Interview mit Angela Schulze-Hamann

Chef-Alliance-Köchin Angela Schulze-Hamann betreibt gemeinsam mit ihrem Mann Stephan eines der ältesten Gasthäuser Schleswig-Holsteins: Schon 1778 wurden hier Gäste empfangen und verköstigt. Im Familienbesitz ist es seit 1919. Heute steht die dritte Generation nicht nur an Herd und Tresen des »Landhaus Schulze-Hamann«, sondern auch für die Quintessenz von Slow Food. Luka Lübke hat mit den Wirtsleuten einen Blick in die Vergangenheit und die Zukunft geworfen.

Angela, Du kommst direkt von diesem Fleckchen Erde. Beschreibe uns doch mal die Gegend, in der du geboren wurdest.

Angela Schulze-Hamann © Lichtbildnerei Kerstin Hagge.jpgDer Ort Blunk gehört zum Kreis Segeberg, hat 600 Einwohner und liegt in einer hügeligen Seenlandschaft, dort, wo die Holsteinische Schweiz beginnt. Zur Ostsee sind es nur 25 Minuten, zur Nordsee dauert es ein bisschen länger. Blunk hat sogar einen eigenen Rodelberg – ist also auch im Winter eine Reise wert. Es ist wunderschön hier!

Wie war es, ein Wirtshauskind zu sein?

Rückblickend bin ich sehr glücklich, so aufgewachsen zu sein. Bis Mitte der 60er Jahre war unser Familienbetrieb nicht nur Gasthaus, sondern auch Landwirtschaftsbetrieb. Wir hatten Kühe, Schweine und Hühner, ein Backhaus, einen Gemüsegarten und der Wein wuchs an den Wänden. So bin ich sozialisiert worden. Mit all den Menschen. Den Gästen, die von früh bis spät um uns herum waren, aber auch mit dem Schlachter, dem Jäger, der Imkerin. Wir brachten die Milch zur Meierei und kamen mit Butter und Käse zurück. Wenn geschlachtet wurde und die ersten Koteletts in der Pfanne brutzelten, wurde ich zum Bäcker geschickt, um ein Weißbrot zu holen, mit dem man so schön die Sauce »aufsubbschen« konnte. Weil wir immer mit den Jahreszeiten gegangen sind, haben wir natürlich auch die ganzen Methoden zum Haltbarmachen gekannt: Wir haben eingekocht, geräuchert und fermentiert, getrocknet oder eingesalzen, was nicht sofort verbraucht oder gegen etwas anderes getauscht werden konnte. Diesen Geist trage ich heute noch in mir. Gestern habe ich mehrere Kilo Brombeeren draußen gefunden, ich mache Marmelade, die so schmeckt wie damals, alle Erinnerungen werden darin wieder wach.

Gab es in Deinem Leben jemals die Idee, einen anderen Beruf zu lernen als einen gastronomischen?

Nein, niemals. Ich hatte als kleines Kind schon einen Schemel hinterm Tresen, damit ich Bier ausschenken konnte. Der Tresen fühlt sich für mich bis heute wie ein sichernder Schutzwall an – er ist die Grenze zwischen Gast und Familie. Was mein Vater mir zum Umgang mit Gästen sehr früh beigebracht hat: »Die Mark ist von jedem rund«. Es spielt keine Rolle, wie oft jemand kommt, was Gäste tragen, ob sie sympathisch sind oder nicht.

Wo hast du Stephan Schulze-Hamann, Deinen Mann, kennengelernt?

Ich war Empfangs-Chefin im Schlosshotel Kronberg bei Frankfurt am Main. Es war 1981, und ich sollte Kochmützen bestellen im Kempinski Hotel Atlantik in Hamburg. Da arbeitete ein gewisser Stephan Schulze, an den ich mich dafür wenden sollte. »Eigentlich müsstest Du den kennen«, sagte der damalige Küchenchef, »der ist auch so ein Fischkopp wie Du!«

Wie bist Du zu der geworden, die Du heute bist?

Ich war 13 Jahre lang fast durchgehend von zu Hause weg. In Bad Bramstedt habe ich Hotelfachfrau gelernt, ich habe in Kent in England in einem Schweizer Restaurant gearbeitet, bevor ich auf die Hotelfachschule Heidelberg ging, um meinen Hotelbetriebswirt zu machen. Auf allen Stationen war ich immer eng mit der Küche verbunden und habe viel von den Küchenchefs abgeschaut. Meist heimlich, aber oft habe sie auch mit Fragen genervt! All mein Wissen brachte ich nach und nach in unseren Betrieb ein, ergänzend zu dem, was meine Großmutter und meine Mutter mir beigebracht hatten.

Ich hatte durch die Maßlosigkeit der 70er und 80er Jahre schon früh Kontakt zu exklusiven und exotischen Produkten aus aller Welt, Litschis zum Beispiel hatte in Blunk noch niemand gesehen. Unser Betrieb hatte in den 60ern, als der Tourismus kam, den landwirtschaftlichen Teil des Unternehmens geschlossen, der Stall wurde unser heutiges Restaurant, der Tanzsaal im Obergeschoss zu einfachen Fremdenzimmern umgebaut. Bis 1971 hatten wir keine feste Speisenkarte. Es gab täglich wechselnde Gerichte zu essen, die musste man auswendig lernen und am Tisch vortragen. Nach jeder Station, die ich »da draußen« hinter mich gebracht hatte, konnte ich ein bisschen ändern bei uns. Wir wurden langsam immer moderner, ohne uns zu verbiegen.

Denkt Ihr manchmal an Ruhestand?

Nein. Wir machen das hier, solange wir Freude daran haben. Wir sind bescheiden groß geworden und glücklich, unsere Zeit jetzt besser planen zu können als früher. Etwas ganz Besonderes war die Pandemie: Während alle über Entbehrung klagten, war diese Zeit für uns voller geschenkter Möglichkeiten. Diese strenge Teilung zwischen Arbeit und Privatem besteht bei uns nicht, denn wir beschäftigen uns immer mit dem, was wir sind. Ich lebe doch davon, Menschen glückliche Momente zu schenken, das will mir immer keiner glauben! Und sag mal ehrlich: Wo wird das so unmittelbar widergespiegelt wie in der Gastronomie? Ich mag das, was ich jetzt mache. Ich find’s hier schön, ich will hier gar nicht weg. Einen Betrieb sollte man so am Zahn der Zeit führen, dass ihn jemand übernehmen kann, egal ob innerhalb oder außerhalb der Familie. Wie viel altes Wissen ist hier verortet, das sonst verlorenginge?

Das Landgasthaus ist also nicht tot?

Nicht, wenn man sich was einfallen lässt. Allerdings wird es das Gaststättenleben wie früher, von Sonnenaufgang bis nachts, so sicher nicht mehr geben. Denn leider ist es so: Alle sagen, dass sie wieder lokale Betriebe wollen. Sie romantisieren es, wie in einem Rosamunde-Pilcher-Roman. Aber dann gehen sie doch nicht hin.

Was hat Deine Freundschaft zu Ursula Hudson ausgemacht?

Wo und wie wir uns ganz genau kennengelernt haben, kann ich gar nicht mehr sagen. Wahrscheinlich auf der »Wir-haben-es-satt-Demo« in Berlin. Wir hatten von Anfang an ein gutes Miteinander. Dadurch, dass unser Sohn Frederik viele Jahre im Vorstand von Slow Food Deutschland saß, haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt. Sie war auch öfters hier, sogar mal in der Adventszeit – ich weiß noch, dass sie sich ein Skudden-Fell auf unserem Arche-Hof gekauft hat. Ursula hat erkannt und gemocht, wie »echt« das bei uns ist, wie ungeschönt authentisch.

Doch dann hat sich einiges geändert...

2018 geschah das erste Unglück: In unserem Gasthaus hat es gebrannt. Wir berappelten uns wieder, bauten alles wieder auf. Leider gab es 2019 einen zweiten Brand – so schwerwiegend, dass fast nichts mehr zu gebrauchen war. Auch ich nicht. Ich musste in einer Achtsamkeitsklinik im Schwarzwald sechseinhalb Monate wieder aufgepäppelt werden. Meine Welt, die in jeder Ritze dieses Landhauses sitzt, war verschwunden. Auf der Suche nach dem »Was nun?« sprach ich mit Ursula und wir ersponnen gemeinsam die Idee, eine Slow-Food-Deutschland-Akademie aus unserem Landhaus zu machen. Gemeinsam mit Slow Food Deutschland ließen wir eine Machbarkeitsstudie anfertigen, die positiv ausfiel. Gescheitert ist die Bewerkstelligung des Projekts, weil es uns damals an finanzstarken Partnern fehlte. 2020 starb Ursula, das war wieder ein tiefer Einschnitt in unser Leben.

Aber jetzt macht Ihr es selbst, das Lernzentrum?

So ähnlich. Dass es kein tägliches Restaurantleben mehr geben wird, war uns schon vor der Pandemie klar. Wir haben ein bisschen investiert und die Räume zu Co-Working-Spaces umgebaut, damit haben wir die Corona-Zeit gut überbrückt. Allerdings ist das Konzept auf dem Land schwer an Mann und Frau zu bringen – dafür sind wir dann doch zu weit draußen.

Und wem willst Du jetzt was beibringen?

Allen, die das wollen, denn jede*r hat es verdient, den Bezug zum Lebensmittel, wie es in der Natur vorkommt, wieder zu erlangen. Es ist auch nicht so, dass wir früher keine Kochkurse gegeben haben, wir haben schon immer Kinder unterrichtet in Korrespondenz mit den ortsansässigen Erzeuger*innen. Und Ausbildungsbetrieb waren wir sowieso, für Köch*innen, Restaurant- und Hotelfachkräfte sowie Hauswirtschafter*innen – fast fünfzig Leute haben bei uns ihren Beruf gelernt.

Meine Großmutter und meine Mutter haben das Kochen nie als Last empfunden, denn das war unser Jahreslauf. Kochen kann Freude und Meditation sein, es ist aber in erster Linie ein Privileg – dafür lohnt es sich, es zu lernen. Auch Hausmann oder -frau zu sein, ist etwas Wertiges, das wurde einfach viel zu lange nicht eingepreist. Ich möchte oft rufen: »All das, was ich mache, das könnt ihr doch zu Hause auch! Jeder Mensch kann einen Fischfond aus Gräten machen. Ihr könnt doch auch mit einer Gemüsekiste aus der Solawi arbeiten und die jahreszeitlichen Überhänge durch Konservieren ausgleichen. Ihr könnt doch auch doppelt so viele Gnocchi machen und welche einfrieren. Wenn Ihr gut organisiert seid und Vorräte anlegt, könnt ihr auch am Familienleben teilnehmen.« Das habe ich von meiner Familie gelernt. Wenn es eine Beerdigung gab, war die Brühe mit den Klößchen fertig zum Anrichten, die Einlage lag fein geschnitten bereit, das Rind und die Meerrettichsauce standen portioniert parat und der Reis zog im warmen Federbett vor sich hin. So konnten auch wir Wirtsleute mitgehen zur Beerdigung.

Als Beispiel für zu Hause: in meiner Familie gibt es nur einmal die Woche Fleisch. Wenn ich frühmorgens oder schon am Vorabend meinen Galloway-Braten so vorbereitet habe, dass er fast fertig in der Kochkiste auf mich wartet, dann kann ich selber mit den anderen zur Kirche gehen statt gestresst am Herd zu stehen. Es sind einfache Dinge, sie müssen nur gut organisiert sein. Es gibt Menschen, die sind kreativ im Chaos. Ich bin kreativ in der Ordnung.

Was tut sich aktuell in Deiner Kochwerkstatt?

Wir möchten zusätzlich zu der bereits existierenden Streuobstwiese, die von Tieren unseres örtlichen Archehofes beweidet wird, einen Permakultur-Garten anlegen, damit gerade junge Menschen sehen können, was wann und wie wächst. Dafür arbeiten wir mit Marcel Lungershausen, dem Gründer der Cocina Kiel zusammen, einem Co-Working-Space für kulinarische Start-Ups. Er ist im Rahmen der Kampagne BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) Experte für außerschulische Bildung. Ich treffe ihn jede Woche zur Erarbeitung neuer Projekte, er kooperiert dabei mit insgesamt dreizehn Schulen und einer Ernährungswissenschaftlerin. Für Erwachsene mache ich Abendkurse zur Fermentation, zu veganer Küche und gemeinsame Events mit Gastköchen oder unseren Produzent*innen. Auch das haben wir schon immer gemacht, aber jetzt, wo das Restaurant im klassischen Sinne nicht mehr da ist, haben wir Zeit dafür. So macht es mehr Spaß – und ich glaube, es wird auch besser. Jedenfalls finden die neuen Kurse großen Anklang!

Ist Schleswig-Holstein ein Beispiel für gute Zusammenarbeit zwischen Gastronomie und Erzeugenden?

Wir werden immer besser! Die wachsenden Tourismuszahlen helfen uns, und ganz bestimmt hat auch der Verein Feinheimisch seinen Teil dazu beigetragen. Allein wir arbeiten mit 37 kleinen Betrieben zusammen, fast ausnahmslos alles kommt von hier aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Wir arbeiten mit einem benachbarten Brenner zusammen und tauschen Obst gegen Marmelade. Es wird viel getauscht, das gefällt mir.

Viele Leute in der Gastronomie leiden unter Gefühlen des Fremdbestimmtseins. Wie schützt Du Dich?

40 Jahre sind wir jetzt selbständig. Da lernt man, dass Leute über einen reden. Nach meinem Aufenthalt im Schwarzwald war ich erst mal richtig menschenscheu. Jetzt gehe ich wieder raus, aber lieber in die Natur als in die Kreisstadt zum Einkaufen. Ich zehre noch von meinem guten Netzwerk aus Restaurantzeiten und lass mir vieles bringen. Ich wandere lieber drei oder vier Stunden durch den Wald als mich in Gesellschaft zu begeben. Und zweimal im Jahr mache ich eine Fastenreise nach Sylt oder Mallorca, das bringt mich innerlich runter.

Herzlichen Dank! Zum Abschluss: Wein oder Bier?

Wein.

Kaffee oder Tee?

Beides. Erst grüner Tee, dann Kaffee.

Filet oder Sülze?

Sülze!!!





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