Warum eine kleinteilige Landwirtschaft so wichtig ist

28.03.2023 - Edward Mukiibi aus Uganda, seit Juli 2022 Präsident von Slow Food International, ist davon überzeugt, dass kleine landwirtschaftliche Betriebe entscheidend zur Ernährungssicherheit und einer gerechten Verteilung beitragen. Susanne Salzgeber sprach mit ihm über seine persönliche Geschichte, globale Zustände, die sich ändern müssen, und welche Rolle Slow Food dabei spielt.

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Slow Food Magazin:

Herr Mukiibi, Sie sind Agrar-
wissenschaftler, Aktivist, Pädagoge und seit Sommer vergangenen Jahres der neue Präsident von Slow Food International. Welche Rolle hatte Slow Food bis dahin in Ihrem Leben gespielt?
Edward Mukiibi:

Ohne Slow Food und Terra Madre wäre mein Leben ganz anders verlaufen. 2008 stieß ich zum ersten Mal auf die Bewegung, als ich nach einer großen Enttäuschung in meiner Karriere als Agrarberater damals nach neuen Lösungen suchte, um kleinbäuerlichen Betrieben in meinem Heimatland Uganda zu helfen.

Was war passiert?
Als engagierter Student wurde ich 2007 eingeladen, an einem Projekt zur Förderung von Hybridmais-Saatgut mitzuwirken. Dies Sorte galt als dürreresistent, und ich arbeitete gemeinsam mit einem Team daran, Bäuer*innen über den Anbau dieser Sorte zu informieren und sie zu schulen. Die versprochenen hohen Erträge konnten nur erzielt werden, wenn gleichzeitig die empfohlenen synthetischen Düngemittel eingesetzt wurden. Viele kauften das Saatgut und den Dünger für die
Anbausaison und waren bereit, diese neue Sorte anzupflanzen – die am besten in Monokultur gedeihen sollte, ohne traditionelle Zwischenfrucht- und Agroforstsysteme.

Aber gleich mit der ersten Pflanzperiode erlebte die Region eine extreme Dürreperiode und alle, die einen Teil ihrer Flächen ausschließlich für den Maisanbau genutzt hatten,
erlitten enorme Verluste. Ich konnte es kaum fassen, welchen Schaden das angerichtet hatte. Die Enttäuschung, Frustration und Verunsicherung der Betroffenen war groß. Das löste bei mir ein Umdenken aus in der Frage, welche Landwirtschaft für afrikanische Gemeinschaften funktionieren kann, um Hunger, Armut, Unterernährung und andere Ungerechtigkeiten wirksam zu bekämpfen. Noch während ich die Menschen um Verzeihung bat und mein Mitgefühl ausdrückte, begann ich, über eine neue Form der Zusammenarbeit mit ihnen nachzudenken.

Ich wollte ein Anbausystem mit aufbauen, das sich auf einheimische Ressourcen, überliefertes Wissen und traditionelle, vielfältige Kulturen stützte – und das ebenso widerstandsfähig ist wie frühere Systeme. In der Terra-Madre-Familie fand ich Gleichgesinnte, die mich ermutigten. Ich war überwältigt von den wunderbaren Menschen bei Slow Food, die alle an einer Wende zu einem nachhaltigen Ernährungssystem arbeiten und mich sehr inspirierten. Außerdem boten sich mir
Fortbildungsmöglichkeiten für den Aufbau von Schulgärten. Die sind wichtig, um jungen Menschen eine nachhaltige und resiliente Landwirtschaft, die auf den Erkenntnissen der Agrarökologie beruht, zu vermitteln und sie fürs Gärtnern und die Landwirtschaft zu begeistern. Dafür braucht es auch mediale Aufmerksamkeit, die wir
mithilfe von kommunalen Radiosendern schaffen. Auch dabei half das Netzwerk von Terra Madre.

Warum liegen Ihnen Schulgärten besonders am Herzen?
Das liegt wahrscheinlich auch an meinen persönlichen Erfahrungen, die ich während meiner Schulzeit gemacht habe. Da galt Feld- oder Gartenarbeit immer als Strafe. Es wurde als etwas Negatives angesehen und deshalb hatten junge Menschen darauf keine Lust. Das wollte ich ändern, zumal meine Eltern eine kleine Landwirtschaft hatten, die mich prägte. Ich möchte zeigen, wie sinnvoll es für die Ernährungssicherheit
der eigenen Familie und des Dorfes ist, ein Stückchen Land zu bewirtschaften. Übrigens ernähren kleine landwirtschaftliche Betriebe mehr als die Hälfte der Menschen weltweit, so die Statistik der Welternährungsorganisation FAO. In Afrika ist der Anteil noch viel höher.

2010 haben Sie dann das erfolgreiche Slow-Food-Projekt »1 000 Gärten Afrikas« initiiert.
Heute sind es bereits um die 3 600 Gärten, die viel zu einer lokalen Ernährungssouveränität der Bevölkerung beitragen, aber auch Wissen und Bildung vermitteln. Inzwischen heißt das Projekt »Gärten in Afrika« und es bekommt weltweit große Aufmerksamkeit. Ohne eine global vernetzte Organisation wie Slow Food wäre ein solches Riesenprojekt gar nicht möglich.

Sie kritisieren die Handelspolitik der EU mit ihren negativen Auswirkungen auf den
Globalen Süden. Können Sie konkrete Beispiele nennen, wie wir Europäer*innen die Ernährungssysteme zum Beispiel in afrikanischen Ländern beeinflussen?

Bis vor der Corona-Pandemie war die EU mit 200 Milliarden Euro pro Jahr der größte Investor auf dem afrikanischen Kontinent. Aktuelle Zahlen gibt es noch nicht. Und gleichzeitig ist Europa der wichtigste Absatzmarkt für Afrika.

Das hört sich doch erst einmal nicht schlecht an.
Ja, Investitionen sind für uns wichtig, aber wir brauchen gute Investition. Viele Investitionen zerstören jedoch unsere Umwelt, schaden dem Klima und den Menschen vor Ort, wie z.B. die Minen im Kongo oder die Abholzung von Regenwald für den Anbau von Soja. Die einheimische Bevölkerung hat meistens keine Wertschöpfung durch die Investitionen, nur der Investor selbst erhöht seine Gewinne. Ein anderes Beispiel ist China, das auch massiv in Afrika investiert: In seinem eigenen Land hat es sich zur Reduktion der CO 2 -Emissionen verpflichtet, dafür lagert es CO 2 -intensive Wirtschaftszweige in afrikanische Länder aus. Investitionspolitik ist oftmals Protektionspolitik, etwa beim Weinbau in Südafrika. Die meisten Weingüter gehören Europäer*innen, die die dort produzierten Weine dann wieder nach Europa verkaufen. Wo der Gewinn bleibt, ist klar.

Aber liegt es nicht auch in der Verantwortung afrikanischer Politiker*innen, wenn sie Lizenzen, zum Beispiel für Fang- und Schürfrechte, an die Meistbietenden verkaufen und ihrer eigenen Bevölkerung das Land und die Lebensgrundlage entziehen?

Das stimmt. Korruption stellt ein großes Problem dar. Aber für Landgrabbing sind in erster Linie ausländische Investoren verantwortlich, unterstützt von korrupten Politiker*innen. Die Leute, die vor Ort leben, sind dann die Leidtragenden. Lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen: An der westafrikanischen Küste haben Fischergemeinschaften, deren Ernährung von kleinen lokalen Fischarten abhängt, Schwierigkeiten, ihren Eigenbedarf zu decken. Der Grund: Europäische
Fischereikonzerne plündern die Bestände, um daraus Futtermittel für europäischen Zuchtlachs herzustellen.

...der Lachs, der bei uns in Deutschland mit großem Appetit verspeist wird.
Das zeigt: Was wir in einem Teil der Welt tun, hat große Auswirkungen auf Menschen in anderen Teilen der Welt.

Wenn Sie sich von der EU etwas wünschen dürften: Was wäre das?
Zuerst einmal sollte sie aufhören, ihre subventionierten tierischen Produkte zu Dumping-Preisen an afrikanische Länder zu verkaufen. Hühnchen, Eier, Milch aus der EU sind damit billiger als einheimische Produkte von afrikanischen Bäuerinnen
und Bauern. Das ruiniert diese. Aber auch billigeConvenience-Gerichte in Dosen, die ernährungsphysiologisch schlecht sind, weil sie oft zu viel Zucker enthalten, verhindern, dass die Menschen frische landwirtschaftlich erzeugte Hülsenfrüchte
aus der Region kaufen und selbst zubereiten. Afrika hat eine so große Vielfalt an Bohnen. Wenn die nicht mehr gekauft werden, führt das auch zu einem Verlust der Artenvielfalt.

Ebenso wie der großflächige Anbau von Mais?
Genau. Monokulturen, die viel Kunstdünger und Pestizide benötigen und abhängig von den großen Saatgutkonzernen machen, führen dazu, dass traditionelle Kulturen aus dem Blick geraten. Zum Beispiel gibt es auf dem afrikanischen Kontinent Hunderte verschiedene Sorten von Hirse, ein Getreide, von dem sich die Bevölkerung früher hauptsächlich gut ernährte. Überall dort, wo vielfältige traditionelle Kulturen auch in Agroforstsysteme angebaut werden, geht es der Bevölkerung besser als in Gegenden, die von industriellen Monokulturen geprägt sind.

Welche Kulturen außer Hirse sind noch typisch für afrikanische Länder?
Wir haben zum Beispiel über 50 Bananensorten. Außerdem Maniok und Yams, wie die Kartoffel Wurzelgewächse. Aber auch Hülsenfrüchte wie diverse Bohnen und Straucherbsen sind wichtige Nahrungspflanzen in Afrika.

Kommen wir zurück auf die Politik. Was würden Sie sich noch von der EU wünschen?
Investitionen in agrarökologische Projekte mit Humusaufbau und eigenem Kompost. In regenerative Agroforstprojekte, die dem Boden helfen, Wasser zu speichern. Und die Förderung von kleinbäuerlichen Strukturen sowie generell die Subventionierung von nachhaltiger Landwirtschaft, nicht nur in Afrika, auch in Europa und in
Deutschland selbst. Ich bin mir sicher, dass nur eine ökologische, kleinteilige Landwirtschaft – gemeinsam mit den Landwirt*innen – zur Ernähungssicherheit und einer gerechten Verteilung eitragen wird. Mit den Herausforderungen
durch den Klimawandel kommt die Agrarökologie auch besser zurecht als die industrielle Landwirtschaft mit Kunstdünger und chemisch-synthetischen Pestiziden.

Was servieren Sie mir als typisches Gericht Ihrer Region, wenn ich Sie in Uganda besuche?
In Bananenblätter gewickelte und gedämpfte Erdnusspaste mit verschiedenen gedämpften einheimischen Gemüsen.

Und andersherum gefragt: Haben Sie schon mal das typisch deutsche Gericht Bratwurst mit Sauerkraut probiert?
Ja, als ich in Bayern auf dem World Organic Forum war, und es hat mir geschmeckt. Ich bin immer neugierig auf typische Gerichte anderer Kulturen. Das interessiert mich sehr.

Welche Ziele haben Sie sich als Präsident von Slow Food für die nächsten Jahre gesetzt?
Ich möchte das Slow-Food-Netzwerk als globale Bewegung weiter stärken, damit wir weltweit größeren Einfluss auf eine gerechte Agrar- und Ernährungswende haben. Und ich lade alle herzlich ein, Teil dieser Bewegung zu werden.

Quelle: Erschienen im Slow Food Magazin 2/2023

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