Nachruf: Ein Grantler vom Feinsten
Die ersten Ausgaben des neu gegründeten Slow Food Magazins waren gerade erschienen. Die Redaktion suchte noch gute Autoren und Autorinnen für die Zeitschrift – und sie fand Wolfgang Abel. Fünf Jahre lang begeisterten seine Artikel eine Leserschaft, die nicht selten die von ihm geschriebene Doppelseite zuerst vor allem anderen las. Keiner schrieb pointierter, bissiger, ironischer als der badische Autor aus Badenweiler. Abel war ein Grantler vom Feinsten, immer Florett statt Holzhammer, immer vergnüglich zu lesen, stilsicher, fein beobachtet.
Sein Artikel über den oft schlechten Service in unseren Restaurants begann mit dem epochalen Satz: „Sie heißen Manu und sie haben keine Lust.“ Über die „Kunst am Bau“ auf deutschen Tellern intonierte Abel: „Salatfragmente, Tomatenachtel, Physialis-Laternchen – auch das dürftigste Mahl kommt nicht ohne Garnitur auf den Tisch.“ Seine Frage: Ist das noch Garnitur oder schon Belästigung?
Abel lästerte über Hafermilch-Hipster und überflüssige Küchengeräte, über die Molekularküche („knietief im Stickstoff“) und selfieschießende Horden im Biergarten, gerne auch über den, wie er ihn nannte, „kulinarischen Schwanzvergleich“ namens Michelin-Stern-Vergabe, die die Qualität des Einfachen und Guten stur ignoriere. Am liebsten aber schrieb er über seine badische Heimat und deren Gastronomie, über die Esskultur im deutschen Südwesten. Dabei war er eigentlich gebürtiger Schwabe. In Stuttgart ist er auf die Welt gekommen, die Familie siedelte bald ins Badische über. Abel wuchs in Badenweiler auf und studierte Soziologie in Freiburg. Er bereiste Lateinamerika und die iberische Halbinsel, verliebte sich in den Lago Maggiore.
In den 1980er Jahren begann er Gastrokritiken für die Badische Zeitung zu schreiben. In kurzer Zeit wurde er zum gastronomischen Spürhund einer ganzen Region. Seine Bewertungen und handverlesenen Adressen waren ein verlässlicher Kompass für den aufgeklärten Genießer. Wenn Kartoffelsalat und Brägele (Bratkartoffeln), Sulz und Service von Abel gelobt wurden, war das der Ritterschlag für einen Gasthof. Und es waren gerade die einfachen Gasthöfe, die Abel aufsuchte. Jene, die heute vom Verschwinden bedroht sind, Wirtshäuser die als Gemeinschaft stiftende Orte das gute Leben repräsentieren. "Ein Gasthaus deckte mal alles ab, wofür eine Gemeinde heute gleich drei Dezernenten einstellen muss", schrieb Abel.
Erkundet hat Abel die Gasthöfe und Ausflugsziele meist zu Fuß. Touren machen, wandern, einkehren und zwischendurch irgendwo in kaltes Wasser springen, das war sein Ding. Danach in der Sonne sitzen, die Wolken zählen und den Tag vorüberziehen lassen.
Die LeserInnen liebten ihn, nicht wenige Gastronomen fürchteten ihn. Denn Abel sparte nicht mit Kritik, wenn das Essen lieblos und fad war. Wenn sich hinter großem Bohei eine dürftige Küche verbarg. Dabei wusste eigentlich niemand, wer Wolfgang Abel war und wie er aussah. Er reservierte seine Tische grundsätzlich unter Pseudonym, und die Badische Zeitung veröffentlichte auch keine Fotos ihres Kolumnisten. So blieb er eine durchaus geheimnisvolle Gestalt der badischen Gastroszene.
Wolfgang Abel war auch ein Eigenbrötler. Er gründete mit dem Oase-Verlag ein eigenes Headquarter für seine Reise- und Gastrobücher, die er über den Südschwarzwald, das Markgräfler Land, die Badische Küchenkunde, aber auch über den Lago Maggiore schrieb. Die Bücher hat er eigenhändig verpackt und verschickt. Darunter waren echte Bestseller, die in vielen Auflagen immer wieder aktualisiert wurden und in keinem Bücherregal kulinarisch interessierter Foodies fehlen durften.
Er selbst nannte sich Freigänger, Rumtreiber, Flaneur. Sein letztes Buch ist im vorigen Jahr erschienen. Es heißt „Vier Jahreszeiten – Suche nach dem guten Leben“. Es ist eine Bilanz seiner Arbeit. Er sei der heiteren Resignation weit näher als echter Verbitterung, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Abel sagt in diesem Buch „danke für alles, was nach Leben schmeckt.“ Die Leserinnen und Leser danken für die anregenden und immer unterhaltsamen Artikel und Bücher eines großen eigensinnigen Autors.
Wolfgang Abel ist am 6. Juni, kurz vor seinem 71. Geburtstag, gestorben.