Slow Food Messe 2023: Was ist slowe Qualität?

27.10.2022 - Im Frühling 2022 konnte nach einer coronabedingten Pause endlich wieder der jährliche "Markt des guten Geschmacks - die Slow Food Messe" in den Stuttgarter Messehallen stattfinden. Die Messe ist ein Ort zum Netzwerken und für Lebensmittelgenuss; außerdem bietet sie eine Plattform, um in die Slow-Food-Philosophie einzutauchen und sich mit Zukunftslösungen für unsere Ernährung politisch, praktisch und kulinarisch auseinanderzusetzen. Besucher*innen können sich schon mal den Termin für 2023 im Kalender vormerken: Vom 13. bis 16.04. ist es wieder soweit, Slow Food Deutschland kommt nach Stuttgart. In der Zwischenzeit stimmen wir uns auf die Messe ein mit einem Interview aus dem Slow Food Magazin, in dem Claudia Nathansohn, Koordinatorin der Messe-Zulassung, im Gespräch mit Sven Prange erläutert, was Qualität für Slow Food ausmacht.

Slow Food Magazin: Claudia, was ist slowe Qualität?

Claudia Nathansohn: Eine sehr schöne Frage, die kurz und prägnant ist – die Antwort kann dagegen nur differenziert und in Betrachtung des einzelnen Lebensmittels erfolgen: Slowe Qualität haben Lebensmittel und Produkte, die gut, sauber, fair im Einklang mit der Natur und zukunftsorientiert angebaut und produziert werden. Hier gilt es, eine ganze Reihe an Punkten zu berücksichtigen: Arbeitsbedingungen und soziale Komponenten genauso wie Fragen nach den Auswirkungen auf Boden- und Menschengesundheit, aber auch Geschmack und Genusswert. Im Prinzip geht es darum, so anzubauen und zu verarbeiten, dass wir die natürlichen Voraussetzungen ebenso wie handwerkliches und kulturelles Wissen für die Zukunft bewahren.

Was heißt das konkret für einzelne Lebensmittel?
Gut heißt, sie sind wohlschmeckend, nahrhaft, frisch, gesundheitlich einwandfrei, anregend für die Sinne und befriedigend. Sauber heißt, sie sind hergestellt, ohne die Ressourcen der Erde, die Ökosysteme oder die Umwelt zu belasten und ohne Schaden an Mensch, Natur oder Tier zu verursachen. Fair heißt, dass Lebensmittel von Menschen erzeugt werden, die angemessen bezahlt sind und unter fairen Bedingungen arbeiten. Kurz: Lebensmittel sollten aus guten, gesunden Beziehungen kommen. Manches davon klingt subjektiv, anderes ist sehr konkret messbar. Wie geht Ihr damit um? Klar, über Kriterien wie »wohlschmeckend« lässt sich streiten. Das kann natürlich bei jeder und jedem anders sein. »Sauber« ist da schon objektiver zu messen, wenn das auch längst noch nicht selbstverständlich, geschweige denn einfach ist. Denn dafür braucht es Transparenz über Ursprung und Wertschöpfung. Aber im Grundsatz lässt sich das zum Teil an der Etikettierung oder der Darstellung auf der Webseite der Erzeugenden darstellen. »Fair« ist eigentlich auch gut messbar, aber auch nicht immer leicht zu erkennen: Zum Teil gelingt das mit Labeln, zum Teil an der Darstellung auf der Webseite. Und, Stichwort Transparenz, hierzu zählt auch, wie gerne Nachfragen beantwortet werden.


Wie findet sich das alles auf der Messe wieder?
Für alle Produkte auf der Messe gilt die Ausstellungsordnung. Die hat eine lange Geschichte. Von jeher gilt: Bestimmte Standards dürfen nicht unterschritten werden. Aber sicher gibt es auf der Messe Produkte, die die Slow-Food-Standards sehr, sehr gut erfüllen, und solche, die sich sicher noch weiterentwickeln können. Das liegt auch an der Entstehungszeit der Ordnung: Man hat damals versucht, durch die Kriterien industrielle Lebensmittelherstellung auszuschließen und Handwerk zu fördern. Seitdem hat sich die Lebensmittelwelt aber ja deutlich weiterentwickelt. Und wir wollen offenbleiben, das mitzugehen.


Und das heißt konkret?
Also ganz generell gilt: Jedes Produkt muss handwerklich hergestellt sein. Ganz wichtig ist auch das Transparenzgebot: Alle, die an der Herstellung des Produktes beteiligt waren, müssen genannt werden. Und dann müssen alle Produkte weitestgehend frei von Aromen und Zusatzstoffen sein.


Wie läuft das detailliertere Prüfverfahren ab?
Wer ausstellen will, meldet seine Produkte an und gibt bekannt, welche Zutaten diese entsprechend der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung enthalten. Die regelt die gesetzlichen Vorgaben, welche Informationen und schließlich auch Zutaten auf einem Produkt benannt werden müssen. Als Messeteam prüfen wir, ob die gemachten Angaben mit der Ausstellungsordnung konform sind. 

Habt Ihr das Lebensmittel zum Anfassen, Schnuppern, Schmecken da?
Zunächst ist das eine reine Etikettenprüfung. Da aber eben gesetzlich geregelt ist, was auf die Etiketten muss, haben wir so eine verlässliche Grundlage.


Wie viele Produkte habt Ihr zuvor getestet?
Alles, was später auf der Messe probiert oder gekauft werden kann, müssen die Ausstellenden zuvor bei uns einreichen. Auch das Brot oder die Milch zur Verkostung. So kommen gut 8 000 Produkte zusammen. Die Herausforderung ist, den
Überblick zu behalten und sicherzustellen, dass zu allen Produkten die gleichen Fragen gestellt werden. Seit 2018 prüfen wir daher im Vier­-Augen­-System und für jedes Erzeugnis sind mindestens zwei Personen verantwortlich. Das hat sich bewährt.


Und was fällt da so durch die Prüfung und wird von Euch aussortiert?
Produkte, die nicht der Ausstellungsordnung entsprechen. Zum Beispiel Marmelade mit Zitronensäure oder Kaliumsorbat, Liköre mit Aroma. Manchmal auch Give-Aways. Bei süßen Sachen sind oft Aromen ausschlaggebend fürs Ablehnen. Aroma ist überhaupt der Klassiker unter den Ausschlussgründen. Dieses Jahr haben wir etwa 140 Produkte nicht zugelassen.


Weil die Ausstellenden nicht um die nicht zugelassenen Zutaten wissen oder weil sie schummeln?
Da gibt es sone und solche Produzenten. Bewusstsein für gute Qualitäten steigt aber schon. Das liegt auch daran, dass wir einen sehr nachhaltigen Qualitätsansatz haben: Es dürfen nur Lebensmittel auf der Messe ausgestellt werden, die mit genau der Rezeptur auch nach der Messe noch gekauft werden können. Wer ausstellt, kann also nicht auf der Messe eine Rezeptur nach unseren Qualitätsstandards anbieten und diese nach der Messe wieder ändern. So steigen insgesamt die Qualität und auch die Wirkung unserer Prüfung nachhaltig.


Wie sieht die Qualitätssicherung auf der Messe aus?
Wir unterstützen alle, die ausstellen, die Ausstellungsordnung zu verstehen. Wir besuchen dafür die Marktstände und vergleichen angemeldete Produkte mit ausgestellten. Dabei entstehen sehr offene und zugewandte Gespräche mit den Ausstellenden und es ist toll, im besten Falle die Menschen hinter den Produkten kennenzulernen. Im Vorfeld sind wir
ein kleineres Team, für die Vor-Ort-Prüfung erweitern wir das Team, sodass wir in zwei Tagen möglichst an allen Ständen »Hallo« sagen können.


In welchem Bereich sind die Regeln besonders streng?
Bei den gastronomischen Angeboten für die Marktheld-Auszeichnung zum Beispiel müssen die Ausstellenden in diesem Jahr Chef-Alliance-Köchinnen der -Köche sein. Sie müssen also nach den Regeln der Slow-Food-Köchevereinigung kochen. Das heißt besonders regional und saisonal und mit Produkten aus fairen und bewährten Partnerschaften. Dazu wird es dieses Jahr ein Chef-Alliance-Restaurant auf der Messe geben. Drei Spots am Tag, an denen CA-Mitglieder zusammen jeweils ein Menü kochen.


Du hast die Markthelden-Produkte genannt. Was verbirgt sich dahinter?
Da schauen wir detaillierter nach der Entstehungsgeschichte und Wertschöpfung des Produktes. Ausstellende mit Markthelden-Auszeichnung spiegeln die Aspekte gut, sauber, fair besonders wider. Sie zeigen, was heute schon möglich ist, indem sie besonders ambitioniert produzieren. Bei den Markthelden prüfen wir auch nicht nur die Etiketten, sondern fordern zum Beispiel auch ein Schreiben des Erzeugenden ein, das uns mehr über die Philosophie und Arbeitsweise des Betriebs verrät.


Und was ist so ein Marktheld?
Die Markthelden-Produkte sind die schönsten Geschichten auf der Messe. Denn wir zeichnen zwar »nur« Produkte damit aus, aber dahinter stehen Menschen, die etwas zu erzählen haben. Sie machen das Erzeugnis selber lebendig. Es sind definitiv die Leuchttürme, die besonderen Produkte, die die Auszeichnung erhalten.


Ist ein Bioprodukt automatisch ein Marktheld?
Nein – dafür geht Slow Food die EG-Bio-Verordnung an manchen Stellen nicht weit genug. Das gilt etwa mit Blick auf Aromen. Aber zum Beispiel auch mit Blick auf industrielle Fertigungsprozesse, die im EG-Bio-Bereich schon auch möglich, mit der Slow Food-Philosophie aber nicht so verträglich sind.


Welche Vorteile hat das Qualitätskonzept für Besucherinnen und Besucher der Messe?
Auf der Messe wird die Slow-Food-Philosophie erlebbar. Wir geben Gedankenanstöße und zeigen Praxisbeispiele, wie eine bessere Lebensmittelproduktion aussehen kann und wie sie vielfach auch schon stattfindet. Gleichzeitig haben Menschen die Chance, direkt mit den Erzeugenden in Kontakt zu treten, ihnen Fragen zu stellen und ihre Begeisterung für die nachhaltige Arbeit zu spüren. Durch die Auszeichnung in verschiedenen Qualitätsstufen zeigen wir auch Entwicklungspotenziale, präsentieren, was heute schon möglich ist. Jeder, der auf der Messe ausstellen darf, macht schon mehr richtig als viele andere.

Welche Produkte sind besonders schwierig zu überprüfen?
Herausfordernd ist das gastronomische Angebot, Küchenutensilien und Liköre, weil hier der Gesetzgeber die Deklaration von Aromen und verwendetem Zucker nicht vorschreibt. Wenn ich im Team frage, höre ich bestimmt noch andere Produktgruppen.

Wie entwickeln sich Qualitäten im Laufe der Jahre weiter und wie berücksichtigt Ihr das?
Die Lebensmittelwelt dreht sich weiter – so lernen wir während des Zulassungsprozesses immer wieder Neues. Das diskutieren wir, finden dazu eine Position und passen entsprechend Ausstellungsordnung und Zulassung an.


Was ist nach der Qualitätsprüfung Dein Lieblingsprodukt auf der Messe?
Das gibt es nicht. Es gibt so viele tolle Produkte und Geschichten hinter den Produkten – da ist es nicht möglich, eines herauszustellen. Was ich sagen kann ist, dass auf jeden Fall die Markthelden-Erzeugnisse dazu gehören. Da wissen wir von der Liebe und dem Engagement, die man auch in den Produkten schmeckt und im Gespräch mit den Erzeugenden am Stand spürt. Es gibt aber auch viele Ausstellende, die diese Auszeichnung nicht möchten, da sie ihre Produkte selbst nicht als Helden hervorheben möchten. Ich empfehle allen, die nach Stuttgart kommen, am besten Ausschau nach den kleineren Erzeugerinnen und Erzeugern in familiärer Führung zu halten. Die Einladung lautet: Trauen Sie sich, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, Sie werden beflügelt nach Hause gehen und wieder ein Stück mehr hinterfragen, was auf den Teller und in den Magen kommt.

Was kann man von Euren Erfahrungen an Tipps für den privaten Einkauf slower Qualitäten mitnehmen?
Es finden sich in allen Gegenden tolle Produkte. Im ländlichen Raum lohnt es sich, auf Produzentenschilder am Straßenrand zu achten oder im (Bio)-Supermarkt nach Flyern und Veranstaltungshinweisen zu schauen. Viele gute Hinweise kommen natürlich auch von den regionalen Slow-Food-Gruppen. Auf deren Webseiten gibt es zum Teil Produzentenempfehlungen sowie Hinweise auf Märkte und Veranstaltungen. Grundsätzlich empfehlen wir den Menschen, wo auch immer sie zu Hause sind, den Blick auf die Produkte zu schärfen, die Zusatzstoffe und Herkunft zu checken. Und wenn sie sich dabei mit einer Latte an Inhaltsstoffen konfrontiert sehen, würde das Produkt sicherlich nicht auf der Messe landen.

Quelle: Erschienen im Slow Food Magazin Ausgabe 02/2022


Weitere Informationen zum Markt des guten Geschmacks - die Slow Food Messe

>>Ausstellungsordnung "Markt des guten Geschmacks - die Slow Food Messe"

>>Weiterführende Infos rund um den "Markt des guten Geschmacks - die Slow Food Messe"

>>Anmeldung als Aussteller*in Messe Stuttgart

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