10 Forderungen an die neue Bundesregierung: Für eine sozial-ökologische Wende in der Handelspolitik
Deutschland ist eine wesentliche Stütze der europäischen Handelspolitik. Diese aber ist in zentralen Aspekten dysfunktional. Trotz mancher Reformen bleiben soziale Sicherheit, Menschenrechte, Umweltschutz und internationale Gerechtigkeit noch immer auf der Strecke, werden den dominanten Zielen der Marktöffnung und Rohstoffbeschaffung zugunsten europäischer Konzerne unterworfen. Das zentrale Erfolgskriterium der Europäischen Kommission – eine Steigerung der Handelsströme – ist nicht zeitgemäß. Es kollidiert systematisch mit den Zielen des europäischen Green Deals, solange ein Großteil der Handelswaren in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen umweltschädlich hergestellt wird. Die Folge dieser verfehlten
Politik ist eine Verschärfung der Vielfachkrise aus Ungleichheit, Armut, Klimakollaps
und Artenschwund.
Die zunehmenden geopolitischen Spannungen – gewaltsame Konflikte, die Verschärfung des globalen Wettbewerbs durch den Aufstieg Chinas und der Handelskrieg der USA – machen eine sozial-ökologische Wende der Handelspolitik keineswegs obsolet. Völlig kontraproduktiv sind daher die Deregulierungen im Umwelt- und Menschenrechtsbereich, die die Europäische Kommission bereits angestoßen hat und die teils von der Ampelregierung unterstützt wurden. Sie zerstören die wenigen Fortschritte in der Handelspolitik und werfen die angestrebte Regulierung globaler Lieferketten um Jahre zurück.
Vor diesem Hintergrund fordern wir von der neuen Bundesregierung eine nachhaltige Wende in der Handelspolitik, die folgende Maßnahmen umfassen sollte:
1. Fortschrittliche Regulierungen verteidigen
Die neue Bundesregierung muss von der Schwächung der neuen handelspolitischen
Instrumente, die Umwelt und Menschenrechten dienen, absehen und diesbezügliche
Vorstöße der EU-Kommission zurückweisen. Die Bundesregierung darf einer
Verschiebung und Verwässerung des europäischen Lieferkettengesetzes, wie sie die
Kommission in ihrem Omnibus-Gesetzespaket vorschlägt, keinesfalls zustimmen.
Auch das deutsche Lieferkettengesetz darf nicht durch eine Umsetzung europäischer
Vorgaben abgeschwächt werden. Ebenso muss sich die Bundesregierung für eine
effektive Durchsetzung der EU-Entwaldungsverordnung in der EU und ihren
Partnerländern einsetzen. Die von der Europäischen Kommission geplante
Verschiebung des Kohlendioxid-Grenzausgleichs CBAM sollte sie ebenfalls
zurückweisen.
2. Neue Handelsinstrumente um Kapazitätsaufbau ergänzen
Auch wenn sie unilateral beschlossen wurden, stellen die neuen Handelsinstrumente
der EU – Lieferkettengesetz, Entwaldungsverordnung, CBAM – einen Fortschritt dar.
Gleichwohl setzen ihre Auflagen vor allem Produzent*innen in wirtschaftlich
schwächeren Ländern häufig unter Anpassungsdruck. Daher muss die
Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass diese Instrumente um ausreichenden
Kapazitätsaufbau ergänzt werden. Exporteure in schwächeren Drittstaaten benötigen
finanzielle und technische Hilfe, um ihre Produktion zu dekarbonisieren und künftige
CBAM-Abgaben zu sparen. Ebenso benötigen Kleinerzeuger*innen von Kaffee, Kakao
oder Palmöl Hilfen, um die Entwaldungsfreiheit ihrer Lieferungen nachweisen zu
können. Für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes muss die Bundesregierung
sicherstellen, dass Berichtspflichten und Kosten nicht auf Vorlieferanten abgewälzt
werden. Zusammengenommen können diese Maßnahmen einen wichtigen Beitrag zur
Akzeptanz dieser Instrumente leisten.
3. Verzicht auf schädliche Handelsabkommen
CDU/CSU und SPD müssen ihre Unterstützung für weitere traditionelle EU-
Handelsabkommen aufgeben. Die geplanten Handelsverträge mit dem Mercosur,
Mexiko, Indonesien, den Philippinen und Indien bergen erhebliche soziale,
menschenrechtliche und ökologische Risiken und dürfen weder unterzeichnet noch
weiter verhandelt werden. Denn diese Verträge fördern den Handel mit umwelt- und
klimaschädlichen Gütern, die häufig ohne hinreichenden Schutz von Menschen- und
Arbeitsrechten produziert wurden. Ähnliches gilt für die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der Südafrikanischen
Entwicklungsgemeinschaft, Zentralafrika, Ghana und Côte d'Ivoire. Auch ein
Handelsabkommen mit der derzeitigen US-Regierung würde zu erheblichen sozialen
und ökologischen Rückschritten führen. Die neue Bundesregierung muss sich daher
auf EU-Ebene für ein Moratorium der Verhandlung neuer umfassender
Handelsabkommen aussprechen. Sie sollte sich alternativ für eine neue Generation
schlankerer Partnerschaftsabkommen einsetzen, die gezielt schädliche
Handelsströme eindämmen, die lokale Wertschöpfung fördern und die sozial-
ökologische Transformation in Landwirtschaft, Bergbau und Industrie mit konkreten
Maßnahmen unterstützen.
4. Durchsetzbare Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsnormen
Die neue Bundesregierung muss ergänzend eine Nachverhandlung existierender
Handelsabkommen einfordern, um diese mit eigenen Nachhaltigkeitszielen und den
internationalen Verpflichtungen Deutschlands und der EU in Einklang zu bringen. Alle
Kapitel der Handelsverträge müssen sich am europäischen Green Deal, dem Gender
Aktionsplan, den UN-Menschenrechtspakten und Multilateralen Umweltabkommen
ausrichten. Zudem müssen sämtliche Umwelt- und Sozialstandards der
Nachhaltigkeitskapitel traditioneller EU-Handelsabkommen sanktionsbewehrt sein. Es
genügt nicht, wie es die Kommission in ihrem reformierten Nachhaltigkeitsansatz plant,
künftig lediglich Verstöße gegen die ILO-Kernarbeitsnormen und das Pariser
Klimaschutzabkommen mit Sanktionen ahnden zu können. Ergänzend muss die
Bundesregierung dafür eintreten, dass die Sanktionsoption nicht vom Goodwill der
jeweiligen Handelspartner abhängig ist, sondern generell eingeführt und unabhängig
durchgesetzt werden kann.
5. Für solidarische Industriepolitik und globale Dekarbonisierung
Deutschland und die EU müssen ihre Doppelstandards in der Industriepolitik beenden.
Mittels Subventionen und Lokalisierungsauflagen wollen sie die europäische
Produktion in Branchen wie Wind, Solar, Batterien und Chips ankurbeln. Doch wenn
andere Länder ebenfalls grüne Technologien fördern, ergreift die EU handelspolitische
Gegenmaßnahmen selbst bei wirtschaftlich schwächeren Staaten. Dies behindert
jedoch eine gerechte globale Dekarbonisierung. Daher muss die neue
Bundesregierung darauf hinwirken, dass schädliche Gegenmaßnahmen unterbleiben,
und stattdessen grüne Subventionen, Lokalisierungsauflagen, Technologie- und
Wissenstransfers in Partnerländern unterstützen. Daneben sollte sie dafür Sorge
tragen, dass die von der EU geplanten Clean Trade and Investment Partnerships
(CTIPs) die technologische Kluft zwischen der EU und Partnerländern des Globalen
Südens schließen helfen.
6. Für Rohstoffgerechtigkeit und faire Partnerschaften
Die neue Bundesregierung muss sich für eine Rohstoffwende einsetzen, die auf
Ressourcengerechtigkeit, eine Reduktion des Rohstoffverbrauchs und den Ausbau
der Kreislaufwirtschaft abzielt. Die proklamierten Ziele strategischer
Rohstoffpartnerschaften, die Umwelt- und Sozialstandards im Bergbau und höhere
Wertschöpfung in Partnerländern umfassen, werden von den Energie- und
Rohstoffkapiteln der EU-Handelsabkommen konterkariert. Denn diese behindern
staatliche Regulierung und verbieten Exportbeschränkungen und
Lokalisierungsauflagen. Zudem untergraben sie das Recht indigener Gemeinschaften
auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC). Daher muss sich die
Bundesregierung dafür einsetzen, dass diese restriktiven Handelsregeln entfallen und
faire Rohstoffpartnerschaften geschlossen werden, die in den Förderländern lokale
Wertschöpfung, Umwelt- und Arbeitsschutz sowie die Rechte betroffener
Gemeinschaften sicherstellen.
7. Schluss mit Klageprivilegien und Beendigung von BITs
Die neue Bundesregierung muss sich für ein Ende von Investor-Staat-
Schiedsverfahren (ISDS) in EU-Handelsabkommen und bilateralen
Investitionsabkommen (BITs) einsetzen. Denn diese Klageprivilegien für ausländische
Investor*innen schwächen die nationalen Rechtssysteme und engen sowohl in
Deutschland als auch in Partnerländern durch potenziell hohe Entschädigungen den
Handlungsspielraum für eine gerechte sozial-ökologische Transformation ein. So wird
Deutschland derzeit von ausländischen Investoren auf 2 Milliarden Euro
Entschädigung verklagt. Nach dem Ausstieg Deutschlands und der EU aus dem
Energiecharta-Vertrag und der Aufkündigung der intra-EU-BITs muss ISDS auch
gegenüber anderen Ländern entfallen. Denn ein Klageprivileg, das die EU für die
eigene Rechtsordnung ablehnt, kann Deutschland nicht gegenüber Drittstaaten
aufrechterhalten. Hinzu kommt, dass nach immer mehr juristischen Einschätzungen
die deutschen BITs gegen das EU-Recht verstoßen. Konsequenterweise muss die
Bundesregierung auch ihre Unterstützung für einen multilateralen
Investitionsgerichtshof aufkündigen.
8. Preisdumping im Agrarhandel beenden
Die deutsche und europäische Handelspolitik stützt ein Agrarsystem, das die
Ernährungssicherheit gefährdet. EU-Betriebe exportieren subventionierte
Überschüsse von Getreide, Milch und Fleisch nach Afrika, Lateinamerika und Asien
und verdrängen dort lokale Erzeuger*innen. In der EU wiederum setzen – neben den
Einzelhandelsketten – die kumulierten Zollsenkungen mehrerer Handelsabkommen
die nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft unter Preisdruck. Daher können meist nur
Betriebe überleben, die auf großen Flächen intensiv produzieren. Die neue
Bundesregierung muss daher den schädlichen Überschussexport unterbinden und
Handelsverträge stoppen, die die bäuerliche Landwirtschaft gefährden, darunter das
EU-Mercosur-Abkommen. Ferner muss sie das Agrarorganisationen- und
Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) um eine Pflicht zur Zahlung kostendeckender Preise
und einen Ombudsmechanismus ergänzen. Um die Preispolitik der
Einzelhandelsketten zu überwachen, muss die Bundesregierung zusätzlich eine
Preisbeobachtungsstelle einrichten und bei identifizierten Missbräuchen
intervenieren.
9. Keine Exporte in der EU verbotener Produkte
Die neue Bundesregierung muss für eine Beendigung der Doppelstandards in der
Handelspolitik Sorge tragen. Deutsche und andere EU-Unternehmen exportieren
Güter, die in der EU aus Gründen des Umwelt-, Gesundheits- oder
Verbraucher*innenschutzes verboten sind. Hierzu zählen etwa hochgiftige Pestizide,
Einwegplastikprodukte und unsicheres Spielzeug. Die von diesen Produkten
ausgehenden Gefahren sind gerade in wirtschaftlich schwächeren Zielländern noch
größer als in der EU, etwa bei der Verwendung hochgiftiger Pestizide. Die
Bundesregierung muss diese Risiko-Exporte nicht nur aus Deutschland unterbinden,
sondern sich ergänzend für ein europäisches Rahmengesetz einsetzen. Dieses sollte
grundsätzlich die Produktion und die Ausfuhr aller Waren verbieten, deren Verkauf und
Verwendung auf dem EU-Binnenmarkt untersagt ist.
10. Demokratie und Transparenz in der Handelspolitik
Die neue Bundesregierung muss sich für eine demokratische Reform der deutschen
und europäischen Handelspolitik einsetzen. Die Aushandlung und Durchführung von
Handels- und Partnerschaftsabkommen muss unter Beteiligung der Zivilgesellschaft
der jeweiligen Vertragsparteien erfolgen. Verhandlungsvorschläge sind frühzeitig
offenzulegen, damit Abgeordnete und betroffene Organisationen Einwendungen
vorbringen und Medien darüber berichten können. Handelspolitische
Konsultationsmechanismen (Civil Society Dialogues, Domestic Advisory Groups, etc.)
bedürfen einer ausreichenden Finanzierung. Die Privilegierung von
Wirtschaftsverbänden beim Zugang zu Unterhändler*innen muss unterbunden
werden. Ergänzend muss die neue Bundesregierung sicherstellen, dass die
ungerechtfertigten Angriffe von CDU und CSU auf die Arbeit und die
Finanzierungsgrundlagen von Nichtregierungsorganisationen künftig unterbleiben. Sie
muss sicherstellen, dass ein öffentlicher Raum für kritische Stimmen und unabhängige
Medien gewährleistet wird.
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