürlich keine Antwort. Wie aber hätte er den Rinder-Mästern erklären sollen, dass er jetzt Unmengen einer einzigen Fleischpartie bräuchte, mit dem Rest der Fleischteile der Tiere aber den Markt überschwemme? Weil das nicht erklärbar ist, machte Thönes das Geschäft eben nicht.

Dieser Blick auf die gesamte Kette vom Stall bis auf den Teller ist eines der Merkmale des Thönes-Naturverbundes, der am Stammsitz im Wachtendonk und an der Müritz zwei Betriebe unterhält. Weitere Prinzipien: es gibt zwei Fleisch-Linien. Eine bio-zertifizierte und eine, die den Fokus auf besonderen Tierschutz legt, Thönes Natur. Die Tiere stehen dabei auf Stroh, haben deutlich mehr Platz und Auslauf oder Offenstall und die Landwirt*innen verzichten auf viele Praktiken industrieller Tierhaltung. Auf 70 Mitarbeitende ist der Betrieb so mittlerweile angewachsen, gut 130 vertraglich gebundene Höfe bringen die Tiere, die Produkte gehen an etwa 100 Vertragsmetzgereien sowie Gastronomie.

Die Preise gehen alle an

Die Verbundpartner verpflichten sich, mindestens einmal im Jahr einander zu besuchen. So bleiben die Perspektiven und Weltsichten der verschiedenen Beteiligten aufeinander abgestimmt. Das ist wichtig – denn auch wirtschaftlich prägt gegenseitiges Verständnis und nicht einseitiges Gewinnstreben die Arbeit im Verbund. So handelt Thönes im Bio-Bereich nur mit festen Partnern, nicht über den Spotmarkt. Und im Natur-Bereich hilft ein eigenes System über die Schwächen des konventionellen Schweinemarktes hinweg: „Wir nehmen da die wöchentlichen Notierungen für Schweinefleisch“, erklärt Jöbkes. „Dann schauen wir, wie viel höher die Aufwendungen der Landwirte für unsere speziellen Vorgaben wie Stroh, gentechnikfreies Soja und größere Ställe sind und das schlagen wir auf die wöchentliche Notierung drauf.“ Kommt es zudem, wie derzeit, an den Märkten zu Preiseinbrüchen, zieht Thönes nach unten eine Grenzlinie ein. Das alles geht aber nur, weil alle Partner*innen im Verbund sich vertrauen. „Wir haben vorher bei den Metzgereien abgefragt, ob sie die Preise mittragen würden“, sagt Jöbkes. „Schließlich muss es an der Ladentheke so sein, dass alle drei Stufen den Erlös haben, den sie brauchen. Sonst ist es nicht stabil.“

Und das deckt nicht nur die Kosten der Landwirt*innen ab, sondern auch die einer fairen Schlachtung: Denn wer tierschonend schlachten will, muss auch mit den eigenen Mitarbeiter*innen fair umgehen. Heißt bei Thönes: Alle Menschen im Schlachtbetrieb sind fest angestellt, haben geregelte Acht-Stunden-Tage und kriegen ein Festgehalt, keinen Akkordlohn. „Das Gefühl der Mitarbeiter, die nicht unter Akkorddruck stehen, sondern einen festen Monatslohn bekommen, ist wichtig, weil der Rest zu Stress führen würde – und Stress in der Schlachtung wollen wir unbedingt vermeiden“, sagt Jöbkes.

Fleisch von anderem Kaliber

Dieser handwerkliche Ansatz treibt auch Sarah Dhem an. Sie und ihr Mann vermarkten seit einiger Zeit unter der Marke Kalieber Fleisch aus handwerklicher Verarbeitung und von fair ge- und behandelten Tieren. 2015 haben sie in Lastrup im Oldenburger Münsterland die Marke gegründet. Das Unternehmen ist als Premium-Marke aus dem in der dritten Generation gemeinsam mit Sarahs Vater geführten Familienbetrieb „Schulte – Lastruper Wurstwaren“ hervorgegangen. „Wir konservieren das Wissen und Können unseres Handwerks und rücken den bewussten Genuss und den ursprünglichen Geschmack von Fleisch sowie den wertschätzenden Umgang mit diesem wertvollen Rohstoff wieder in den Fokus“, sagt Sarah Dhem. Das heißt im Fall Kalieber: Feste Verträge mit den Landwirt*innen, Mast alter Rassen wie dem Slow-Food-Arche-Passagier Buntes Bentheimer, oder Haltung der Tiere im Aktivstall, Schlachtung in Familienbetrieben und handwerkliche Verarbeitung. 

„Wir möchten, dass das traditionelle Fleischerhandwerk zu neuer Stärke gelangt und dass Geschmack und Qualität, Verarbeitung und Herkunft wieder ausschlaggebend für den Kauf von Wurst- und Fleischwaren sind“, sagt Sarah Dhem. „Ebenso wichtig ist, dass die Tiere, die Schlachthöfe und die verantwortlichen Landwirte eine wertschätzende Behandlung erfahren.“ Warum sie das über den Online-Shop und zwei neue Filialen jenseits des Stammgeschäfts machen? Nun: „Das hat schon einen längeren Atem gebraucht, das beim Verbraucher zu etablieren“, sagt Sarah Dhem. Denn gerade das Vorzeigeprojekt mit Bunten Bentheimern und einer komplett fairen Wertschöpfungskette ist anspruchsvoll. „Weidehaltung ist toll und gibt nochmal ganz anderes Fleisch, aber da können Sie nicht sagen, davon brauchen wir jetzt jede Woche 50 Schweine“, sagt Sarah Dhem.

Fairness erklären

Wie wichtig es ist, immer wieder Kund*innen für den fairen Umgang in der Lebensmittelverarbeitung zu begeistern, weiß auch Bruno Jöbkes. „Die Landwirte sollten kein Rädchen im System mehr sein, sondern mit ihrer Geschichte, mit ihrem Stall einzigartig und vor allem als selbstständig handelnde Personen geschätzt werden.“ Damit Verbraucher*innen das auch mitbekommen, verpflichtet Thönes alle Landwirt*innen, sich öffentlich zum Naturverbund zu bekennen. „Eine größere Selbstverpflichtung gibt es ja nicht“, sagt Jöbkes. Im Gegenzug garantiert Thönes, nur so viele Höfe in den Verbund aufzunehmen, wie auch Nachfrage nach Tieren da ist.

Das ist aus Sicht der beteiligten Höfe ein echter Wert. Bernhard Sinz etwa arbeitet mit Thönes an der Müritz. Sinz betreibt nicht nur einen Demeter-Hof mit bis zu 200 Rindern in Mecklenburg-Vorpommern. Er vermarktet das Fleisch seiner Tiere zum großen Teil selbst und mit den Tieren anderer Partnerhöfe auch über den Online-Shop myCow.de. Dabei arbeitet er mit Thönes zusammen. „Neben der Verlässlichkeit hilft uns vor allem die Flexibilität dieser Partnerschaft“, sagt Sinz. Denn sein Geschäftsmodell würde sonst so nicht funktionieren.

Die Herausforderung bei myCow: Kund*innen müssen sich dort Fleischpakete zwar zu festen Terminen zusammenstellen, können diese Pakete aber immer flexibel füllen. Heißt für die Landwirt*innen: Nicht jedes Mal stimme die bestellte Menge an Rindfleisch mit den vorhandenen Fleischstücken eines Rindes überein. Hier haben sich Thönes und Sinz auf ein Vorgehen geeinigt, das diese Lücken ausgleicht – bei gleichbleibend hoher Bio-Qualität der Tiere. „Wenn wir etwas mal nicht selbst verkaufen, nimmt Thönes uns das ab und wir haben keinen Überhang“, sagt Sinz. Für einen vergleichsweise kleinen Anbieter wie myCow ist das im Wettbewerb mit Großen, die vor allem auf Flexibilität und Preis setzen, ein echter Vorteil. „Das geht mit Thönes sehr, sehr ordentlich“, sagt Sinz.

Neulich stellte sich bei Thönes wieder ein Betrieb vor, Schweinemast. 1.500 Tiere. Der Sohn wollte vom Vater übernehmen, aber auf Naturverbund umstellen. Wären aber immer noch 750 Tiere auf dem Hof. Selbst für Thönes eine große Zahl. „Da müssen Sie erstmal anfangen zu planen“, sagt Jöbkes. Schließlich wollen diese Tiere auch vermarktet werden. Am Ende fand sich eine Lösung, der Hof ist mittlerweile Mitglied. Und die Wertschöpfungskette Fleisch wieder ein bisschen wertschätzender.

Text: Sven Prange

Inhaltspezifische Aktionen