Slow Food Wurzeltour

28.7.2015 - Zurück zu den Wurzeln unserer Ernährung – unter diesem Motto beschäftigt sich die Slow Food Wurzeltour in diesem Jahr mit dem Urlebensmittel Milch. Das Demeter Hofgut Rengoldshausen bot dafür vergangenen Donnerstag den Schauplatz einer Querverkostung und anschließenden Diskussion. Ein Bericht von Kirsten Kohlhaw.

Milchvielfalt: Eine Slow Food Wurzeltour mit Verkostung

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Milch ist nicht gleich Milch. Und Kuh ist nicht gleich Kuh. Das Braunvieh als klassische Zweinutzungsrasse hat mit rund 5.000 Liter pro Jahr eine niedrigere Milchleistung als reine Milchkühe, dafür ist auch das Fleisch von hoher Qualität. Für die Pächtergemeinschaft auf dem Hofgut Rengoldshausen am Bodensee ist diese Entscheidung stimmig, wollen sie Bio-Landwirtschaft im Einklang mit Tieren und Natur betreiben und die gesamte Nachzucht der Herde, auch ihre Bullen, behalten.

Vorzugsmilch ist nur eines von vielen naturbelassenen Lebensmitteln, die hier direkt vermarket werden. Zum Auftakt der neuen Reihe „Wurzeltour“, bei der Slow Food Deutschland zu einer Querverkostung verschiedener Milchen einlud, war die zertifizierte Rohmilch der Star des Abends.

Im Bild oben: Hofbäuerin Mechthild Knösel mit ihrem Braunvieh | © alle Fotos auf dieser Seite Andrea Lenkert-Hörmann, Kirsten Kohlhaw

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Im Bild: Ein Kälbchen versucht sich an frischem Grünzeug

Erst das Kalb, dann der Mensch

Kurz vor 18 Uhr. Die ersten Gäste versammeln sich schon auf dem Innenhof vor dem Seminarraum des Hofguts Rengoldshausen, da ist Mechthild Knösel noch im Stall. Sie ist verantwortlich für das Wohlergehen der Braunvieh-Herde auf dem Demeter-Betrieb und für die Qualität der Vorzugsmilch. Zweimal am Tag wird diese streng kontrollierte, zertifizierte Rohmilch, direkt neben dem Stall abgefüllt. Nicht selten stehen Anwohner nach der Melkzeit an der Tür zur Abfüllanlage, um sich gleich eine Flasche vom Tagesgemelk mitzunehmen. Vor wenigen Tagen sind zwei Zwillingspärchen geboren worden. „Das hatten wir noch nie“, strahlt die passionierte Landwirtin. Auch die Zwillinge trinken sich satt. Erst wenn sie fertig sind, gehen die Mütter zum Melkstand. Und wir Menschen bekommen dann den Rest. So macht teilen Spaß.

Ungefähr 10 Liter trinkt ein Kalb pro Tag, da bleibt genügend für uns Milchfans übrig. Diese müttergebundene Kälberaufzucht und die Möglichkeit, jederzeit kleine Mengen trinken zu können, fördert das Immunsystem der Tiere. Deren Labmagen sei nämlich so kurz nach der Geburt noch nicht ausgebildet, erklärt Mechthild Knösel. Der enge Kontakt fördere zudem die Bindung und die Entwicklung. Das Kalb lernt – und guckt. Und nascht schon am zweiten Tag nach der Geburt ein paar Halme Gras. Das können wir hier hautnah erleben.

Passionierte Landwirte + glückliche Tiere = Gute Milch

Geduldig beantwortet Mechthild Knösel die zahlreichen Fragen der Anwesenden. Wenn es sommers so heiß ist wie dieser Tage, wird der Weidegang auf die Nachtzeit verlegt. Die Hörner bleiben dran, denn nur mit ihnen können laut ihren Ausführungen die Tiere ihre Rangkämpfe in der Herde zu 100 Prozent artgerecht ausführen. Überhaupt mögen Kühe keinen Stress. Und Mechthild Knösel, bei aller Fröhlichkeit selbst die Ruhe in Person, arbeitet nach den Prämissen der „Low-Stress-Stockmanship (LSS)“. Das bedeutet, sicher und effizient mit den Rindern zu arbeiten, nicht gegen sie. Die aufrichtige Begeisterung der Demeter-Bäuerin ist so ansteckend, dass wir fast die Verkostung vergessen. Aber nur fast.

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Im Bild: Ursula Hudson (re.), Slow Food Deutschland, referiert zum Thema naturbelassene Milch

Milch heute – Mehr als ein Schäumchen auf dem Cappuccino?

Es geht los. Dr. Ursula Hudson begrüßt die 25 Gäste: Conviviums-Vertreter, interessierte Rengo-Kunden mit Lust auf ein hintergründiges Geschmackserlebnis und Akteure aus der Bodensee-Region, sogar aus Zürich sind einige angereist. Anschaulich referiert die Vorsitzende Slow Foods Position zum Thema naturbelassene Milch. Dabei geht sie auf die Frage nach der Rolle und Wertigkeit eines Lebensmittels, das für viele zum Schäumchen auf dem Cappuccino verkommen sei, ebenso ein, wie auf aktuelle Studien. Eines zeigen diese ganz deutlich. Die Vorteile von Rohmilchverzehr übersteigen die möglichen Risiken bei weitem. Und nicht „die Milch“ ist das Problem, sondern die zahlreichen Verarbeitungsstufen, die der Haltbarkeit und Transportfähigkeit weit mehr helfen als denjenigen, die diese stark verarbeitete Trinkmilch konsumieren.

Zusammenhänge zwischen Rohmilchverzehr und positiven Auswirkungen auf das Immunsystem, besonders bei Allergien und Autoimmunstörungen, sind wissenschaftlich nachweisbar. Der sogenannte „Bauernhofeffekt“  zum Beispiel stand unlängst bei einer Veranstaltung zum Tag der Milch mit Frau Prof. Dr. Mutius im Zentrum der Diskussion.

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Im Bild: Die Teilnehmer der Slow Food Wurzeltour bei der Milchverkostung

Querverkostung – von Hui zu pfui und – wieder zurück

Die Verkostung beginnt mit der hofeigenen Vorzugsmilch. Wir achten auf Aussehen, Geruch, Geschmack und Mundgefühl sowie Nachgeschmack. Die Farbe der Milch spielt leicht ins Gelbliche, sie riecht ganz zart „nach Stall“ und schmeckt vollmundig rahmig. Der natürliche Fettgehalt liegt derzeit bei ca. 4,2 Prozent. Sogar das Wort „elegant“ fällt und sorgt für Heiterkeit. Das würde dem schmucken Braunvieh sicher gefallen. Danach bewegen wir uns schrittweise weiter durch die Verarbeitungsstufen bis „hinunter“ zu einer H-Milch mit einem eingestellten Fettgehalt von 3,5 Prozent. Bereits bei der pasteurisierten Landmilch eines anderen Hofes aus der Region (ebenfalls Braunvieh und Demeter, pasteurisiert und abgefüllt in der eigenen Hofmolkerei) flacht die wahrnehmbare Aromenpalette im direkten Vergleich deutlich ab. Wie schon diese kurzzeitige Erhitzung auf 72-75 Grad sich auf den Geschmack auswirkt! Der Bauernhof-Effekt ist nach diesem Eingriff ebenfalls verloren. Eine „traditionell hergestellte“ pasteurisierte und homogenisierte Milch ist im Supermarkt gar nicht mehr zu finden. Alles ESL-Milch.

Homogenisieren: oft nicht verträglich für den Mensch

Wir verkosten je eine 3,8 Prozent und eine 3,5 Prozent Molkereimischmilch. Fett ist ja ein Geschmacksträger, dennoch werden die wahrnehmbaren Aromen immer schwächer. Das Mundgefühl ist unangenehm, einige Teilnehmer sprechen von bitterem Nachgeschmack. Nach dem Schwenken gleitet die schneeweiße Milch viel schneller vom Glasrand. Die Fettkügelchen werden beim Homogenisieren ja auch mit hohem Druck gegen eine Metallplatte geschossen, damit die Milch nicht mehr aufrahmt. Was vielleicht bequem ist, weil die Milch so vor dem Einschenken nicht mehr aufgeschüttelt werden muss, ist für den menschlichen Stoffwechsel nicht so gut. Denn in homogenisierter Form wird das Milchfett zu früh und vor allem vollständig vom Darm aufgenommen. Vielen Menschen bekommt genau das nicht.

Der Fettgehalt einer Rohmilch ist mit 4 Prozent + meist höher, wird aber in der Regel besser vertragen. Und die größten Fettkügelchen rutschen einfach durch – und fetten uns mal kurz von innen. Mit der H-Milch verschwindet kurzfristig auch das letzte Lächeln aus den Gesichtern. Beim anschließenden Imbiss mit Produkten des Hofguts werden die Geschmacksknospen wieder versöhnt. Eine ausgiebige Hofbesichtigung mit dem Schwerpunkt Kuhstall rundet die erste Slow Food-Wurzeltour ab. Die letzten Teilnehmer verabschieden sich bei Sonnenuntergang. Nicht, ohne noch eine Flasche Milch mitzunehmen. Sie gab es zur Feier des schönen Tages geschenkt.

Mehr Informationen:

Slow Thema Milchvielfalt

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Im Bild: Hofidylle in Rengoldshausen

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