Von Trinkwasser und Mineralwasser: Die Wahl zwischen Flasche und Hahn
Das Zitat, mit dem der Wasserversorger im thüringischen Apfelstädt-Ohra auf seiner Homepage auf seine Arbeit hinweist, ist in Ostdeutschland fast ein geflügeltes Wort: »Ohne Wasser, merkt euch das, wär´ unsre Welt ein leeres Fass.« Es entstammt dem Lied eines Wasserträgers aus dem 1938 gedrehten sowjetischen Kinofilm »Wolga, Wolga« und enthält weitere Weisheiten über das Nass: »Nach der Arbeit, ei da schmeckt / Wasser besser noch als Sekt.«
Eine Frage, die das Lied nicht beantwortet, lautet: Woher soll das Wasser kommen, mit dem der Durst gestillt wird – aus der Leitung oder aus der Flasche? Als der Film in die Kinos kam, stand vielerorts beides nicht zur Verfügung. Zwar hatte Hamburg als erste deutsche Großstadt ab 1848 eine zentrale Wasserversorgung. Doch außerhalb der Städte wurde Wasser oft weiter aus Brunnen geschöpft. Wo diese weiter entfernt waren, wurde es lange von Wasserträgern geliefert. Heute ist diese Dienstleistung ausgestorben; der Begriff wird nur noch im Sport für uneigennützige Helfer etwa bei Radrennen genutzt.
Stattdessen sind viele Menschen ihre eigenen Wasserträger: Sie schleppen Kisten mit und ohne Sprudelwasser in ihre Wohnungen. 2023 wurden in Deutschland 9,6 Milliarden Liter Mineral- und Heilwasser verkauft. Rechnerisch sind das pro Bundesbürger 123 Liter im Jahr und etwa ein drittel Liter je Tag. Damit deckten die Deutschen aus der Flasche statistisch ein Fünftel ihres täglichen Bedarfs an Wasser zum Trinken. Mineralwasser ist dabei über die Jahre immer beliebter geworden. 1970 hatte der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in der Bundesrepublik noch bei zwölf Litern gelegen, ein Zehntel der heutigen Menge.
126 Liter Trinkwasser verbraucht jede*r am Tag
Gleichzeitig wird Wasser auch aus der Leitung getrunken – wobei die Zahlen dazu weniger präzise sind. Der Verband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) beziffert den jährlichen Verbrauch an Trinkwasser in Deutschland auf 32,3 Milliarden Kubikmeter. Weniger als ein Zehntel davon wird in Privathaushalten verwendet. Laut Umweltbundesamt (UBA) verbraucht jeder Bundesbürger pro Tag 126 Liter. Mehr als ein Drittel wird zur Körperpflege genutzt, gut ein Viertel für die Toilette. Nur vier Prozent, also fünf Liter am Tag, dienen der Zubereitung von Essen – und zum Trinken.
Auf die Frage »Flasche oder Leitung« dürften die meisten Deutschen »sowohl als auch« antworten. Bei einer Umfrage für den BDEW gaben nur 16 Prozent der Befragten an, Leitungswasser nie als Durstlöscher zu sich zu nehmen. Bei einer Befragung für den VDM erklärte jeder Fünfte, mehr Mineral- als Leitungswasser zu trinken. Eine deutliche Mehrheit trinkt also auch oder überwiegend Leitungswasser. BDEW-Hauptgeschäftsführer Martin Weyand sagt, dieses sei ein »hervorragendes Lebensmittel in herausragender Qualität«, das »allen Haushalten rund um die Uhr verpackungsfrei zur Verfügung« stehe und mit durchschnittlich 0,2 Cent je Liter ausgesprochen preiswert sei. Jürgen Reichle, Geschäftsführer des VDM, stellt indes fest, Menschen schätzten auch den »einzigartigen Geschmack« von Mineralwasser, den »Mehrwert für eine bewusste und ausgewogene Ernährung« und nicht zuletzt die »Natürlichkeit«. Anbieter wie St. Leonhards Quellen aus Bayern betonen, ihre Produkte seien »natürlich und rein«, und merken an, Leitungswasser unterliege »zahlreichen von Menschen gemachten Einflüssen« und müsse vor dem Genuss »aufbereitet und desinfiziert« werden, wofür beispielsweise auch Chlor eingesetzt werden könne.
Immer noch zu viel Nitrat im Trinkwasser
Derlei Äußerungen greifen Bedenken zur Qualität des Trinkwassers auf, die durchaus verbreitet sind. Von einer gewissen »Verunsicherung« ist bei Verbraucherzentralen die Rede. Befördert wird sie durch zahlreiche Berichte über Verunreinigungen des Grundwassers oder von Flüssen und Seen. Aus ersterem werden in Deutschland 70 Prozent des Trinkwassers gewonnen, 30 Prozent stammen aus Oberflächengewässern. Viele Reservoirs sind aber mit Rückständen von Düngemitteln und Pestiziden belastet, mit Mikroplastik und Medikamentenabfällen. Laut »Wasseratlas« der Heinrich-Böll-Stiftung sind nur acht Prozent der deutschen Flüsse und Bäche in gutem oder sehr gutem ökologischen Zustand. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erklärt, an 26 Prozent der Messstellen finde sich zu viel Nitrat im Grundwasser, also Stickstoffverbindungen, die in der industriellen Landwirtschaft über Dünger oder Gülle freigesetzt werden und die Gesundheit gefährden. Teils werde der Grenzwert der Deutschen Trinkwasser-Verordnung von 50 Milligramm Nitrat je Liter um das Fünffache überschritten, sagt DUH-Referentin Reinhild Benning.
Gleichzeitig betont Benning, dass sie dennoch praktisch überall im Land »bedenkenlos« Wasser aus dem Hahn trinke: »Nur an abgelegenen Höfen mit eigenem Brunnen frage ich, wie die Qualität gesichert wird.« Leitungswasser sei »das bestkontrollierte Lebensmittel«. Die Verbraucherzentralen betonten kürzlich ebenfalls, Wasser aus der Leitung sei »unbedenklich« und werde »permanent überwacht« Gesetzliche Vorgaben halte man in Deutschland »zu über 99 Prozent ein«.
Das bestätigen Berichte zur Trinkwasserbeschaffenheit, wie sie Deutschland bei der Europäischen Kommission einreichen muss – bisher alle drei Jahre, künftig jährlich. Im Report von 2022 heißt es, die Qualität des deutschen Trinkwassers sei »exzellent«. Bei den meisten mikrobiologischen und chemischen Parametern seien die gesetzlichen Anforderungen der Trinkwasserverordnung »zu über 99 Prozent eingehalten«. In Ausnahmefällen würden Grenzwerte bei Pestiziden überschritten. Bei Nitrat habe sich der Rückgang der Verstöße fortgesetzt, von 1,1 Prozent der Proben 1999 auf jetzt 0,03 Prozent. Das erlaube aber nicht den Schluss, es würde weniger Nitrat in die Umwelt entlassen, sondern könne auch an »weiterreichende Aufbereitungsmaßnahmen« in Wasserwerken liegen.
Dort wird in der Tat viel Mühe aufgewendet, um Wasser nicht nur von Sand und Schwebstoffen zu befreien, sondern etwa auch von Substanzen aus der industriellen Landwirtschaft. Um die teils hohen Nitratwerte zu kompensieren, werde es mit wenig belastetem Wasser »verdünnt«, sagt Benning: »Das verteuert natürlich das Wasser für Verbraucher.« Um zu verhindern, dass Krankheitskeime enthalten sind, werden auch Substanzen wie Chlor zugesetzt, was teils auf Skepsis stößt, weil etliche der daraus im Körper entstehenden Verbindungen mit Krebs in Verbindung gebracht werden. Allerdings setzten viele deutsche Wasserversorger Chlor nicht routinemäßig zu, heißt es beim UBA. Auch sei die maximal zulässige Konzentration von 0,3 Milligramm pro Liter weit niedriger als in anderen Ländern, sagt Aki Sebastian Ruhl, Fachgebietsleiter für Wasseraufbereitung in der Behörde. Er betont, bei Krankheitserregern reichten »im schlimmsten Fall wenige Bakterien, um schwere Krankheiten zu verursachen«. Chemikalien dagegen könnten bei unzulässig hohen Konzentrationen eine »chronische Wirkung« über Jahre hinweg haben. Grenzwerte seien aber so festgesetzt, dass auch ein lebenslanger Konsum unbedenklich sei.
Auch in Kläranlagen wird immer mehr Aufwand betrieben, um Substanzen aus dem Abwasser zu filtern, das in einem ständigem Kreislauf über den Boden oder Gewässer wieder zu Trinkwasser wird. Bisher erfolgt die Reinigung in drei Stufen: mechanisch, durch Mikroorganismen und mittels Chemie. Künftig sollen mit einer vierte Stufe auch Spurenstoffe aus Arznei- und Reinigungsmitteln oder Kosmetika entfernt werden. Die zusätzlichen Kosten beziffert das bayrische Ministerium für Umwelt und Verbraucher auf bis zu 25 Cent je Kubikmeter. DUH-Referentin Benning sagt, es sei ein soziales Problem, wenn Wasser und Abwasser immer teurer würden. Gleichzeitig betont sie, Leitungswasser sei dennoch weit günstiger als Wasser aus der Flasche – laut Verbraucherzentrale um den Faktor 100.
Trinkwassergenuss ist Klimaschutz
Doch Wasser aus dem Hahn ist nicht nur billig, sondern auch ökologisch. Vom »mit Abstand umweltfreundlichsten Getränk« sprechen die Verbraucherzentralen. Mineralwasser werde in Mehr- oder Einwegflaschen abgefüllt, die oft über weite Strecken transportiert und womöglich recycelt werden müssten. Das sei mit hohem Ressourcenverbrauch und Emissionen verbunden. Würden alle Deutschen auf Leitungswasser umsteigen, erklären sie, wäre die Ersparnis an Treibhausgasen anderthalbmal so hoch wie die gesamten Emissionen des innerdeutschen Flugverkehrs.
Vieles spricht also dafür, Durst mit Wasser aus der Leitung zu stillen. Es ist freilich auch wenig dagegen einzuwenden, ab und an zum Mineralwasser zu greifen, sei es wegen des Geschmacks, sei es, weil man einem Körper damit etwas Gutes zu tun will. Wenn es sich um einen Brunnen aus der Region handelt, der zudem in Mehrwegflaschen abfüllt, lässt sich der ökologische Rucksack reduzieren. Nur ganz ohne Wasser geht es nicht: Denn dann, »merkt euch das / wär´ unsere Welt ein leeres Fass«.
Tipps zum Umgang mit Leitungswasser
- Abgestandenes Wasser kann Keime enthalten. Wenn ein Hahn längere Zeit nicht genutzt wurde, das Wasser zunächst so lange laufen lassen, bis es kühl aus dem Anschluss kommt. Den ersten Wasserschwall zum Blumengießen verwenden.
- Bei Wassersprudlern nur Glasflaschen verwenden, die in der Spülmaschine gereinigt werden können. Andernfalls können sich auch darin Bakterien vermehren.
- Von Wasserfiltern raten Verbraucherschützer ab. Werden sie schlecht gewartet, können sie zu einer Verschlechterung der Wasserqualität führen. Viele entzögen dem Wasser zudem Mineralien.
- Informationen über die Qualität des Trinkwassers können beim lokalen Wasserversorger erfragt werden. Dieser ist laut Trinkwasserverordnung verpflichtet, Auskunft zu geben.
- Wer Wasser untersuchen lassen möchte, findet hier eine Liste mit Laboren aus allen Bundesländern: https://www.lanuk.nrw.de/service/fachbezogene-services/notifizierung-von-untersuchungsstellen/trinkwasser
- Untersuchungen des Wassers auf Pestizide oder Medikamente, für die private Anbieter Tests anbieten, empfehlen Verbraucherschützer wegen hoher Kosten nicht. Nur bei Hausbrunnen könne bei begründetem Verdacht auch Verunreinigungen eine Untersuchung sinnvoll sein.
Ein Jubiläum für sauberes Wasser
Die Trinkwasserverordnung, kurz Trinkwasser-VO, begeht dieses Jahr ein Jubiläum. Sie wurde am 31. Januar 1975 und damit vor genau 50 Jahren im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Das Regelwerk gilt als Garant für sauberes, für den Genuss durch Menschen geeignetes Trinkwasser. Das gab es auch in Deutschland lange Zeit nicht. Keime im Trinkwasser waren eine verbreitete Krankheitsquelle. Im Hamburg etwa forderte eine Choleraepidemie im Jahr 1892 mehrere tausend Todesopfer. Das war erster Anlass dafür, Grundsätze zur Wasseraufbereitung aus Flüssen und Seen aufzustellen. Allerdings gab es erst mit dem Bundesseuchengesetz von 1961 auch eine gesetzliche Grundlage für verbindliche Regeln zur Trinkwasserqualität und für die Festsetzung von Grenzwerten.
Der Erlass der Verordnung im Jahr 1975 hatte mehrere Auslöser. In der Bundesrepublik boomte die Wirtschaft. Zu den Schattenseiten gehörte, das Gewässer zunehmend mit Schadstoffen belastet wurden. Gleichzeitig gab es bessere Analysetechniken und ein gestiegenes Umweltbewusstsein. Die neue Verordnung regelte nun, in welchem Maß chemische und mikrobielle Verunreinigungen des Trinkwassers höchstens zulässig sind, wie häufig die Einhaltung der Werte zu kontrollieren ist, welche Pflichten Wasserversorger und welche Befugnisse Behörden haben.
Immer neue Herausforderungen
Die Verordnung wurde im Laufe des halben Jahrhunderts ihrer Existenz immer wieder überarbeitet. Die erste Fassung hatte einen Umfang von neun Seiten, aktuell sind es 65. Zuletzt wurden im Jahr 2023 neue Regularien der EU umgesetzt und unter anderem die Grenzwerte für Arsen und Chrom weiter verschärft sowie festgelegt, dass Trinkwasserleitungen aus Blei in Wohnhäusern höchstens noch bis 2026 genutzt werden dürfen.
Es wird nicht die letzte Novelle gewesen sein. Die Trinkwasserversorgung in Deutschland steht vor neuen Herausforderungen. Verstärkt in den Blick gerückt sind etwa hormonell aktive Substanzen wie Bisphenol-A und sogenannte Ewigkeitschemikalien wie PFAS (perfluorierte Alkylsubstanzen). Dabei handelt es sich um eine Gruppe von mehreren tausend sehr stabilen Verbindungen, die unter anderem für die Herstellung von Kosmetika oder Textilien verwendet werden. Sie bauen sich nur schwer ab, reichern sich in der Umwelt und im Körper von Menschen und Tieren an und können zu gesundheitlichen Schäden führen. Ab Januar 2026 werden in zwei Stufen Grenzwerte für einige dieser Substanzen eingeführt. Außerdem müssen die Wasserversorger auch mit den Folgen des Klimawandels umgehen, etwa länger anhaltenden Dürren und häufigeren Starkniederschlägen. Es gilt also, diverse Herausforderungen zu meistern.
Quelle: Dieser Text ist im Slow Food Magazin 04/2025 erschienen, im Dossier Lebenselixier Wasser.
Infos über das Magazin und Leseproben vom Heft Nr. 4 finden Sie hier: www.slowfood.de/was-wir-tun/zum-nachlesen/slowfoodmagazin
Zum Weiterlesen
→www.slowfood.de//slow-food-deutschland-zum-welttag-des-wassers
→ www.slowfood.de/weltwassertag-2025-slow-food-online-veranstaltung