Erkennen wir uns in unserer Unterschiedlichkeit an! - von Lea Leimann

»Wir sind inmitten einer globalen Krise, die wir vielleicht nicht überleben.« Mit diesen Worten eröffnete Edward Mukiibi, Präsident von Slow Food International, seine Rede zum Treffen des Slow Food International Councils, dem Beirat unserer Bewegung, von dem ich Teil sein darf. Er setzt sich aus etwa 30 Slow Foodies aus aller Welt zusammen.

Carlo Petrini, Gründer von Slow Food und Ehrenmitglied im internationalen Vorstand, findet ähnlich starke Worte für die gegenwärtige Situation: »Unser Ernährungssystem ist kriminell und der Kerntreiber unserer globalen Klimakrise, wir müssen mit einer Stimme darüber sprechen.« Was für mich neu war: Von Carlo Petrini persönlich zu hören, dass zum Einsatz für ein faires Ernährungssystem auch gehört, solidarisch mit all jenen zu sein, die Geflüchtete im Mittelmeer retten. Und eben: »mit einer Stimme zu sprechen«, aber dazu später mehr. Für mich zeigt das: Slow Food ist politisch, und wird noch politischer werden. Das ist der Weg, der international vorgelebt wird. Und das ist auch die Stimmung, die ich im Council erlebe.

Gut, sauber, fair für alle. Dafür steht Slow Food. Das »für alle« kam dazu, um die soziale Gerechtigkeit noch stärker in den Slow-Food-Werten zu verankern. Dies gilt es anzuerkennen – damit wir ans Ziel kommen. Wenn wir die Auswirkungen unseres privilegierten Lebensstils auf alle Teile der Welt anerkennen und unsere Privilegien lokal nutzen, kann gut, sauber, fair für alle möglich und erfahrbar werden. Beispielsweise können Solidaritätstickets Geringverdienenden den Zugang zu Slow-Food-Veranstaltungen ermöglichen. Wenn Sie selbst teilnehmen und es sich leisten können, bieten Sie an, die Teilnahme für eine weitere Person zu übernehmen. Vielfalt und gegenseitige Unterstützung sind etwas, woraus wir schöpfen können. Um unsere Privilegien und Möglichkeiten zu nutzen und unsere Bewegung noch bunter und inklusiver zu machen, können wir uns auch folgende Fragen stellen: Sind die Veranstaltungen zugänglich auch für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind oder andere Einschränkungen haben? Erreicht die Einladung auch Menschen, die die deutsche Sprache (noch) nicht so gut verstehen?

Sowohl Edward Mukiibi als auch Carlo Petrini betonten in ihren Reden das Potential der kollektiven Kraft unserer Bewegung – wenn sie mit einer Stimme spricht. Stark sind wir dann, wenn wir trotz oder gerade in der Unterschiedlichkeit zusammenhalten. Wenn wir verschiedene Schwerpunkte in unserem Engagement setzen, stehen wir auf einem breiten Fundament. Mir beispielsweise ist es wichtig, dass Slow Food ernährungspolitisch noch sichtbarer wird und mitredet. Und dass wir intern Strukturen und Entscheidungsprozesse transformieren, die uns davon abhalten gut, sauber und fair miteinander umzugehen. Gleichzeitig bin ich dankbar für das, was andere Slow Foodies auf lokaler Ebene organisieren und so durch Bildung, Wertschätzung und Genuss die Ernährungswende angehen.

Slow Food ist nicht entweder - oder. Slow Food ist all das und noch viel mehr. Uns alle motiviert Unterschiedliches, und das verschieden stark. Das ist gut so! Es liegt eine große Aufgabe vor uns. Es entlastet, wenn wir darauf vertrauen können, dass wir kooperieren und in die gleiche Richtung arbeiten, wenn es um das große Ganze geht! Die Gesellschaft ist im Wandel. Und Slow Food auch. Erkennen wir unsere Unterschiedlichkeit an, hören wir uns zu, lassen wir diejenigen zu Wort kommen, die sonst in unserer von weißen, patriarchalischen Strukturen geprägten Gesellschaft seltener Gehör bekommen und sprechen wir kollektiv mit einer Stimme des Wandels: gut, sauber, fair für alle.

von Lea Leimann, Vorstandsmitglied von Slow Food Deutschland

erschienen im Slow Food Magazin 06/2023

Inhaltspezifische Aktionen