Palmischbirne vom Hochstamm

Palmischbirne vom Hochstamm

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Unterstützt von Slow Food Stuttgart

Beschreibung des Passagiers

Die genaue Herkunft der Palmischbirne ist bis heute nicht geklärt. Dafür aber ist sie unter verschiedenen Namen bekannt: Böhmische Birne, Bäumschbirne, Mädlesbirne, Schwabenbirne. Sie ist eine sehr alte Sorte, die schon 1598 von Johann Bauhin (1541 – 1612) als „Böhmische Birne zu Boll“ beschrieben wurde. Bauhin war Leibarzt von Herzog Friedrich I. von Württemberg in Mömpelgard (heute: Montbéliard) und Botaniker. Die Palmischbirne war früher häufig in Süddeutschland, vor allem in Württemberg sowie in der Schweiz und in Österreich verbreitet. Heute ist sie sehr selten geworden. 

Die Palmischbirne ist eine hervorragende Brennbirne und ergibt einen köstlichen Birnenbrand mit unverkennbarem, kräftigem Aroma. Auch eingekocht oder in Form von gedörrten Obstringen ist sie eine kulinarische Bereicherung. Aufgrund ihres hohen Zuckergehalts wird sie häufig vermostet. Der Palmischbirnenmost wird gerne zur geschmacklichen Verfeinerung dem Apfelmost beigemischt.

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Die Palmischbirne blüht früh und ist bereits Anfang bis Mitte September reif. Ihre Früchte sind klein, kreiselförmig und haben einen langen glänzenden Stiel. Die Schale ist oft vollständig mit goldartigem Rost überzogen und erscheint dadurch kaffeebraun. Charakteristisch sind die großen und hellen Punkte auf der Schale, die sogenannten Lentizellen. In der Reife wird die Schale hellgelb. Das Fruchtfleisch ist weißgelblich, mittelfest und grobzellig und wird relativ schnell teigig oder „suppig“, d.h. fast flüssig. Die Palmischbirne ist süßherb und würzig im Geschmack. Sie hat nur wenige Gerbstoffe. Sie erreicht einen Zuckergehalt von 16,5 Prozent, d.h. 60 bis 80 Oechsle. Sie kommt früh in Ertrag, trägt reich und meist regelmäßig. Sie ist anspruchslos gegenüber ihrem Standort und wurde früher oft auf trockenen Keuperböden gepflanzt. Für Krankheiten ist sie wenig anfällig und weitgehend resistent gegen den gefürchteten Feuerbrand. 

Die Palmischbirne wächst als mächtiger, eichenartiger Baum, der ein hohes Alter erreichen kann. Die Bäume gelten vor allem im Streuobstbau als landschaftsprägend.

In der Regel wird die Palmischbirne auf Kirchensaller Mostbirne als Sämlingsunterlage veredelt (Hochstamm), die wichtigste Sämlingsunterlage für Birnen in Deutschland. Der Anbau als Halbstamm oder Heister ist für die Palmischbirne nicht empfehlenswert  (Walter Hartmann/Eckhart Fritz). 

Gefährdung des Passagiers

Die Palmischbirne ist auf den verbliebenen Streuobstwiesen Württembergs nur noch selten zu sehen, da sie in den letzten Jahrzehnten kaum mehr nachgepflanzt worden ist. Einerseits, weil sie durch den Rückgang der Mostkultur in Württemberg an Bedeutung verloren hat. Die Streuobstbäume wurden gerodet und meist durch leistungs- und marktfähigere Birnensorten ersetzt (wie z.B. Williams, Köstliche aus Charneux). Andererseits, weil das Aufsammeln der kleinen Früchte, idealerweise in den frühen Morgenstunden, eine sehr mühsame Handarbeit ist. Doch war und ist es noch immer die beste und effektivste Erntetechnik für diese Birnensorte. Im Gegensatz zur maschinellen Ernte werden Beschädigungen der kleinen Birnen etwa in Form von Faulstellen verhindert, die Qualität für die weitere Verarbeitung, insbesondere als Destillat, bleibt erhalten. 

Um auf den Rückgang dieser einzigartigen Birnensorte aufmerksam zu machen, wurde die Palmischbirne im Jahr 2005 vom Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg e.V. (LOGL BW) zur Streuobstsorte des Jahres gewählt. Die weitere Bestandsreduzierung  der Palmischbirne konnte dadurch leider bisher nicht aufgehalten werden.

Palmischbirne_Matthias Braun_Langer Stiel u Lentizellen.jpg

Vermarktung des Passagiers

Palmischbirnen sind heute vor allem in Form von Birnenbrand erhältlich. In Baumschulen Baden-Württembergs gibt es Hochstämme zu kaufen.

Regionale Bedeutung des Passagiers

Einer der bedeutendsten deutschen Pomologen, Eduard Lucas (1816-1882) schrieb in seiner Beschreibung der Kernobstsorten Württembergs von 1854 über die Palmischbirne: „Vorkommen: In häufiger Verbreitung durch den größten Theil des Landes. Synonyme: Beimischbirn (sehr häufig), Bäumschbirn (Lenninger Thal), Mädlesbirn (Böblingen) und Rostbirn (Vaihingen). Sie kommt selbst in den rauhesten Obstlagen noch gut fort. Wegen ihrer breiten Krone und etwas zeitiger Reife taugt diese Sorte weniger auf Aecker als auf Wiesen und Weidplätze. Man benutzt sie vorzüglich zum Mosten und zwar zum Beimischen zu dem noch unreifen Abfallobst (woher auch ihr Name kommt), wodurch ein ganz angenehmes Getränk erzielt wird.“

Durch den imposanten eichenartigen Wuchs stach die Palmischbirne zwischen anderen Streuobstbäumen landschaftsprägend hervor und hatte darüber hinaus eine große Bedeutung als Lebensraum für die Tierwelt der Streuobstwiesen. 

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Beliebt und bekannt war sie als sogenannter „Vesperbaum“ für die Pausen bei der Ernte. Die Arbeiter konnten sich zur Vesper in ihren Schatten zurückziehen, genossen meist ein gutes Hutzelbrot und ein Krügle Most. Wesentlicher Bestandteil des Hutzelbrots waren getrocknete Schnitze der Palmischbirne, der Knausbirne sowie der Gelben Wadelbirne, welche heute ebenfalls vom Aussterben bedroht sind. Erst durch den Wandel in der Landwirtschaft wurde die Palmischbirne zunehmend selten.

Auch mit der Mostherstellung Baden-Württembergs ist die Palmischbirne traditionell eng verknüpft. Kombiniert mit anderen Obstsorten ergibt sie sehr geschmackvolle Varianten. Aufgrund ihrer frühen Reife diente sie etwa in Mischungen wie „Ballmersbiramoscht“ (schwäb. Ausdruck) als Durstlöscher während der Weinbergsarbeiten im Herbst. Als sortenreiner Palmischmost hingegen setzte sie sich nicht durch, denn ihr niedriger Gerbstoffanteil verhinderte eine lange Haltbarkeit. 

Die Kenntnisse einer guten Mostbereitung wurden in der Familie überliefert. Für die Herstellung wurden die gemahlenen Äpfel und Birnen mit so viel Wasser übergossen, dass es sie gerade überdeckte. Die heraufquellende Maische wurde an den folgenden Tagen mehrmals hinuntergedrückt. Nach dem Abpressen des Mostes wurde der Trester häufig an die Kühe verfüttert. Vor 100 bis 150 Jahren lag der Mostverbrauch einer vierköpfigen Familie bei etwa 2.000 Litern pro Jahr. Most zählte damit zu den Grundnahrungsmitteln. Er war Kraftspender und ließ das Leid der damals durchaus schwierigen Lebensverhältnisse leichter erscheinen. Die Palmischbirne ergibt nicht nur einen guten Birnenmost, sondern war und ist bis heute als Destillat sehr nachgefragt.

In den vergangenen Jahrhunderten war die Palmischbirne auch als Dörrbirne sehr gefragt. Besonders zu Zeiten der großen Hungersnöte leistete sie ihren Beitrag zur Ernährung der Landbevölkerung. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Gegend im Echaztal rund um den Ort Pfullingen bei Reutlingen. Dieser Landstrich war früher als das sogenannte „Schnitzgäu“ überregional bekannt. Rund um Pfullingen erstreckt sich inzwischen ein Streuobstparadies. Von dieser Obstfülle haben schon in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten die Einheimischen profitiert. Als Dörrobst haltbar gemacht, waren die Früchte, darunter die Palmischbirne auch im Winter eine wichtige Nahrungsergänzung.

Das Echaztal „gehört in dieser Ausdehnung zu den schönsten Thälern in ganz Württemberg, große Fruchtbarkeit ist hier mit erhabener Natur gepaart. Das ganze Thal gleicht einem Obstwalde ...“, schwärmt Johann Daniel Georg von Memminger in der „Beschreibung des Oberamts Reutlingen“ von 1824. Knapp siebzig Jahre später listet dieses amtliche Dokument auf, welche Obstsorten rund in den „neuen Gemeindeanlagen in der Markung“ Pfullingen gedeihen: „Luiken, Reinetten, Rosen- und Mostäpfel, Knaus-und Palmisch- und andere Mostbirnen, auch edle Sorten“.

Der Obstreichtum veranlasste die Bewohner des Echaztals, sich auf die Praxis des Dörrens zu spezialisieren. Vor hundert Jahren besaß fast jeder Haushalt ein Dörrhäuschen im Garten oder auf der Obstwiese. In vielen Pfullinger Bauernhäusern standen »Schnitztröge« mit einem Fassungsvermögen von mehreren Kubikmetern, in denen das gedörrte Obst gelagert wurde. Zwetschgen-, Apfel- und Birnenschnitze wurden reichlich selbst verbraucht und sogar exportiert (bis an den russischen Zarenhof als Schnitzbrot). Das machte diesen Landstrich als „Schnitzgäu“ bekannt. Die Schnitze, auch „Hutzel“ genannt, waren fester Nahrungsbestandteil. 

Zur Weihnachtszeit wurden die getrockneten Früchte in „Schnitzbrot“ verarbeitet, wobei die Bäcker oft sparsam mit dem Rohmaterial umgingen. Seine braune Farbe erhielt es hauptsächlich von eingeweichten Schnitzen. Aufbewahrt wurde es im sogenannten »Brothang« im Keller, für Mäuse unerreichbar. 

Leider ist die Palmischbirne bei der jüngeren Generation so gut wie nicht mehr bekannt. Ein Grund hierfür ist u.a., dass die Mostkultur stark zurückgegangen ist. Es gibt nur noch wenige Bäume, die meisten davon sind uralt. 

Sehr gefragt sind deren Erträge aber weiterhin bei einigen Brennereien und Destillerien. Durch gezielte Neupflanzungen der robusten, landschaftsprägenden Palmischbirne in den verbliebenen Streuobstwiesen in Württemberg zur Brennobstnutzung kann es gelingen, die Sorte zu erhalten. Die Palmischbirne ist eine der besten Brennbirnen (neben der Williams Birne, dem Stuttgarter Geißhirtle, der Wahl´schen Schnapsbirne, der Nägelesbirne und der Gelbmöstler).

Auch für eine ausgewogene Ernährung ist die Palmischbirne als getrocknetes Dörrobst etwa in Form von Birnenringen oder -chips empfehlenswert. 

Die Palmischbirne gehört außerdem zu den wenig feuerbrandgefährdeten Sorten und hat damit eine gute Chance, die Krankheit zu überstehen, die zahlreiche alte Birnenbäume vernichtet hat. Die noch vorhandenen uralten Bäume auf den regionalen Streuobstwiesen, insbesondere im Großraum Stuttgart, haben als sogenannte Habitatbäume für die Tier- und Pflanzenwelt eine große Bedeutung. Sie beherbergen Nist- und Wohnstätten für bedrohte Arten wie Steinkauz, Kleiber, Schwarz- und Grünspecht, aber auch Hornissen, Siebenschläfer und Fledermäuse, die in den Baumhöhlen in Stamm und starken Ästen nisten. Die Naturschutzbehörden lassen gerne solche stark wachsenden, robusten alten Sorten im Rahmen von naturschutzfachlichen Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft pflanzen. In vielen Landschaftsschutz- und Naturschutzgebiets-Verordnungen besteht ferner ein Nachpflanzgebot, das häufig leider nicht umgesetzt wird. Auch hier können Anpflanzungen solcher Birnensorten wie der Palmischbirne eine große Zukunft haben.

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Geschmack des Passagiers

Aufgrund ihres körnigen Fruchtfleisches, ihrer Würzigkeit (der Geschmack erinnert an Marzipan mit leichtem Mandelaroma), der herben Süße und Saftigkeit ist die Palmischbirne eine der besten Birnen für ein hochwertiges aromatisches Edeldestillat. 

Ebenso vorzüglich ist sie in gedörrter Form als „Süßigkeit“ im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung geeignet. Nicht zuletzt ergibt sie ist einen guten Birnenmost und hebt in einem echten schwäbischen Apfelmost die geschmackliche Qualität.

Züchter*innen, Erzeuger*innen und Bezugsquellen

Sortenreiner Palmischbirnenbrand:

Die kleine Destillerie, Karin Sigle
Gundelsbacher Straße 2
71384 Weinstadt
Tel. (0 71 51) 9 94 74 67
E-Mail: karin.sigle@t-online.de
www.kleine-destillerie.de

Weingut Singer-Bader
Albert-Moser-Str. 100
71394 Kernen-Stetten
Tel. (0 71 51) 4 28 28
E-Mail: info@weinkorb.de
www.singer-bader.de

WEINKORB - die Vinothek der Weingüter Singer&Bader
Rosenstr. 1
71404 Korb
Tel. (0 71 51) 9 86 57 07
E-Mail: info@weinkorb.de
www.weinkorb.de

Brennerei Dr. Dr. Hans-Otto Frey
Am Grünen Weg 5
72649 Wolfschlugen
Tel. (0 70 22) 9 51 02 83
E-Mail: info@schnaps-net.de
www.schnaps-net.de 

Manufaktur Jörg Geiger GmbH
Reichenbacher Straße 2
73114 Schlat / Göppingen
Tel. (0 71 61) 9 99 02 24
E-Mail: info@manufaktur-joerg-geiger.de 
www.manufaktur-joerg-geiger.de 

Edeldestillat-Brennerei August Kottmann
Unterdorfstr. 2
73342 Bad Ditzenbach-Gosbach
Tel. (0 73 35) 96 30-0
E-Mail: info@hirsch-badditzenbach.de
www.hirsch-badditzenbach.de

Hofladen Straßer – Obstbau, Spezialitätenbrennerei
Lange Gasse 30
72581 Dettingen/Erms
Tel. (0 71 23) 97 28 53
E-Mail: info@hofladen-strasser.de
www.hofladen-strasser.de

Zeit-Geist-Brennerei
Bergstraße 12
73119 Zell unter Aichelberg
Tel. (0 71 64) 70 83 oder (0152) 22 84 17 03
E-Mail: eiseles@gmx.de
www.zeit-geist-brennerei.de

Brennerei Schmid / Trost
Agathe und Peter Trost
Lerchenstraße 24
72636 Frickenhausen-Linsenhofen
Tel. (0 70 25) 40 31

Palmischbirnenessig:

Reutlinger Essig Manufaktur
Nürtingerhofstr. 10
72764 Reutlingen
Tel. (0 71 21) 9 09 75 42
Email: frank.hoewner@t-online.de
www.reutlingeressigmanufaktur.de

Palmischbirnen Poiré

Naturcidre - Urs Renninger
Beutenfeldstr. 20
71254 Ditzingen
Tel. (0151)28033914
Email: urs.renninger@gmx.de
www.naturcidre.de

Baumschulen:

Weissinger Baumschulen
Baintstr. 10
73235 Weilheim/Teck
Tel. (0 70 23) 9 00 25-0
Email: info@weissinger-baumschulen.de
www.weissinger-baumschulen.de 

Baumschule Leibssle
Gewann Raumahd 1
72770 Reutlingen-Betzingen
Tel. (0 71 21) 5 47 76
Email: info@leibssle.de
www.leibssle.de

Baumschule Messerle
Aspenhof 1
73269 Hochdorf
Tel. (0 71 53) 5 12 92
Email: baumschule@messerle.de
www.messerle.de 

Biolandbaumschule Frank Wetzel
Fennenbergerhöfe 3/1
69121 Heidelberg
Tel. (0 62 21) 41 17 62
Email: info@biolandbaumschule.de
www.biolandbaumschule.de 

Darüber hinaus gibt es weitere Baumschulen, die die Palmischbirne anbieten. Informationen dazu sind auf der Webseite des LOGL BW (www.logl-bw.de) erhältlich und können auch über den genannten Link (https://www.logl-bw.de/images/1_logl/streuobst/Liste_Wuerttemberg_AlteObstsorten_0914.pdf) abgerufen werden.

Quellenangaben

  • Farbatlas Alte Obstsorten, 4., überarbeitete Auflage, Textauszüge
  • Reutlinger Generalanzeiger, 20. August 2014

Links und Aktivitäten rund um den Passagier

>> Slow Food Magazin: Palmischbirne vom Hochstamm


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Bannerbild: © Barbara Singer, weitere Bilder © Matthias Braun (3), Barbara Singer (1)

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