Warenkunde Tomate

Als Zierpflanze kam sie aus Mittelamerika nach Europa. Den langen Weg der Tomate zum Lieblingsgemüse und die Vielfalt der Sorten beschreibt Luka Lübke, Mitglied der Chef Alliance von Slow Food.

IMG_6711.jpegDie Tomate ist weltweit das wirtschaftlich wichtigste Gemüse. Allein wir Deutschen essen 27 Kilo pro Jahr und Kopf, einen Großteil davon in der Form von Konserven. Doch bis hierher war es für die Tomate ein langer, weiter Weg voller Missverständnisse. So wie der von Christoph Kolumbus, der sie 1489 von seiner zweiten Reise mit nach Spanien und Portugal brachte, wo sie – genau wie die Kartoffel – zunächst nur Zierpflanze war. Durch ihre Ähnlichkeit mit der Tollkirsche galt die Urtomate als gefährliche Frucht – je nach Dosis als berauschende oder tödliche Giftpflanze. Wahrscheinlich trägt sie deshalb in Ländern wie Österreich, Ungarn und Serbien den Namen Paradiesapfel, Goldapfel heißt sie in Italien und Polen.

Der Name Tomate, wie wir ihn heute benutzen, leitet sich vom aztekischen »xitomatl« ab, was »anschwellen« bedeutet – wenn wir die prallen, saftigen Früchte der Tomatenpflanze betrachten, die botanisch gesehen Beeren sind, leuchtet das ein. Tatsächlich giftig sind aber nur Zweige und Blätter, die Beeren nicht. Doch es hat Jahrhunderte gedauert, bis die neue Wunderfrucht sich ihres brisanten Rufes entledigen konnte. Denn tatsächlich starben vermehrt Menschen der nordeuropäischen Aristokratie nach dem Verzehr von Tomaten. Schuld daran war allerdings nicht die Tomate selbst, sondern das Geschirr, von dem sie gegessen wurde. In Adelskreisen waren damals Teller aus bleihaltigem Hartzinn groß in Mode. Erst viel später wurde herausgefunden, dass säurehaltige Lebensmittel Blei in sich aufnehmen. Die bessergestellten Opfer waren also nicht der schönen Tomate, sondern einer Bleivergiftung erlegen, während die Menschen ärmerer Schichten, die von Holz oder Tongeschirr aßen, ihren Genuss bestens vertrugen. Leicht hatte sie es nicht, sich außerhalb Mittelamerikas als Lebensmittel zu etablieren. Maßgeblich dazu beigetragen haben zwei Erfindungen des 19. Jahrhunderts: der Ketchup und die Pizza.

Gesund und köstlich

Auch in Sachen Gesundheit hat uns die Tomate einiges zu bieten. Sie besteht zu 90 Prozent aus Wasser, ist also als kalorienarmes Gemüse bestens für die leichte Küche geeignet. Neben Spurenelementen, Kalium, Kalzium, Eisen, Magnesium, Folsäure sowie B- und C-Vitaminen im Rohzustand, enthält sie das Karotinoid Lycopin, das freie Radikale neutralisieren kann. So schützt der Verzehr von Tomaten die Haut vor UV-Strahlen und beugt Ablagerungen in den Blutgefäßen vor, was das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermindern kann. Damit der Körper das Lycopin optimal aufnehmen kann, sollte die Tomate erwärmt werden – auch die Kombination mit Olivenöl ist förderlich für die Wirkung.

Viel braucht eine gute, reife Tomate nicht, außer einer Prise Salz und einen Tropfen Öl. Das sagt auch Chef-Alliance-Köchin Renate Lieb, von der die Rezepte auf den folgenden Seiten stammen. Mit frischen Tomaten lässt sich fast alles anstellen. Sie schmecken einfach so, als Salat, gefüllt oder überbacken, als Suppe oder Sauce, als tragendes Element in Sugo, Ragout oder Hackfleischsaucen, für tausend Pasta-Varianten, aber auch zu Käse, Grillgemüse oder allem, was aus dem Meer kommt. Sogar im Dessert überzeugen sie durch ihre feine Süße, sie harmonieren zum Beispiel hervorragend mit Vanille.

Kritische Konserven

Tomaten sind Sommerfrüchte und brauchen Wärme, deshalb können wir sie auch nur dann ernten. Im Winter bei uns angebotene kommen aus beheizten, das Klima belastenden Gewächshäusern, selbst aus Spanien importierte. Wie gut, dass es Konserven wie die »Passata« im Glas gibt, mit denen wir die roten Paradiesäpfel das ganze Jahr über genießen können. Der Haken: Wir sehen der Dose nicht an, wo ihr Inhalt herkommt und schon gar nicht, wie er dort hineingekommen ist. Die Ernte- und Produktionsbedingungen bei konventionellen Tomatenkonserven sind in der Regel nicht sauber und fair im Sinne unseres heutigen Lebensmittelverständnisses. Das ist – wie in vielen Bereichen der Landwirtschaft – ein weites Feld, für das ich ein kritisches Audio-Feature von Slow Food Youth empfehle: »Rot wie Blut – der bittere Beigeschmack italienischer Tomaten«:

Deshalb ist die beste Konserve, sei es Sauce, Passata oder Dörrtomaten, wie immer eine selbstgemachte, probieren Sie es diesen Sommer doch mal aus! Noch ein paar Tipps für Küche und Vorratskammer: Tomaten gehören nicht in den Kühlschrank, wenn sie ihr Aroma behalten sollen. Zur Unterstützung eines jeden Tomatengerichts hilft ein kleiner Spritzer Honig oder eine Prise Zucker, um die Fruchtsüße so richtig nach vorn zu bringen.

Arten und Sorten

IMG_6375.jpegIn den vergangenen Jahrzehnten gab es im Handel fast nur noch runde, rote Sorten. Inzwischen werden wieder vermehrt ovale, längliche, gefurchte und asymmetrisch geformte Tomaten angebaut, in allen Schattierungen zwischen gelb und rot, aber auch grüne, schwarze und gestreifte Sorten. Zum Teil sind es Neuzüchtungen, zum Teil aber auch alte, wiederentdeckte Sorten. An der Tomate lässt sich besonders gut erkennen, wie sehr die Nachfrage nach Sorten, die geschmacksintensiv sind und sich auch zur Weitervermehrung eignen (samenfeste Sorten) erfreulich steigt. Es gibt weltweit 8 000 – 10 000 Sorten, von der kirschgroßen Wildtomate bin hin zu ein Kilogramm schweren Fleischtomate.

Die bekannteste ist wohl die längliche San Marzano, die zuerst in Sizilien kultiviert wurde, um im großen Stil nach Neapel, der Geburtsstadt der Pizza, geliefert zu werden. Die Fleischtomate mit weniger Wasser und Kernen ist praktisch zum Kochen, aber sehr empfindlich beim Anbau in Gegenden mit kurzen Sommern, weil sie später reift als ihre kleineren Verwandten. Kirschtomaten sind der Urform der Tomate, die wirklich nur kirschengroß und gelb war, am ähnlichsten. Lange lautete zwar die Devise »größer, runder, roter« und noch heute macht die Rundtomate mit ihren 60 – 100 Gramm Gewicht 70 Prozent des weltweiten Tomatenanbaus aus. Inzwischen gelten die kleinen Formen aber wieder als Delikatesse. Auch wenn Italien Europas größtes Anbauland ist, sind Tomaten kein rein italienisches Thema. Über die Jahrhunderte haben sich überall auf der Welt ortstypische Sorten etabliert: in Amerika, in Russland, auf der Balkanhalbinsel, in den D-A-CH-Ländern und sogar in Japan.

Eigener Anbau

IMG_6309.jpegDas Anbauen von Tomaten auf der Terrasse oder im Garten ist zwar keine Zauberei, aber auch nicht ganz anspruchslos. Folgendes lohnt sich zu beachten: Tomaten werden im März im Haus angezüchtet und erst nach den Eisheiligen im Mai nach draußen gepflanzt. Sie brauchen eine Rankhilfe und mögen gern Sonne. Aber gar keinen Regen, sodass es sich empfiehlt, sie an eine Hauswand zu pflanzen und ihnen ein kleines, transparentes Dach zu bauen. Damit die Pflanze nicht nur Grün bildet, sondern auch Früchte trägt, sollten die Achseltriebe regelmäßig ausgeknipst werden. Tomaten müssen unbedingt vor dem Frost geerntet werden. Sind sie noch nicht voll reif, kann man sie mit Äpfeln zusammen im Haus nachreifen lassen

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