EuroNatur-Preis 2024 für Dr. Anita Idel
Dr. Anita Idel ist Tierärztin, Agrarexpertin und langjähriges Slow Food Mitglied; sie hat jahrelang die Arche-Kommission geleitet. Bekannt ist sie vor allem wegen ihres Buchs „Die Kuh ist kein Klima-Killer!“ geworden, mit dem sie das schlechte Image von Kühen als Antreiber der Erderhitzung widerlegt. Ihre These: bei nachhaltiger Landbewirtschaftung können Rinder im Gegenteil sogar dazu beitragen, CO2 zu binden und die Artenvielfalt fördern. Für ihre wissenschaftliche Arbeit hat sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten: letztens, am 10. Oktober 2024, den >>EuroNatur-Preis. Die Laudatio von Prof. Dr. Hubert Weiger finden Sie >>hier.
Zusammenfassung des Artikels
Dr. Anita Idel sieht in der Sesshaftwerdung der Menschen und der Verdrängung nomadischer Lebensweisen den Beginn eines verantwortungslosen Umgangs mit dem Boden und den natürlichen Ressourcen. Die biblische Aufforderung, „Machet euch die Erde Untertan“ sei in der Aufklärung zu einem Gebot der Wissenschaft geworden. Die Ausbeutung der Ressourcen habe im 19. Jahrhundert mit der Chemisierung der Landwirtschaft eine bedrohliche Steigerung erfahren, nicht zuletzt in den Kolonien, und das traditionelle Wissen um Bodenfruchtbarkeit verdrängt. Selbst Justus von Liebig (1803–1873), der ‚Vater‘ der Agrochemie, erkannte gegen Ende seiner Karriere, dass organischer Dünger für die Bodenfruchtbarkeit dem chemischen Dünger weitaus überlegen sei. Diese Erkenntnis sei aber ignoriert worden, und die industrialisierte Landwirtschaft habe trotzdem ausschließlich auf chemische Dünger gesetzt, mit den Folgen, die wir beobachten:
„Der Verlust der biologischen Vielfalt und die dafür wesentlich ursächlichen Stickstoffüberschüsse bilden die Spitzenwerte bei der überlebensbedrohenden Überschreitung der planetaren Grenzen.“
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Anstieg der Energiepreise nach 2022 habe die Chance bestanden, die ökologische Transformation zu forcieren und die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Diese Chance habe die Politik verpasst. Russland wurde als Lieferant von Phosphat, Kali und Stickstoff lediglich ersetzt und damit die fossile Agrarindustrie weiter konsolidiert. Dies, obwohl es allen klar sein sollte, dass eine Kehrtwendung unaufschiebbar sei:
„Die Unterwerfung der Natur, sie ist gescheitert. Deshalb bedeutet eine Vision zur Überwindung der Klima- und Biodiversitätskrise– und damit zum Erhalt der Lebensgrundlagen – Denken und Handeln in fruchtbaren Landschaften: regionale (Stoff-)Kreisläufe statt der der Exportorientierung geschuldeten Überschussproduktion mit extremem Transportaufkommen für Tiere sowie für den Import von synthetischem Dünger und Kraftfutter. Für resiliente Vielfaltssysteme, die auf Dauer ertragreicher sind als Monokulturen, und für wahre Preise – die Grundsteine einer funktionierenden Marktwirtschaft – statt Externalisierung und des Verschiebens von Kosten auf die nächsten Generationen“
Enorm viel Potenzial stecke für Dr. Anita Idel im Grasland und in der nachhaltigen Beweidung: Die fruchtbarsten Böden der Erde, wie die Prärien und Schwarzerdeböden, seien durch die Koevolution von Weidetieren und Grasland entstanden. Eine Rückkehr zu einer nachhaltigen, grasbasierten Landwirtschaft könne zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit und CO₂-Bindung beitragen:
„Weltweit speichern bei vergleichbarer Gesamtfläche die Graslandökosysteme mehr Kohlenstoff als die Waldökosysteme. Dabei speichern Gräser nicht wie Bäume überwiegend in die eigene pflanzliche Biomasse, sondern vorrangig in die Bodenbildung. Deshalb speichern die Graslandböden in der Summe weltweit sogar 50 Prozent mehr Kohlenstoff als die Waldböden.“
Rinder sollen wieder in die Ackerwirtschaft reintegriert werden, plädiert Dr. Anita Idel. Durch nachhaltige Beweidung erhöhen sie die Bodenfruchtbarkeit. In Deutschland werde diese Praxis bereits erfolgreich getestet:
„Temporär beweiden Kühe auf dem Bioversuchsbetrieb der Universität Kiel für zwei bis drei Jahre sogenannte Zwischenfrüchte für den Bodenaufbau – eine Mischung aus vielfältigen Gräsern, Leguminosen und Kräutern. So passt„Food first“ mit enkeltauglicher Landwirtschaft perfekt zusammen.“
Zusammenfassung von: Elisabetta Gaddoni, 18.11.2024