Babenhauser Zuchtvesen

Der Babenhauser Rotvesen ist eine fast vergessene, regionale Dinkelsorte. Einst in Schwaben weit verbreitet, liefert er auch in höheren Lagen und unter schwierigen Witterungsbedingungen zuverlässig gute Erträge. Sein Mehl überzeugt durch ein feines, nussiges Aroma und eignet sich hervorragend für Brot, Seelen, Spätzle sowie für Kuchen und Pizzateig. Dank engagierter Bio-Landwirt*innen, Bäckereien und Initiativen wie der Öko-Modellregion Günztal erlebt der Rotvesen heute in seiner Ursprungsregion ein bemerkenswertes Comeback.

Roter Dinkel aus dem Unterallgäu

Archepassagier seit 2025

Unterstützt von Slow Food Allgäu

Beschreibung des Passagiers

Der Babenhauser Zuchtvesen wurde 1911 von der Fürst Fugger'schen Saatzucht aus der Vorarlberger Sorte Lustenauer Vesen in Babenhausen selektiert und 1916 erstmals in den Handel gebracht. Später erhielt er den Namen Babenhauser Rotvesen. Diese Dinkelsorte zeichnet sich durch besondere Robustheit aus und eignet sich auch für raue, niederschlagsreiche sowie höher gelegene Anbaugebiete. Die Aussaat erfolgt von Ende September bis Mitte Oktober. Bei mittleren Böden und Kleegras als Vorfrucht ist eine Frühjahrsdüngung mit Stallmist in der Regel ausreichend. Pflanzenschutzmaßnahmen sind nicht notwendig: bislang sind keine signifikanten Krankheitsanfälligkeiten bekannt. Die Halme erreichen eine Höhe von bis zu 1,60 m und weisen eine mittlere Standfestigkeit aus.

Babenhauser Zuchtvesen_Öko-Modellregion Günztal.JPGMit der Zucht des Babenhauser Rotvesens (Babenhauser Zuchtvesens) entstand eine Dinkelsorte mit aufrechtstehender Ähre, die die Anfälligkeit gegenüber Hagelschlag reduziert. Die Ähre selbst ist unbegrannt, sehr lang, locker aufgebaut und in der Spindel zerbrechlich; im oberen Teil können einige Grannenspitzen auftreten. Das Korn ist groß, länglich, rötlichbraun gefärbt und sieht sehr glasig aus. Charakteristisch für den Babenhauser Rotvesen ist die rötliche Verfärbung der Halme zur Abreife. Im ökologischen Landbau erzielt diese alte Sorte mit etwa 40 dt/ha im Spelz ähnliche Erträge wie die vergleichbare Sorte Oberkulmer Rotkorn. Besonders in Zeiten extremer Witterungsbedingungen zeigt der Babenhauser Rotvesen seine Stärken: Sowohl in trockenen als auch in niederschlagsreichen Jahren bleiben die Erträge ähnlich konstant. Der hohe Strohertrag ist für die Rinderhalter im Allgäu gut verwertbar.


Gefährdung des Passagiers

Bis etwa 1960 war Dinkel in Schwaben so weit verbreitet, dass er im Volksmund auch als „Schwabenkorn“ bekannt war. Zwischen 1916 und 1942 war der Babenhauser Rotvesen die am weitesten verbreitete Dinkelsorte in der Region – vor allem im Alpenvorland, in Mittel- und Westschwaben sowie im angrenzenden Württemberg, wo selbst anspruchslose Landweizensorten kaum Erträge lieferten. Der Rotvesen hingegen lieferte reichlich Korn und viel Stroh. In Bayerisch-Schwaben und im württembergischen Oberschwaben war „Vesen“ der gebräuchliche Begriff für Dinkel. Die Weiterzucht der Sorte erfolgte ab 1937 in Wellenburg bei Augsburg. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs änderten sich die Vorgaben: 1942 forderten die Behörden, zugunsten des ertragreicheren Saatweizens auf den Anbau von Dinkel zu verzichten. Zudem standen inzwischen moderne Weizensorten zur Verfügung, die kälte-, schnee- und rostresistent waren und damit auch im raueren Klima des Alpenvorlandes gedeihen konnten. 1942 stellte der Betrieb in Wellenburg Zucht und Anbau der alten Dinkelsorte ein.

Die Folge: Der Dinkelanbau ging drastisch zurück. Ein Blick in die „Heimatkunde der Gemeinden Günz und Westerheim“ zeigt diese Entwicklung deutlich: Während 1893 in Westerheim (Unterallgäu) 108,7 ha Vesen und 0,9 ha Weizen angebaut wurden, waren es 1941 bereits ca. 88 ha Weizen - Vesen wurde dort gar nicht mehr angebaut. Dennoch hielt sich der Dinkelanbau im Allgäu aufgrund günstiger klimatischer Bedingungen länger als in vielen anderen Regionen.

Babenhauser Zuchttvesen_Öko-Modellregion Günztal.JPGErst mit der Ausweitung des ökologischen Landbaus und einem gestiegenen Ernährungsbewusstsein in den letzten Jahrzehnten nahm die Anbaufläche von Dinkel wieder zu. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Erhaltung bayerischer landwirtschaftlicher pflanzengenetischer Ressourcen“ hat die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) den Babenhauser Rotvesen aus der Genbank Gatersleben wieder vermehrt. Dank einer Initiative der Stiftung KulturLandschaft Günztal kehrten 2018 rund 1,5 kg Saatgut in die Ursprungsregion zurück, nur 15 km von Babenhausen entfernt. Mittlerweile wird der Rotvesen auf rund 9 ha Fläche wieder angebaut. Im Juni 2023 wurde die alte Dinkelsorte in die Rote Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen aufgenommen.

Vermarktung des Passagiers

Auch bei der Vermarktung hat sich der Name „Babenhauser Rotvesen“ durchgesetzt. Seit 2019 begleitet und unterstützt die Öko-Modellregion Günztal den Wiederanbau dieser Dinkelsorte sowie deren Vermarktung. Inzwischen setzt sich eine Initiative aus drei Bio-Landwirt*innen, einer Bio-Mühle und einer Bio-Bäckerei aktiv für den Erhalt des Rotvesens ein. Die Donath-Mühle in Bad-Wörishofen ist dabei der zentrale Verarbeitungsort: Sie koordiniert den Anbau, verarbeitet das Korn, beliefert die Bäckereien und unterstützt den Ausbau der Mehlvermarktung. Die Biohöfe Königsberger in Westerheim und Tröbensberger in Buchloe verkaufen 630er Bio-Mehl direkt ab Hof bzw. im eigenen Hofladen. Auf Anfrage sind auch ganze Körner erhältlich. Die Rapunzel Backstube in Legau verwendet für ihre Dinkelprodukte ausschließlich Mehl vom Babenhauser Rotvesen – erhältlich ist ein breites Sortiment.

Ziel ist es, künftig weitere Bäckereien und Verkaufsstellen im Allgäu für die Verwendung und den Vertrieb des Rotvesens zu gewinnen.

Regionale Bedeutung des Passagiers

Früher galt Schwaben als der ‚Dinkelbezirk‘ Bayerns. In der Region war Dinkel das wichtigste Getreide und wurde häufiger als Roggen als Brotgetreide verwendet. Traditionell gelten echte „schwäbische Spätzle“ nur dann als original, wenn sie mit Dinkelmehl zubereitet werden. Darüber hinaus wurde Dinkelmehl auch für Brot, Kuchen und Mehlspeisen verwendet. Die unreifen, gedörrten Dinkelkörner – bekannt als Grünkern – fanden vor allem in Suppen und Eintöpfen Verwendung.

Durch den Wiederanbau der alten Dinkelsorte aus der Region wird ein kulturelles Erbe wiederbelebt, die Sortenvielfalt gefördert und die Bedeutung des Dinkels für die Region herausgestellt.

Geschmack des Passagiers

Dinkel Seelen_Daniel Delang  Öko-Modellregionen Bayern.jpgDas Mehl dieser alten Dinkelsorte hat gute Backeigenschaften und ein besonders feines und nussiges Aroma. Es ist ein echter Allrounder in Küche und Backstube, ideal für Brot, Semmeln, Seelen sowie für Pizzateig, Spätzle oder Kuchen. Die Rapunzel Backstube verwendet den Babenhauser Rotvesen für sämtliche Dinkelprodukte und ist von dessen Qualität und Geschmack voll überzeugt.

Ein Tipp für die Verarbeitung: Beim Backen sollte zunächst etwa 10 % der Wassermenge zurückgehalten und erst gegen Ende der Knetzeit je nach Teigkonsistenz langsam hinzugegeben werden.

Rezepte sind unter www.allgaeuer-landsorten.de zu finden.


Züchter*innen, Erzeuger*innen und Bezugsquellen


Biohof Königsberger

Raiffeisenstraße 1 a
87784 Westerheim
Tel. (08336) 809899
michael.koenigsberger@t-online.de
Direktvermarktung 2,5 kg Mehl im Automaten

Hofladen Tröbensberger
Augsburger Straße 24
86807 Buchloe
Tel. (08241) 1606
info@bio-buchloe.de
www.bio-buchloe.de
Direktvermarktung Mehl Hofladen/Automaten

Rapunzel Backstube
Rapunzel Welt
Rapunzelstraße 2
87764 Legau
Tel. (8330) 529 1329
backstube@rapunzel.de
www.rapunzelwelt.de/de/einkaufen-geniessen/baeckerei

Donath-Mühle

Dorfstraße 9
86825 Bad Wörishofen
Tel. (08247) 2112
info@donath-muehle.de
www.donath-muehle.de
Großgebinde für Bäcker/ Verarbeiter

Links und Aktivitäten rund um den Passagier

>> www.allgaeuer-landsorten.de

>> www.oekomodellregion-guenztal.de


Sie sind Erzeuger*in oder kennen Menschen Ihres Netzwerks, die im Sinne von Slow Food produzieren?

Wir freuen uns über Ihren Vorschlag unter archekommission@slowfood.de

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