Interview mit Martin Schneider

Die Chef Alliance Deutschland gründete sich beim Terra Madre Salone del Gusto 2016 in Turin – der größten internationalen Slow-Food-Veranstaltung. Inzwischen besteht sie aus 52 Köchen, die für die Herkunft ihrer Produkte, ihre Kultur- und Naturland-schaften und den Genuss ihrer Gäste Verantwortung übernehmen.Auch Martin Schneider, Küchenchef im Hamburger »Hobenköök«, ist Mitglied der Chef Alliance. Er will nicht nur Verantwortung für die Lebensmittel übernehmen, die er verarbeitet, sondern auch für die Abfälle, die übrigbleiben. Was ihn aktuell fasziniert, sind Experimente beim Kompostieren. Luka Lübke hat ihn interviewt.

Du bist Küchenchef in der Hobenköök in Hamburg, was ist das Einzigartige an diesem Konzept?

IMG_2848.jpegDass die Hobenköök Markt und Restaurant zugleich ist. Es ist ein gutes Gefühl, seine Zutaten nicht aus roten Kisten im Kühlhaus zu ziehen, sondern über einen Markt zu schlendern, in dem sich auch die Gäste bewegen. So erhalte ich viel kreativen Input, auch dadurch, dass ich die Erzeuger persönlich kenne und wir die Anbauplanung für die jeweilige Saison zusammen machen. Alles, was im Markt am Abend nicht verkauft wurde, geht in unsere Produktionsküche und wird dort für Caterings, Hobenköök-Marktprodukte im Glas und für unser à la carte Geschäft am nächsten Tag vorbereitet. So ensteht ein Kreislauf, bei dem alles frisch ist und verwertet wird. Dieses Leftover-management geht bei uns inzwischen sogar noch weiter, indem wir unsere Lebensmittelabfälle selbst kompostieren – ein Thema, dass mir derzeit sehr am Herzen liegt. Auch zu Hause experimentiere ich zurzeit mit verschiedenen Methoden um das, was wirklich übrigbleibt, wieder zurück in die Erde zu bringen und damit einen lebendigen und fruchtbaren Boden für Neues zu schaffen.

Wie bist Du dort gelandet?

Nach Stationen in der Lüneburger Heide, Südtirol und Frankfurt war ich zuletzt Küchenchef in der Bullerei in Hamburg. Inspiriert durch einen Freund im Allgäu, habe ich dort angefangen mich mit der Ganztierverarbeitung und dem zugehörigen Fleischerhandwerk zu beschäftigen (>>www.allgaeu-rind.de). Allerdings stößt man bei einer solch hohen Anzahl Essen am Tag schnell an seine Grenzen. Einerseits wegen der Kapazitäten der Erzeuger, andererseits wegen der noch geringen Bereitschaft der Kunden, etwas anderes als Steaks essen zu wollen. Aber ich wollte alles ausprobieren, vom Zerlegen bis zum Wursten und Räuchern, alles verwenden, nicht nur die üblichen Innereien, sondern auch Köpfe, Fell und Füße. Nach meiner Elternzeit habe ich Thomas Sampl, den Koch hinter dem Hobenköök-Konzept kennen gelernt und festgestellt, dass wir in ganz ähnlichen Ansätzen denken. Als frisch gebackener Vater habe ich nach einem Betrieb gesucht, der genau das macht, womit ich mich privat beschäftige. Und so wurde ich Küchenchef in der Hobenköök.

Was macht im Sinne von „gut, sauber und fair“ einen guten Küchenchef aus?

Augenhöhe heißt das Stichwort. Respektvoller Umgang mit jedem Menschen, egal ob Vorgesetzter, Spülhilfe oder Azubi. NIEMALS aufhören, voneinander zu lernen! Es sollte heute nicht mehr darum gehen, nur zu zeigen, was man kann. Das Lebensmittel, nicht der Spitzenkoch sollte der Protagonist sein. Die Welt der Fernsehköche macht das dem Nachwuchs nicht gerade leicht. Ich wünsche mir als Köchenachwuchs eine Generation, die wieder Lust auf Kochen hat, nicht auf Fernsehkochen. Mit allem, was dazugehört. Heldenhaft ist für mich nicht, mit einem 18-komponentigen Teller zu posen, sondern Verantwortung zu übernehmen gegenüber Lebensmitteln, deren Erzeugern und handwerklicher Tradition. Und nicht zuletzt: den Gast nicht vergessen, für den man das alles macht.

Außerdem betreibst Du Esfck – wie spricht man das aus und was ist das? Mit wem hast Du Dich dort zusammengeschlossen?

234.jpegMan spricht es genauso aus, wie man sich das vorstellt. Esfck. Der Name ist entstanden, als ich 2015 mit meiner Frau von einer Reise zurückkam und die Omnipräsenz des Wortes Foodporn einen zu erschlagen drohte. Alles war auf einmal porn! Das haben wir ins Deutsche übersetzt – zunächst war Esfck ein Kollektiv von Koch-Kollegen. Wir haben auf Instagram begonnen, unsere Welt zu dokumentieren, dann Podcasts zu unseren Themen und gemeinsame Aktionen gemacht. Heute sehen wir uns nicht mehr so viel, aber es gibt eine Merchandise-Artikel-Serie, Weine von einem befreundeten Pfälzer Winzer und unsere in Hamburg hergestellten Würzstoff-Gewürze. Vielleicht eine etwas ungewöhnliche Mischung, aber wir wollen einfach das machen, was wir lieben (>>https://esfck.com/).

Du lebst in einem kleinen Ort außerhalb Deines Wirkungsortes Hamburg in der Heide. Bist du ein Stadt- oder ein Landmensch?

Eher ein Landmensch. Die Nähe zur Natur ist mir wichtig geworden – gefeiert habe ich in der Lehrzeit schon genug. Ich bin gern mit meiner Frau und meiner Tochter zu Hause. Auch Essen gehen ist nichts mehr für uns, das wird immer schwieriger, weil man als Koch irgendwann auf Speisekarten lesen kann, was dort wirklich steht. Allein schon anhand von Artikelanzahl und Preisgefüge kann man sich vorstellen, was dort hinter den Kulissen abläuft. Dafür möchte ich kein Geld ausgeben. Unsere Verwandten sind davon manches Mal genervt gewesen, auch davon, das wir vieles nicht mehr essen wollen. Zum Beispiel Fleisch aus Haltungsstufe Eins, das Tante mal mitbrachte, weil sie dachte, Eins sei das Beste. Sie wusste es eben nicht besser – so geht es vielen. Wir müssen glaube ich einen behutsamen Weg finden, all die nötige Aufklärung der Verbraucher zu leisten, ohne jemandem auf die Füße zu treten oder Trotzreaktionen auszulösen.

Was bist Du für ein Koch?

Ich bin akustisch leise, aber doch sehr laut. Ich schreie nicht rum, aber weiß genau, was ich will. Ich liebe gutes Fleischerhandwerk und experimentiere mit Salz, Rauch und Lufttrocknung. Ich mag das Langwierige daran. Dass man nicht sofort ein Ergebnis sieht, sondern geduldig beobachten muss, um zu lernen. Und dann noch mal ganz von vorne anfangen.

Hast Du Vorbilder bzw. wer inspiriert Dich bei dem, was Du tust?

IMG_2783.jpegIm Moment inspiriert mich ein Londoner Zerowaste-Restaurantprojekt. Es heißt SILO und hat verschiedene Arten der Kompostierung in den Mittelpunkt seines Konzepts gestellt. Das mag erstmal fremd klingen, aber für mich ist es logisch, den Kreislauf zu schließen. Ich denke und hoffe, dieses Thema wird uns in Zukunft noch häufiger begegnen, auch in privaten Haushalten. Ich probiere seit einigen Jahren zu Hause verschiedenen Arten der Kompostierung aus: die ganz Klassische, als Wurmkompost oder im Bokashi-Eimer und kann versichern: es ist hochspannend und geht auch ohne unangenehme Gerüche.

Wie bist Du zur Slow Food Chef Alliance gekommen?

Ich wollte eigentlich nie einer Köche-Vereinigung beitreten. Weil man sich meiner Meinung nach dort viel zu sehr feiert. Durch Thomas Sampl habe ich die Chef Alliance von Slow Food kennen gelernt. Im letzten Jahr hat dann in der Hobenköök der Tag der Nachhaltigen Gastronomie mit einem großen Menü stattgefunden, dort habe ich die Chef*s persönlich kennengelernt und gedacht: da möchte ich mich einbringen, da kann ich mit Gleichgesinnten aufklären und verbreiten, was im Umgang mit Lebensmitteln wichtig ist.

Was war Dein größtes Menü – nicht im Sinne von Personenzahl?

Worauf ich tatsächlich besonders stolz bin ist BABA LIZA – ein russisches Pop-Up-Restaurant, dass ich im letzten Jahr mit meiner Frau Darja gestaltet habe. Darja ist Kommunikationsdesignerin und hat als Bachelor-Arbeit ein Kochbuch gemacht, das die Küche ihrer sibirischen Großmutter Liza in Wort und Bild beschreibt. Ich habe diese klassischen Zubereitungsarten auf meine Art umgesetzt, was eine Herausforderung war - denn welcher Koch traut sich schon, einer Großmutter gleichkommen zu wollen? Trotz meiner Interpretation scheint es dennoch gelungen zu sein, ein Gast sagte mir zum Schluss: „ab heute werde ich jedes Mal, wenn ich Tschebureki esse, meine Mutter und Großmutter anlügen müssen, wenn ich sage: „das ist das beste Tschebureki, das ich jemals gegessen habe“.“

Wie wird Deiner Meinung nach Corona unser Essverhalten/unsere gastronomische Landschaft verändern?

Am Ende entscheidet das der Gast. Es ist im letzten Jahr vieles öffentlich geworden, was schon lange schiefläuft. Ich wünsche mir, dass der Gast nun aktiv wird und die Bereitschaft findet, einerseits seine Ernährungsweise zu überdenken und andererseits mehr Geld in die Hand zu nehmen. Wir Chef*s können und sollten hier unermüdlich weiter unterstützen, aufklären und motivieren, damit die neu gewonnene Energie nicht im Sand verläuft und am Ende die Convenience-Industrie gewinnt, was das Aus für unsere Zunft bedeuten würde.

Sind wir CA-Köche noch zu leise, zu schüchtern?

Ich denke, wir könnten, sofern es unser Arbeitsalltag erlaubt aktiver sein, auf vielen Ebenen. In der Familie, im Freundeskreis, im Team, am Gast und gegenüber der Öffentlichkeit. Viel Potential liegt noch in im selbstbewussteren Umgang mit sozialen Medien – gerade, weil wir in die Zukunft denken!

Wenn Du ein Lebensmittel wärst – was wärst Du?

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Ein Schwein. Oder? Darja, was wäre ich, wenn ich ein Lebensmittel wäre? Darja: „eine Wurst“.

Interview geführt von Luka Lübke

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